BDSM mit ADHS

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      BDSM mit ADHS

      "User dürfen keine religiösen oder politischen Diskussionen eröffnen oder solche, die im Zusammenhang von BDSM und psychischen Krankheiten stehen. Wer ein solches Thema eröffnen will, wendet sich an einen Moderator oder den Betreiber." Entsprechend der Nutzungsbedingungen habe ich den Text vor der Veröffentlichung vom Mod-Team und den Betreibern prüfen lassen und die Zustimmung zur Veröffentlichung erhalten. Auch @Eiskalter Engel hat den Text gelesen und sein Einverständnis zur Veröffentlichung gegeben.


      Bei mir wurde eine ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) diagnostiziert. Bei meinem Dom auch. Wir sind beide in Behandlung, berufstätig, in langjährigen Beziehungen und kommen im Alltag gut klar. Begleitende psychische Erkrankungen haben wir nicht.

      Viele Argumente der "ADHS-Kritik" finde ich gut und wichtig. Darüber, dass die Diagnose inflationär und offenbar teils ohne eingehende Untersuchung gestellt wird, oder über das Für und Wider einer Medikamention soll es hier aber nicht gehen. Stattdessen möchte ich ein bisschen von unserem ADHS-BDSM :lol: erzählen.
      Dabei kann ich nicht für alle ADHSler sprechen und möchte das auch nicht. Freuen würde ich mich, wenn sich in meinen Zeilen auch Leser wiedererkennen, die keine ADHS haben. Schließlich braucht man keine ADHS, um z.B. außerhalb der Box zu denken.



      BDSM als willkommene Vereinfachung

      Vielen mit ADHS fällt es schwer, sich auf mehreres gleichzeitig zu konzentrieren. Mich stresst z.B. der Versuch, gleichzeitig zu verwöhnen und wahrzunehmen bzw. zu genießen, dass ich verwöhnt werde. Die klare Rollenverteilung kommt mir sehr entgegen: Entweder ist er aktiv, oder ich. Ich verwöhne – er genießt. Er tut mir weh – ich kann mich auf meine Empfindungen konzentrieren.
      Ich glaube, es hängt auch mit meiner ADHS zusammen, dass mir spontanes Handeln beim Sex meistens schwer fällt. Mir fallen in einer Sekunde so viele schöne Möglichkeiten ein, was ich machen könnte. Die Qual der Wahl lähmt mich dann. Eindeutige Anweisungen helfen mir, überhaupt tätig zu werden.

      @Eiskalter Engel wiederum ist gern spontan und geht darin voll auf. Unser DS bedeutet, dass er im gegebenen Rahmen ständig mit mir machen kann, was er will. Seiner Spontaneität spielt das zu. Win-Win für zwei ADHS-Gehirne. Allerdings will ich hier nicht den Eindruck erwecken, dass ADHSler nur „mit BDSM“ erfüllenden Sex haben können. Das geht schon auch anders, aber darum geht es ja hier nicht.


      Leben im Moment, ständige Veränderung und die Basis

      Wir sind beide relativ vergesslich, so dass wir Mühe haben, uns zu erinnern, für welche Vergehen aus den vergangenen zwei Wochen ich bestraft werden sollte. Ich glaube, wer nicht ADHS hat, schreibt sich sowas dann einfach auf. Wir arbeiten aber für einen gelingenden Berufsalltag so viel mit Merkhilfen, dass sie uns zum Hals heraus hängen. Sein Drang, spontane Ideen umzusetzen ist außerdem weit größer, als der Wille, mich konsequent zu bestrafen. Wenn er doch mal (was selten ist) entscheidet, mich zu bestrafen, erfolgt die Strafe sofort und meist auf Entfernung. Dann muss ich z.B. meinen X trinken.

      Es kommt öfter mal vor, dass ich Regeln vergesse, die ich eigentlich täglich umsetzen sollte. Manchmal vergesse ich sie nur zeitweise, manchmal sind sie wie ausgelöscht. Er erinnert mich nicht daran, und spricht auch nicht mehr davon. Stattdessen ersetzt er die verschwundenen Regeln durch neue, die ihm gerade einfallen. Das, was uns lieb und wichtig ist, ist so ständig im Fluss und immer wieder neu. Sogar die Rolle oder Funktion, in der ich mich als seine Sub/Sklavin sehe, hat sich bisher ungefähr monatlich geändert. Eine Weile war ich sein Tierchen, dann stand die Little im Vordergrund, ich war auch mal seine Novizin (ich mag den Begriff), seine Patientin, seine XXXXXXXX etc. Seit gestern bin ich seine Gehilfin. Das hat alles etwas sehr Spielerisches. Konstant und verlässlich war bisher nur unsere grundlegende (DS-)Haltung und dass wir uns auch in Krisensituationen aufeinander verlassen konnten. Beides bildet eine Basis, auf der wir unser DS in den letzten Monaten weiterentwickeln konnten – auch wenn nach außen hin wenig Konstanz herrscht bei uns. Auf dieser Grundlage erzieht er mich so, dass sogar meinem Chef positive Veränderungen aufgefallen sind.


