12.12. .★. Tahir

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      12.12. .★. Tahir

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      . ★ .— 12. Dezember —. ★ .

      ╔══════════ . ★ . ══════════╗

      Tahir

      ╚══════════ . ★ . ══════════╝

      von
      @Der Hamburger DOM

      —. ★ .—

      Tahir,
      die kleinste der heiligen Städte,
      lag wie tot in der letzten Vollmondnacht des Jahres.
      Die berühmten weißgetünchten Türme von Kloster und Tempel ragten fahl und unwirklich hinter der niedrigen, dunkelgrauen Stadtmauer auf – so wie Knochen im Steingutnapf eines Hundes.

      Endlich sahen die Augen des Schmiedes einen winzigen Lichtschein oben auf dem höchsten Tempelturm. Bald darauf hörte er weit entfernt 12 Metallschläge durch die klare Nacht, als der Türmer die Glocke schlug. 12 Uhr. Mitternacht. Der 12. des 12. war angebrochen. Jetzt würde sich im Herzen der Stadt das Klostertor öffnen und der Zug stumm in Bewegung setzen.

      Aber das konnte er nicht sehen. Nach dem Großen Brand wurde der alte Stadtschmied als Schuldiger angeprangert und gerichtet. Die neue Schmiede wurde vor die Tore der Stadt verbannt und sein Großvater damals als neuer Schmied aus dem Süden angeworben. Immerhin lag die Schmiede an der Reichsstraße, die zu Tahirs wichtigstem Tor führt. Die Hütte des Abdeckers dagegen lag auf der anderen Seite der Stadt.

      So musste der Schmied mit seiner Familie also außerhalb der Stadtmauern leben. Wobei Tahirs Mauern höchstens vor einer besseren Räuberbande Schutz boten. Aber als heilige und Reichsstadt beschützte sie nicht nur der Respekt vor den Göttern, sondern auch der Imperator persönlich. Auch wenn die Felder hier im Norden karg waren und sich in den umliegenden Bergen keine Schätze finden ließen, auch wenn Tahir dem Imperator kaum Schwerter bieten konnte und nur wenig mehr als den Ruf seines Klosters, so würde er nicht seinen Schutz und seine Gunst von einer Stadt nehmen, die solch einen Tribut entrichtet.

      Seit Stunden schon stand der Schmied an der Tür und wartete. Der Ofen war voll angeheizt, auch wenn heute Nacht nur winzige Teile zu schmieden waren. Die massiven Fensterläden der Schmiede waren etwas ausgestellt und die Tür einen guten Spalt offen, um die Ofenhitze entweichen zu lassen. Die Werkzeuge, die Ringe, der Stuhl, der Amboss – alles war schon lange vorbereitet. Auch wenn er schon drei Mal die Ehre hatte, die Beringung vornehmen zu dürfen, war er doch nervös.

      Der Zug müsste sich jetzt leise durch die dunkle Stadt bewegen. Ehrbare Bürger würden schlafen, aber der eine oder andere Bewohner würde doch neugierig durch den Spalt seiner Fensterläden lugen, um einen Blick auf dieses seltene Schauspiel zu ergattern. Und mit dem Gesehenen dann den Klatsch in der Stadt zu füttern.

      Auch der Schmied war mindestens einmal jede Woche innerhalb der Stadtmauern. Als götterfürchtiger Mann nahm er jeden Mondtag am Götterdienst im Mondtempel teil. Nach der Andacht kehrte er hin und wieder noch in eine Schankwirtschaft ein, wo bei einem Bier Nachrichten, Gerüchte und Sagen aus der Stadt und der Welt geteilt wurden. So hatte auch er die Geschichte der diesjährigen Gabe gehört. Dass sie eine heimlich Wohlgeborene sei, illegitime Tochter eines Ritters aus einem der großen Täler im Westen. Und ihre Mutter soll eine hochgewachsene Lesende gewesen sein.

      In jedem Fall bedauert er die Gabe. Majestätsbeleidigung stand in Tahir unter strenger Strafe und die Stadtwache hatte ihre Spitzel überall, aber trotzdem war Tratsch über den Imperator weit verbreitet und auch an ihm nicht vorbeigegangen. Er versuchte sich an den Text eines Spottverses zu erinnern: „... einst beliebt, jetzt beleibt ... frisst der Tiger heut' nur noch zahme Lämmer ... maßloser Hunger, nicht mehr nach Ruhm, nur mehr nach Rum – und zartem Fleisch...“

      Da sah er eine Bewegung am Mondtor. Es wird sich jetzt geöffnet haben. Der Zug wird die Reichsstraße betreten haben und legt jetzt die Viertelmeile durch die schneelose Landschaft zur Schmiede zurück. Und während sich der Anblick in den Augen des Schmiedes langsam von erahnen zu erkennen wandelte, dachte er an seine Frau. Und an seine jüngste Tochter. Wie sie bei ihrer Geburt ihr Leben gegen das ihrer Mutter tauschte. Noch in der Nacht nach diesem schrecklichsten Tag legte er eigenhändig das Neugeborene vor der Findlingspforte des Klosters ab. Wie hätte er es ohne Weib versorgen können?

      Der graue Zug war jetzt nah genug, dass die drei Reihen zu erkennen waren. Die mittlere Reihe glomm etwas heller im Vollmondlicht. Hier ging, angeführt von der höchsten Schwester, die Hohe Schwesternschaft, mit ihren weißen Hauben über den grauen Mänteln. Rechts und links davon die viel längeren Reihen der gewöhnlichen Schwestern, jede mit einem mannshohen Stock. Da die Stadtwache Tahir nach Torschluss nicht verlassen durfte wurde die Gabe auf dem kurzen Weg zur Schmiede von der gesamten Schwesternschaft eskortiert. Für die jungen Schwestern war diese Nacht eine der ganz seltenen Gelegenheiten das Kloster, ja sogar die Stadt zu verlassen. Und eine dieser grau verhüllten Gestalten müsste seine jüngste Tochter sein.

      Ein ungewohnter Gedanke. Seit der letzten Beringung vor drei Jahren hatte er kaum einmal an seine Letztgeborene gedacht. Die Götter hatten ihm ein sechstes Kind geschenkt. Und sein Weib genommen. Dafür hatte er ihnen das sechste Kind gegeben. Es war damit nicht mehr Teil seiner Familie. Während sein Erstgeborener bei ihm lernte um sein Erbe anzutreten, während die beiden jüngeren Söhne schon das Haus verlassen hatten, mussten die beiden älteren Töchter die tote Mutter ersetzen. Nachdem die Älteste letzten Sommer einen Krämer in der Stadt geheiratet hatte, führte jetzt die Mittlere alleine den Haushalt. Sie, die sie der Mutter in ihrer Jugend so ähnlich sah, würde erst heiraten können, wenn ihr ältester Bruder von der Wanderschaft zurückkehrt, seine Meisterprüfung besteht und eine Ehefrau findet. Wenn, wenn, wenn. Unter den Zwängen, den Härten und Schicksalsschlägen des Lebens hier im Norden hatte der Schmied nur selten einen Gedanken an sein jüngstes Kind verloren.

      Aber jetzt war der Zug nur noch einen guten Steinwurf entfernt. In der Mitte der mittleren Reihe war eine Gestalt ganz in weiß zu erkennen. Die Gabe. Zartes Fleisch für einen alten Tiger.
      Der Schmied öffnete die Tür ganz und trat vor die Schmiede, in die Kälte der Nacht. Gegen das orange Licht des Ofenfeuers hinter ihm zeichnete sich seine breite Statur ab, sein ergrauter Bart schimmerte im Mondlicht, seine kräftigen Hände bewegten sich unruhig. Ohne etwas zu tun, ohne Werkzeug in der Hand fühlte er sich nicht wohl. Und ein Mann der Worte war er auch nicht.

