Verstecken von Sexualität, Schutz oder doch nicht?

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      Verstecken von Sexualität, Schutz oder doch nicht?

      Ich bin mir nicht ganz sicher ob ich hier im Richtigen Thema bin, aber ich denke doch ich bin im passendsten.
      In dem Thread Outdoor, Öffentlichkeit, Internet und mehr wurde folgendes geschrieben:

      Freudenschwalbe schrieb:

      Mit Sex ist das was anderes, das bekommen sie eh noch nicht in Kindesalter ungefragt vorgesetzt und sollten es darum auch nicht in solchen detaillierten Facetten zu sehen bekommen, die sie ohnehin erst begreifen können, ehe sie (durch die Pubertät) nachvollziehen können, was daran denn (außer verstörend ) auch noch reizvoll und schön ist
      Und ich hab darüber ein bisschen nach gedacht.
      Ich habe dazu keine direkte Meinung, noch nicht, aber ein paar Gedanken wollte ich mal in den Raum stellen.

      Viele Menschen verbinden Sex mit Peinlichkeit, wollen nicht gern darüber sprechen, sehen ihre Vorlieben als beschämend an und ähnliches. Auch Nacktheit wird von vielen Menschen so gesehen. Ich denke das das zu einem großen Teil davon kommt, wie die Gesellschaft mit diesen Themen umgeht.
      Kein anderes Tier hat gegenüber diesen Dingen ähnliche Verhaltensweisen.
      Ich frage mich jetzt, ist die Kultur, wodurch solche Dinge wie Kleidung beeinflusst werden, dafür verantwortlich ist, oder ob die Kultur so wie sie ist nur wegen der Veranlagung des Menschen entstanden ist, dadurch quasi so sein muss, wie sie ist.
      Ich weiß, das ist ein bisschen wie die Frage was zuerst da war, das Huhn oder das Ei, deshalb zurück zum Zitat.
      Ist Sex wirklich schockierend? Was währe die Folge, wenn Eltern nicht groß darauf achten würden ob sie zuhause nackt rum laufen, wer vielleicht rein kommt wenn sie Sex haben und so weiter?
      (Hiermit ist explizit nicht gemeint, das Eltern es darauf anlegen gesehen zu werden oder etwas krankes derart, sondern lediglich eine entspannte Gleichgültigkeit dem gegenüber)
      Währen die Kinder geschockt, verdorben, traumatisiert? Oder hätten sie wegen der Offenheit der Eltern ein leichteres Schamgefühl was ihren Körper und Sexualität angeht, als etwas völlig natürliches?
      Der Mensch ist immerhin das einzige Tier das sowas versteckt, und von traumatisierten Kühen oder Hunden hab ich noch nie was gehört.
      Wie schon gesagt, ich habe dazu noch keine festen Ansichten, wollte nur mal in den Raum stellen was mir dazu durch den Kopf geht.
      Das ist ein heikles Thema.
      Ich denke vieles hat mit der gesellschaftlichen Erziehung zu tun.
      Wenn man etwas weiter weg schaut bei Naturvölkern ect. wird mit Nacktheit und Sexualität ganz anders umgegangen.
      Hier wäre es doch sehr befremdlich, wenn grössere Kinder bei den Eltern im Zimmer untergebracht sind und dort alles mitbekommen.
      Durxh die gesellschaftliche nicht Akzeptanz, gehe ich davon aus, dass es den Kindern auch schaden würde.
      @dornenspiel
      Das stimmt natürlich. Mein Gedankenspiel bezog sich auf eine Situation, in der eine ausreichend große Schnittmenge der Bevölkerung gleichzeitig ihr Verhalten dementsprechend ändert.
      Die Naturvölker sind auch ein gutes Beispiel. Ich würde jetzt auf den ersten Blick nicht davon ausgehen das es irgend wen dort traumatisiert, wenn alle nackt rum laufen.
      Ich denke das meiste, was sich in unserer Gesellschaft an Scham festgesetzt hat, ist durch Religion und Kirche entstanden.
      In der Antike z. B. hatte man zu diesen Dingen eine ganz andere Einstellung.
      Erst als die "Himmelskomiker" das Kommando übernommen haben, hat man sich über solche Begriffe wie "Sünde" und das alles was mit Sexualität zu tun hat, "schmutzig" ist, überhaupt Gedanken gemacht.
      "Borussia Dortmund ist nicht an Attentaten zerbrochen, nicht an der 89. Minute in Wembley und wird auch definitiv nicht wegen dieses Liga-Finales zerbrechen.
      Wir werden daran wachsen und aus diesem Schmerz neue Kraft entwickeln."

