Vogelfrei

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

      Köln

      Ars, artis … im Lateinischen steht diese Wort für die Kunst im Sinne von Kunstfertigkeit und Geschicklichkeit in einem Maße, dass es eine Wissenschaft für sich ist.
      Die Kölner Kunstmesse … das ist die Kunst alles Mögliche als Kunst zu verkaufen. Auch Kunst, aber meistens eben nicht.
      Netzwerken, Einflüstern, Sehen und gesehen werden, Geldverdienen. Auch das ist eine Wissenschaft, die Erfahrung und Gespür verlangt.

      Diesen Zoo der Eitelkeiten verfolgte ich jetzt auch schon im zwölften Jahr. Erst kam ich als staunender Assistent, jetzt als gewiefter Einkäufer des Kunsthauses Lehmann in Berlin nach Köln. Wir statteten Botschaften, Firmenrepräsentanzen und Kanzleien aus.
      Meist waren die Objekte teuer, manchmal sahen sie auch nur so aus. Um ehrlich zu sein, die allerwenigsten Kunden oder Besucher würden den Unterschied beziffern können.
      Aber echte Kunst zu hohen Preisen verlieh ein besseres Gefühl. Und wir verkauften diese Aura von Exklusivität.

      Dass dies ganz viel mit Theater zu tun hatte, sah man schon an der Tatsache, dass ich hier im Maßanzug in der Piano-Bar des Grand Hotels am Kölner Dom saß und entfernt bekannten Gesichtern teure Drinks spendierte. Mein Zimmer war allerdings im unscheinbaren Businesshotel nebenan, denn mein Arbeitgeber verkaufte zwar Luxus, knauserte ansonsten aber gerne.

      Trotz allem, ich liebte diese Bar. Jedes Jahr kam ich her und wurde schon beim Eintreten freudig von Laszlo am Piano mit einem Winken begrüßt. Später würden wir noch viel Spaß miteinander haben.

      Das Ambiente war einfach großartig. Eine perfekte Mischung von Würde, Eleganz und lässigem Leben zeichnete diese Bar aus. Ein Clubsandwich mit Hummer und ein Glas Champagner, das gönnte ich mir. Nach diesem Messetag war mir das als Wohltat die 50 Euro wert.

      Die nächsten zwei Stunden pflegte ich Kontakte. Hier trafen sich die Kunsthändler mit der gediegenen Kundschaft. Jeff Koons hatte noch niemand von uns im Programm. Nicht, dass man damit kein Geld verdiente … der Kundenkreis war einfach ein anderer, dieser Markt war viel volatiler und zu riskant für uns. Wir verkauften Sicherheit, Geldanlagen … meistens jedenfalls.

      Erst gegen 23 Uhr ging ich zu Laszlo. Er kannte das schon und viele der Anwesenden auch.
      Der Ungar war eigentlich klassisch ausgebildet, ein hervorragender Pianist, aber Geld war damit in Ungarn nicht mehr zu verdienen gewesen. Nun war er eben hier, wurde nicht reich, aber konnte gut von seinem Engagement und dem Trinkgeld leben. Sein “Goldfischglas” war auch heute schon gefüllt worden und ich tat meinen Anteil auch hinzu.

      “Laszlo?”
      “Paul!”
      Er machte Platz, rückte nach links, spielte weiter die Akkorde von Sweet Georgia Brown.
      “Dir geht es gut, Piano man?”
      “Ja. Kein Grund zu klagen.”
      “Dann wollen wir mal, oder?”
      “Sehr gerne. G-Dur?”
      “Dann starten wir in ... E7?”
      “Stimmt. Und … hier … gehts … los!”
      Und wir jazzten den Klassiker, der auch nach 90 Jahren kaum Staub angesetzt hatte.
      Neben dem Kunststudium hatte ich früher selbst am Klavier gesessen und mir damit ein paar Euro hinzuverdient. Laszlo war so genial, dass er auf jeden meiner kleinen Fehler so reagierte, dass man ihn nicht wahrnahm. So spielten wir einige Klassiker und näherten uns durch die Jahrzehnte dem Jetzt. Gerade hatten wir uns noch ausgiebig zu “Let it be” ausgebreitet.

      “Übernimmst du kurz, Paul? Dann gönne ich mir einen Drink.”
      “Schreib den ruhig auf mich an, Laszlo. Marco führt die Liste.”
      “Danke, mach ich.”
      John Miles, “Music” … klar das kannte man. Dann spielte ich Elton Johns “Don’t let the sun go down on me”.
      Etwas weniger pompös fuhr ich fort mit einer zarten Akkordfolge.

      “Spielst du das in A?”
      Und schon spielte eine Hand die Melodie. Ja, es war in A. Sie hatte es schon längst gesehen.
      Eine schwarzhaarig Schönheit in einem roten Kleid setzte sich neben mich und spielte wunderbar leicht das Titelthema zu Forrest Gump.
      Und weiter ging es.
      “Kannst du Apologize?”
      “Von One Republic? Klar.”
      Wir spielten es gerade, als Laszlo zurück kam.

      “Anna! Wirst du mir untreu?”
      “Aber Laszlo, du warst gerade nicht da. Und dieser nette Mann hier hat auch ganz passable Hände.”
      Da lag eine gute Portion Eifersucht in der Luft und diese Schönheit an meiner Seite spielte gerade die femme fatale, sie strich über meine rechte Hand und lächelte mir verheißungsvoll zu.
      “Bitte, Laszlo, übernimm wieder, ich höre euch gerne zu, wenn ihr spielt.” sagte ich und räumte die linke Seite.
      Laszlo und Anna fegten durch die Klavierliteratur, Musicals und aktuelle Songs. Sie gehörten zusammen. Am Klavier und vermutlich auch im Bett. Die Funken sprühten zwischen beiden … nicht immer harmonisch, aber immer dynamisch.
      Um 1 Uhr war Schluss in der Piano-Bar und mit viel Applaus bedankten sich die relativ vielen verbliebenen Gäste für die wirklich außergewöhnliche Darbietung. Vom Pianospiel im Hintergrund war in der letzten Stunde nichts mehr geblieben, es war eine Darbietung, ein Konzert gewesen.
      “Wow, ihr beiden seid wirklich ein großartiges Team am Flügel!” applaudierte ich ihnen.
      “Ein verfluchtes Team.” brach es aus Laszlo heraus, der sich hastig verabschiedete, nahezu flüchtete.
      Mit einer verliebten Frau kann man alles tun, was sie will.
      (Gustav Klimt)
      Ich war wirklich irritiert.
      “Er hat ja recht, wir sind verflucht.”
      “Bei der Vorstellung eben? Das musst du erklären, Anna.”
      “Nicht hier. Gehen wir raus.”
      Anna holte ihren Mantel und ich half ihr hinein. Dann hakte sie sich unter und wir gingen über die Domplatte, vorbei an den Museen in die Altstadt. Hier war noch immer Leben.
      Auf dem Weg hatte ich erfahren, dass Laszlo und Anna jahrelang gemeinsam aufgetreten und auf Tour gewesen waren. Das hatte ich bereits erwartet, nach der perfekten Show eben.
      “Die Beziehung war schwierig. Laszlo litt unter der linken Seite. Er war meine Begleitung und ich war die Melodie, das Gesicht, die Auffällige.”
      Tatsächlich war das die einzig denkbare Konstellation, wenn man sie so ansah. Niemals wäre es anders herum überzeugend gewesen.
      “Laszlo ist ein großer Künstler. Er spielt wirklich besser als ich, aber er verkauft sich nicht gut. Darunter hat er immer gelitten.”
      “Das kenne ich ein wenig. Ich bin im Kunstmarkt aktiv. Viele ernsthafte Künstler leiden unter denen, die sich besser verkaufen. Erfolg entsteht aus Interesse - an der Person, an einem Geheimnis, an einer Geschichte.”
      Anna nickte, war gedanklich nicht bei mir.
      “Ich wurde schwanger, doch das Kind kam tot zur Welt.”
      “Das tut mir leid, es muss schlimm für euch beide gewesen sein.”
      “Das war es. Laszlo verstand das tote Kind als Omen, sich zu trennen. Das war vor gut fünf Jahren gewesen, kurz bevor er die Anstellung in der Piano-Bar angenommen hatte.”
      “Lebst du auch in Köln?”
      “Nein, ich bin am Konservatorium in Bonn und schlage mich als Lehrerin durch.”
      “Du warst aber nicht zufällig in der Bar.”
      Anna schwieg ein paar Schritte. Dann gestand sie es ein.
      “Nein. Es war kein Zufall. Ich wusste, dass er jeden Abend dort sitzt. Als ich dich dort sah, Paul, war ich erst einmal enttäuscht. Bitte nimm mir das nicht übel.”
      “Wenn du extra mit Erwartungen aus Bonn angereist bis … “
      “Du spielt auch ganz gut. Das war echt nicht schlecht.”
      “Aber nicht wie Laszlo.”
      “Nein, nicht wie er.”
      Wieder ging sie ein paar Meter, dachte dabei nach, bevor sie sprach.
      “Seine Hände waren über Jahre mein Leben. Am Klavier gaben sie mir die Basis. Und privat lenkten sie mein Leben. Sie streichelten und verwöhnten mich … und sie schlugen und bestraften mich.”
      “Häusliche Gewalt! Laszlo hätte ich nicht so eingeschätzt.”
      “Paul, das verstehst du nicht. Ich wollte es so. Ich wollte geführt werden - auch körperlich.”
      “Vielleicht doch. Wenn beide es so wollen …”
      “Stärke, Dominanz, Liebe … diese Hände haben auf mir gespielt wie auf einem Instrument. Alle Nuancen zu spüren, keine Spielart auszulassen … er war virtuos.”
      Ich nickte und merkte, dass sie bei mir nach einer negativen Reaktion suchte, die sie nicht fand.
      “Dich schockiert das nicht?”
      “Nein, es ist sogar auf seine Art sehr romantisch. Intensiv. Vertrauensvoll. Liebevoll.”
      “Du verstehst es wirklich!”
      Inzwischen liefen wir die Rheinpromenade entlang, rechts die beleuchteten Kneipen, links die flackernden Lichtreflexe auf dem Rhein, die von Deutz aus herüber zuckten.
      “Ja. Diese Form der Liebe ist mir nicht fremd. Was ich nicht verstehe, viele Doms sind doch ganz stolz auf ihre Frauen, lieben es sogar, sie zu präsentieren: schön, stolz und gehorsam.”
      “Das stimmt. Auf eine Art und Weise war das auch bei Laszlo so. Aber wir waren erfolgreich und er hatte die Aufmerksamkeit nicht mehr unter Kontrolle, die mir entgegengebracht wurde. Die Unterworfene war nicht mehr unter Kontrolle und ja, ich brach den Zauber durch ein oder zwei Affären. Einfache, unkomplizierte Liebhaber, eine Auszeit von der alles bestimmenden Dominanz meines Mannes.”
      “Oh, oh, das war übel. Das hat ihn das unbedingte Vertrauen gekostet.”
      “Ja. Wie gesagt, wir haben es versucht. Das Kind war zu viel … und eigentlich schon ein Fehler.”
      “Tragisch. Und seitdem?”
      “Die Hände anderer Musiker sind mir zu weich gewesen, die Hände von harten Männern waren nicht virtuos genug. Darum bin ich hergekommen.”
      “Ihr habt es noch drauf.”
      “Ja.”
      Was sollte ich sagen. Laszlo kannte ich nur von den kurzen Stunden der letzten Jahre.
      “Er ist tief verletzt, dein Virtuose.” meinte ich.
      “Es würde auch nie etwas am Grundproblem ändern. Ich muss fliegen können und trotzdem in den Käfig zurück dürfen.”
      “Eine Frau, die freiwillig in die Hände ihres Mannes zurückkehrt und sich ihm wieder voll hingibt, mit jeder Faser ihrer Seele und ihres Körpers? Sehr aufregend, sehr erotisch!”
      “Zu aufregend für Laszlo.”
      Ich legte einen Arm um sie und Anna blieb stehen, schaute mich an. Tränen standen in ihren Augen. Ich zog sie in meine Arme und versuchte ihr Trost zu geben.
      “Weißt du, ich komme aus Berlin. Das ist ja angeblich die ganz große, freie Metropole. Wenn es dann aber zu Beziehungen kommt, ist diese Welt plötzlich genauso klein und schwierig … genau zwei oder drei Menschen groß. Bis man den Kopf hebt und weiter schaut.”
      “Ich muss mich lösen, nicht wahr?”
      “Ziemlich sicher, ja.”
      Sie nickte, schniefte. Mein Taschentuch war sehr willkommen.
      “Danke, Paul. Bringst du mich zu meinem Auto?”
      “Wo parkst du?”
      “Unter der Domplatte.”
      “Gerne, das ist eh auf meinem Weg.”
      Schweigend gingen wir Arm in Arm zum Dom zurück. Im kühlen Neonlicht des Parkhauses verabschiedeten wir uns mit einer Umarmung.
      “Paul, es war gut mit jemandem reden zu können, der die Musik und die Liebe versteht. Vielen Dank dafür, dass du dir das alles angehört hast.”
      “Anna, du bist eine bildhübsche und bezaubernde Frau. Es war mir eine Ehre. Lerne fliegen.”
      “Ja. Ich versuche es.”
      “Wenn du mal in Berlin bist und Lust hast, nochmal mit mir zu spielen … meine Karte. Ich schreibe dir auch meine private Nummer drauf, ja?”
      “Ja. Nochmals danke.”
      Anna stieg in ihren Punto und fuhr.
      Mein Weg ging vorbei am Grand-Hotel, wo ich kein Zimmer hatte, zum Budget-Hotel für Businesskunden. Hier schien das Neonlicht noch kühler zu sein, als im Parkhaus.
      Annas Feuer fehlte.
      Mit einer verliebten Frau kann man alles tun, was sie will.
      (Gustav Klimt)
      Berlin

      Die letzten drei Monate hatte das ganze Kunsthaus auf die Ausstellungseröffnung “Nachkriegskunst - Bonner Republik und sozialistischer Realismus im Dialog.” hin gearbeitet.

      Wir stellten bekannte und verkannte Werke in den zeitlichen Zusammenhang und zeigten, wie unterschiedlich die Interpretation in den getrennten Kunsträumen war.
      Ich war überzeugt davon, dass diese Youngtimer der Kunst der kommende große Markt waren. Die Moderne hatte sich überlebt, die nächste Generation strebte nach posthumer Anerkennung. Verdienen würden wir, die Kunsthändler. Die Tragik der Kunst.

      Zur Eröffnung um 15 Uhr hatten wir Gäste geladen, aber schon zwei Stunden später würden wir die Pforten für alle Interessierten öffnen. Unsere Lage an der Wilhelmstraße garantierte, dass Besucher mit historischem Interesse am 20. Jahrhundert bei uns vorbei kamen. Zwischen Reichstag, Mahnmal und Ceckpoint Charlie würden wir mit diesem Thema nicht unbemerkt bleiben.

      Am Eröffnungstag spielte ich zwei Stunden lang auf einem Klavier Lieder aus Ost- und Westdeutschland. Manchmal blieben Leute stehen, gelegentlich summte oder sang jemand mit. Es war in Ordnung, nur die Hintergrundmusik zu sein.

      “Spielst du auch Zsuzsa Koncz?”
      “Oh, das ist schwierig, da kenne ich nur “Endlich, endlich””
      “Ja. Endlich, endlich … bin ich da.”
      “Anna!”
      Ich war mehr als überrascht und mein Herz pochte bis zum Hals.
      Diese schwarzen Haare, unter denen in einem wunderschönen Gesicht grüne Augen funkelten, ich war sofort wieder gefangen von ihr.
      “Setz dich doch und spiele es mit mir.”
      “Rück noch ein wenig, das ist keine breite Bank.”
      “Entschuldige, geht es so?”
      “Ja.”
      Wir spielten den schwermütigen Schlager und zu meiner Überraschung sang Anna sehr passabel mit.
      “Du singst gut”, sagte ich ihr ins Ohr, denn um uns herum standen applaudierende Gäste.
      Wir spielten noch gut 10 Songs, die ich auf meinem Zettel hatte. Anna war offensichtlich ein wandelndes Musiklexikon. Und sie war wie ein Magnet. Wir hatten den Ausstellungsraum voll gemacht. Sie hatte ihn voll gemacht, war der Unterschied zwischen Hintergrundmusik und Event. Wer neben ihr nicht untergehen wollte, musste wirklich ein starkes Selbstbewusstsein haben.

      “Es ist jetzt gleich sechs Uhr … was hast du vor? Sollen wir nett zu abend essen? Es ist vielleicht noch etwas früh, aber ich hätte eine Idee.
      “Geh nur voran, ich laufe mit dir mit.”
      Über den Potsdamer Platz gingen wir zum Hiatt-Hotel, wo es unterschiedlichste typisch deutsche Gerichte als Miniportionen zu essen gab. Von Schweinshaxe über Currywurst mit Pommes zu Sauerkraut und Rippchen, rheinischem Sauerbraten und Labskaus.
      “Jetzt erzähl mal, was machst du in Berlin, Anna?”
      “Ich wollte mit dir spielen.”
      “Deshalb bist du gekommen?”
      “Ja. Und es war bis jetzt schon sehr schön bei dir.”
      Einen Moment dachte ich nach, ob ich das Gehörte richtig einordnete.
      “Du willst spielen … aber nicht nur Klavier.”
      “Nnneinnnn …”
      Jetzt war ich überrascht. Ein forschender Blick in ihre Augen sagte mir, dass sie es ernst meinte. “Du weißt doch gar nicht, ob ich frei bin zu spielen.”
      “Doch. Das bist du … dein Klavierspiel war engagiert und kein bisschen verkrampfter, als ich neben dir saß. Vergebene Männer werden verhaltener.”
      Siegessicher grinste sie mich an und ihre Augenbrauen sagten “Ich habe recht, oder?”
      “Dir kann man schlecht etwas vormachen.”
      “Keine Chance.”
      Okay, das war wirklich unerwartet. Aber sie hatte natürlich recht, ich war frei. Und Anna war heiß, mein Typ, nett, eine Versuchung … was sprach dagegen? Aber was genau erwartete sie?
      “Wie heißt das Spiel?”
      “Fang den Vogel.”
      “Käfig?”
      “Warum nicht?”
      “Oder lieber lange Leine um die Beine?”
      “Oder den Hals?”
      Ich nickte langsam, während ich tief in ihren Augen forschte.
      “Dann folge mir.” sagte ich
      “Nein.”
      “Wie bitte?”
      “Nein!”
      Was wollte sie nur?
      “Ich bin ab 23:00 Uhr im Club Dominant.”
      “Dem Fetisch-Club?”
      “Genau. Und ich werde dort ein Vogel sein. Fang mich!”
      Sie stand auf, gab mir einen Kuss auf die Wange.
      “Danke für die Einladung, Paul.”
      Dann ging sie mit einem flirtenden Lächeln hinaus.
      Himmel, was für eine Frau!
      Mit einer verliebten Frau kann man alles tun, was sie will.
      (Gustav Klimt)
      Und was war jetzt zu tun? Erst einmal suchte ich mit dem Handy nach Informationen zum Club. Dresscode: Fetisch. Leder, Latex, Gummi. Fotos von Parties gaben mir einen Eindruck.
      Immerhin, Anna musste sich auch nett anziehen. Das wäre doch schon mal die halbe Miete.

      Also, was gab mein Kleiderschrank noch her? Meine Zeit mit Esther lag schon drei Jahre zurück. Eine Lederhose würde sich finden. Ein Netzshirt vermutlich auch und mein Bauch war fest genug, um das nicht peinlich werden zu lassen. Also dann, ab nach hause.

      Ich zog mich um, legte noch ein Lederband um das Handgelenk und nahm Handschellen, Halsband und Leine mit.

      Um 22:50 stand ich vor dem Club und der Türsteher schwankte nur kurz, ob er mich einlassen sollte. Vermutlich waren meine Schuhe grenzwertig, aber Lederboots hatte ich keine passenden mehr.
      Im Innenraum war noch nicht so viel los. Der Club würde sich in den nächsten Stunden noch füllen, vermutete ich. Anna war noch nicht zu sehen. An der Bar, die in ihrem Design eine gute Portion Steampunk inhaliert hatte und für meinen Geschmack zu kühl ausgeleuchtet war, bestellte ich eine Cola.
      Dumpfe Elektrobeats hämmerten sich in mein Hirn.
      23:00 Uhr war durch …
      “Fang den Vogel.” erinnerte ich mich. Vögel fliegen einem nicht einfach in die Hand. An der Bar würde ich Anna vermutlich nicht finden. Aber wie tickte sie?
      Vogel, Käfig, la cage aux folles, Musik, … versuchte ich Bezüge herzustellen.
      Langsam ging ich durch die Räume des Clubs. Mancherorts wurde schon ein wenig gespielt. Ein geröteter Popo hier, ein gefesselter Mensch dort. Irgendwo war Stöhnen zu hören. Den grell weißen Klinikbereich würde mein Vögelchen meiden. Auf der zweiten Tanzebene waren schon einige Tänzer zu harten Beats unterwegs. In zwei Käfigen tanzten Gogo-Girls, nackt und haarlos. Gefühlt kam ich Anna näher.
      Auf einem langen Trapez schaukelte eine weitere Gestalt und ich wusste sofort, dass es Anna war. Eine Federmaske mit Schnabel verbarg ihr Gesicht, aber die langen, schwarzen Haare waren sichtbar. Schöne, feste Brüste über einem Korsett und dazu Schaftstiefel … ich mochte sehr, was ich sah.
      In dem Moment, da sie mich entdeckte, stieg Anna vom Trapez und ging weg.
      “Fang den Vogel!” hörte ich sie sagen … was bei dem Lärm völlig unmöglich war.
      Sie war durch einen Durchgang verschwunden, der in ein Folterzimmer führte. Strafböcke, ein spanisches Pferd, Pranger und ein Andreaskreuz sah ich. Aber der Raum war leer. Ein weiterer Raum schloss sich an … und hier saß Anna, auf einem Käfig.
      Spielerisch versuchte sie, mir auszuweichen, aber es dauerte nicht lange, bis ich sie in den Armen hatte.
      “Hallo,, Vöglein!”
      “Hallo, Papageno!”
      Ein Halsband aus Leder trug sie bereits, also legte ich ihr nur die Führkette an und band mit den Handschellen ihre Hände hinter den Rücken.
      “Und jetzt, Vogelfänger? Du hast mich gefangen!”
      “Jetzt wirst du zu meiner Königin der Nacht.”
      “Sollte ich nicht deine Papagena sein?”
      “Die dunklen Mächte haben auch ihren Reiz.”
      “Na dann, schreiben wir das Libretto neu.”

      Anna und ich tanzten durch die Nacht, immer mit der Leine an meinem Handgelenk. Mal zog ich sie zu mir, mal ließ ich ihr Raum. In die Spielräume rundum zog es uns nicht mehr. Heute war zweisam genug. Und auf der Tanzfläche boten sich genug anregende Aus- und Einsichten, verruchte, gewagte und manche auch erschreckend schön.
      Wir küssten uns, berührten uns, tanzten wieder, schauten uns in die Augen, begannen wieder von vorne.

      Erst in meiner Wohnung, in die ich Anna entführt hatte, nahm ich mir, was sie mir angeboten hatte. Sie gab es gerne, wollte kräftige Hände spüren, den Schlag meiner Hand auf ihrem Hintern.
      Wie auf einem Instrument spielten wir gemeinsam mit unserer Lust. Anna blies die Flöte sehr gekonnt, mein Bogen strich über ihre Saiten und tief in ihr vibrierte es. Meine Hände klatschten auf ihrem Po den Rhythmus und ihre Brüste wogten im Takt. Das Crescendo war leidenschaftlich, die Coda ausdrucksstark und laut.
      Das Vögelchen schlief angebunden, denn bis zum Frühstück wollte ich es mindestens behalten.

      Am Morgen war Anna vor mir aufgewacht. Sie betrachtete mich still und lächelte, als ich blinzelnd meine Augen öffnete.
      “Guten Morgen, Vogelfänger.”
      “Hallo, Tweety.”
      “Ah, deshalb bist du so kratzig wie Sylvester! Miau!”
      “Von wegen kratzig.”
      Wir kabbelten uns, kitzelten einander, sie kratzte und biss, aber am Ende hielt ich ihre Arme fest und nagelte sie mit meinem Ständer auf das Bett. Anna genoss es, ihre Kraft gegen meine zu setzen, verlor dann aber auch gerne. Sie nahm die Beine hoch und mit den Knien neben ihrem Kopf gab sie meinen Stößen die volle Länge ihrer Lustgrotte als Spielraum. Aber ich pausierte, leckte ihre offen liegende Lustzone.
      “Uuuh, ja, das ist guuut. Hihi, Du kratzt wirklich … ich mag das. Aaaahh. Mmmmh!”
      Bis kurz vor ihren Höhepunkt trieb ich sie, drang dann wieder in sie ein.
      “Oooohaaahhhhhhh. Du bist gemein!”
      Während ich in ihr war, massierte ich leicht ihren Kitzler, hielt sie kurz vor dem Orgasmus. Eng und enger wurde ihre Möse und massierte meinen Schwanz. Schließlich kamen wir zusammen, tief vereint und eng verbunden.
      “Frühstück, mein wild gevögeltes Vögelchen? Kaffee? Tee?”
      Sie schaute auf ihre Uhr, ich auf meinen Wecker: 9:43 Uhr.
      “Ich bin für eine Matinee gebucht … ich weiß so schon nicht, wie ich da pünktlich und ordentlich in zwei Stunden auftauchen soll.”
      Na gut. Das war schade, aber - ich machte ihre Kette vom Bett los und gab sie ihr in die Hand: “Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.”
      “Ja. Bis bald.”
      Sie zog sich an, gab mir einen Kuss zum Abschied und flog in den Tag.
      Eigentlich war ich nicht verwundert, aber doch ein wenig enttäuscht, als ich erst einmal nichts mehr von Anna hörte.
      Mit einer verliebten Frau kann man alles tun, was sie will.
      (Gustav Klimt)
      Bonn

      Ende September, von Anna hatte ich nun drei Wochen schon nichts mehr gehört, führte mich mein Weg nach Königswinter zu den Kunsttagen.
      Was lag näher, als in Bonn nach Anna zu forschen? Sie ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Dieser verrückte Vogel faszinierte mich.
      So intim ich mit Anna geworden war, so wenig wusste ich tatsächlich über sie.
      Vorname: Anna, Nachname: unbekannt, Telefon: unbekannt, andere Kontaktdaten: genau, unbekannt!

      Aber das Konservatorium, das würde vielleicht weiterhelfen können. Auf den Webseiten fand ich ein Verzeichnis der Lehrkräfte. In der Abteilung Piano fand ich alleine vier Annas. Zwei hatten osteuropäisch klingende Nachnamen, aber keiner war klar als ungarisch zu identifizieren. Immerhin, zwei Namen, mit denen man arbeiten konnte.
      Eine Bildersuche ergab keine Treffer, dabei hatte ich erwartet, dass meine charismatische Anna auf tausenden von Fotos verewigt worden wäre.
      Dann suchte ich nach Auftritten, die mit diesen Namen verbunden waren und wurde fündig. Beide Annas wurden erwähnt. Von einer fand ich ein Plakat mit Bild … und konnte sie ausschließen. Das war eine ganz andere Anna. Sie würde nie ein Vögelchen sein.
      War also Anna Szoltowy meine Anna? Sie spielte morgen im La Redoute in Bad Godesberg. Ich würde hingehen und mich vor Ort überzeugen.
      Ein feines Abendbankett mit Klavierbegleitung war angesetzt, also warf ich mich in den ganz feinen Zwirn und machte mich auf saftige Menüpreise gefasst. Am klassizistischen Ballhaus angekommen, war schon neben der Abendkasse ein kleiner Verkaufsstand mit CDs aufgebaut. Dort saß eine reizende Blondine im Abendkleid, die auch von den Fotos der Tonträger lächelte. Anna Szoltowy war eine Sackgasse … oder eine Kollegin!
      “Guten Abend Frau Szoltowy.”
      “Guten Abend, Sie möchten meine aktuelle Aufnahme erstehen?”
      “Sehr gerne, bitte mit Autogramm und Widmung.”
      “Sicher. Für wen soll die Widmung sein?”
      “Sie haben im Konservatorium eine schwarzhaarige Kollegin aus Ungarn …”
      “Anna Varga, ja.”
      “Nun, dann bitte für Anna Varga … Für ein freies Vöglein namens Anna.”
      “Um fair zu sein, Anna hat meine CD bereits.”
      “Aber nicht mit dieser Widmung.”
      “Wie sie meinen.”
      Ich zahlte der irritierten Pianistin die CD und wünschte ihr einen erfolgreichen Abend. Das Bankett sparte ich mir gerne und begab mich auf die Suche nach Anna Varga.
      Varga, wer vermutete dann dahinter eine ungarische Pianistin? Klang das nicht eher Südamerikanisch? Mein Smartphone verriet mir zu dem Namen, dass ich die Dame auf den Bildern kannte … natürlich gab es viele Bilder meiner Anna, jetzt da der Nachname stimmte!
      Und sie würde spielen. In der Piano-Bar eines Varieté-Theaters in der Nähe des Beethoven-Hauses in Bonn.
      Ich nahm ein Taxi, um nicht unnötig Zeit zu verlieren.
      Die Piano-Bar war nicht sehr voll, denn die Vorstellung im Theater lief bereits. Erst danach würde es wieder mehr Menschen an die Theke und in die Sesselchen treiben.
      Am Flügel saß … niemand. Klar, das lohnte sich jetzt auch nicht, da machte die Pianistin Pause.
      Ich bestellte mir einen Scotch, fragte den Barkeeper, ob es jemanden störe, wenn ich etwas Klavier spielte … ein wenig leichte Muse.
      “Tun sie sich keinen Zwang an. Solange sie können, was sie tun, und nicht zu laut spielen …”
      “Keine Sorge, ich habe das mal beruflich gemacht.”
      “Dann sehr gerne, genießen sie die Erinnerung.”
      Er hatte es richtig ausgedrückt. Es waren Erinnerungen, die mich ans Piano trieben.
      “Moon River”, “Fly Me To The Moon”, “As Time Goes By”, “What A Wonderful World”, … ich war im flow und der Barkeeper nickte mir zufrieden zu. Den neuen Drink hatte ich mir verdient, den mir eine Kellnerin auf den Flügel stellte.
      “Wenn du jetzt noch ‘Girl from Ipanema’ spielst, bin ich völlig eingelullt in gepflegter Langeweile.”
      “Anna!”
      “Rück schon rüber, Paul! Und lass mich mal ran.”
      “Bohemian Rhapsody” war nicht so einfach zu spielen, aber sie meisterte es mit Bravour.
      “Wie lange wirst du hier gebraucht?”
      “Irgendwann zwischen Mitternacht und ein Uhr wird es leer. Die einen gehen heim, die anderen ziehen weiter durch die Nacht.”
      “Und du, ziehst du mit mir in die Nacht, Anna Varga?”
      “Bonn ist ein ruhiges Pflaster.”
      Aus meiner Jackentasche zog ich die CD ihrer Kollegin heraus und gab sie ihr.
      “Ich habe nicht so lange nach dir gesucht, um dich dann ungevögelt fliegen zu lassen.”
      “Oh, Du hast Anna getroffe. Hübsch, aber nicht so inspirierend, fürchte ich.”
      “Nein. Mein Hotel ist nicht geeignet für das, was ich mir mit dir vorstelle … “
      “Du bist der Vogelfänger.”
      Mit diesen Worten spielte sie weiter. “Master Song” von Leonard Cohen. Sicher nicht das üblichste Stück für eine Piano-Bar. Sie sang von der sich wandelnden SM-Dreierbeziehung … sicher nicht ganz zufällig. Die Konstellation war unpassend, aber der Übergang war ihr Thema.
      Ich griff Anna in den Nacken und flüsterte in ihr Ohr: “Ich werfe ein paar Leimruten aus, Du entgehst mir nicht.”
      “Bis später dann, Papageno.”

      Ich ging nach draußen, lief durch den Abend.
      In meinem Kopf spielte das Kino und ich erkundete das Umfeld des Varietés. Anna Varga war eine Diva, die gefangen werden wollte und eine alte Verbindung nur mühsam gegen eine neue tauschte. Als Vöglein war sie flatterhaft, doch brauchte sie einen festen Käfig als Halt.
      Wahrlich eine Herausforderung, die Spannungen barg und spannend war! Diese Frau! Dieses Weib! Dieser Ständer, den sie schon wieder in meiner Hose hervorrief!
      Sie war die Mühe wert und das Risiko, verletzt zu werden. Ich wollte es wagen.
      Für Anna konnte es kaum verrückt genug sein, also pokerte ich hoch.
      Zurück in der Piano-Bar setzte ich mich in einen der Clubsessel und bestellte noch einen Scotch. Den brauchte ich wirklich, um mir ein wenig Mut anzutrinken.
      Am Piano ertönten lateinamerikanische Klänge. Sie spielte als nächsten Song “Girl from Ipanema” und zwinkerte mir zu.
      Ich zog beim nächsten Lied die Schnürsenkel aus meinen Schuhen und zeigte sie ihr. Dann zog ich meinen Gürtel aus, legte ihn doppelt, bevor ich ihn klein rollte.
      Sie antwortete mit “Strange Love”. In ihrem Spiel klang auch “Master & Servant” an. Depeche Mode.
      Es war schon fast ein Uhr und Anna war am Ende ihrer Schicht. Ihr letzter Song war von Nazareth, “Love Hurts”.
      Sie winkte dem Barkeeper einen Gruß zu und kam zu mir an den Tisch, kniete sich neben den Sessel. Ich griff in ihre langes, volles Haar, ließ sie den Griff darum spüren. Sie ergab sich gerne diesem Gefühl.
      “Lass uns gehen, du hast mich lange genug warten lassen und mich sirenengleich gelockt.”
      “Dir haben meine Lieder gefallen?”
      “Du warst wunderbar am Klavier, was auch sonst? Und deine Hinweise sprachen für sich. Es ist Zeit für Taten!”
      “Ich gehöre ganz dir.”
      Ich zog Anna gerade so sachte aus der Bar, dass der Barkeeper nicht zum Telefon griff, um die Polizei zu rufen. Irritiert war er allerdings schon.
      “Alles in Ordnung, Tom!” rief die überraschte Anna ihm zu.
      Mit einer verliebten Frau kann man alles tun, was sie will.
      (Gustav Klimt)
      Draußen wandte ich mich in Richtung der Namen-Jesu-Kirche, vor der ich Lampen entdeckt hatte, deren Ständer mir praktisch erschienen.
      Dort angekommen, schlang ich meinen Gürtel um die Halterung, die aus zwei Stangen bestand, und um Annas Hals. Die Schließe hakte ein und Anna war festgebunden.
      Während ich sie küsste, band ich ihre Hände mit meinen Schnürsenkeln an je eine Stange.
      Kaum jemand war noch auf der Straße, niemand schien Notiz zu nehmen.
      “Deinen Slip, den nehme ich.”
      Langsam griff ich unter den weiten Rock ihres Wickelkleides und zog ihren Slip herunter. Ein netter, kleiner Spitzenslip, der gut zu meinem Vögelchen passte.
      “Sehr hübsch.”
      Ich begann gerade meinen Schritt am dünnen Stoff ihres Kleides zu reiben und ihren Po zu kneten, als Blaulicht neben uns anging.
      “Guten Abend, Kripo Bonn, ihre Ausweise bitte.”
      Ich hätte besser eine stillere Ecke und weniger Risiko gewählt. Es gab hier Kameras und aufmerksame Augen.
      “Sie sollten doch alt genug sein, um zu wissen, was sich gehört und was nicht. Ich erteile ihnen für diese Nacht einen Platzverweis und empfehle ein Hotelzimmer. Müssten wir wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses eine Anzeige aufnehmen, wird das in jedem Falle teurer.”
      Unter Aufsicht und verständnislosem Kopfschütteln befreite ich Anna.”
      “Wir sehen uns nicht wieder, ja?” fragte der Polizist noch einmal.
      “Nein, sicher nicht.”
      “Dann wünsche ich eine gute Nacht.”

      Wir waren in Richtung der Innenstadt gelaufen.
      “Schade eigentlich, dass es so peinlich wurde. Es begann gerade nett zu werden.”
      “Anna, das war blöd von mir. Entschuldige bitte.”
      “Ach was! Das war jedenfalls mal ein Abenteuer!”
      “Und jetzt? Mein Plan ist geplatzt.”
      “Wie wäre es mit meinem Vogelkäfig?”
      Das war sicher noch die beste Lösung. Ich folgte ihr am Bahnhof vorbei in ein Gebiet mit Altbauten. Hier hatte sie in der Colmantstraße ihre Wohnung.
      Die Tür schloss sich hinter uns und wir standen im Flur ihrer vier Wände.
      “Anna Varga, Du bist eine anregende und anstrengende Frau, eine Diva.”
      “Ach nein, ich bin nur ein kleines, unstetes Vöglein.”
      “Nein, das bist du nicht. Du magst die Rolle, das wohl. Aber deine Ansprüche sind nicht klein. Und nicht die eines Vögleins.”
      “Hmhmhmhm, Du magst Recht haben. Lass es uns herausfinden, ob sich nur ein kleines Vöglein auf deine Stange setzt oder eine ausgewachsene Diva.”
      Minuten später waren wir in ihrem Schlafzimmer und ich sah erstmals ihren Käfig.
      “Das ist ein … ausgefallenes Bett.”
      “Das hält alles aus, ja.”
      “Und das da oben ist …”
      “... meine Liebesschaukel.”
      Ich hatte noch nie Erfahrungen mit einer Liebesschaukel gesammelt, verstand aber sofort das Prinzip. An den richtigen Stellen waren Fesseln eingehakt und ich bekam eine Vorstellung davon, wie sie in den großen Schlaufen sitzen würde und in jeder Hinsicht zugänglich wäre.
      “Fürs erste Mal stellst du dich gar nicht so blöd an.” kommentierte Anna, als ich ihren zweiten Knöchel unter dem Schenkelgurt festhakte. Nun schwebte sie frei, die Hände am Gestänge fixiert, die Füße unter den Schenkelgurten, in denen sie saß.
      “Hast du einen Schal? Oder eine Schlafbrille?”
      “Oh, du willst mir die Augen verbinden? … Unten im Nachtschrank.”
      Dort fand ich neben einem Seidenschal auch andere Utensilien, die ich gut einbauen konnte. Nippelklemmen, Gewichte mit Klammern, Plugs, Dildos, … Anna war ausgestattet.
      Mit verbundenen Augen führte ich mein Vögelchen durch ein Labyrinth von Reizen. Eine Feder strich über gepeinigte Brüste, Gewichte baumelten an wohlig erregten Schamlippen. Meine Hände trugen sie, schlugen sie, führten ihre Lust zum Gipfel während ich in Anna und ihrer Erregung versank. In einer zweiten Runde eroberte ich ihren Po und erneut explodierte sie, erschauerte von jeder Berührung. Anna war in ihrem Käfig, in ihrer kleinen Welt, genoss die Fokussierung auf diesen kleinen Spielraum. Mehrfach ergoss sie sich in einem klaren Strahl, kam mit einer Ejakulation. Davon hatte ich bisher nur gehört.

      Umschlungen hielt ich sie nach meinem Höhepunkt noch eine ganze Weile, bevor ich ihre Fesseln löste und die kleinen, fiesen Lustverstärker abnahm. Stöhnend reagierte sie auf das einströmende Blut in ihren Nippeln und Schamlippen, war dankbar für weitere Streicheleinheiten.
      Noch waren ihre Augen verbunden und Annas Tastsinn sehr sensibel.
      “Papageno, das war ein goldener Käfig, in den du mich gesteckt hast. Da würde ich freiwillig wieder einkehren wollen.”
      “Das Vöglein ist jederzeit willkomen.”
      “Nimm es nun erst einmal in die Hand und halte es dort fest bis zum Morgen.”
      Die Liebesschaukel wurde wieder hochgebunden und wir schliefen gemeinsam in Annas Bett ein.

      Ich schlief tief und fest bis in den Morgen. Meine Morgenlatte wurde freundlich gesaugt und geleckt, wie ich schlaftrunken bemerkte.
      “Hallo, ist das ein Vöglein an meiner Rute?”
      “mnmngh … Guten Morgen!”
      “Der fängt zumindest gut an, mein Morgen.”
      Anna war eifrig und meine Geilheit stieg schnell an. Binnen weniger Minuten kam ich in ihren Mund. Zufrieden grinste sie mich an.
      “Frühfdück?”
      “Bitte?”
      Anna schluckte.
      “Ob du Lust auf Frühstück hast. Müsli oder Brötchen? … Rührei scheidet jetzt aus.”
      Mein Glucksen war nicht zu überhören.
      “Was?” fragte sie gespielt vorwurfsvoll. “Du ballerst da ganz schön viel Eiweiß durch die Gegend. Scheinst dich wirklich zu freuen, dass ich mit dir spiele.”
      “Schon, ja. Du bist halt ein tolles Vögelchen.”
      “Sei gut zu vögeln, ich weiß. Kaffee?”
      “Ja. Soll ich Brötchen holen?”
      “Unten links, 50 Meter. Die Dinkelbrötchen sind lecker.”

      Eine Viertelstunde brauchte ich. Samstags kaufte jeder Brötchen, so schien es.
      In Annas Wohnung saß sie mit einem Becher Kaffee, in einen dünnen Morgenmantel gehüllt, der mehr verlockte als verdeckte.
      “Hey, du Schöne, ganz schön voll, dein Bäcker.”
      “Samstag. Komm, dein Kaffee wartet.”
      Brötchen krachten unter dem Messer, prasselten beim Abbeißen, Erdbeermarmelade und Kaffee lagen in der Luft.

      Wie würde es weitergehen? Würde es denn weitergehen?
      “Frag dich, ob du so einen verrückten Vogel wie mich um dich haben kannst.”
      Meine Gedanken waren offensichtlich für sie.
      “Schon, ich bin in jeder Hinsicht frei. Und du bist jedenfalls nie langweilig. Und ich mag dich, deinen Sex, deine Musik … du schmeichelst mir mit deiner Schönheit.”
      “Bonn ist ein Städtchen, Berlin ist riesig dagegen. Das reizt mich, aber es ist auch eine stete Verführung für mich.”
      “Du weißt doch, wo dein Käfig steht. Das Fenster lasse ich einen Spalt offen.”
      “Mmmh.”
      Was war das nun? Ein “ja”, ein “nein”? Ein “weiss nicht”? Ich wartete.
      “In der nächsten Woche beginnen die Herbstferien im Konservatorium. Zwei Wochen. Ich käme gerne nach Berlin.”
      Die Aussicht machte mich sehr froh und ich drückte Annas Hand.
      “Fünf Stunden mit dem Zug. Ich habs schon mal geprüft. Oder acht mit dem Bus.”
      “Ich bezahle dir das Bahnticket gerne. Wir buchen es gleich, dann ist es erledigt und ich weiß wann ich dich abholen kann … meinst du nicht?”
      “Ja. Behüte dein Vögelchen.”
      Sie küsste mich.
      Meine Diva, die mir alles geben und alles nehmen würde. Ich musste sie führen, denn sie war maßlos in allem, was sie tat. Doch ich wäre stark genug.
      Mit einer verliebten Frau kann man alles tun, was sie will.
      (Gustav Klimt)
      Berlin-Spandau

      Eine Woche, nachdem ich mich von Anna verabschiedet hatte, stand ich mit einem Strauß roter Rosen am Gleis, wo gleich der ICE einlaufen würde, den wir gebucht hatten.
      Ich freute mich auf meine Diva und auf das Vögelchen und hatte mir auch reichlich Mühe gegeben, einen Käfig für sie zu bauen. Ich hatte aufgeräumt, ein paar Nettigkeiten vorbereitet. Natürlich hatte ich Pläne im Kopf, was wir zusammen tun würden in dieser wunderbaren Stadt und in meinem Bett. Und alles war dafür vorbereitet. Theaterkarten, Restaurantreservierungen, Kerzen, Seile, Gerte, …
      “Es fährt ein der ICE Ludwigslust von Köln, Hamm, Hannover nach Berlin Hauptbahnhof. Die Wagen der ersten Klasse …”
      Der Zug war sogar ziemlich pünktlich. Wieso war ich so aufgeregt?
      Ich wartete vor dem Wagen, in dem Anna ihre Platzreservierung hatte. Wagen 22. So viele stiegen in Spandau nicht aus, die meisten Passagiere fuhren durch bis zum Hauptbahnhof. Trotzdem sah ich sie nicht. Wo war sie?
      Der Zug fuhr weiter. Der Bahnsteig leerte sich. Anna?
      Frustriert schaute ich mich um. Irgendwie passte es zu ihr. Kein Wort, keine Absage, im Nichts verschwinden.
      Mein Handy summte. Vielleicht war sie es? SMS.
      “Fang das Vögelchen.”
      Wut stieg in mir auf, ich fühlte mich verhöhnt. Sollte ich jetzt etwa nach Bonn eilen, das Vögelchen an den langen Haaren nach Berlin schleifen?

      Wieder summte es.
      Noch eine SMS.
      “Schöne Rosen. Für mich?”
      Mit einer verliebten Frau kann man alles tun, was sie will.
      (Gustav Klimt)
      (auf besonderen Wunsch einer lieben Leserin ...)

      Mir war in diesem Moment die Absurdität der Situation schlagartig bewusst geworden. Wer dominierte hier eigentlich wen? Ich war eine Figur in Annas Libretto, spielte nach ihren Bedingungen, tanzte nach ihrer Melodie und durfte den dominanten Part spielen.

      Ich zitterte leicht. Ja, ich war wütend, enttäuscht, weil diese Szene nicht meinen Plänen entsprach, meine Vorbereitungen nicht respektiert wurden. Ich hatte mich so auf Anna gefreut. Oder etwa nicht? Nicht Anna? Eher … Tweety?
      Plötzlich war ich ruhig, hatte mich entschieden und schickte ihr eine SMS.

      “Nicht für Dich. Die sind für Tweety.”

      Was würde nun passieren? Ich wusste es nicht, war mir aber sicher, dass ich Anna nicht weiter zu ihren Spielregeln nachjagen wollte. Ich wartete, aufrecht und entschlossen.

      Hinter dem gläsernen Abgang kam eine wunderschöne Anna hervor, ging mit ihrem Rollkoffer langsam auf mich zu. Sie war nur ein wenig unsicher, zögerlich.
      Ihr Blick erforschte mein Gesicht, ertastete meine Stimmung so lammfromm und unterwürfig, dass es mir kaum möglich war, ein alles vergebendes Lächeln zu unterdrücken.

      Jetzt oder nie! Dies war der Moment. Ich musste stark bleiben, wenn ich etwas ändern wollte.

      Auf halbem Weg blieb Annas Trolley unbeachtet zurück, während sie langsam weiter lief.
      War das Verblüffung in ihrem Blick?

      Der Mantel entglitt ihr wenige Schritte später.
      Oder schaute sie eher ein wenig ängstlich?

      Nun stand sie wenige Schritte vor mir in ihrem wunderschönen Kleid, das ihre Weiblichkeit voll zur Geltung brachte und noch immer gelang es mir, ihr standzuhalten, ihr nicht zu unterliegen.
      Konnten ihre Blicke zittern?

      Kein Bahnhofsgeräusch drang zu uns durch, niemand war wahrnehmbar in unserer Nähe … wir waren allein mit uns, Blick in Blick versunken.

      Es erschien mir wie eine Ewigkeit, in der ich nicht nachgeben durfte, dann geschah es. Annas Fassade bröckelte. Mit einem Flattern im Blick senkte sie die Augen, raffte den weiten Rock ihres Kleides vorne wie in einem Historienfilm - allerdings so hoch, dass ich sehen konnte, dass sie darunter blank war - und machte einen Hofknicks vor mir.

      “Herr Sylvester … ergebenst eure Dienerin, Tweety.” sagte sie.

      Dann kam von unten ein verführerisch grinsender Blick. Das letzte Aufbäumen.
      Hätte ich diese Einladung zur Kapitulation lächelnd angenommen, hätte ich alles verloren.
      Mit viel Mühe und Beherrschung blieb meine Miene reglos. Es war wirklich nicht einfach die böse Miene zum guten Spiel zu halten. Wieviel lieber hätte ich sie hochgehoben und geküsst!

      Anna ging langsam auf die Knie. Verschwunden war jede schauspielerische Attitüde.

      “Es tut mir leid, Paul. Ich will dir gehören.”
      Es war dieser Moment, der so wichtig für uns war. Und auf den war ich nicht vorbereitet. Nicht hier und nicht jetzt. Ich stand mit Rosen in der Hand vor ihr und hätte ein Halsband gebraucht.

      Intuitiv legte ich ihr den Rosenstrauß in die Arme und meine Hand bedeutete Anna, den Kopf gesenkt zu lassen.
      Dann zog ich in einer fließenden Bewegung den Gürtel aus meiner Hose. Doch anders als ihrer Erwartung war, was ihr ängstliches Zucken verriet, legte ich ihn ihr als Schlinge um den Hals und zog ihn fest.
      “Vöglein, Du gehörst jetzt mir und wirst mir folgen.”

      Es war an den Gesichtern der Passanten abzulesen, wie bizarr ihnen dieses Pärchen vorkam, bei dem er aufrecht und unerbittlich voran schritt und dabei einen Rollkoffer mit der einen Hand und eine Frau mit Rosen am Ledergurt an der anderen hinter sich her zog.
      Sie war tränenüberströmt, aber offensichtlich glücklich.

      Wir schafften es ohne Zwischenfälle in ein Taxi zu kommen und mit mühsamer Beherrschung unserer Erregung bis zu mir in die Wohnung.

      Dort war ich endlich Herr im Reich meiner vorbereiteten Phantasien. So machten wir den Tag zur Nacht und als die Nacht zu Ende gehen musste, weil der Kühlschrank nichts mehr hergab, wussten wir nicht genau, wie viele Tage vergangen waren. Aber uns war schmerzlich bewusst, dass wir nie wieder auf den anderen verzichten konnten.

      Anna blieb.

      Die symbolische Leine um ihren Hals hat sich seitdem verändert, wurde in der Öffentlichkeit zu einem abgeschlossenes Fußkettchen. Sie ist aber immer präsent, egal ob das Vögelchen alleine oder gemeinsam mit mir ins nächtliche Berlin fliegt.
      Und Tweety kehrt gerne in den Käfig zurück, den sie sich an jenem Tag gewählt hat, auch wenn dieser zu manchen Gelegenheiten recht eng und abschließbar ist.

      Natürlich neckt sie ihren Sylvester ständig und ich liebe sie meistens dafür. Doch wenn es mir zu bunt wird, schenke ich ihr einfach wieder Rosen.
      Es folgen dann die Klavierabende, an denen Anna Varga sich die Klavierbank mit besonderer Sorgfalt zurecht rückt und ihr Publikum mit noch mehr musikalischer Leidenschaft verwöhnt.

      Ob der Blumenverkäufer seinen Stammkunden noch so freundlich begrüßen würde, wenn er wüsste, dass wir gar keine Rosenvase besitzen?

      :blumen:
      Mit einer verliebten Frau kann man alles tun, was sie will.
      (Gustav Klimt)
      Also die ersten Teile der Geschichte waren für mich persönlich zwar gut, haben mich aber nicht so geflasht, dass ich sie gelikt hätte.
      Lag aber auch daran, in welchem Umfeld sie gespielt haben, da es doch sehr speziell war.

      Der letzte Teil jedoch hat mich wirklich gefesselt, dieses Hin- und Hergerissensein des dominanten Parts,
      die Standhaftigkeit, nicht zu lachen oder zu lächeln. Ich weiß, wie schwer das ist! :thumbsup:
      Auch wenn es widersprüchlich klingt:
      Ihr Ego muss stark genug sein, um seine begrenzte, defensive Haltung und Kontrolle aufgeben zu können.
      Sie brauchen ein starkes Ego, um das Ego transzendieren zu können.

      - John Bradshaw, Das Kind in uns -