Ich lerne von einem Vanilla

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      Ich lerne von einem Vanilla

      Eigentlich wollte ich so einen Beitrag auf meinem persönlichen Blog verfassen, aber ich denke das er, nach vielem was ich bisher hier gelesen habe, hier mehr Anklang findet und sich die/der eine oder andere darin selbst findet.

      Ich lerne von einem Vanilla. Wir BDSMler gehen sehr oft davon aus dass wir Vanillas, oder weniger Erfahrene in das Thema einführen müssten. Als währe BDSM eine Art Stufe im Bereich der Sexualität die man erreichen kann oder muss. Ich vermute das liegt mitunter darin das es einerseits unsere Lebensart ist, andererseits für uns aber auch eine Steigerung des „Normalen“ ist. Es gibt unzählige Diskussionen darüber wer wen restriktiver und besser fesselt. Aber sein wir mal ehrlich. Das ultimative BDSM lebt keiner von uns. Wo ist der Anfang und wo ist das Ende? Ist der Latex-Vollanzug mit Maske mehr als Bondage? Jeder lebt sein BDSM. Und zwar so wie er es mag und genießt. Und genau so soll das auch sein.

      In der Hinsicht musste ich über die Jahre sehr viel lernen dem ich mich eine lange Zeit verschlossen habe. Denn ich bin mit einem Vanilla verheiratet. Natürlich wollte ich dass er meine Bedürfnisse in der Hinsicht befriedigt, so wie ich es mit seinen Bedürfnissen auch tue. Und sehr lange habe ich mir gar keine Gedanken darüber gemacht ob einige Praktiken die ich sehr mag, und vielleicht für meinen Geschmack gar nicht so bizarr sind, ihn schockieren könnten. Genau deswegen hatten und haben wir auch heute noch öfter Streit. Ich fühlte mich ungerecht behandelt weil ich ihm etwas gegeben habe das er wollte, aber im Gegenzug nicht das zurück bekam was mich glücklich macht.
      Und plötzlich bin ich an dem Punkt angelangt, an dem Ich lernen muss. Ich muss wahnsinnig viel Geduld beweisen was mir auch nicht wirklich leicht fällt. Und ich muss lernen ihm meine Wünsche behutsam beizubringen. Ich muss lernen seine Bemühungen zu erkennen und ihn dafür auch zu loben. Denn inzwischen weiß ich eins ganz genau. Wie er sich dabei anstellt ist keine Absicht. Jeder von uns hier kennt das. Wir gehen in einen Baumarkt und sehen dort an jeder Ecke Dinge zum fesseln, fixieren, knebeln und bestrafen. Sehr oft konnte ich nicht nachvollziehen das mein Mann eben einfach nur Seile, Ketten und Holz sieht. Nicht das typische Kopfkino das ich mir vorgestellt habe. Nur in einigen, seltenen Momenten nahm er etwas, hielt es an meinen Körper und sagte „Könnte passen.“ Was in solchen Augenblicken für Blitze vor meinen Augen vorbeizogen konnte mein geliebter Vanilla aber natürlich nicht nachvollziehen.

      Wenn man eine Beziehung so führt muss man sich in der Mitte begegnen. Jeder lernt etwas vom anderen, und einige Dinge werden niemals zueinander passen. In welcher Beziehung lieben zwei Menschen die gleiche Musik, mögen das gleiche Essen oder die gleichen Filme? Wenn das so wäre… Läuft eine Maschine in der die Zahnräder exakt ineinanderpassen wirklich so rund wenn es um das Zwischenmenschliche geht? Spannend wird es doch immer erst wenn gebastelt und improvisiert wird. Hier und da wird etwas angepasst, dort muss man mit einem Kompromiss leben und andere Dinge wollen einfach nicht so passen wie man es gern hätte.

      Inzwischen bin ich sehr viel mehr bemüht unsere vielen kleinen Zahnrädchen kompatibler zu machen. Auch wenn ich vieles nicht nachvollziehen kann versuche ich noch mehr Geduld zu beweisen als in den letzten 12 Jahren. Denn eine Sache ist sicher. Das Leben besteht aus weit mehr als BDSM. Und auch wenn es mir sehr wichtig ist und mir ein gutes Gefühl gibt, sind da viele Momente in denen ich einfach nur mit ihm auf der Couch kuscheln möchte. Momente in denen ich das Sagen habe und in denen ich stolz bin auf die Entscheidung die ich allein getroffen habe.

      Lernen kann aktiv oder passiv sein. Aktiv indem ich mich mit dem Thema befasse und pauke. Das macht beim BDSM natürlich allein schon vom Sicherheitsaspekt her sehr viel Sinn. Aber sehr viele Dinge kann man auch nur wirklich passiv lernen. Indem man beginnt, Geduld beweist, aus den Situationen lernt, erforscht und sich auf das Ergebnis einstellt. Das gilt denke ich besonders für BDSMler in einer Beziehung mit einem Vanilla. Wir sind ja gleich und haben nur unterschiedliche Vorlieben die wir dem anderen näher bringen möchten. Möglicherweise bereichern wir damit das Leben der anderen Person. Möglicherweise aber auch nicht. Wir tun dies im Endeffekt für uns selbst. Damit wir das bekommen was wir gern hätten. Darüber sollte man einen Augenblick nachdenken wenn man seinen Partner von einer Sache überzeugen möchte. Und selbstverständlich respektieren das allein schon der Versuch des Partners etwas Besonderes ist. Auch wenn er eben nicht so funktioniert wie man es sich vorgestellt hatte.

      Das immer wieder gern gesagte „Reden, reden, reden“ stößt nämlich auch schnell an seine Grenzen wenn die Situation wie beschrieben ist. Wir möchten ja schließlich niemanden bekehren oder bekehrt werden. An beiden (oder allen) Seiten ist nichts falsch oder richtig. Und jeder Kompromiss den wir eingehen geht einher mit einem Kompromiss der vom Gegenüber eingegangen wird. Ich weiß selbst nur zu gut wie schwer das nachzuvollziehen ist. Aber dennoch sollte man sich das immer vor Augen halten wenn man mal wieder ein gewisses Kopfkino hat das man gern mit dem Partner ausprobieren oder sogar öfter ausleben möchte. Vielleicht macht man sich selbst schon einmal im Vorfeld Gedanken darüber was passieren könnte. Ich habe in letzter Zeit öfter das Wort „umpolen“ hier gelesen. Wenn es denn so gemeint war wie man es verstehen kann, nämlich forciert, dann hat das ganze nichts mehr von dieser vertrauensvollen Beziehung die BDSM ist oder sein kann. Oder möchtest du als BDSMler umgepolt werden?
      Bei einigen scheint diese Art des Miteinanders zu funktionieren. Bei mir klappt es auch zurzeit immer besser und besser. Ich beweise Geduld so gut es geht und versuche darauf einzugehen was mein Partner kann und was er nicht kann. Denn die Beziehung mit Ihm ist mir viel zu wichtig als das ich sie durch etwas anderes was ich sehr liebe kaputtgehen lassen würde.

      Wenn man also davon spricht das man als Sub ein großes Opfer bringt indem man sich dem Partner hingibt und das als den größten Vertrauensbeweis ansieht, denkt darüber nach wie der Partner sich aufopfert wenn er sich überwindet Dinge mit euch zu machen, die gegen seine Überzeugung gehen.

      Nächstes Mal erzähl ich etwas zum Thema Fetisch (insbesondere Petplay) in der Öffentlichkeit. Ich denke da kann ich mich vielleicht auch etwas besser ausdrücken, und das Thema lässt sich leicht auf andere Aspekte von BDSM transportieren.

      Bis dahin; Immer eine Hand breit Heu unter den Hufen :D
      Ich hab auch nur vier Hufe...

      Hand aufs Herz kannst mir vertrauen, werd mir sonst einen Muffin ins Auge hauen.

      An apple a day keeps the pony to stay!
      Liebe @JoyOfSunfire, ich finde, du hast dich sehr gut ausgedrückt, auch wenn es nicht um Fetisch geht!

      Du beschreibst etwas, das eigentlich selbstverständlich sein sollte, häufig aber nicht ist.
      Deine Worte regen dazu an, mal wieder kurz in sich zu gehen.
      Und sie zeigen auch, das fast nichts unmöglich ist und das wir es schaffen können, Beziehungen, egal in welcher Konstellation, zu leben.

      Ich danke dir!
      Liebe dich selbst, nimm dich selbst am wichtigsten.
      Danke auch von mir für den mutigen Beitrag :)

      “Umpolen“ heisst für mich nichts anderes, als Ego pflegen. Du bist mir egal, sei anders, Objekt das meine Bedürfnisse befriedigt.
      Egal auf welcher Seite und in welchem Kontext.
      Höchst selten erlebe ich etwas, was unter “Potential entfalten“ laufen könnte.
      Von daher, umpolen wollen hat für mich nie etwas von miteinander, Achtsamkeit oder Interesse.
      Liebe braucht sowas nicht.

      Dieses “ich bringe ja soooooooo ein Opfer“ ist für mich auch Ego. Schon die Vorstellung, ach so übergewaltig einzigartig zu sein, sagt ja schon alles.
      Kontext brauch ich also auch nicht dafür, gibt's auch überall, trennt, bringt kein miteinander.
      Individualität, super.
      Aufopferung - Versuch, über Verleugnung eigener Bedürfnisse zu manipulieren und sich groß zu machen.
      Kein echter Selbstwert, sondern für mich auch wieder, den anderen benutzen.
      Fern von Liebe.

      Logisch laufen die Prozesse oft unbewußt, das macht's ja so komplex, dieses auseinander klabustern, was ist jetzt, real, hat mit der Situation zu tun. Und was ist eben Konditionierung, die unbewusst übertragen wird.
      Kann also niemand ein Vorwurf für seine Menschlichkeit gemacht werden.
      Als Fallen sehe ich beides an, umpolen wollen und auch Aufopferung.
      Gerade kommt mir da so ein altes kleiner Muck. Der sagte “ich werde es versuchen, Meister“.
      Nicht “ich höre und gehorche“.
      Anfassen, fühlen, sich und das Gegenüber, herantasten, Schritte. Lernen.
      Tatsächlich zuerst mich, ohne Zentrum kann ich ja nichts differenzieren.
      Mutig sein, zu fragen, also nicht alles zu wissen oder riechen zu können.
      Da kann sich etwas entwickeln, was auf dem Lebensweg trägt.
      Genau, jetzt kommt's.
      Eben raus aus dem inneren Kreiseln, was schnell nur an Erinnerungen, Vorstellungen über den anderen - Projektionen - gebunden ist.
      Echtes reden, auf lernen über den anderen und seine Innenwelt, basierend. Viel reden (und aneinander vorbei reden, weil jeder in alten Schuldgefühlen steckt) bringt ja nicht viel.
      Das wie ist wichtiger als die Masse.

      So wie mit dem Fesseln.
      Laufend verknotet, ohne dass es Ausdruck von miteinander ist, ist ja schnell leere mechanische Übung. Ablenkung, Flucht ins Aussen, Anklammern an Nachspielen, versuchen recht zu machen, was auch immer.
      Nur wenn es miteinander ausdrückt, Innigkeit, für beide, ist es für mich rund.
      Zum Teil geht heran tasten. Etwas dazu lernen.
      Für mich z.B., dass viele BDSM-Techniken dazu dienen, mir indirekt zu vermitteln, was Vanilla (mag das Wort gar nicht, ist ja einfach Mensch mit anderen Konditionierungen) direkt könnte, mich damit aber nicht erreicht. Und ich ihn über BDSM nicht.
      Das finde ich also voll Klasse, hat was von funktionaler Beziehung, wie im EP, wenn beide Neues lernen, sich anzunähern!
      Danke nochmal dafür und für die schönen Impulse!
      Vielen vielen lieben Dank für die netten Worte ^^
      Und ich freu mich wenn ich durch das Gewusel in meinem Kopf den einen oder anderen Denkanstoß geben konnte :)


      @haruna
      Zu dem Wort Vanilla. Ich hab es aus zwei Gründen gewählt. Einmal weil ich denke das mit dem Wort am ehesten jeder weiß was gemeint ist, zum anderen aber auch weil ich das Wort sehr mag und positiv finde. Bei Vanille denke ich an den angenehmen Duft den ich sehr mag, den süßen Geschmack, and große leckere Eisbecher :D
      Ich verwende das Wort gern weil es für mich nur positive Aspekte hat und sich dadurch denke ich mal niemand "angegriffen" fühlt. Und mein Mann ist so auf diese Weise nun mein über alles geliebter Vanilla :)
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      Unfassbar gut und aufrichtig geschrieben. Ich bewundere euch für den Weg, den ihr gemeinsam geht. Vieles davon sehe ich auch in meiner Biografie, aber nicht so gut vereint, auf einem gemeinsamen Level. Das macht mich sehr nachdenklich. Vielen Dank, Joy.
      @Unholy
      Wie gesagt bei uns ist auch nicht alles perfekt. Aber egal wie heftig ein Streit deswegen oder auch wegen anderen Dingen ist; Wir gehören einfach zusammen. Und ich sage bewusst nicht "ich glaube", sondern ich weiß das sich das nicht ändern wird.
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      @JoyOfSunfire und genau das finde ich so genial. Ich dachte, ich hätte das auch. Aber bei mir war es nur ein "Glauben"... Vielleicht auch schon von Anfang an viel Unsicherheit drin.
      Ihr habt es unter einen (Hut) gebracht und das ist toll. Aber weißt du was? Ich werde fröhlich, wenn ich deinen Text lese, denn irgendwie ist es beruhigend, zu wissen, dass das wirklich funktioniert.
      Ein wunderbarer Beitrag. Toll, wie ihr das macht.

      Hut ab, vor so viel Konsequenz und genau das ist es, was eine tiefe Partnerschaft ausmacht, voneinander zu lernen.
      Aufeinander zugehen, immer wieder, es ist ein stetiges auf und ab, was es zu bewältigen gilt. Lernen sich auch für den anderen zurückzunehmen, auch mal auf etwas zu verzichten, feinfühlig die Problematik angehen und vieles auch mit Humor annehmen, versuchen Lösungen zu finden, mit denen beide glücklich sein können.

      Das ist nicht einfach und die Lebensphasen, die noch dazu kommen, hauen einen oftmals um, stellen uns vor neuen Problemen.
      Wenn man sich sicher ist, dass es der richtige Partner ist und man sich weiterhin zugehörig fühlt, dann ist das Kämpfen es
      aufjedenfall wert. Es kann die Partnerschaft nur noch mehr bereichern.

      Ich glaube, wenn mehr Paare so miteinander an sich arbeiten würden, dass es dann evtl. viel weniger Trennungen geben würde.
      Schwierig wird es nur, wenn der andere Part nichts dazu beiträgt, dann muss man loslassen, sonst geht man daran zugrunde.

      Drück euch die Daumen, dass ihr da den Weg zusammen weiter geht..