      (Hans-Joachim Watzke, Borussia Dortmund)
      man muss das ein wenig differenzieren. Ich kenn meine Eltern nackt und finde es auch unter Geschwistern normal. Sexualität ist ein Intimbereich des Erwachsenen aber auch des Kindes, das hat man zu respektieren . Ein Heranführen an Sexualität läuft nicht über zuschauen, was im Grunde doch auch eine Beeinflussung in der Entwicklung wäre. Ich fand es immer wichtig, dass ich als Kind durch dieArt und Weise,wie meine Eltern miteinander umgingen, nämlich sehr körperlich und knutschend und es klar war,dass sie auch Sex hatten, wusste das Sex und Körperlichkeit zum Leben gehört, was natürliches und schönes ist. Das sind wichtige Sachen die man einem Kind mitgeben muss und nicht, dass sie sehen, wie die Eltern mit einander "Spass" haben.
      Ich denke, viel von der Peinlichkeit und Schamhaftigkeit entspringt unserer Kultur. Hier sind wir nun mal christlich geprägt (davon kann man ja halten was man will) und die Kirchen, vor allem die katholische ist ja jetzt nicht unbedingt für ihren unkomplizierten und offenen Umgang mit Sexualität bekannt.

      Trotzdem kann ich bei meinem Sohn beobachten, dass sich ein Schamgefühl wohl ganz von alleine entwickelt. Als er noch kleiner war, wäre er am liebsten nackt rumgelaufen und es war im völlig egal, ob das jemand sieht. Nun wird er bald neun und achtet peinlich genau darauf beim umziehen nicht vor einem Fenster zu stehen (zum Beispiel). In der Familie macht ihm das jetzt weniger aus. Bei uns läuft auch schon mal jemand nackt durch die Wohnung. Wir sind jetzt keine Nudisten, aber z.B. nach dem Duschen ins Schlafzimmer., oder bei der Hitzewelle neulich.

      Wir verstecken auch unsere Neigung nicht (sehr). Wenn er im Schlafzimmer was von unseren Spielsachen findet, erklären wir ihm was das ist und er weiß auch, dass wir das beim "rumschmusen" benutzen. Dinge von denen ich denke er könnte nicht damit umgehen, räume ich immer sorgsam weg. Negative Erfahrungen wie Angst oder sowas müssen ja nicht sein. Meistens ist er sehr neidisch auf den tollen Kram. Würde gerne Handfesseln borgen um damit Polizei zu spielen oder die langen Seile etc.
      Erwischt hat er uns noch nie, wir haben die Regel, dass Nachts angeklopft werden muss, wenn unsere Tür geschlossen ist. Aber meisten schläft er eh so fest, da könnte man ihn wegtragen.

      Wir sind also nicht prüde, aber dennoch ist meinem Jungen das Thema Sex sehr peinlich. Er weiß zwar Bescheid, aber man sieht richtig, wie er sich windet wenn er was fragt oder erklärt bekommt.

      tl;dr:
      Schamhaftigkeit und peinliches Berührtsein bezüglich Sex und Nacktheit entwickelt der Mensch von selbst, könnte das als Erwachsener auch wieder ablegen, wäre da nicht unsere abendländische Kultur die das auf die Spitze treibt.
      you are now invulnerable, you can now explore the past

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Sorin ()

      Das ist eine wirklich spannende Frage, vielen Dank dafür!


      Ich denke, wir sollten von vornherein zwei Dinge trennen, nämlich Nacktheit und Sexualität.
      Und genau hier beginnt auch der Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen sich abzuzeichnen: Für uns ist es mitunter schwer, diese beiden Dinge überhaupt noch auseinanderzuhalten, was man ja auch an Deiner Frage sieht:

      Lichtlich1990 schrieb:

      Ist Sex wirklich schockierend? Was währe die Folge, wenn Eltern nicht groß darauf achten würden ob sie zuhause nackt rum laufen, wer vielleicht rein kommt wenn sie Sex haben und so weiter?
      Für Kinder (jedenfalls für solche, die nicht unfreiwillig bereits sexuelle Erfahrungen hatten) gibt es nur Nacktheit, weil sie Sexualität noch nicht verstehen können.

      Nacktheit seitens der Eltern finde ich überhaupt nicht schlimm, warum auch? In der Familie sollte man meines Erachtens einen entspannten Umgang damit pflegen. Gerade weil Nacktheit etwas anderes ist als Sexualität, ist da nichts schlimmes dabei. Erst wenn man es nicht trennen kann, entsteht eine angespannte Kultur wie etwa in den USA, wo ein Vater nicht mit seiner Tochter in die Badewanne darf, oder wo die beiden sogar im Schwimmbad nicht ausgelassen toben können, ohne dass das schief beäugt wird (ich weiß nicht, inwieweit das dort allgemein so ist, aber an dem See bei mir zuhause war öfter eine Familie, die in die USA ausgewandert war und im Sommer die Großeltern in Deutschland besucht hat. Die waren immer ganz erleichtert, hier "normal" mit ihren Kindern umgehen zu dürfen).

      Ich bin außerdem dafür, Kinder nicht anzulügen. Wenn also die unvermeidliche Frage gestellt wird, woher denn eigentlich die Babys kommen, dann sollte man meines Erachtens die Wahrheit kindgerecht verpacken ("ganz liebevolle, besondere Art einer ganz festen Umarmung" oder so...).

      Etwas anderes ist es aber, sie beim Sex zusehen zu lassen (egal, ob geplant oder nur absichtlich nicht vermieden). Selbst Vanillasex kann aggressiv wirken und klingen. Er rammt immer wieder in sie rein, sie schreit. Und das zur Befriedigung eines Bedürfnisses, das Kinder so noch nicht nachvollziehen können. Ja, das halte ich für verstörend. Das sollte meines Erachtens vermieden werden.
      Wenn die Kinder älter sind und das Prinzip Sexualität verstehen, finde ich es aus erzieherischen Gesichtspunkten nicht mehr schlimm, wenn sie die Eltern beim Sex bemerken (etwa durch die Wand hören). Dann ist es ja eigentlich sogar schön zu wissen, dass sie noch Sex haben.
      (Da meine Eltern sich scheiden ließen, als ich 5 war, spreche ich hier nicht aus Erfahrung, sondern nur aus meiner Vorstellung)


      Auch hier ist aber grundsätzlich wieder die Frage, ob ich überhaupt irgendeinem anderen Menschen meine Sexualität aufzwingen darf, ihn also ungefragt damit konfrontieren. @Annimax hatte in Deinem anderen Thread das wunderbare Beispiel mit dem Döner in der U-Bahn gebracht: Gegenseitige Rücksichtnahme auch hinsichtlich des Auslebens meiner Sexualität finde ich angebracht. Schließlich nerven mich auch die turtelnden Pärchen, die in der Öffentlichkeit die Finger nicht voneinander lassen können und einander quer durch den Laden mit Kosenamen rufen. Bin ich hier überempfindlich? Vielleicht. Aber wenn mich das schon nervt, muss ich anderen nicht ungefragt meinen Sex aufs Auge drücken.


      Um wieder zum Thema zurückzukehren: Auch Kinder haben bereits gewisse körperliche Reaktionen, die mit Sexualität zu tun haben. Meine Mutter erzählte mir, dass ich mal auf dem Wickeltisch lag und an meinem Penis herumgespielt habe, der tatsächlich etwas steifer geworden sei. Schließlich hätte ich gepinkelt und er wäre wieder schlaff geworden.
      Das gibt es, und wenn Kinder danach fragen, sollte man auch hier im Rahmen der Möglichkeiten ehrlich antworten ("das braucht der Körper später, wenn er erwachsen ist, um damit Kinder zu machen").

      Mehr Kontakt mit Sexualität halte ich nicht für sinnvoll.

      Warum nicht?
      Ich bin mal als Betreuer mit einer kleinen Gruppe von Kindern paddeln gewesen, die in einer heilpädagogischen Wohngruppe leben (ich war nicht der einzige Betreuer, und meine Qualifikation war Paddeln und Rettungsschwimmen, nichts pädagogisches). Da war ein Mädchen von vielleicht 10 oder 12 Jahren, die die Sexualität ihrer Mutter intensiv mitbekommen hatte - aufreizendes Schminken und Kleiden, häufig wechselnde Partner, insgesamt kein ausgewogenes Dasein (es hatte einen Grund, dass sie in der Wohngruppe gelandet ist). Dieses Mädchen klebte die ganze Zeit an mir. Sie hat versucht, mich zu berühren und von mir berührt zu werden (nicht an speziellen Stellen, aber doch auffällig mehr als Kinder in diesem Alter), mit mir zu kuscheln und zu schmusen, sie hat einen verführerischen Augenaufschlag versucht (den sie bereits erschreckend gut konnte), und so weiter. Auch ihre Kleidung war - abenteuerlich. Die hatte sie von der Mutter geschenkt bekommen, genau wie das Makeup, daher konnte die Einrichtung dagegen nur begrenzt vorgehen. Mir war das Ganze natürlich mehr als unangenehm, weil ich sie natürlich nicht wegstoßen wollte (hat sie in ihrem Leben genug erlebt), aber auf der anderen Seite auch ganz bestimmt nicht in diesem Verhalten ermutigen oder gar ausnutzen. Aber wäre ich an ihr interessiert gewesen, wer weiß, was ich mit ihr hätte anstellen können?

      Um das richtig einzuordnen: Ich behaupte keineswegs, dass das die zu erwartende Entwicklung ist, wenn Kinder ihre Eltern beim Sex sehen. Dieses Kind hatte große Probleme und die sind selbstverständlich nicht verallgemeinerbar. Und die Sexualität ihrer Mutter war sicherlich nicht das Einzige, was da zuhause schiefgelaufen war, das steht außer Frage.

      Ich halte es aber für eine mögliche Entwicklung eines frühzeitigen Kontakts mit Sexualität: Kinder tun oft im Spiel "Erwachsenendinge", ob das Feuerwehr, Kaufladen oder Vater-Mutter-Kind ist. Wenn sie Sexualität kennenlernen, sehe ich eine Gefahr, dass sie auch das im Spiel tun - und das halte ich nicht für wünschenswert, ganz im Gegenteil.
      Es gibt keine Grenze, die ich für eine Pointe nicht überschreiten würde.

      ...darf man sowas in einem BDSM-Forum überhaupt sagen? Oder ist das dann auch wieder eine Grenzüberschreitung?
      Hilfe, ich bin in einer Logikspirale gefangen!
      da es mein Zitat war: ich spreche NICHT von Nacktheit, sondern von sexuellen Handlungen. Mit all den Dingen, die dazugehören und die ein Kind nicht einordnen kann, wenn es nicht (nach der Pubertät) die schönen Seiten daran selbst erfahren oder nachvollziehen kann: Glasige Augen, unkontrollierte Körperzuckungen, Schweißausbrüche, wechselnde Hautfarbe, Keuchen, Japsen, Schreien... das verbindet man erst einmal mit Schmerz, Kontrollverlust, Gewalt oder Sterbe-Akten, nicht mit etwas Schönem. So kam ich darauf.
      Ich glaube, dass Eltern mit dem Umgang ihrer Sexualität großen Einfluss auf ihr Kind, dessen (spätere) Einstellung zu Sex und die mögliche Entstehung diesbezüglicher Schamgefühle haben. Gehen sie offen damit um? Wird dem Kind vermittelt, dass Sex etwas Schönes, Wohltuendes und völlig Normales ist? Werden neugierige Fragen des Kindes verständlich beantwortet? Oder wird das ganze Thema tabuisiert oder gar als etwas Schlechtes und Schmutziges dargestellt?

      Eltern sind in der Regel die engsten Bezugspersonen (ich weiß, Ausnahmen gibt es - und davon viel zu viele), dienen dem Kind als Orientierung, vermitteln ihm Werte und sind nicht unbeteiligt an der Entwicklung von Sichtweisen, Meinungen und der Einstellung zu verschiedenen Thematiken.

      Demnach finde ich es wichtig, auch in Bezug auf Sexualität ein möglichst realistisches, ehrliches Bild zu vermitteln -und zwar so, dass ein Kind es verstehen und damit umgehen kann. Es ist für Eltern sicher nicht immer so einfach, eine geeignete Herangehensweise zu finden. Hätte ich Kinder, wäre es mir wichtig, dass sie die Sexualität ihrer Eltern als etwas Natürliches und Schönes begreifen und es nichts ist, wofür man sich zu schämen bräuchte. Auf der anderen Seite würde ich ihnen deutlich machen wollen, dass sie zu körperlicher Nähe jederzeit Nein sagen dürfen und niemanden näher an sich heranlassen müssen, als sie wollen.

      Ich bin jetzt nicht gerade in einer mehr oder weniger 'normalen' Familie aufgewachsen, habe kein sonderlich harmonisches Miteinander erleben dürfen usw., möchte aber trotzdem mal erzählen, wie es eben auch laufen kann.

      Ich denke gerade an meine Kindheit zurück und wie das da so ablief. Wenn in Filmen im Fernsehen Szenen gezeigt wurden, in denen sich zwei Menschen etwas näher kamen, sagte meine Mutter immer 'Guck da nicht hin!'. Ich sollte das nicht sehen und mir wurde zu verstehen gegeben, Sex sei schlecht und ekelhaft und ich müsse mich unbedingt davon fernhalten. Wie soll ein Kind, dem dieser Grundgedanke eingetrichtert wurde, damit umgehen, wenn die Eltern im Schlafzimmer verschwinden, von draußen Geräusche zu hören sind, die in ähnlicher Form auch in einem dieser Filme zu hören waren und Mutter und Vater später sichtlich unzufrieden oder sogar streitend ins Wohnzimmer zurückkommen? Das negative Bild verstärkt sich. Logisch.

      Fragen, die mit Sex zu tun hatten, wurden mir bis ins Jugendalter nicht beantwortet und auch dann gab es nur Andeutungen, mit denen ich nichts anfangen konnte. Meine Mutter fand das alles nur peinlich und sagte, ich sei zu jung dafür und würde das nicht verstehen. Insgesamt wurde über das Thema viel geschwiegen. Andererseits musste ich Dinge miterleben, die definitiv nicht für Kinderohren bestimmt sind. Als traumatisierend würde ich es nun nicht bezeichnen, aber es ist schon schlimm und sehr verstörend, wenn die Eltern in dem Raum, in dem ihr 8- oder 9-jähriges Kind schläft (oder so tut, als würde es schlafen) über schlechten Sex streiten und was der andere alles falsch gemacht hat. Wenn es im Bett nicht (mehr) gut läuft, ist das deren Sache, aber davon sollten die Kinder in dieser Form nun wirklich nichts mitbekommen. Ich habe es jedenfalls nicht verstanden und durch all das Negative, was mir bis dahin vermittelt wurde, hat es mir auch Angst gemacht.

      Liebevolle Nähe, küssen, kuscheln usw. habe ich bei meinen Eltern nie erlebt. Es war geradezu verwirrend für mich, wenn ich bei Freunden zu Besuch war und gesehen habe, wie andere Eltern miteinander umgehen. Als es in der Schule zum ersten Mal sowas wie Sexualkunde/Aufklärung gab, fand ich das alles extrem unangenehm und zudem habe ich mich für ziemlich dumm gehalten, weil viele meiner Mitschüler so viel mehr darüber wussten als ich. Meinen eigenen Körper habe ich damals übrigens für absolut abstoßend und hässlich gehalten.

      (Meine Eltern haben sich übrigens scheiden lassen, als ich 10 Jahre alt war und meine Mutter war die einzige 'Anlaufstelle' für Frage jeder Art.)

      Als ich zum ersten Mal verliebt war und gemerkt habe, dass mich ein Junge auch körperlich anzieht, war mir das unglaublich peinlich und unangenehm und ich mochte mit niemandem darüber sprechen. Als ich es irgendwann doch getan habe, wurde es von meiner Mutter nur belächelt und sie hat mich eher damit aufgezogen, anstatt sich mit mir zu freuen und es schön zu finden, zu sehen, wie ihre Tochter sich entwickelt und dass sie liebevolle Gefühle für jemanden empfindet.

      Erst als ich mich von ihr gelöst und mein eigenes Ding gemacht habe, konnte ich mir selbst nach und nach wirklich eingestehen, dass es in meinem auch sowas wie Lust gibt und dass das völlig in Ordnung und ganz normal ist. Bis ich Sex wirklich als etwas Schönes wahrnehmen konnte, hat es nochmal einige Zeit gedauert. Mit meinem ersten Partner (den ich auch erst mit 18 Jahren kennengelernt habe, da ich vorher viel zu verschlossen war und auf Jungs/Männer eher ablehnend reagiert habe) habe ich nur sehr selten über Sex gesprochen. Es gab zwar welchen, aber Wünsche oder besondere Vorlieben hat es in meinem Kopf nur ansatzweise gegeben (die habe ich mir größtenteils wahrscheinlich selbst verwehrt) und wurden nie geäußert. Das konnte ich einfach nicht; er hat mich aber auch nicht explizit danach gefragt. Von daher war das ok.

      In späteren Beziehungen konnte ich mich dann schon ein bisschen mehr öffnen und auch mal darüber sprechen. Es war trotzdem nicht oft Thema und da mir da immer etwas gefehlt hat, aber gar nicht wusste, dass Sex auch völlig anders sein kann, hatte ich auch kein Interesse daran, es groß zu thematisieren. Von der anderen Seite kam ebenfalls nichts, ich habe da also keine Gespräche abgeblockt oder so.

      Erst bei meinem jetzigen Partner, bei dem ich mich seelisch gut aufgehoben und verstanden fühle, ist mir ein offener Umgang mit meiner/unserer Sexualität möglich. Mitunter liegt es wohl auch daran, dass er selbst ebenfalls darüber spricht, Wünsche äußert oder einfach sagt, was ihm besonders gut gefallen hat. Und er gibt mir sehr oft zu verstehen, dass er mich und meinen Körper wunderschön und attraktiv findet und der Sex mit mir unglaublich toll und erfüllend für ihn ist. Ich musste das so erstmal für mich annehmen können und mir verinnerlichen. Und jetzt bin ich auch endlich so weit, Sex genießen zu können und nichts 'Schlechtes' mehr daran zu finden.

      Ich brauche es sogar, darüber zu reden! Ohne einen offenen Umgang damit wäre es mir niemals möglich, BDSM auszuleben. Mehr noch: Ich hätte meine Neigung, Wünsche, Vorlieben usw. nie erkennen können, wenn ich mich nicht von dem teils doch sehr verklemmten Verhalten und Denken, welches ich von meiner Mutter übernommen hatte, gelöst hätte.

      Also ja: Ich bin fest davon überzeugt, dass es nicht unbedingt ein Schutz ist, wenn Eltern ihren Kindern gegenüber alles tabuisieren, was mit Sex zu tun hat. Wie gesagt, es ist sicher nicht einfach, den richtigen Mittelweg zu finden, aber ideal wäre es wohl, offen damit umzugehen, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Kinder müssen gewiss nicht genau wissen, was ihre Eltern im Schlafzimmer treiben, aber sie sollten schon wahrnehmen können, dass körperlicher Kontakt zwischen zwei Menschen etwas Schönes und Natürliches ist, oft auch mit Liebe zu tun hat und dass man sich nicht dafür zu schämen braucht. Vor allem sollten sie Antworten auf ihre Fragen bekommen und nicht mit Aussagen wie 'Das verstehst du noch nicht, da bist du zu jung für.' im Unklaren gelassen werden.
      Liebe ist nicht alles, aber ohne Liebe ist alles nichts.