RUF.... MICH.... AN!

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      RUF.... MICH.... AN!

      Marina war verzweifelt. Nach ihrer Trennung von ihrem Ehemann vor zwei Jahren hatte sie sich kaum etwas Schönes für sich leisten können.
      Ihre Schuhe waren schon 2x beim Schuster gewesen, Kleidung holte sie sich im Secondhandladen und ihre Lieblingsdüfte sprühte sie sich in den Drogeriemärkten auf Hals und Handgelenk, dazu waren die Probeflakons ja schließlich da, oder? Ein Friseurbesuch wäre aber dringend nötig und eine passende Winterjacke hatte sie nicht gebraucht gefunden, die alte war schon sehr verschlissen und zigmal geflickt, so dass es eine Zumutung war. Die Zeit drängte, es war schon Ende September.

      Alles Geld, was sie übrig hatte, gab sie für ihre beiden Jungs aus, die kleinen Stöpsel sollten nicht mehr unter der Scheidung leiden als ohnehin nötig. Der Jüngere hatte Neurodermitis und seine Haut reagierte auf Zucker und künstliche Farbstoffe. Da sie ihm nicht das Gefühl geben wollte, ausgegrenzt zu werden, wenn die anderen Kinder ihre Eltern um einen Euro für den Eismann oder die bunte Tüte am Kiosk anbettelten, hatte Marina sich angewöhnt, immer natürlich gesüßte Leckereien und Eis ohne Farbstoffe zuhause zu haben. Das hatte natürlich seinen Preis.

      Freizeitaktivitäten waren auch dünn gesät, Schwimmen im Sommer lieber am See statt im Freibad, wo sich alle anderen Kinder trafen, statt des Freizeitparks war gerade mal das Bällebad im nahegelegenen Möbelhaus drin (das Angucken der Möbel in der Zeit war auch nur Farce) und statt Kino gab es alte DVDs aus der Bibliothek. Den Kindern reichte dies, sie waren genügsam, sie selbst wurde jedoch immer unzufriedener. Ihr Halbtagsjob als Altenpflegerin brachte nicht soviel ein, sie kam kaum über die Runden, ganztags wollte sie ihren Kiddis aber nicht zumuten. Bewerbungen bei diversen Nebenjobs waren stets an ihrer Unflexibilität wegen Kindern und Hauptjob gescheitert.

      Eines Nachmittags saß sie, dick eingemummelt und mit einer dampfenden Tasse Tee in der Hand, auf dem Balkon, beobachtete ihre Jungs beim Toben und Fußballspielen auf der großen Gemeinschaftswiese des Wohnblockes und blätterte im Stadtanzeiger. Da sprang ihr eine Anzeige ins Auge: „Nette Stimmen zum Telefonieren von zuhause aus bei freier Zeiteinteilung gesucht“.

      Sie fasste sich ein Herz und rief an. Die Dame am anderen Ende erwies sich als Betreiberin einer Agentur, war begeistert von der warmen Stimme Marinas und fragte, ob sie bereits Erfahrung im Bereich Lebensberatung oder Erotik hätte. Beides verneinte Marina. Das wäre nicht schlimm, meinte die nette Stimme am anderen Ende, im Erotikbereich könne jeder ohne Erfahrung starten.

      Sie erklärte ihr das Prozedere, die Staffelung der Bezahlung, sicherte Anonymität zu und versprach, Marina das Wichtigste sowie die Vertragsunterlagen zuzuschicken, damit sie in Ruhe darüber nachdenken könne. Die Telefonzeiten seien frei wählbar, die meisten Anrufer erwartete man jedoch nach 21 Uhr und an den Wochenenden. Sie bot ihr an, jederzeit persönlich für Rückfragen zur Verfügung zu stehen.
      Marina bedankte sich und legte auf. Das hörte sich ja alles schon mal ganz machbar an. Die Jungs lagen spätestens um 19.30 Uhr im Bett, sie dagegen ging nie vor Mitternacht schlafen.
      Die Wahl, zwischen den drögen Serien im Fernseher hin- und herzuswitchen oder sich am Telefon zu vergnügen und nebenbei noch etwas zu verdienen, fiel ihr nicht schwer. Wenn in ihrer Sturm- und Drangzeit vor der Hochzeit jemand ihre heißen Telefongespräche mitbekommen hätte....
      Ihr Ehemann hatte diese wohl genauso vermisst wie sie, aber statt mit ihr darüber zu reden, wie sie ihr Sexleben wieder auffrischen können, war er den Weg des geringsten Widerstandes gegangen und hatte sich auf eine Affaire mit einer Arbeitskollegin eingelassen.

