Kritik der reinen Unvernunft

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

      Kritik der reinen Unvernunft

      Philosophie und BDSM. Geht das zusammen? Dies ist schon die erste Frage, die sich mir stellt. Es geht hier nicht darum ob Kant oder Hegel Recht hatte. Aber ich finde auch DOMs und Subs sollten selbst reflektierte Wesen sein. Ich möchte zur Diskussion anregen, was beschäftigt euch? Wie lautet die Prämisse eures Selbstverständnisses? Seht ihr größere Zusammenhänge, die es Wert sind, den anderen Mitzuteilen?

      Um mal den Anfang mit einer provokanten These zu machen:
      Ich glaube nicht an den „Freien Willen“, er wird uns vom Unterbewusstsein nur vorgegaukelt. Das Unterbewusstsein hat schon längst die Entscheidung getroffen bevor wir uns „Bewusst“ entscheiden.
      Ich bin der Meinung, niemand hat sich bewusst für BDSM entschieden.

      Wer möchte mir widersprechen?


      Natürlich ist mir Bewusst (Unterbewußt), dass dieser Post ein einsames Dasein fristen wird.

      Also überrascht mich, indem ihr Antwortet welches eure Gedanken zum „Großen und Ganzen“ sind.



      PS: Ach so, noch etwas. Kritik ist nicht immer nur eine negative oder positive Wertung in der Philosophie sondern oftmals eine Analyse des Hinterfragten.
      Ich weis nicht, was ich Geistreiches hier euch mitgeben könnte.
      - Vielleicht carpe noctem ?
      Interessante Fragestellung :blumen:

      Ich bin der Ansicht, dass jeder Mensch sich selbst reflektiert. Die einen mehr, die anderen weniger.

      Je mehr man sich mit sich selbst, seinen Wünschen, seinem bisherigen Leben, seinen (gemachten) Fehlern, seinen Erfolgen usw. beschäftigt, desto eher sieht man auch die eigenen Fortschritte. Im BDSM kann das vieles bedeuten: Fortschritte in der Neigung, in der Akzeptanz, in der Beziehung. Auch ein Schritt zurück muss nicht zwangsläufig negativ sein. Dieser Schritt kann den Blick weiten und man sieht auch Dinge am Rande, die man vorher übersehen hat, weil man zu sehr auf einen bestimmten Punkt fokussiert war.

      Was den freien Willen im Rahmen von BDSM angeht ist das aus meiner Sicht eine Neigung, die einfach da ist. Man kann sie (ver)leugnen, man kann sie annehmen, aber man kann sich nicht bewußt dafür entscheiden Sub, Dom oder Switcher zu sein. Es ist wie mit so vielen Wesenszügen, die den jeweiligen Menschen ausmachen: man kann aus einem Introvertieren Menschen keinen Patylöwen machen und ein extrovertierter Mensch geht ein, wenn er im stillen Kämmerlein sitzt.

      Philosophie, die Liebe zur Weisheit und zum Wissen. Auch im BDSM macht das Philosophieren Sinn (und mir z.B. auch Spaß): Den gegangenen Weg nochmal geistig nachzuverfolgen um zu verstehen, warum man an dem Punkt steht, an dem man gerade steht. Von diesem Punkt kann man sogar ein wenig in die Zukunft sehen. Nicht, um sie bis ins kleinste Detail zu planen - das geht eh schief -, sondern um selbst nicht stillzustehen. Leben ist immer auch Bewegung...
      Wenn die Liebe dir winkt, folge ihr, sind ihre Wege auch schwer und steil. (Khalil Gibran)

      Was ist Liebe? Eine Hütte nicht gegen einen Palast tauschen wollen, Untugenden und Fehler lächelnd übersehen, Hingabe ohne geringstes Zögern. (Aus China)

      BDSM ist nicht das geschenkte MacBook oder der Luftballon in Hubschrauberform. (Rainha)

      Rainha schrieb:



      Was den freien Willen im Rahmen von BDSM angeht ist das aus meiner Sicht eine Neigung, die einfach da ist. Man kann sie (ver)leugnen, man kann sie annehmen, aber man kann sich nicht bewußt dafür entscheiden Sub, Dom oder Switcher zu sein.
      Ich stimme dir zu. Die Neigung ist halt da. Manchen ist sie bewusst, in Manchen schlummert sie unbewusst. Manche nehmen sie an, manche verleugnen sie, manche wissen gar nichts von ihr, in manchen muss sie sich entwickeln und an die Oberfläche gelangen.


      Beim Ausleben dieser Neigung, ist je nach Lebenssituation schon eine bewusste Entscheidung notwendig.

      Wenn ich beispielsweise in einer Partnerschaft lebe, wo mein Partner mit BDSM nichts anfangen kann, dann ist es meine bewusste Entscheidung, mein BDSM mit einem Spielpartner eben trotzdem auslzuleben oder es eben nicht auszuleben, um vielleicht die Partnerschaft nicht zu gefährden.

      Diese Entscheidung wird in meinen Augen bewusst getroffen. Ich wäge ab und überlege, ob ich meinen Partner mit meinem Wunsch konfrontiere, welche Konsequenzen dies hat oder haben könnte, ob die Partnerschaft das aushält oder eben auch wie wichtig mir das Ausleben meiner Neigung ist und ob ich meine Neigung vielleicht lieber zu Gunsten meiner Partnerschaft unterdrücke.
      It´s the blackness of the night
      teaches us how to see the light
      Ich stelle die Frage in den Raum: was ist das Unterbewusste? Ist es die Instanz, die das Überleben sichert? Ist es die Instanz, die zum größtmöglichen Glück strebt?

      Mir fehlt in Deiner Frage der Zusammenhang zum BDSM. Du hast ihn zwar an den Anfang Deines Posts gesetzt, der Rest des Beitrags ist allerdings allgemeines Philosophieren.

      Ich bin der Ansicht, es gibt den freien Willen. Anders kann ich mir beispielsweise eine erfolgreiche Suchttherapie nicht erklären. Es gibt Gründe dafür, eine Sucht zu entwickeln, diese sind sicherlich nicht dem freien Willen geschuldet. Einer Sucht aber den Kampf anzusagen und diesen zu bestreiten, hier zeigt sich für mich der freie Wille.

      Auch im BDSM gibt es den freien Willen. Nicht dahingehend, welche Neigung ich habe, aber dahingehend, ob und wie ich sie auslebe. Für mich bedeutet der freie Wille, auf - vermeintlich - unabänderliche Gegebenheiten auf seine eigene Weise zu reagieren. Der eine verleugnet die Neigung, um seine Ehe nicht zu gefährden, der nächste wirft für eine Geliebte alles über Bord und steht eine Woche später vor dem Nichts.

      Klar, jetzt lässt sich darüber diskutieren, ob diese Reaktionen auf das Entdecken der eigenen Neigung tatsächlich feier Wille sind oder nicht eher Reaktionen auf Erziehung, Sozialisation etc. Da aber selbst eineiige Zwillinge sich unterschiedlich entwickeln, unter oft sehr, sehr ähnlichen Bedingungen, bin ich geneigt, dies dem freien Willen zuzuschreiben :). Widerlege mich.
      Ich bin bei dir; du seist auch noch so ferne, Du bist mir nah! Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne. O, wärst du da! <3
      Johann Wolfgang von Goethe

      Und Trost ist nicht, da du mein Trost gewesen; Und Rat ist nicht, da du mein Rat gewesen; Und Schutz ist nicht, da du mein Schutz gewesen; Und Liebe nicht, da ich um deinetwillen; Die Welt geliebt. <3
      Marie Luise Kaschnitz

      blasius schrieb:

      Um mal den Anfang mit einer provokanten These zu machen:Ich glaube nicht an den „Freien Willen“, er wird uns vom Unterbewusstsein nur vorgegaukelt. Das Unterbewusstsein hat schon längst die Entscheidung getroffen bevor wir uns „Bewusst“ entscheiden.
      Halte ich ehrlich gesagt für banal und nicht besonders provokant.

      Letzten Endes ist es völlig egal:

      Nehmen wir mal an, alles wäre strikt deterministisch, d.h. seit dem Urknall ist klar, wie sich alles entwickeln wird, weil immer alles durch vorherige Aktionen bestimmt wird, inklusive dem menschlichen Gehirn.

      Ändert das was? Nein, absolut nicht, denn auf uns wirkt es ja trotzdem so, als hätten wir einen freien Willen. Was also sollte sich ändern? Sollen wir uns etwas ENTSCHEIDEN, anders zu handeln deswegen? Durchaus möglich, aber in dem Moment, wo du dich für eine andere Handlung entscheidest, weil du glaubst, keinen freien Willen zu haben, implizierst du ja automatisch einen freien Willen, sonst könntest du dich ja gar nicht entscheiden.

      Anders gesagt, egal was du tust und glaubst, du lebst und handelst so, als hättest du einen freien Willen, völlig ungeachtet dessen, ob dieser tatsächlich existiert. Rein pragmatisch also macht es Sinn, davon auszugehen, dass der freie Wille existiert, weil eh alle so leben als ob, selbst wen es gar nicht stimmen würde.

      Und ja, kaum jemand entscheidet sich bewußt für Lieblings-Sex-Praktiken oder bevorzugte Beziehungs-Konstellationen, das ist fast immer unbewußt. Man kann sich aber entscheiden, etwas NICHT zu tun, obwohl man es wollte, auch BDSM. Nur andersrum ist es unwahrscheinlicher, wieso sollte man sich für BDSM entscheiden, wenn man es gar nicht mag?
      Tolle Frage!

      Meine Meinung ist, dass es das Unterbewusstsein nicht ohne das Bewusstsein geben kann. Man muss sich bewusst sein, was man möchte und was nicht. Daher ist man sich bewusst darüber, welche Sex Praktiken jeder einzelne leben möchte.

      Jetzt mal aus der Psychologie heraus, Unterbewusst sind oft Neurosen oder Zwänge, die jemand nicht steuern kann,zb Borderlinestörungen. Diese Menschen haben keinen freien Willen, sie MÜSSEN sich ritzen, damit sie eine Erleichterung verspüren können. Natürlich machen sie dies bewusst, aber das Unterbewusstsein sagt Ihnen, dass sie diese Handlung durch führen müssen.

      Ich hoffe ihr könnt mich verstehen.

      Ich wünsche euch einen schönen Samstag und passt alle gut auf euch auf.

      Euer Reh

      blasius schrieb:

      Ich glaube nicht an den „Freien Willen“, er wird uns vom Unterbewusstsein nur vorgegaukelt. Das Unterbewusstsein hat schon längst die Entscheidung getroffen bevor wir uns „Bewusst“ entscheiden.
      Provokant ist daran nichts... als Teenager hat sich in mir die Überzeugung entwickelt, dass jede Entscheidung auf den Faktoren Erfahrung und genetische Veranlagungen beruhen... was zur Folge hat, dass ich mich in exakt der gleichen Situation mit den exakt gleichen Erfahrungen und den exakt gleichen genetischen Veranlagungen immer exakt gleich entscheiden würde. Später fand ich heraus, dass ich damit ein Determinist bin, wobei ich dieses Wort zum ersten Mal im Studium hörte. Wenn nun nicht nur meine Entscheidungen so ablaufen sondern eben alle Entscheidungen von Lebewesen und der Rest der Welt der logischen Folge von Aktion und Reaktion unterliegt, dann ist vom Urknall bis zum Ende aller Materie alles vorherbestimmt. Auch wenn ich damit die Schuld verneine bin ich für die Strafe, das würde aber hier zu weit führen und weitere Auführungen zu dieser Überzeugung würden hier wohl den Rahmen sprengen. Jedoch verneint nicht jeder Determinist die Freiheit des Willens. Unter den Deterministen gibt es jene die den Kompatibilismus propogieren und eben jene die meinen der Inkompatibilismus wäre korrekt. Ich für meinen Teil genieße die Illusion des freien Willens :)
      "Es ist gleich willkürlich, ob man den Leuten sagt: ihr sollt nicht frei, oder: ihr sollt und müsst gerade auf diese und keine andere Weise frei sein." Joseph von Eichendorff

      blasius schrieb:

      Philosophie und BDSM. Geht das zusammen?
      Wieso nicht, sofern der andere Part sie versteht.


      blasius schrieb:

      Ich möchte zur Diskussion anregen, was beschäftigt euch?
      Vieles im Leben.


      blasius schrieb:

      Wie lautet die Prämisse eures Selbstverständnisses?
      Ich muss mich erst selbst verstehen um andere verstehen zu können.


      blasius schrieb:

      Seht ihr größere Zusammenhänge, die es Wert sind, den anderen Mitzuteilen?
      Das hängt von anderen ab, ob Sie sich überhaupt damit beschäftigen wollen.


      blasius schrieb:

      Ich glaube nicht an den „Freien Willen“, er wird uns vom Unterbewusstsein nur vorgegaukelt. Das Unterbewusstsein hat schon längst die Entscheidung getroffen bevor wir uns „Bewusst“ entscheiden.
      Ich bin der Meinung, niemand hat sich bewusst für BDSM entschieden.

      Wer möchte mir widersprechen?
      Widerspruch ! Einwende. Da der freie Wille auf mich als Person bezogen ist, ist er insofern Frei, da er durch mein Unterbewusstsein bestimmt ist.
      Ich hörte Sie sagen, die Macht ist mit dir !

      blasius schrieb:

      Ich bin der Meinung, niemand hat sich bewusst für BDSM entschieden.

      Wer möchte mir widersprechen?
      nun...die Neigung ist einem meiner Meinung nach in die Wiege gelegt. Ob ich sie zulassen will/kann/muss........das hängt von ganz vielen Faktoren ab.

      Und ich wähle meistens frei aus den vorhandenen aus.......
      An den Kreuzungen des Lebens stehen leider keine Wegweiser.
      Okay, ich muss zugeben, ihr habt mich wirklich überrascht.

      Mit dieser Fülle an Meinungen in großer Zahl habe ich nicht gerechnet. Es bestätigt aber meine Meinung, dass die Mitglieder dieses Forums sehr wohl über sich und die Welt nachdenken, sich hinterfragen und zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

      Da ihr mich mit euren Meinungen "überollt" habt, bitte ich um etwas Geduld eine hinreichend Antwort darauf zu verfassen.

      Herzlichen Dank, für die aktive Teilnahme an diesen Thread.
      Ich weis nicht, was ich Geistreiches hier euch mitgeben könnte.
      - Vielleicht carpe noctem ?
      Mein persönliches Problem ist übrigens, dass ich keine wirklich zufriedenstellende Definition von "freier Wille" kenne bislang:

      Determinismus klingt ja gut, aber Quantenphysik scheint da nen Strich durch die Rechnung zu machen, d.h. wir können auch problemlos von einem inherenten Zufallsfaktor ausgehen. Ist aber letzten Endes auch völlig egal:

      Denn natürlich ist der Zufallsfaktor keine wirklich sinnvolle Grundlage für einen freien Willen: Nehmen wir an, es gäbe einen wirklich zufälligen Münzwurf, das macht die Münze längst nicht zum Besitzer eines freien Willen. Und genauso, wenn die Entscheidungen eines Menschen (auch) vom Zufall abhingen, bedeutet das ja eben eher das Gegenteil von freiem Willen, Zufall eben.
      Andersum schließt natürlich auch der Determinsmus den freien Willen irgendwie aus. Wenn alles vorherbestimmt ist, was ist am Willen noch "frei"?

      Was ist also freier Wille? Die Möglichkeit, dass wir in jeder Situation anders handeln könnten? Woher wissen wir das? Wie stellt man sowas fest? Und selbst wenn es so ist, wovon hängt die Entscheidung ab, wie wir handeln? Sind wir da wieder beim Zufall? Oder woher kommt sie?

      Rein persönlich habe ich da noch keinen zufriedenstellenden "Faktor" gefunden, der sich als (Grundlage des) "freier Wille" eignet. Determinismus vs. Zufall ist ja einfach, aber keine der beiden Möglichkeiten bringt da den freien Willen mit ins Spiel, im Gegenteil, beide scheinen ihn für mich eher effektiv zu verhindern - aber beide lassen natürlich die Illusion des freien Willens zu. Und da bin ich gerade: Ich glaube (derzeit) nicht an den freien Willen, aber ich sehe natürlich, dass wir so leben (müssen, wir können gar nicht anders) als gebe es diesen. Ich würde das mal plakativ als "Paradox des freien Willens" bezeichnen: Selbst wenn der freie Wille nicht existiert, macht das in der Realität keinen Unterschied, weil alle so leben und handeln (müssen) als gäbe es ihn.
      Nun muss ich doch gleich Antworten. @Kleanthes hat vieles worauf ich hinaus wollte vorweg genommen.
      Auf die Gefahr hin, dass ich den Thread selbst etwas OT stelle juckt es mich in den Fingern sofort eine Antwort zu verfassen.

      Determinismus ist wohl nicht die Grundlage, wie es noch vor nicht allzu langer Zeit angenommen wurde. Selbst Einstein weigerte sich, den Zufall ins Spiel zu bringen. Zitat: "Gott würfelt nicht!"
      Die Wissenschaft hat danach sehr wohl gezeigt, dass Gott ein großer Zocker ist. Auch Feynmanns Erklärung, es sei "Die Summe über alle Geschichten" ist nicht wirklich Praktikabel.

      Der freie Wille ist ein Paradoxon. Macht uns das zum Sklaven des Undenkbaren? In der Realität macht es keinen Unterschied. Richtig, aber müssen wir uns damit abfinden?

      Ist es dem menschlichen Geist zuzumuten, dass seine Neugier nicht befriedigt wird? Das klingt mir zu einfach.

      Viele Wissenschaftler haben auf die Frage "Was war vor dem Urknall?" geantwortet, dass dies eine unzulässige Frage sei, weil die Zeit erst mit dem Universum "ausgefroren" ist. Ergo gäbe es kein Vorher. Das ist unbefriedigend und wird von vielen nicht akzeptiert.

      Sorry für diesen Post, aber dieser Herausforderung konnte ich nicht widerstehen. Er hat nichts mehr mit BDSM zu tun. Das haben aber "grundsätzliche" Fragen an sich.

      Es soll aber nicht verhindern, dass hier über die Frage "Warum bin ich so wie ich bin?" diskutiert wird.
      Ich weis nicht, was ich Geistreiches hier euch mitgeben könnte.
      - Vielleicht carpe noctem ?

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von blasius ()

      Kleanthes schrieb:

      blasius schrieb:

      Um mal den Anfang mit einer provokanten These zu machen:Ich glaube nicht an den „Freien Willen“, er wird uns vom Unterbewusstsein nur vorgegaukelt. Das Unterbewusstsein hat schon längst die Entscheidung getroffen bevor wir uns „Bewusst“ entscheiden.
      Halte ich ehrlich gesagt für banal und nicht besonders provokant.
      Letzten Endes ist es völlig egal:

      Nehmen wir mal an, alles wäre strikt deterministisch, d.h. seit dem Urknall ist klar, wie sich alles entwickeln wird, weil immer alles durch vorherige Aktionen bestimmt wird, inklusive dem menschlichen Gehirn.

      Ändert das was? Nein, absolut nicht, denn auf uns wirkt es ja trotzdem so, als hätten wir einen freien Willen. Was also sollte sich ändern? Sollen wir uns etwas ENTSCHEIDEN, anders zu handeln deswegen? Durchaus möglich, aber in dem Moment, wo du dich für eine andere Handlung entscheidest, weil du glaubst, keinen freien Willen zu haben, implizierst du ja automatisch einen freien Willen, sonst könntest du dich ja gar nicht entscheiden.

      Anders gesagt, egal was du tust und glaubst, du lebst und handelst so, als hättest du einen freien Willen, völlig ungeachtet dessen, ob dieser tatsächlich existiert. Rein pragmatisch also macht es Sinn, davon auszugehen, dass der freie Wille existiert, weil eh alle so leben als ob, selbst wen es gar nicht stimmen würde.

      Und ja, kaum jemand entscheidet sich bewußt für Lieblings-Sex-Praktiken oder bevorzugte Beziehungs-Konstellationen, das ist fast immer unbewußt. Man kann sich aber entscheiden, etwas NICHT zu tun, obwohl man es wollte, auch BDSM. Nur andersrum ist es unwahrscheinlicher, wieso sollte man sich für BDSM entscheiden, wenn man es gar nicht mag?
      Herrlicher Beitrag. Geht sehr in meine Richtung. Gäbe es den freien Willen nicht, dann müssten wir ihn erfinden. Ich allerdings glaube zusätzlich auch noch an ihn. Die Debatten, ob es ihn gibt oder nicht und was darunter genau zu verstehen ist, habe ich seinerzeit an der Uni in etlichen philosophischen Seminaren mit großer Begeisterung jahrelang geführt. Hat mich aber irgendwann in meinem Berufsleben später ermüdet und ich habe davon abgelassen. Es ist mir irgendwie nicht mehr wichtig, zu beweisen, ob es den freien Willen gibt oder nicht. Daher provoziert mich diese Frage auch nicht. Ich glaube an ihn und für mich funktioniert das super, passt also.



      Daher werde ich zum freien Willen jetzt erst einmal nichts weiter schreiben, mich dafür, blasius, auf eine andere deiner Eingangsfragen beziehen:



      Wie lautet die Prämisse eures Selbstverständnisses?



      Ich weiß gar nicht, ob es die eine Prämisse bei mir gibt. Generell bin ich ein sehr wertebasierter Mensch mit recht klaren Leitplanken (hoher Stellenwert des menschlichen Lebens, Lieber eine ehrliche Niederlage als ein erlogener Sieg, Bayern München ist scheiße :D ). Wenn ich aber in einer ersten Annäherung etwas herausheben soll, dann ist es meine psychoanalytische Erfahrung.



      Diese hat mich gelehrt, dass das doch oftmals so achtlos hingeworfene Wort der „Entwicklung“ einen ganz neuen Stellenwert erhalten kann, wenn man sich WIRKLICH intensiv mit sich selbst beschäftigt. Und zwar nicht nur mit all den sonnigen Seiten des eigenen Gemüts, sondern vielmehr auch mit den eigenen Schattenseiten und den Ursprüngen der eigenen internalisierten Muster. Und noch schöner: Dadurch werden neue Bewertungen, neue Sichtweisen, neue Handlungen und eine besondere Form der Empathie für die Mitmenschen möglich. Dies hat mich, auch wenn es eine ganze Menge Arbeit war, schon extrem weitergebracht im Leben. Weiter als die Frage, ob der kategorische Imperativ oder der Utilitarismus als bevorzugtes Moralprinzip zu gelten haben (ich neige da eher Kant zu, aber nicht vollständig, doch der Utilitarismus überzeugt mich noch weniger).



      Fasst man den Buddhismus unter Philosophie, so hat er mich zwar ebenfalls durch ein einwöchiges Schweigeretreat in der Schweiz im Jahr 2015 sehr beeinflusst – doch heute habe ich eine sehr zwiespältige Meinung dazu. Denn viele Sutren, die ich danach gelesen habe, und überhaupt meine Auseinandersetzung damit überzeugten mich: dies kann nicht mein Weg sein. Buddha schwebt mir viel zu sehr erleuchtet über allem, so wie Senecas „Weiser“ – und solche Autoritäten, die dann aus meiner Sicht noch äußerst fragwürdig handeln (Buddha relativiert beispielsweise die Trauer einer Mutter um ihre verlorene Tochter mit dem Argument, es würden in dieser Stadt viele Menschen sterben – ist nur eines von vielen Beispielen), sind auch nix für mich. So habe ich mir nur das raus genommen, was ich für gut befand, wie zum Beispiel die Übungen zur Gelassenheit.


      Vielleicht ist meine Prämisse seit längerer Zeit einfach folgende: eine Balance zu finden, in dem mein inneres Team, meine Persönlichkeitsanteile allesamt zu ihrem Recht kommen. Und so die ganze Fülle des Daseins anzuerkennen. Viel früher glaubte ich, ich müsste besonders hart oder besonders weich oder besonders whatever sein. Aber ich bin so vieles. Manchmal auch schwach. Oder traurig. Auch als Dom. Und das ist absolut okay, ich bin ja auch ein Mensch und muss nicht mein Leben lang irgendeine Rolle spielen.



      So weit mein Rundumschlag.
      Danke für dieses Thema, als studierte Philosophin *hust* habe ich sehr oft über die Willensfreiheit nachgedacht, die Klassiker gewälzt und um Literatur zur Hirnforschung ergänzt.
      Ich habe mir manchmal nächtelang den Kopf über diese Fragen zerbrochen, bis ich irgendwo mal einen kurzen und knappen Satz las und es bei mir zustimmend "Klick!" machte:

      "Zwischen Reiz und Reaktion liegt die Freiheit."

      Zumindest bei uns Menschen.
      Das lässt sich finde ich auch auf BDSM übertragen.

      Zu den restlichen Fragen hat @Iantus das formuliert, was ich für mich auch ähnlich hätte schreiben wollen.
      “Everything has been figured out, except how to live.” (Jean-Paul Sartre)

      Iantus schrieb:

      der kategorische Imperativ
      Trifft der auf BDSM zu? Kann man wirklich verlangen, dass dieses Handeln zu einem Gesetz erhoben wird? Wie langweilig, wenn solche Normen eine Vorgabe bilden würden! Zu viel Verstand und zu wenig Gefühl, meiner Meinung nach.


      Chat.Noir schrieb:

      Literatur zur Hirnforschung
      Ich fand die Berichte von Allan Whitenack Snyder sehr aufschlussreich.


      Rainha schrieb:

      Es ist wie mit so vielen Wesenszügen, die den jeweiligen Menschen ausmachen: man kann aus einem Introvertieren Menschen keinen Patylöwen machen und ein extrovertierter Mensch geht ein, wenn er im stillen Kämmerlein sitzt.
      Medizinisch ist das möglich, wenn auch nicht wünschenswert. Operationen am Hirn wegen eines Unfalls haben aus einem gewalttätigen Menschen eine sensible und sehr kreative Persönlichkeit erschaffen, ohne es zu wollen. Dabei hatte man nur beide Gehirnhälften getrennt.

      Philosophisch gesehen bin ich ein interessierter Laie, dies soll aber niemand vom Diskutieren abhalten. Ich danke auch für die neuesten Beiträge. :thumbup:
      Ich weis nicht, was ich Geistreiches hier euch mitgeben könnte.
      - Vielleicht carpe noctem ?

      blasius schrieb:

      Iantus schrieb:

      der kategorische Imperativ
      Trifft der auf BDSM zu? Kann man wirklich verlangen, dass dieses Handeln zu einem Gesetz erhoben wird? Wie langweilig, wenn solche Normen eine Vorgabe bilden würden! Zu viel Verstand und zu wenig Gefühl, meiner Meinung nach.
      Für mein Leben hat der KI durchaus Wert. Und somit auch für mein BDSM. Wie sagte es einmal meine Philosophie-Professorin? "In einem ersten, ganz ursprünglichen Zugriff bedeutet der Kategorische Imperativ: "Instrumentalisiere niemanden!" Und das kann ich unterschreiben. Danach versuche ich mich zu richten, danach versuche ich zu handeln.

      Nun das große ABER ;)

      Ich bin trotzdem bei dir und deiner Kritik. "Zu viel Verstand und zuwenig Gefühl" ist ja in Kants Ethik sowieso ein generelles Problem. Mich hat damals vor allem der Text "Von einem vermeinten Recht, aus Menschenliebe zu lügen" zweifeln lassen. Ein derart kategorischer Ausschluss der Notlüge in sogar wirklich existenziellen Situationen mag passend sein für die klare Linienführung der eigenen Ethik. Alles ist dann so schön logisch und durchdacht und herrlich präsentabel. Aber diese Ausnahmelosigkeit wird dem Menschsein einfach nicht gerecht.

      Und zeitlos gut bleibt natürlich Schillers Replik auf Kants Pflichtenethik, die bei uns im Philosophenturm die Studenten empfing. Wie war das noch?

      "Gerne diene ich meinen Freunden, doch leider mit Neigung
      Und so wurmt es mich oft, dass ich nicht tugendhaft bin."

      Das ist wahrhaft meisterlich gesprochen. Kant hat unbestritten riesige Verdiente um die Philosophie und einiges von seiner Ethik leuchtet mir tief ein. Aber ein Heiliger ist er auch nicht. Ganz im Gegenteil. Man muss sich nur mal kurz angucken, was er über die Südsee-Einwohner so schreibt. Da wird einem dann schnell ganz anders.

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Iantus ()

      Für mich sind die Dinge immer einfacher, als man glaubt.

      Womit ich mitten im Thema bin:
      Ich bin, was ich glaube und glaube, was ich bin.
      Glaube ich an einen freien Willen, fühle, denke und reagiere ich so, wie ich an ihn glaube. Auch der Glaube an Freiheit ist ein Glaube.

      Glaube ich nicht daran, werde ich jeden Gedanken, jedes Gefühl und jede Handlung ebenfalls entsprechend bewerten.

      Wo treffen sich die beiden?

      Ich würde sagen, im Gefühl. Wobei man nur für wenige Sekunden (wenns gut geht und man sehr geübt ist ein paar Minuten) am Tag im tatsächlichen reinen Empfinden verlebt. (Glaube ich). Vielleicht für viele eine Grund, weshalb sie dem BDSM so bewusst zugeneigt sind. Man lebt seine Neigung ja auch nicht aus, weil der Verstand das besonders toll findet, sondern weil man auf genau diese Weise in diesem Moment tendenziell am intensivsten fühlt.

      Die Frage für mich als Künstlerin ist also nicht: Gibt es den freien Willen?
      Sondern: Wie kann ich Bewusstsein schaffen, um einen eventuell vorhandenen freien Willen "frei" (Glaube an Freiheit...) bewusst und frei (von was auch immer) zu handhaben?
      Zur Schaffenskraft brauche ich Gefühl. Sind wir fähig, so zu fühlen, dass wir unseren Verstand für ein paar Sekunden hinter uns lassen können?
      Und wenn man diesen Moment der Glückseligkeit im Ausdruck der Kunst oder im BDSM dann erlebt hat, war jetzt das der freie Wille oder das andere - Gedankenvolle (Kontrolle der Entscheidung) - und wo wäre der Schnittpunkt der beiden?

      Ich bin immer für Brücken bauen. Daher bin ich bemüht, nicht zu trennen, sondern vielmehr Dinge zu kombinieren, die bei vielen vom bewussten Gedankengang her einfach nicht zusammenpassen wollen. Weshalb also das Verständnis meines Selbst auf meinen freien Willen und/oder mein Unterbewusstsein reduzieren?

      Ich fühle, also bin ich.
      Aber wie viel wäre Ich, wenn ich morgen mehr fühlen würde/könnte, wie heute? Und habe ich dann mehr "Spielraum", um mein Selbst bewusst - mit der einen oder Entscheidung durch meinen freien Willen - zu entfalten, oder täte ich trotzdem immer das, was mein (sich zumeist im Tiefschlaf befindliches) Bewusstsein will?

      [i][/i]


      So, genug pfilosoffiert für heute. Das viele Nachdenken schadet sonst meinem freien Willen. :facepalm: :fie: :monster:
      :sofa: