Nach Gewalterfahrungen - wie soll angefangen werden?

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

      Nach Gewalterfahrungen - wie soll angefangen werden?

      Hallo ihr Lieben,

      Ich möchte alles nur kurz zusammenfassen: Ich bin 32, aber meine Sexualität lebe ich erst seit circa einem Jahr aus. Ich bin leider sehr traumatisiert, musste viel Gewalt erleben sowohl als Kind / Jugendliche als auch als Erwachsene; sowohl sexualisierte / körperliche als auch psychologische Gewalt. Ich möchte es nicht detailliert erzählen, weil ich bei niemandem etwas auslösen möchte. Aber so viel dazu: Es hat mich geprägt, und vor allem bis vor kurzem war er unvorstellbar und unmöglich, meine Sexualität auszuleben. Entweder hatte ich keine Lust, oder ich hatte Lust und habe es getan, aber danach habe ich ein Disassoziation, oder manchmal sogar eine Panikattacke gekriegt. Das passiert nicht mehr und zurzeit gehe ich eh zur Therapie.

      Ich merke mittlerweile, dass ich eine Neigung zu BDSM habe. Ich habe aber keinerlei Erfahrungen. Ich denke, dass ich eher zu dom neige als zu sub, kann mir jedoch beides gut vorstellen. Mir wurde gesagt, dass ich das lieber mit jemandem ausprobieren sollte, dem ich vertraue. Diese Person ist aber nicht vorhanden. Ich kenne keine Menschen persönlich, die zu BDSM neigen. Oder ich kenne sie aber weiß nichts davon, weil das nie thematisiert wurde.

      Ich wollte fragen, ob ihr schon mal Erfahrungen oder Wissen zu dieser Problematik habt. Habt ihr selber Gewalt erfahren müssen? Wie war das dann am Anfang - war es schwierig zu vertrauen? Oder so: Habt ihr Strategien, wie man im Augenblick bleibt und nicht abschaltet? (Gerade poppt die Idee in meinem Kopf auf, dass es dazu Übungen geben könnte. Hmm, muss gleich mal googlen.)

      Schon mal vielen Dank für Eure Zeit und liebste Grüße,
      nora
      Hallo Nora,

      oh ja mit dieser Problematik habe ich mich auch konfrontiert gesehen. Allerdings bin ich schon 2 x 2 Jahre in Verhaltenstherapie gewesen und habe für mich schon viele Verhaltensänderungen im Alltag erarbeitet.

      Trotzdem war es jetzt auch für mich eine absolute Herausforderung. Vor allem auch meinem Kopf klar zu machen, dass ich mich in keiner Opferrolle befinde sondern ich mich auf eigenen Wunsch und ganz freiwillig in gewisse Situationen begebe.

      Beim ersten realen Treffen ist es mir trotzdem passiert. Ich bin ausgestiegen. Körper war anwesend, Geist war abwesend (und leider nicht so abwesend wie man es sich wünscht). Durch meine Arbeit an mir selbst habe ich es aber bemerkt und mich selbst zurück holen können. Man kann es üben. Aber es braucht sehr viel Wissen über sich selbst und eine gute Selbstbeobachtungsgabe. Und natürlich die Erkentnisse aus den Therapien.

      Ich denke Vertrauen ist sowieso das A und O. Aber auch ich habe damit ein absolutes Problem und deshalb musste ich für mich einen Herrn suchen der mit mir sehr viel redet bzw. schreibt und sich auch auf einer Gefühlsebene mit mir auseinandersetzt. Das habe ich aber auch erst erkannt nachdem ich zwei mal daneben gegriffen hatte, bzw. meine Selbsteinschätzung war eine andere.

      Wenn überhaupt zum jetzigen Zeitpunkt, dann arbeite Dich langsam voran. Das haben mir die letzten Monate gezeigt. Ich bin im Galopp durch harte Lektionen gegangen die ich mir gespart hätte wenn ich einfach mal eine langsamere Gangart eingelegt hätte.

      Das alles trifft natürlich nur auf mich zu und kann nicht verallgemeinert werden. Aber vielleicht hilft es Dir ein bisschen...

      Ganz liebe Grüße..Ida
      Hallo Nora,

      Gewalt und Vernachlässigung habe ich als Kind ebenfalls erlebt. Ich merke auch, wie sich diese Erfahrungen z. T. sehr konkret in meinen BDSM-Fantasien widerspiegeln. Auch ich bin in therapeutischer Behandlung, was ich für mich als unabdingbar sehe bei dieser engen Verzahnung von BDSM und unverarbeiteten Gewalterfahrungen.

      Erfahrungen mit Beziehung und Partnerschaft habe ich noch keine. Vor ca. eineinhalb Jahren habe ich mich erstmals entschlossen, zu einer Domina zu gehen, um erste sexuelle Erfahrungen im BDSM-Bereich zu sammeln. Ich hab mir eine Domina ausgesucht, die nicht "nur" Domina ist, sondern im bürgerlichen Leben auch eine therapeutische Ausbildung hat. Leider findet man diese Kombination aus Domina + Therapeutin nur sehr selten, aber für mich ist das genau die ideale Kombination, nach der gesucht habe, denn nur dadurch war mir das notwendige Vertrauen überhaupt möglich.

      Ich den Spielen sind wir zunächst sehr behutsam vorgegangen, was mich aber nicht gänzlich davor geschützt hat, dass zumindest in einem Fall auch sehr belastende Erinnerungen wieder hochgekommen sind. Glückweise gab es die Möglichkeit eines Nachgesprächs (eine Woche später), wo wir vieles klären konnten.

      nora schrieb:

      Mir wurde gesagt, dass ich das lieber mit jemandem ausprobieren sollte, dem ich vertraue. Diese Person ist aber nicht vorhanden. Ich kenne keine Menschen persönlich, die zu BDSM neigen. Oder ich kenne sie aber weiß nichts davon, weil das nie thematisiert wurde.

      Ich weiß, wie bitter es sein kann, wenn man nicht den passenden Partner findet, den man sich wünscht und braucht. Bei einer so sensiblen Vorgeschichte würde ich dir im Zweifel auch zur Zurückhaltung raten, bevor du dich mit jemandem einlässt, bei dem du dir nicht sicher sein kannst, ob er dein Vertrauen wirklich wert ist.

      Ansonsten tue ich mich schwer mit konkreten Tipps, weil ich selbst noch auf der Suche bin und noch nicht absehen kann, in welche Richtung mein Weg schlussendlich gehen wird. Trotzdem wünsche ich dir alles Gute und viel Kraft für deine eigene Suche!
      Hi Nora,

      Ich habe ebenfalls Gewalterfahrungen machen müssen, bevor ich zu meiner Neigung gefunden habe, das scheint leider keine Seltenheit zu sein.
      Es war eine riesen Überwindung, und ist es teilweise auch immer noch, aber am Ende ist es das, für mich, wert.
      Vertrauen ist ein sehr großer Faktor, das braucht Zeit und viel Geduld, versuch nicht zu ungeduldig zu sein mit dir selbst, auch wenn das Gefühl aufkommen sollte dass das doch alles schneller gehen sollte und dass du das "besser können" solltest.

      Sei ehrlich zu dir selbst und deinem Partner! Das ist etwas, woran ich immer noch arbeite, Ehrlichkeit zu mir selbst ist manchmal schwieriger als man so denken sollte.

      Am Ende kann ich dir nur raten, dir Zeit zu lassen, du hast sie. Stürz dich nicht Hals über Kopf in irgendwas Halbgaares, sondern sortier das erstmal ganz in Ruhe aus und schau dann weiter.
      Es ist keine Schande, wenn es mal nicht so läuft, das ist absolut normal.
      Wichtig ist nur, dass du deinen eigenen Weg findest, das ist leider ein sehr subjektives Thema.

      Liebe Grüße
      Ala
      Cunning. Ambitious. Resourceful. Determined. Shrewd.
      Aus meiner eigenen Erfahrung (auf die ich hier aus verschiedenen Gründen nicht weiter ausbreiten möchte, ich habe im Sub-Unterforum sehr kurz was dazu geschrieben) kann ich dir nur empfehlen, zunächst (falls noch nicht geschehen) eine Diagnostik und zudem, sofern eine Traumafolgestörung vorliegt, eine entsprechende Therapie in einer auf diese Probelamtik spezialisierten Klinik und/oder bei einem entsprechend ausgebildeten Therapeuten zu machen (du schreibst leider nicht, was du gerade für eine Therapie machst).

      Für mich ist es nur durch möglich, das, was ich tue, unbeschadet zu tun und es genießen zu können, weil ich mittels intensiver Traumatherapie ausreichende Vorarbeit geleistet habe. Hätte ich das nicht, würde mich praktisch alles, was ich tue, triggern und Flashbacks auslösen bzw. ich bekäme, wie du es ja auch beschreibst, dissoziative Zustände (und nur weil es z.B. D/s ist, wird das Risiko dafür micht geringer, ich halte die Gefahr der Retraumatisierung dabei für genauso hoch wie bei Vanilla-Sex). Manchmal kommt trotz aller Therapie und obwohl ich mit all dem wirklich für mich abgeschlossen habe, doch noch was hoch, dafür habe ich aber "Skills", die ich anwenden kann und die mir sehr gut helfen. Zudem weiß mein Partner über die Situation Bescheid und kann damit umgehen.

      Und nochwas (das ist jetzt aber meine persönliche Meinung und sonst nichts!): schütze dich, sorge für dich, mache Therapie, aber lass dir nicht einreden, dass du das nur aufgrund der Traumatisierung nicht irgendwann leben kannst (ich habe da selbst von Therapeuten schon ziemlich seltsame Dinge zu hören bekommen, die zumindest auf mich nicht zutreffen). Auch sexuell traumatisierte Menschen haben ein Recht darauf, ihre Sexualität nach ihren Wünschen zu leben. Ich finde sogar, dass jeder, der so etwas hinter sich hat und es schafft, seine eigene Sexualität dabei zu "retten", sie irgendwie zu bewahren und weiter in der Lage zu sein, Lust zu empfinden und sich einzulassen, sehr viel Respekt verdient - es ist dabei aber einfach auch wichtig, sich wirklich gut zu schützen und gut auf sich und seine eigenen Grenzen zu achten.

      Nachtrag:
      Bei mir war es, nachdem ich mich entschieden hatte, mich auf meine Neigung (blödes Wort, aber mir fällt kein besseres ein) einzulassen und es einfach zu versuchen, überraschend einfach. Viel, viel einfacher, als ich es nach meinen bis dahin eher unguten Erfahrungen je gedacht hätte. Ich habe aber sowohl bei meinem ersten Versuch als auch bei meinem jetzigen Partner einfach sehr viel Glück gehabt, beides sehr sehr tolle, verantwortungsbewusste Männer, die meine Grenzen absolut geachtet haben bzw. (mein jetziger Partner) achten und bei denen es immer wieder sehr viel Zärtlichkeit, sehr viel Respekt, sehr viel Wertschätzung und liebevolles Auffangen gab und gibt. An dieser Stelle nochmal ein ganz, ganz großes Dankeschön an #'Sir_Frosch.
      „and because you want it, too.“
      „I do“, I whisper. „Never… then … never while“. „I know.“ he says

      Elisabeth McNeill

      Dieser Beitrag wurde bereits 6 mal editiert, zuletzt von Poetin ()

      nora schrieb:

      Mir wurde gesagt, dass ich das lieber mit jemandem ausprobieren sollte, dem ich vertraue. Diese Person ist aber nicht vorhanden. Ich kenne keine Menschen persönlich, die zu BDSM neigen.
      Liebe Nora, ganz unabhängig, welche Vergangenheit man hinter sich hat, sollte man IMMER darauf bedacht sein, BDSM nur mit Personen auszuüben, denen man vertraut.
      Al Einstieg könntest du, falls es dir möglich ist, vielleicht unsere foreneigenen Stammtische besuchen. Dort lernst du ganz ungezwungen und ohne eventuelle Erwartungen Menschen aus dem BDSM-Kreis kennen. So kannst du dich erst mal mit dem Thema und den Menschen vetraut machen, ohne gleich eine Session zu starten.
      Ich könnte mir vorstellen, dass dir das momentan erst mal mehr bringt, als sich gleich in eine Beziehung oder was auch immer zu stürzen.

      Ich wünsche dir alles Gute! :blumen:
      Wir haben alle irgendeinen Knacks - der Unterschied ist: bei manchen ist er diagnostiziert... :monster:
      Vielen lieben Dank an Alle, die sich die Zeit genommen haben. Ich schätze jede Antwort.


      "Al Einstieg könntest du, falls es dir möglich ist, vielleicht unsere foreneigenen Stammtische besuchen. Dort lernst du ganz ungezwungen und ohne eventuelle Erwartungen Menschen aus dem BDSM-Kreis kennen. So kannst du dich erst mal mit dem Thema und den Menschen vetraut machen, ohne gleich eine Session zu starten." @Lilly13, das ist eine super Idee! Danke für deinen guten Tip!

      @Poetin: Leider ist zurzeit keine Traumatherapie möglich. Zuerst muss ich meinen Alltag regeln können, weil ich beruflich nicht mehr weiter komme. Aus diesem Grund habe ich mich erst für eine kognitive Verhaltenstherapie entschieden. Sobald ich eine bessere Struktur habe, suche ich nach Möglichkeiten einer Traumatherapie. Ich habe Diagnosen für ADHS, Porttraumatische Belastungsstörung und Borderline Syndrome.

      @Aladine: Ebenso ein guter Tip! Ich merke auch selber, dass ich zur Eile neige. Aber andererseits geschiet das alles nur in meinem Kopf und ich mache keine Schritte. Also ich lasse mir Zeit, und über Vieles habe ich im Laufe der Zeit gelernt, mehr Verständnis mir selbst gegenüber zu haben. Besser geht aber natürlich immer.

      "Gewalt und Vernachlässigung habe ich als Kind ebenfalls erlebt. Ich merke auch, wie sich diese Erfahrungen z. T. sehr konkret in meinen BDSM-Fantasien widerspiegeln." @Adrian_2015 nach meinen Recherchen und Gesprächen mit anderen Betroffenen habe ich den Eindruck genommen, dass Missbrauch sehr verwirrend für Kinder werden kann. Weil man diese ja für Liebe und Aufmerksamkeit hält. Die Haltung kann im Erwachsenenalter bestehen, und gefährlich werden. Häufig ist es ja auch so, dass auch Betroffene währenddessen Lust empfinden, und dass diese Erfahrungen eben ein Teil der Sexualität werden. Lust kann auch aus diesem Grund triggern. Wichtig ist glaube ich, das verarbeiten zu können, sich nicht zu schämen, nicht selbst die Schuld geben, etc... Es ist harte Arbeit, aber unmöglich scheint es nicht zu sein.


      Liebste Grüße!
      Bei mir ist es so, dass ich das Thema BDSM zwischendurch immer mal wieder eine zeitlang zurückstellen muss, weil es emotional auch stark belastend sein kann.

      Mit meiner Domina hab ich mich beim letzen Mal nur zum Gespräch getrofffen, nicht zur Spiele-Session, weil mich der letzte Termin (im September) extrem stark aufgewühlt hat. Es ist ganz wichtig, dass man lernt, die eigenen Grenzen zu achten und sie nicht zu überschreiten. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber die kann beim BDSM existenziell werden.