      Ein paar Tage später war dann vormittags der dicke Umschlag im Briefkasten. Da Marina Spätschicht hatte, konnte sie die Informationen ohne Störung durch die Kinder lesen.
      Krass, was da an Formulierungsbeispielen drinstand....
      An den letzten Abenden hatte sie schon grinsend die gewissen Werbungen im Nachtprogramm mitverfolgt, wusste sie doch jetzt, hinter welchen Nummern ihr neuer Arbeitgeber steckt. Interessant fand sie, dass Frauen nichts für die Anrufe zahlen.

      Wenn sie Zeit für die Telefonate hätte, würde sie mit einer Pin ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen und die Anrufer durchgestellt bekommen, ohne dass diese ihre wahre Identität erfahren würden. Wenn sie nicht mehr für die Hotline erreichbar sein wollte, musste sie erneut eine Pin eingeben und ihr Telefon wäre dann einfach nur noch ein normales Telefon.
      Die Bezahlung war gestaffelt, je mehr Anrufe, umso mehr Bonuszahlungen gab es. Neue Anmeldungen rutschten für eine gewisse Zeit an die erste Stelle der Ansagen, wenn die Männer auf Suche gingen. Wurde ihre Nummer dann oft genannt, blieb sie an erster Stelle. Außerdem zählte die Anrufdauer. Je länger jemand in der Leitung blieb, umso mehr Geld gab es für sie.
      Einen Ansagetext sollte sie sich auch ausdenken. Okay, das hatte noch Zeit bis heute Abend.
      Jetzt wurde es Zeit, etwas zum Essen zu zaubern. Sie versteckte den Umschlag im Wohnzimmerschrank in der Laptoptasche, dort würden die Jungs auf keinen Fall nachsehen.

      Nachmittags während der Arbeit dachte Marina schon die ganze Zeit an ihren neuen Nebenjob.
      Ein Gewerbe hatte sie noch aus der Zeit ihrer Ehe angemeldet, das Finanzamt würde ihr also keine Probleme machen. Sie formulierte im Kopf ihren Ansagetext und überlegte, wie sie auf Fragen reagieren könne. Sie beschloss, nahe an der Wahrheit zu bleiben, damit war sie in der Vergangenheit immer gut gefahren. Nennen würde sie sich Nadine, alles andere würde sie ein wenig abwandeln.

      Abends, nachdem sie die Jungs ins Bett gebracht und etwas gegessen hatte, schloss sie vorsichtshalber die Wohnzimmertür ab, stellte das Telefon ganz leise und las sich nochmal die Anweisung durch, wie die Anmeldung durchzuführen war.
      Sie wählte die angegebene Nummer, sprach ihren Ansagetext auf, hörte ihn ab, verbesserte ihn noch einmal und meldete sich dann mit ihrer Pin an.
      Aufgeregt starrte sie das Telefon an. Es klingelte kurz danach. Sie schluckte hart und hob ab, lauschte. Eine Frauenstimme sagte: „Ein Anruf für die freche Anhalterin“ und zählte von 5 runter. Es klickte und rauschte. Sie holte tief Luft und fragte, um eine sexy Stimme bemüht: „Halloooo, wer ist denn da?“ Eine junge Stimme sagte: „Hi, stöhn für mich...“
      Öhm.... okayyyyy. Marina spielte ihm einen Orgasmus vor, hörte seine Erregung, sein Stöhnen, dann legte er auf.
      Gleich anschließend kam der nächste Anruf rein. „Ein Anruf für das frivole Luder“. Diesmal war sie besser vorbereitet und stellte zu Anfang ein paar Fragen nach Alter und Namen. Der Anrufer war ebenfalls jung und ein wenig gesprächiger als der erste Anrufer, kam aber auch schnell zur Sache.
      Der 3. und 4. Anrufer legte auf, nachdem er ihre Stimme gehört hatte, ohne etwas zu sagen.
      Der 5. Anrufer fragte nach ihrer Körbchengröße und legte nach der Antwort auch wortlos auf. Mist.

      Dann klingelte es wieder. Am anderen Ende war die höchste Geschäftsführerin persönlich. Sie bat Marina, ihren Ansagetext ein wenig spannender zu gestalten und fragte nach ersten Erfahrungen. Sie riet ihr, die Anrufer länger ins Gespräch zu verwickeln am Anfang, außerdem nach ihren Vorlieben zu fragen, statt von sich aus etwas vorzugeben.
      Marina meldete sich nach dem Telefonat für diesen Abend ab und ging zu Bett. Am nächsten Tag überlegte sie sich einen Ansagetext, der sie ein wenig beschrieb und dennoch viel Spielraum für Fantasien bot, ihre Stimme ließ sie leise und rauchig, aber trotzdem deutlich klingen. Sie hörte den Text probehalber ab und war zufrieden mit sich.

      Tatsächlich schien diese Ansage mehr Anrufer anzuziehen als die vom Tag zuvor. Alle Männer ließen sich geschickt in ein längeres Vorgespräch verwickeln. Marina fragte nach Alter, Aussehen, manchmal auch nach Wohnort und warum sie diese Nummer gewählt hatten. Oft waren es frustrierte Ehemänner, manchmal auch neugierige Jugendliche, einmal ein älterer Herr, der mitten im Telefonat sagte, dass er mal eben ins Bad müsse und sie solange warten solle. Dies dauerte eine Ewigkeit und die Uhr tickte weiter...
      Auch wenn es widersprüchlich klingt:
      Ihr Ego muss stark genug sein, um seine begrenzte, defensive Haltung und Kontrolle aufgeben zu können.
      Sie brauchen ein starkes Ego, um das Ego transzendieren zu können.

      - John Bradshaw, Das Kind in uns -
      In den nächsten Tagen und Wochen fand Marina echt Gefallen an dem Job. Immer weniger wurden die Anrufe, die sie für den reinen schnellen Spaß kontaktierten. Es entspannen sich Gespräche um Hobbies, Vorlieben usw. Sie ließ sich von den Anrufern erzählen, wie sich die Ansagen ihrer „Kolleginnen“ anhörten und wonach sie ihre Lieblinge auswählten. Über das Klischee, dass sie nebenbei bügeln würde, lachte sie nur. Nein, sie lag auf dem Sofa und fühlte sich rein in das, was sie erzählte. Unter anderem auch deswegen ließ sie sich stets beschreiben, wie sie sich den Anrufer optisch vorzustellen habe. Wenn sie schon „arbeitete“, dann richtig.

      Natürlich wandelte sie ihre eigenen Daten etwas ab und erzählte auf Nachfragen, warum sie das täte, dass sie nur zum Spaß kostenfrei an solchen Gesprächen teilnehmen könne als Frau. Sie ließ sich auf keine Verabredung ein, hatte aber den einen oder anderen an mehreren Tagen hintereinander am Hörer. War sie mal ein paar Tage nicht angemeldet, kam es vor, dass einzelne Anrufer sie hinterher fragten, wo sie denn gewesen sei. Allerdings war sie auch nicht für andere erreichbar, wenn sie sich gerade mit einem „Kunden“ im Gespräch befand.
      Zweimal erlebte sie sogar, dass Männer explizit darauf bestanden, sie zum Orgasmus zu bringen. Sie erzählten ihr, was sie mit ihr anstellen, wie sie sie verwöhnen würden und warteten geduldig am anderen Ende darauf, bis der Orgasmus wie eine Lawine über sie hinwegrollte und sie das mit einem halblauten Stöhnen kundtat. Dass sie nicht so laut sein könne, wie sie wollte, weil die Jungs im Nachbarraum schlafen, hatte sie erwähnt vorher.
      Der Verdienst wurde pünktlich überwiesen und detailliert in einer monatlichen Auflistung dargestellt, so dass Marina nachvollziehen konnte, zu welchen Zeiten die Anrufer kontaktfreudiger waren. Endlich konnte sie sich das eine oder andere an Kleidung leisten, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

      Nach ein paar Monaten, es wurde schon Frühling, kam ein weiterer Anruf der Geschäftsführerin. Begeistert lobte sie Marina, sie hatte einen Testanrufer angewiesen, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Wer der Testanrufer war, verriet sie nicht, aber sie kam mit einem neuen Angebot um die Ecke. Sie schlug Marina vor, sich zusätzlich als Domina anzumelden. Marina schluckte trocken. Als Domina? Das konnte sie sich so gar nicht vorstellen. Sie war ja noch nicht einmal in der Lage, sich auf die Rolle der „reifen Lady über 60“ einzulassen. Kam diese Ansage, legte sie stets wieder auf. Wie sollte sie sich denn dann in eine Domina einfühlen?

      Ihre Chefin beruhigte sie, meinte, es wäre gar nicht so schwer, die Männer hätten auch nur Bedürfnisse wie andere auch. Sie nannte ihr die Kontakt-Nummer einer Kollegin, die schon 5 Jahre lang als Telefondomina für sie arbeiten und die nächsten Tage abends für ein paar Stunden angemeldet sein würde. Marina würde sie als Frau kostenfrei kontaktieren können und je länger das Gespräch dauern würde, umso mehr Verdienst wäre für Jenni, wie sie sich nannte, drin. Immer noch mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, sagte Marina zu, wenigstens das Gespräch mit Jenni zu suchen.
      Am nächsten Abend zur angegebenen Uhrzeit wählte sie die Hotlinenummer, hörte sich die Vorstellungen der anderen Kolleginnen an. Sie musste grinsen, so affektiert, wie manche klangen, es waren aber auch welche dabei, die sich echt ansprechend anhörten. Endlich erwischte sie die Nummer von Jenni und drückte die Ziffernfolge.
      Jenni meldete sich mit halblauter, aber dennoch kraftvoller Stimme. Marina outete sich als Kollegin Nadine und dass sie den „Auftrag“ von der höchsten Chefin bekommen hätte, sich mit ihr in Verbindung zu setzen, um sich über die Rolle zu informieren. Es wurde ein langes, interessantes Gespräch und Marina fasste Mut. Am besten gefiel ihr, dass sie als Domina nicht, wie sonst, auch in andere Rollen switchen müsste, die Pin für die Domina sei eine andere als für die allgemeine Anmeldung. Das hatte sie stets als anstrengend empfunden, wusste sie doch nie, in welche Rolle sie beim nächsten Anrufer schlüpfen müsse. Der Verdienst wäre sogar ein wenig besser. Sie bedankte sich bei ihrer Patendomina für die Starthilfe und versprach, sich wieder zu melden, wenn sie noch Fragen hätte.

      In den nächsten Tagen schnüffelte sie noch ein wenig zum Thema „Domina“ im Internet herum, um sich vorzubereiten und meldete sich dann bei ihrer örtlichen Agentur, um die 2. Pin zu erhalten.
      Sie hatte sich vorgenommen, diesen Teil ihrer Tätigkeit nur auszuleben, wenn die Jungs nicht bei ihr schlafen würden. An diesem Wochenende waren sie bei ihrem Vater, eine gute Gelegenheit also.
      Am schwierigsten war der Ansagetext. Bestimmt 8x nahm sie ihn neu auf, bis sie zufrieden war.
      Dann meldete sie sich mit ihrer neuen Pin an und fühlte sich ein. Sie stand auf, nahm die Schultern zurück und lief mit dem Telefon in der Hand umher.

      In der Tat waren die Anrufer nicht viel anders als die bisherigen. Auch diese Männer ließen sich in ein Gespräch verwickeln, von sehr jung bis hin zum Rentner war jede Altersklasse vorhanden.
      Anreden ließ sie sich ausnahmslos mit „Herrin“.
      Für diejenigen, die Schläge bevorzugten, hatte sich Nadine ein Lineal bereitgelegt, welches sie auf ihre Hand, ihren Unterarm oder auch auf ihre Schenkel klatschen ließ. Andere mochten es, wenn sie ihnen Aufgaben erteilte, besonders gern verbot sie dann im Gespräch die Worte „ja“ und „nein“ und amüsierte sich über die teils kläglichen Versuche der Männer, Synonyme dafür zu finden.
      Schwer tat sie sich, wenn jemand gedemütigt, verbal herabgesetzt werden wollte. Das war so gar nicht ihre Art, als Altenpflegerin war sie stets bemüht, die Würde des Menschen zu achten und das konnte sie in diesem Fall nur, weil sie sich gedanklich immer wieder daran erinnerte, dass der Umgang ja so gewünscht war.

      So verging die Zeit wie im Flug und an so manchen Wochenenden bahnten sich die ersten morgendlichen Sonnenstrahlen ihren Weg durch die Wolken, bevor Marina erstaunt bemerkte, wie spät es schon war....
      Auch wenn es widersprüchlich klingt:
      Ihr Ego muss stark genug sein, um seine begrenzte, defensive Haltung und Kontrolle aufgeben zu können.
      Sie brauchen ein starkes Ego, um das Ego transzendieren zu können.

      - John Bradshaw, Das Kind in uns -
      Lieben Dank für eure Likes und eure Kommentare :)
      Tja, zu einigen Kommis sage ich nur.....wie das Leben eben so spielt.... :popcorn:

      Ich überlasse es eurer Fantasie, was davon Fiktion und was davon Erlebnisbericht ist... ^^
      Auch wenn es widersprüchlich klingt:
      Ihr Ego muss stark genug sein, um seine begrenzte, defensive Haltung und Kontrolle aufgeben zu können.
      Sie brauchen ein starkes Ego, um das Ego transzendieren zu können.

      - John Bradshaw, Das Kind in uns -