      Die höchste Schwester war jetzt nur noch wenige Meter entfernt, unter der Haube und hinter dem Schleier konnte er ihr Gesicht nur erahnen. Er verbeugte sich tief, gab dann den Weg frei, machte eine einladende Geste auf die Tür der Schmiede und sagte: „Euer Ehren...“

      Ohne dass sich ein Kopf zu ihm drehte schritt die mittlere Reihe durch die Tür. Gleichzeitig marschierten die beiden äußeren Reihen auseinander, rechts und links an der Schmiede vorbei, um einen Ring um sie und das Wohnhaus nebenan zu bilden. Der Schmied folgte beflissen hinter der letzten hohen Schwester in seine Werkstatt. Die Gabe hatte bereits auf dem Stuhl Platz genommen, um den die Hohe Schwesternschaft einen Kreis bildete. Es folgten Worte und ein kurzer Gesang in der heiligen Sprache, die er nicht verstand. In den Gesang stimmten die Schwestern draußen ein, sie umkreisten dabei langsam die Schmiede, ihre grauen Hauben und Stöcke zogen an den Fenstern vorbei.

      Doch während die gemeinen Schwestern draußen nach dem ersten Lied ein weiteres anstimmten, verteilte sich die Hohe Schwesternschaft schweigend in der Schmiede. Sie legten ihre Schleier ab, die meisten öffneten ihre Mäntel. Danach wurde der Gabe aus ihrem weißen Mantel geholfen, aus ihrem weißen Überrock, aus dem linken Stiefel und Strumpf. Ihr Unterrock wurde bis zu den Knien hochgeschoben, dann ihr linkes Bein auf den Amboss gelegt. Die höchste Schwester drehte sich zum Schmied. Ihr Gesicht, selten der Sonne ausgesetzt, war ungewöhnlich glatt für eine Frau ihres Alters. Sie schaute ihm bar jeder Regung in die Augen. Und nickte.

      Der Schmied verbeugte sich ein weiteres Mal. Er nahm den ersten Fußreif, ein silber glänzender Streifen Metall, gut zwei Finger breit, rund gebogen, aber noch nicht jetzt zum Ring geschlossen. Vorsichtig näherte er sich dem nackten Bein, behutsam schob er den Reif über den Fuß, bis über den Knöchel. Dann hakte er die Bohle ein. Von oben drückte er mit ihr auf den Reif, von unten diente der Amboss als Widerlager und mit diesem langen Hebel bog er das Metall nach und nach und durch häufige Wechsel kunstvoll zusammen, bis sich seine Enden schließlich überlappten. Er nahm das gewässerte Ziegenleder aus dem Eimer und als er es auf das junge Frauenbein legte, hörte er ein erschrockenes Einatmen hinter dem weißen Schleier. Er schob das kalte, nasse Leder zwischen Bein und Ring und zerrte es bis zur Wade hoch. Das Bein war jetzt von Fuß bis Knie geschützt. Er hob das Bein vom Amboss und zog den Ring auf die dünne Lasche des Ambosses, richtet ihn sorgfältig aus. Dann zögerte er, griff verlegen zu zwei Kerzen und murmelte zur höchsten Schwester: „Bitte verzeiht, dass meine Augen nicht mehr so stark sind, wie mein Glauben in die Götter...“. Streng blickte sie ihn an, dann die Andeutung eines Nickens.

      Den Amboss mit den Kerzen zusätzlich ausgeleuchtet, griff der Schmied mit der Zange in den Ofen, holte den ersten Niet heraus, einen kleinen Bolzen hellorange glühenden Metalls. Jetzt musste es schnell gehen: zum Ring, den Niet durch die Löcher gesteckt, den bereitliegenden kleinen Schmiedehammer gegriffen und unter dem hellen Klang der Schläge spreizte sich der Niet auf während seine Farbe dunkler wurde, schließlich war er nur noch eine rundliche Erhebung auf dem Ring, die dunkelrot glühte. Und mit einer Kelle Wasser zischend ganz abgekühlt wurde.

      Der Schmied zog den geschlossenen Ring vorsichtig von der Ambosslasche und betrachtete ihn im Licht der Kerzen. Der Niet war gut geworden. Er zog das Schutzleder unter dem Ring heraus, rieb das Frauenbein darin noch schnell mit einem sauberen Linnen trocken und trat dann zurück. Die Schwestern schlossen wieder den Kreis um die Gabe und der Schmied stand außerhalb. Sie segneten den Ring, sprachen Wörter in ihrer heiligen Sprache. Eine Phrase davon kannte der Schmied, weil sie auch auf jeder Trauung gesprochen wurde: „Was vor den Göttern geschlossen, darf der Mensch nimmer brechen.“

      Das linke Bein samt Ring wurde in Strumpf und Stiefel verhüllt, das rechte Bein freigelegt. Der Schmied griff den zweiten Fußreif, den nächsten ungeschlossenen Ring. Wieder aus dem gleichen guten Stahl. Zusammenbiegen. Eine vortreffliche Legierung, aus der sonst die Klingen von Edelleuten geschmiedet werden. Vernieten. Ein Eisen, das ein Menschenleben nicht rosten wird. Segnen.