      Outside the box: (Scheinbar) ungewöhnliche Vorlieben

      Beim Mitlesen im Forum fällt mir oft auf, dass wir von dem, was anscheinend sehr viele der BDSMler (hier) tun, fast nichts tun – und dass wir Dinge tun, die für viele hier als No-Go oder Kuriosum gelten.

      Bisher beinhaltet unser BDSM z.B. Folgendes nicht, oder nur sehr selten: Lustschmerz, Bearbeitung der Sub durch den Herrn mit lustförderndem Sexspielzeug, klassische Sessions, feste Rituale, Strafen, Sklavenpositionen, Halsband, schwarze oder bdsm-ige Kleidung, Besuch von Szeneveranstaltungen.
      Wichtig war uns in den letzten Monaten z.B. DS, das in die Bereiche Freizeitgestaltung, Gesundheit, Beruf und Soziales hineinreicht, grenzüberschreitender SM und mehrere Praktiken, die offenbar für die Mehrheit hier nicht gängig sind. Hier hatte ich zuerst eine längere Reihe konkreter Beispiele stehen. Ich möchte aber nicht, dass das hier zur Neigungsliste wird. Außerdem bin ich wohl doch zu schüchtern, um diese Sachen so öffentlich Preis zu geben.

      Ich weiß nicht, ob es mit unseren ADHS zusammenhängt, dass wir Dinge tun, die scheinbar für viele BDSMler (hier) eher ungewöhnlich oder (obwohl allesamt legal) sogar No-Gos sind – aber es passt ins Bild. Nicht zum ADHS-Klischee passt die extreme Konzentration, mit der @Eiskalter Engel bestimmte Praktiken an mir ausführt.


      Hyperfokus

      Es wird angenommen, dass sich ADHSler unter bestimmten Umständen extrem auf ein Thema oder eine Tätigkeit konzentrieren können. Studien dazu gibt es, so weit ich weiß, (noch) keine. Die Intensität, mit der sich @Eiskalter Engel auf mich fokussiert, wenn er an mir arbeitet, ist jedenfalls extrem. Ich glaube, ich habe überhaupt noch nie jemanden so konzentriert gesehen, wie wenn er z.B. mit pedantischer Kunstfertigkeit wundersame Nadelbilder auf mir entstehen lässt. Nicht einmal Mediziner, die an mir herumgewerkelt haben. Er wirkt dabei wie ein Fels in der Brandung. Extrem konzentriert und umsichtig.


      Risikobereitschaft in Maßen

      Eine erhöhte Risikobereitschaft ist für ADHSler, glaube ich, nachgewiesen. Wir spielen schon gern relativ „extrem“. Die Risiken, die BDSM teils mit sich bringt, versuchen wir aber genauso zu begrenzen, wie es unter den Forenmitgliedern anscheinend gängig ist. @Eiskalter Engel war Rettungssanitäter, und trotz seiner Spontaneität habe ich immer das Gefühl, dass er sehr genau weiß, was er tut und wie weit er gehen kann. Manches, das wir gern machen würden, tun wir nicht, weil es ihm, mir oder uns beiden zu riskant wäre.
      Außerdem spielen wir mit Safewords. Es sind die Wörter, die ich einmal im Ernstfall in einer früheren Spielbeziehung benutzt habe, als mir in der Panik das damalige Safeword nicht eingefallen ist: „Nein!“/“(Bitte) nicht!“/“Hör (bitte) auf!“/“Stopp!“ – und sämtliche Synonyme. Wie Edgeplay mit Safeword(s) möglich ist, ist ein anderes Thema (allerdings ein kurzes: Ich würde nur im echten Notfall eins dieser Worte sagen).


      Kommunikation

      Wir sehen uns in der Regel alle zwei Wochen am Wochenende. Dazwischen kommunizieren wir sehr viel über Whatsapp. Ich neige dazu, viele Themen gleichzeizig anzuscheiden. Das stresst ihn (als ADHSler wahrscheinlich besonders). Zuerst hat er deswegen die Regel aufgestellt, dass ich immer nur jeweils eine Sache (schriftlich) ansprechen darf. Ich sollte warten, bis wir das Thema fertig besprochen hatten, bevor ich ein neues anreiße. Das ist ihm aber schnell zu langweilig und unspontan geworden, und ich musste mich verkünsteln. Er hat die Regel dann schnell gelockert. Ich achte jetzt darauf, nicht zuuu viele Themen anzureißen. Wenn es mir doch mal passiert, werde ich aber nicht bestraft. Er nimmt sich das Recht heraus, nicht auf alles, was ich ihm schreibe, einzugehen und beantwortet nur die für ihn relevantesten Themen. Das passt für mich.

      Manchmal laufe ich ein bisschen heiß, z.B. wenn ich etwas ausdiskutieren will. Da nehme ich dann zwar wahr, wenn er signalisiert, dass er gerade keine Zeit oder Nerven für einen längeren Schriftwechsel hat, aber ich kann nicht ohne Weiteres aufhören. Für solche Situationen haben sich Notfall-Kommandos bewährt: Platz! Aus! Ab ins Körbchen! Wenn er das sagt oder schreibt, bin ich sofort still und zahm. Das Thema wird dann geklärt, wenn wir beide die nötige Ruhe dafür haben. Mein (Nicht-BDSM-)Mann geht da übrigens sehr ähnlich mit mir um.


      So…

      … fertig. Mir fällt nichts Weiteres ein, wie unsere ADHS unser BDSM prägen. Ich glaube, das war´s schon.
      Herzlichen Dank @Frl. Irrlicht :blumen: für' s teilen und für deine Offenheit.
      In einem Teil deines Blog' s habe ich mich tatsächlich wiedererkannt... eindeutige Anweisungen sind auch mir sehr, sehr angenehm.

      Weiterhin viel Freude bei eurem BDSM :huggy:

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Kat1384 ()

      Hallo @Frl. Irrlicht,

      auch ich danke für die interessanten Einblicke in deine (bzw, eure beiderseitige) Wahrnehmung.

      Ich habe selbst kein ADHS, sondern eine Asperger-Diagnose, wobei es ja diese These gibt, dass beide Phänomene neurologisch eng miteinander verwandt sind.

      In einigen Punkten, die du beschreibst, kann ich mich gut wiederkennen, z.B. in der Sehnsucht nach klaren und eindeutigen Strukturen, aber auch in der Schwierigkeit, mich auf mehre Dinge gleichzeitig zu konzentrieren. Es gibt es auch Punkte, die ich bei mir ganz anders erlebe, den Aspekt mit der Risikobereitschaft zum Beispiel.

      Ich persönlich glaube nicht, dass man BDSM mit ADHS oder Asperger grundsätzlich anders erlebt als andere Menschen. Nur die Art und Weise, wie es umgesetzt wird (oder umgesetzt werden kann) unterscheidet sich vielleicht in manchen Nuancen.
      Ein schöner Bericht, @Frl. Irrlicht! Danke dafür. :)

      In deinen Schilderungen schwingt eine angenehme Leichtigkeit mit, finde ich. Die Spontaneität, das kurzfristige Ändern von Regeln/Vorschriften, wenn nötig, so wie es halt gerade passt und für euch beide gut ist und sich richtig anfühlt -und dass ihr beide damit klarkommt und es nicht zu (nachhaltigen) Verunsicherungen führt, die euch in eurer Art, BDSM auszuleben, einschränkt... Das Spielerische in eurem miteinander... Schön!

      Sicher von Zeit zu Zeit auch mit Schwierigkeiten verbunden, aber ihr scheint einen guten Weg für euch gefunden zu haben. Ich freue mich mit/für euch! :blumen:
      Liebe ist nicht alles, aber ohne Liebe ist alles nichts.
      Vielen, vielen Dank für deinen sehr ausführlichen Bericht Frl. Irrlicht!

      Ich bin auch ADHSlerin und habe mich in einigen deiner Punkte wiedergefunden.

      ADHSler unter Erwachsenen findet man ja schon selten, aber ADHSler, die gleichzeitig auch noch BDSMler sind, habe ich bisher noch nicht kennengelernt.

      Es tut sehr gut deinen Bericht zu lesen. Denn er hilft dabei, sich selbst ein bisschen mehr zu verstehen.

      Lg
      Valkyrie
      Liebe Grüße,
      Valkyrie

      Ich muss unbedingt noch... Oh toll, ein Schmetterling :D
      ich bin kein ADSLer, aber wenn ich eure dadurch resultierende Beziehung lese, könnte ich glatt Neidisch werden. Eine Paarung aus Flexibilität und Hingabe, keine festen Grenzen. Alles beruht nur auf einer Grundannahme. Ein Traum.

      Nicht für euch. Eher für mich.

      Schön, dass es euch gibt und dass ihr eure Sicht der Welt so offen geteilt habt.

      Danke
      Martin
      Wow, also das war ne Offenbarung. Ich weiß erst seit 3 Jahren, dass ich ADS habe und das auch nur, weil bei meinem Kind ADHS diagnostiziert wurde. Mir fällt es schwer, mich beim Sex fallen zu lassen, weil ich an so viele Dinge gleichzeitig denke.