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      Hoffentlich die Richtige Sparte. Da es nicht wirklich eine BDSM Geschichte ist und sich tatsächlich so, oder so ähnlich zugetragen hat, fühlte sich der Blog hierfür richtig an ...

      Mit einem zittrigen Gefühl, das ich zunächst auf die Kälte schiebe, halte ich vor der verglasten Fassade inne.
      „Mach schon, mir ist kalt!“, murmelt eine meiner beiden Begleiterinnen in ihren Schal.
      Ich will nicht als erstes rein gehen, schießt es mir durch den Kopf.
      Und dass, obwohl ich eigentlich nicht zu der Sorte Mensch gehöre, die es unangenehm finden, wenn Blicke auf einen gerichtet sind.
      Stickige, mit Qualm durchzogene Luft schlägt uns entgegen, als ich die Tür aufdrücke und wir nacheinander ins Café drängen.

      Und da sitzt Du. Auf demselben Platz wie letztes Mal.

      „Wo wollen wir sitzen?“, fragt es dicht hinter mir, doch mein Kopf ist wie in Watte gepackt. Der vierer Tisch neben Dir ist frei, wir bewegen uns auf Dich zu und Du hebst den Blick. Mein Herz beginnt laut zu klopfen und ich fürchte fast, Du hörst es. In meinen Ohren jedenfalls übertönt es das hier herrschende Gemurmel und das klappernde Geschirr. Diesmal hast Du keine Kopfhörer im Ohr. Du liest ein Buch, die Aktentasche steht auf dem Stuhl neben Dir und ist wie beim letzten Mal Deine einzige Gesellschaft.

      „Hi“ sagst Du, als wir Deinen Sitzplatz passieren. Ich lächle.

      Die Mädels hinter mir plappern munter vor sich hin, Deinen leisen Gruß hat keine von ihnen wahrgenommen.
      Sie setzen sich auf die Stühle, die Bank gegenüber ist noch frei. Ich schäle mich aus meiner Jacke und rutsche auf die Bank.

      Uns trennen sechzig Zentimeter.

      Mir wird heiß. Wieder schiebe ich es auf die Temperatur.
      „Warm hier, nicht?“, wende ich mich an meine Freundinnen. Sie nicken knapp und ich greife meinen dicken Winterpullover, um ihn auszuziehen.

      Du starrst mich an.

      Ich trage zwei Rollkragenpullover übereinander, aber schlagartig fühle ich mich nackt. Als ich die obere Schicht abgelegt habe, geht es mir hitzetechnisch etwas besser, die Spannung in der Luft hat es allerdings verstärkt. Ich drehe Dir den Rücken zu und bin dankbar, als die Bedienung kommt und wir unsere Bestellung aufgeben können.

      Rückblickend hätte ich wohl besser ein Glas Wasser, statt des Kaffees getrunken. Zappelig war ich ohnehin schon genug.
      Wir plaudern über Belangloses. Freundin A, mit der ich letztes Mal schon hier gesessen habe, als Du da warst, wirft mir einen prüfenden Blick zu.
      Ich lächle bloß, wissend dass sie peinliche Gesprächsthemen meiden wird und bin darüber überaus dankbar.
      Acht Jahre ist es her und das hört sich nach so unfassbar viel Zeit an, dabei bin ich selbst gerade einmal Mitte zwanzig.

      Du bist verheiratet.

      Seit knapp drei Monaten. So viel Zeit ist vergangen, so viel hat sich verändert.

      Du ebenfalls.

      Ich hatte Dich acht Jahre lang nicht gesehen. Du studierst jetzt, soweit ich weiß. Ob stolz das richtige Wort ist? Ganz egal, ich bin es.

      Gut siehst Du aus.

      Das habe ich letztes Mal schon festgestellt. Die langen Haare geben Dir etwas Wildes, Verwegenes.

      Ist dies das einzige Wilde an Dir?

      Dein Tattoo hast Du jedenfalls noch, daran habe ich Dich das Mal zuvor schon erkannt. Es blitzte fast unwirklich unter Deinem weißen Poloshirt hervor.
      Ich blicke vorsichtig über meine Schulter, Du scheinst in Dein Buch vertieft zu sein, aber Deine Hände zittern. Zu viel Kaffee? Ah, der Kaffee kommt, Du schaust hoch und ertappst mich beim Starren. Ich nehme meinen Cappuccino entgegen und versuche mich auf meine Begleiterinnen zu konzentrieren.
      Für eine Weile klappt es, dann schweife ich wieder ab zu Dir.

      Freundin B meint nach einiger Zeit, dass sie nach dieser Zigarette möglichst bald gehen möchte. Freundin A stimmt zu und beide zünden ihre Kippen an. Was soll ich tun? Bleiben? Ich habe alles zum Lernen mit. Aber kann ich das? Kann ich mich konzentrieren mit Dir direkt neben mir?
      Ein Blick auf die schrumpfenden Zigaretten meiner Freundinnen sagt mir, ich muss mich mit dem Entscheiden beeilen. Der Kellner kommt und ich bestelle noch einen Cappuccino, der besser ein Wasser gewesen wäre. Freundin A zieht ihre linke Augenbraue in die Höhe „bleibst du noch?“, will sie wissen. Ich bejahe das und meine, dass ich meine Sachen zum Lernen dabeihabe.
      Als beide Kippenstummel im Aschenbecher gelandet, die Mädchen in ihre Jacken geschlüpft sind und Freundin B mir noch eben fünf Euro zusteckt, damit ich später ihren Tee zahle, bin ich allein.

      Allein mit Dir neben mir.

      Ich packe meinen Laptop aus, den Block, die halbfertigen Karteikarten und krame verzweifelt nach meinem Mäppchen. Ich vergesse äußerst selten etwas und ausgerechnet heute fehlt mir eines meiner wichtigsten Werkzeuge. Als der Kellner an meinem Tisch vorbeikommt, frage ich höflich nach einem Kugelschreiber. Er will mir einen organisieren, doch gerade füllt sich das Café.

      Ich blicke zu Dir.

      Du bist noch immer in dein Buch vertieft. Ich räuspere mich zaghaft, lege etwas Kraft in meine Stimme und wende mich an Dich:
      „Hey, Du hast nicht zufällig einen Stift für mich? Ich habe meinen vergessen.“
      Du legst dein Buch beiseite.

      „Was für einen Stift brauchst du denn?“

      „Ganz egal.“

      Du greifst in deine Aktentasche und holst eine Metalldose hervor.

      „Einen Kugelschreiber?“

      Deine Stimme zittert. Also bin ich nicht die einzige, der das hier zu schaffen macht …

      „Perfekt, danke sehr!“

      Du lächelst und klemmst die Nase wieder zwischen die Buchseiten. Frankfurter Allgemeine steht auf dem Kugelschreiber. Ob Du wohl Zeitung liest? Dein damaliges Ich hätte das bestimmt nicht.

      Mein Handybildschirm leuchtet auf. Er schreibt mir: „Na Babe, klappt das mit dem Lernen?“ Ich sende ein Foto von meinem Cappuccino und dem Chaos auf meinem Tisch. Der Kugelschreiber ist nicht mit auf dem Bild. Ein Daumen hoch kommt zurück und ich verstaue mein Smartphone in der Tasche.
      Als ich mich daran machen möchte, die Karteikarten mit Deinem Stift zu beschriften, gleitet mir ein Stoß durch die Finger und verteilt sich auf dem Boden unter meiner Bank. Ich fluche leise und mache mich daran, sie aufzuheben. Durch meinen dichten Haarvorhang sehe ich, dass Du elegante braune Lederschuhe trägst.

      Schuhe …

      Deine Schuhe ganz nah neben meinem Kopf.

      Ich versuche mich aufs Lernen zu konzentrieren und erstaunlicherweise funktioniert das ganz gut. Dein Stift schreibt hervorragend. Ich bin motiviert alle Lernkarten heute noch fertigzustellen. Ich gebe zu, ein bisschen möchte ich auch fleißig auf Dich wirken.
      Die Atmosphäre um uns herum verändert sich stetig. Menschen kommen und gehen, aber wir sitzen hier. Du mit Deinem Buch und ich mit meinen Karten.
      Nach knapp zwei Stunden bin ich fertig mit Schreiben. Ich blicke Dich an und Du schaust zurück. Es ist beinahe zum Ritual geworden, seit wir hier sitzen. Ich strecke Dir den Stift entgegen und sage „Dankeschön.“

      Zu mehr bin ich nicht in der Lage. Das ist aber in Ordnung, denn Du bist es auch nicht. Worüber sollten wir auch reden? Damals wurde alles gesagt. Zudem bist Du verheiratet, ich bin glücklich vergeben.

      Und doch ist da dieses Knistern.

      Es ist jetzt siebzehn Uhr. Du packst Deine Sachen zusammen.
      Ich bin nicht bereit für einen Abschied.
      Wir saßen nun seit etwa vier Stunden schweigend nebeneinander, haben kaum ein Wort gewechselt und ich möchte nicht, dass Du gehst.

      „Mach’s gut.“ Sagst Du noch.

      Dann gehst Du vor an den Tresen, zahlst und verschwindest.

      Mir schießen zwei Gedanken durch den Kopf.

      Erstens, Dein Grauer Mantel würde im Kleiderschrank neben meinem Braunen Mantel hervorragend aussehen.

      Zweitens, hast Du Dich vielleicht mittlerweile so sehr verändert, dass Du mir heute weh tun könntest?
      Du mir das Geben könntest, wonach ich mich damals, wie heute so sehr verzehre?

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Esmeralda ()

      Liebe Esmeralda,

      danke für diese wunderschöne Geschichte. Sie transportiert so viel Gefühl, dass man darin eintauchen kann. Mal abgesehen von dem Inhalt, finde ich deine Sprache unglaublich schön. Du schaffst es, damit ganz viel zu transportieren. Und ich versichere Dir, es kommt an. :)
      "Ama et fac quod vis!" Augustinus

      Wenn jemand zu dir sagt, das geht nicht,
      dann sind das seine Grenzen - nicht deine.