      Nach dem Ablegen von Jacke und Hemd lag der linke Unterarm der Gabe auf dem Amboss. Als der Schmied den Handreif über ihre kleine Hand schob, merkte er, wie sie zitterte. Im Licht der Kerzen waren gut die Symbole zu erkennen, die er in schweißtreibender Arbeit kunstfertig in jeden Ring getrieben hatte: Tigerkopf und Schwert, Insignien des Imperators, die auch seinen persönlichen Besitz zieren. Sowie Sonne und Mond, Zeichen der Götter, heiligen Orten und gesegneten Personen vorbehalten. Kein einziger Mensch im Reich, der den Imperator fürchtet oder die Götter respektiert, würde einer gesegneten Gabe an den Imperator je zu nahe treten.
      „Was vor den Göttern geschlossen...“

      Das rechte Handgelenk. Der rechte Handreif. Und wie auch die anderen Eisen trug er neben den Symbolen eine weitere Zier: eine Öse. Ein kleiner, halber Ring, festgeschmiedet außen auf dem Reif. Beim Biegen musste der Schmied immer aufpassen, sie nicht zu zerdrücken. Denn diese Öse hatte eine Funktion. Und zeigte damit das wahre Wesen der Ringe, die mehr waren als nur Schmuck oder unablegbare Kennzeichnung von Besitz oder Segnung. Seit Generationen war die Sklaverei im Reich verboten. Aber alle spitzfindige Rechtsauslegung und religiöse Verbrämung konnte nicht verschleiern, dass die gesegnete Gabe eine Gefangene sein würde. Ihre Ehre, auserwählt zu sein, eine Bürde. Und ihre Ringe Fesseln, in denen sie dereinst auch beerdigt werden wird.
      „...darf der Mensch nimmer brechen.“

      Der erste Schlag des Schmiedehammers löste vom Niet des rechten Handreifs den ersten nennenswerten Funken in dieser Nacht ab. Die Gabe zuckte vor Schreck zusammen, doch den Göttern sei Dank, landete das glühende Metall auf dem gewässerten Leder, das ihre Hand ganz abdeckte, und erkaltete zischend. Der Schmied hatte keine Zeit erschrocken zu verharren, der Niet musste geschmiedet werden, solange er heiß war. Aber er war froh über die etwas längere Pause, die sich danach ergab.

      Während der Ring gesegnet wurde und die Gabe weiter enthüllt wurde, hörte der Schmied draußen die gemeinen Schwestern. Wie bei den früheren Beringungen umkreisten sie die Schmiede und sangen die Lieder in der heiligen Sprache, die der Schmied aus den Götterdiensten im Tempel kannte. Aber der Klang der Lieder war anders, was nicht nur am fehlenden Hall der Tempelhalle lag. Der Gesang war heller, da heute Nacht auch junge Schwestern unter den Sängerinnen waren. Was den Schmied plötzlich wieder an seine Letztgeborene erinnerte. Dass sie jetzt auch da draußen sein müsste, in eisiger Vollmondnacht kreist sie um ihr eigenes Geburtshaus, ohne es zu wissen. Und ihre eigene ältere Schwester wird bestimmt kein Auge zu tun, wird, trotz des Verbotes, heimlich aus dem Wohnhaus die singenden Schwestern beobachten.
      Aber jetzt musste der Schmied seine Aufmerksamkeit noch einmal ganz auf seine Arbeit richten. Bisher war alles gut verlaufen, aber seit die Astronomen den 12. des 12. als Tag der Beringung und Segnung festgelegt hatten, war ihm bewusst, dass er dieses Mal keine Zeit für Reparaturen haben wird. Morgen früh schon wird die Kutsche mit der Gabe, begleitet von drei hohen Schwestern und mit einem Dutzend bewaffneten Reitern als Eskorte, zur Reichshauptstadt aufbrechen. Eine Reise, die mit einem guten Pferd in einer Woche zu schaffen ist. Die aber, wenn erst Schnee auf den Pässen liegt, auch einen ganzen Mond dauern kann. Doch das darf nicht geschehen: Um alles in dieser Welt muss die Gabe zum Lichterfest am 24. des 12. im Palast sein.

      Der Ring aus hohen Schwestern trat jetzt wieder auseinander und gab den Blick auf die Gabe frei. Sie saß jetzt weit vornübergebeugt auf dem Stuhl, quer vor ihr der Amboss. Mit ihren Händen hielt sie sich an den Enden des Ambosses fest, ihr Hals lag in der Mitte auf ihm. „Wie auf einem Richtblock“, dachte der Schmied. Sie trug jetzt ein, für eine Schwester, undenkbar freizügiges weißes Kleid, das ihren Rücken erst unterhalb der Schulterblätter verhüllte. Schultern, Arme und ihr zarter Nacken waren unbedeckt. Wie auch ihr Kopf, ganz ohne Haube und Schleier, das dunkle Haar sorgfältig hochgesteckt, ihr Gesicht aber zeigte nach unten. Trotz des warmen Lichtes in der Schmiede wirkte ihre Haut hell, fast bleich, glatt und rein. Und trotz der Wärme in der Schmiede zitterte sie und ihr Körper bebte bei jedem Atemzug.

      Der Schmied konnte nicht weiter zögern, die höchste Schwester starrte ihn schon böse an. So holte er den letzten, den größten Ring. Schob seine Öffnung so achtsam er konnte auf den schlanken Hals. Begann ihn mit der Bohle zusammenzubiegen. Hatte dabei das Bedürfnis, das ängstliche, zitternde Wesen mit Worten oder einer Berührung zu trösten. Aber traute sich diesen Frevel unter den versammelten Augen der ganzen Hohen Schwesternschaft natürlich nicht.

      Es schien ewig zu dauern, bis der Ring perfekt geschlossen war, die beiden Löcher an seinen Enden in genauer Flucht übereinander lagen. Es widerstrebte dem Schmied, diesen reinen Körper so zu besudeln, aber er legte das nasse, streng riechende Leder auf den hellen Rücken. Die Gabe zuckte zusammen und holte in schnellen Zügen Luft. Dann zerrte er das Schutzleder unter den Ring und ihren Nacken hoch und nickte den hohen Schwestern zu. Eine der Schwestern ergriff den Kopf der Gabe und führten ihn langsam nach rechts und dann unter das flache Ende des Ambosses. Seine metallene Lasche war jetzt in ihrem Nacken. Der Schmied zog vorsichtig den unvollendeten Ring auf die Lasche, aber ein Hals war kein Bein oder Arm, er hörte wie die Gabe würgte, als der Ring auf ihren Hals drückte. Schon ihr zuliebe wollte der Schmied sich beeilen, doch er durfte jetzt keinen Fehler machen. Der Halsreif war der wichtigste Ring, mit einer Öse auf jeder Seite und den Symbolen vorne. Jede Beschädigung, jeder Kratzer, aber auch ein unförmiger Niet würde direkt den Blick des Imperators stören, wann immer er sein neues Geschenk betrachten würde.

      In 12 Tagen wird es das erste Mal sein. Das große Lichterfest zur Wintersonnenwende im Palast. Die Geschichten darüber erzählten von unzählbaren Kerzen, die alle Säle in dieser längsten Nacht hell wie am Tage erleuchten lassen. Tische, auf denen sich die Köstlichkeiten türmen. Gerüche von Gewürzen und Essenzen aus dem ganzen Reich und der ganzen Welt. Musik und Gesang, die ganze Nacht hindurch. Gesandtschaften in edlen Gewändern aus allen Provinzen des Reichs und den verbündeten Ländern. Und die kostbaren Präsente, mit denen sie um die Gunst des Imperators buhlen. In zwei von drei Jahren konnte Tahir bei diesem Spiel nicht glänzen. Aber dieses war ein drittes Jahr. Selbst unter all diesen königlichen Geschenken wird die gesegnete Gabe aus der kleinen Stadt im kargen Norden herausstechen. Doch dafür musste sie makellos sein. Der glühende Niet ließ sich problemlos in das Loch stecken – das war schon die halbe Miete und ein gutes Omen. Der Schmied griff seinen Hammer, vergaß jetzt alle anderen Gedanken, hatte keinen Blick mehr für den zitternden Körper, der sich unter ihm verkrampfte. Und mit nur 12 Metallschlägen verschloss er den Ring.

      Als er den Niet mit einer Kelle Wasser kühlte, erschrak sich die Gabe und zuckte zurück, sie richtete ihren Oberkörper auf und einen Blick lang sah der Schmied im Kerzenlicht in die angstgroßen, dunklen Augen einer jungen Frau, fast noch ein Mädchen, da hatte die höchste Schwester auch schon einen Befehl gerufen und die Schwestern umringten die Gabe, während der Schmied erschrocken zurückwich. Abseits wartete er, während der letzte Ring gesegnet wurde und die Schwestern die Gabe wieder ankleideten.

      Ohne ein Wort an ihn verließ die Hohe Schwesternschaft nach diesem peinlichen Vorfall fast schon hastig die Schmiede, in ihrer Mitte wieder die Gabe, ganz in reinem Weiß. Draußen, im kalten Vollmondlicht, formierten sich auf beiden Seiten ihrer Reihe noch zwei weitere Reihen mit den gemeinen Schwestern und, jetzt wieder stumm, setzte sich der Zug in Bewegung, zum Mondtor hin, auf Tahirs fahle, berühmte Silhouette zu.

      Der Schmied stand in der Tür und schaute ihnen verzweifelt nach.

      Im Kloster angekommen wird die Gabe gewaschen und gesalbt, danach in einer geheimen Zeremonie im Tempel geweiht und gesegnet. Und als gesegnete Gabe dann im Morgengrauen ihre Reise antreten. Ein weiteres zartes Lamm für einen dicken, alten Tiger. Ein weiteres, zum Gehorsam erzogenes Mädchen für einen herrischen, maßlosen Mann, dem sie jeden Dienst leisten, jeden Wunsch, jedes Gelüst erfüllen wird.
      Weil es eine Ehre ist.
      Weil es der Wille der Götter ist.
      Weil sie es für die ganze Schwesternschaft tut.
      Weil sie es für ganz Tahir tut.
      Weil es eine Ehre ist.
      Aber sie war keine Wohlgeborene, Spross eines Ritters aus dem Westen.
      Er hatte die Ähnlichkeit gesehen.
      Sie war seine jüngste Tochter.


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      Bitte liked jedoch nicht diesen Beitrag, da er nicht vom Autor eingestellt wurde, sondern im Rahmen des Geschichtenadventskalenders. Der Autor wird, sofern er es möchte, zeitnah hier eine Antwort posten. Diese dann bitte liken, so dass eure Likes auch bei ihm ankommen.
      Ganz ehrlich?
      Ich musste die Geschichte erst mal sacken lassen.
      Ich wusste sie heute Morgen nicht einzusortieren. Habe mich gefreut, beschwingt in den Tag zu starten...und fühlte mich dann eher bedrückt, traurig...

      Trotzdem danke ich Dir dafür...
      Die Kunst eines Geschichtenerzählers besteht ja darin, den Leser abzuholen, ihn zu berühren.

      Das ist Dir definitiv gelungen. :blumen:
      Ich würde gern mehr über Tahir, seine Geschichte und seine Menschen erfahren.... ich mag das Düstere, Nachdenkliche. Und ich könnte mir vorstellen, dass es noch viel mehr über diese Welt zu erzählen gibt. Irgendwie erinnert es mich an die älteren Deverry-Bücher von Catherine Kerr, nur „erwachsener“.
      „and because you want it, too.“
      „I do“, I whisper. „Never… then … never while“. „I know.“ he says

      Elisabeth McNeill

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Poetin ()

      Sternenglanz schrieb:

      Ganz ehrlich?
      Ich musste die Geschichte erst mal sacken lassen.
      Ich wusste sie heute Morgen nicht einzusortieren. Habe mich gefreut, beschwingt in den Tag zu starten...und fühlte mich dann eher bedrückt, traurig...

      Trotzdem danke ich Dir dafür...
      Die Kunst eines Geschichtenerzählers besteht ja darin, den Leser abzuholen, ihn zu berühren.
      (...)
      Ich finde es selber schade, dass es keine positvere Geschichte geworden ist. Ich hab mich mit dem Thema BDSM + Weihnachten schwer getan, weil letzteres ein erklärtes Famileinfest für mich ist und mit ersterem (noch) wenig zu tun hat. Dann hab ich die Augen geschlossen, an die letzte Vollmondnacht vor Weihnachten gedacht, an das Weihnachtsfest und seine Wurzeln in vorchristlicher Zeit - und es erschien das Bild einer mittelalterlichen Stadt in fahler Winternacht. Daraus entwickelte sich ein Gefühl und eine Story. Über die Härte des Winters in einer Zeit ohne Zentralheizung, elektrisches Licht und ständig gefüllten Supermärkten. Über eine Zeit, die viel keuscher und gläubiger und unfreier war, bei der Gesetze und Gebote aber aus purer Not gebogen wurden - und einige über ihnen standen. Und vielleicht steckt unterbewusst sogar etwas (Konsum-)Kritik am Zwang zum Schenken drin.
      Da ich (zu Recht) vermutet habe, dass der Adventskalender bunt gefüllt ist, grade auch mit lustigen und lustvollen Geschichten, fand ich, dass etwas Dunkelheit erträglich sein müsste und hab diese düstere Geschichte, die sich in meinem Kopf über Woche geformt hat, aufgeschrieben - und weil auf den letzten Drücker hatte ich auch keine Alternative mehr.
      Als Trost kann ich nur anbieten, dass wir heute leben - trotz aller Probleme zur einer der besten Zeiten und an einer der besten Orte der bisherigen Menschheitsgeschichte.


      Poetin schrieb:

      Ich würde gern mehr über Tahir, seine Geschichte und seine Menschen erfahren.... ich mag das Düstere, Nachdenkliche. Und ich könnte mir vorstellen, dass es noch viel mehr über diese Welt zu erzählen gibt. Irgendwie erinnert es mich an die älteren Deverry-Bücher von Catherine Kerr, nur „erwachsener“.
      Für mich ist die Geschichte leider vorerst auserzählt. Und die nächsten Geschichten werden bestimmt wieder etwas ganz anders. Aber vielleicht werde wir nach Tahir zurückkehren. Vielleicht im nächsten Winter.

      LG aus der Vollmondnacht
      Frank
      Deine Geschichte hat mich sehr berührt und auch nachdenklich gemacht.
      Danke für den Einblick in diese so andere Welt und danke, dass du bei aller Vorfreude und Weihnachtsrummel auch die dunklen Schatten und düsteren Gedanken in mir hervor gekitzelt hast :blumen:
      Du gibst meinem Suchen ein Finden, meiner Liebe schenkst du fruchtbaren Boden, meinen Ungehorsam bezwingst du mit Güte, mein Lachen findet sich wieder in deinen Augen, und meiner Sehnsucht, Herr, gibst du Heimat.
      Verspätet, aber nun doch endlich gelesen. Ich dachte erst, eine Geschichte aus dem Morgenland, dann: das klingt nach Gor! Aber als die Abschaffung der Sklaverei erwähnt wurde schied das auch aus. Aber der Stil, die Stimmung, die Andeutung von Historie, der Weite des Landes, Tiefe und Alter der Kultur, ist ähnlich und hat mir sehr gefallen! Das Thema der zeremoniellen Versklavung mit dem anschmieden der Ringe, für immer... rrrr ... fand ich sehr anregend. Traurig? Ich würde eher sagen intensiv. Es ist ja eine Geschichte aus einer anderen Welt, einer anderen Zeit. Ich fand sie sehr gut :D :D

      PS: ich hab mich ebenfalls schwer getan BDSM und Weihnachten unter einen Hut zu bringen aus den selben Gründen wie du :pardon: