2.12. ❅ Katharsis

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      2.12. ❅ Katharsis

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      ❅ 2. Dezember ❅

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      Katharsis

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      von @threestripes


      Es wäre gelogen, wenn ich jetzt Stein auf Bein behaupten würde: Saskia-Moonchild hätte keinen Eindruck bei mir hinterlassen. Fast hätte sie mich sogar so weit gebracht und ich wäre schwach geworden, als sie mir bei der letzten Fotosession nach getaner Arbeit ein an ihrem Halsband befestigtes Nylonseil in die Hand gedrückt hat. Die Geste war eindeutig, und – wenn ich ehrlich bin – damit für mich uninteressant. Obwohl sie mir damit kurzzeitig einen ziemlichen Stich ins Herz verpasste. Oder in die Lunge? Vielleicht hatte ich auch einfach nur Angst vor meiner eigenen Courage?

      Gott sei Dank bin ich einem Grundprinzip meines Lebens über all die Jahre hinweg treugeblieben: meinem dämlichen Festhalten an noch dämlicheren, selbst auferlegten Grundprinzipien. Eines davon: Lass die Pfoten weg von Auftraggeber(inne)n, deren Umfeld oder jedweden monetären Sachleistungen, die mich zu späteren Verpflichtungen nötigen könnten. Jemandem etwas schuldig bleiben zu müssen, war für mich immer ein grausiger Gedanke. In diesem Sinne sind meine Grundprinzipien wahrscheinlich eine auf Faulheit fußende bayerische Sturheit, gepaart mit einer gehörigen Portion Naivität und geschmortem Angsthasen.
      Es hätte auch in diesem Fall alles sehr gut klappen können für mich. Aber Saskia-Moonchild ist nicht gut darin, die Regeln der anderen einzuhalten. Sie schert sich ja nicht einmal um ihre eigenen Regeln.

      Kapitel 1

      Seit gut einer halben Stunde stehe ich mir die Beine in den Bauch. Meine Fototasche steht neben mir auf dem staubigen Boden, durch das geöffnete Fenster meines Autos plärrt Musik aus dem Radio, die ich aber kaum noch wahrnehme. Mit Unpünktlichkeit komme ich einfach nicht klar, ich hasse es zu warten. Während sich meine Laune immer weiter in den Keller schraubt, steigt mein Adrenalinspiegel in den Bereich „dunkelorange“, mein Geduldskessel steht unter Volldampf, an den Dichtungen zischt es bereits, eines der Ventile brodelt verdächtig.
      Tatort: Eine Art ungeteerter Parkplatz irgendwo in der Pampa Brandenburgs zwischen Königs Wusterhausen und Frankfurt an der Oder. Mächtige Wurzeln uralter knorriger Kiefern haben den sandigen Untergrund aufgeworfen. Hier hat seit Ewigkeiten kein Auto mehr geparkt. In einiger Entfernung rostet eine Stacheldraht-gespickte Zaunanlage vor sich hin, die kaum noch leserlichen Schilder besagen:

      SPERRGEBIET – BETRETEN VERBOTEN – SCHUSSWAFFENGEBRAUCH !

      Na bravo. Das Innere der wahrscheinlich militärischen Anlage ist nicht erkennbar, ein dichter, verwilderter Kiefernwald verdeckt jede Sicht. In einiger Entfernung höre ich ein Motorengeräusch, mein vor sich hinkochendes Restgehirn formuliert bereits den Satz: „Bist du noch ganz dicht, mich hier so lange warten zu lassen???!“
      Aber es ist nur eine „Schwalbe“, ein Motorroller-artiges Zweirad ehemaliger DDR-Produktion. Der jugendliche Fahrer ohne Helm starrt mich an, als wäre ich ein Marsmensch, wahrscheinlich weil ich ihn ebenfalls anstarre, und knattert gemächlich an mir vorbei.
      Mein Dunkelorange verschiebt sich weiter in den roten Bereich.
      Saskia alias Moonchild hatte mich per E-Mail kontaktiert. In ungewohnter, fast charmanter Art bedankte sie sich für die „voll geilen Fotos“, die ich von ihr und ihrem Petplay-Partner-Hund geschossen hatte. Ob man sowas Ähnliches nicht nochmal machen könne, war ihre darauffolgende Frage. Sie hätte da noch ein paar Ideen.
      8.Juni, 14Uhr, dazu lediglich die Koordinaten.
      Ende der Nachricht.
      Ein weiterer Schriftverkehr fand nicht mehr statt, alle weiteren meiner Nachrichten ignorierte sie konsequent, aber meine Neugierde war geweckt. Also entschloss ich mich kurzerhand, dieses Abenteuer zu wagen, und da es sich ohnehin um das Pfingstwochenende handelte, würde ich nach dem Fotoshooting an die Ostsee weiterreisen und einen Kurzurlaub draus machen. Was sollte also schon großartig passieren…?

      Außer dass ich jetzt bei brütender Hitze versetzt werde.
      Ein rascher Blick auf mein Mobiltelefon: 14:39 Uhr. Der Pedant in mir kocht vor Wut und verdrängt den Gedanken, ob ihr auf dem Weg hierher etwas passiert sein könnte. In weiter Ferne knattert das unverkennbare Geräusch eines VW-Käfer-Motors. Ich trete genervt gegen einen Kieselstein, im selben Moment fällt mir ein, dass ich nur Flipflops trage. „Scheißdreck!!!!“, brülle ich. Gleich in zweifacher Hinsicht. Erstens hat der Stein auf meinem hinteren Kotflügel eine böse Schramme hinterlassen, die zweite Läsion lässt gerade meinen linken großen Zeh rot werden. Natürlich hat sich beim Schuss der Zehennagel abgehoben, darunter bildet sich schon ein Bluterguss. Und natürlich, während ich - auf einem Bein hüpfend, den anderen Fuß haltend, Verwünschungen auf mich selbst und den Fototermin im Speziellen sowie der Welt im Allgemeinen plärre, schießt ein weißer Karmann Ghia auf den Parkplatz, hält in Staub gehüllt neben mir an und Saskia… wer sollte es auch sonst sein, weil der Moment ja auch grade so gut passt… Saskia fällt nichts Besseres ein, als zu grinsen. Kommentarlos. Sie steigt aus ihrem Wagen, schnappt sich einen großen NVA-Rucksack von der Rücksitzbank, der randvoll gepackt zu sein scheint, schultert ihn mühelos und betrachtet mich erwartungsvoll. Jetzt nickt Saskia, wie um mir zu sagen: „Alles bereit?“
      Unauffällig lasse mich meinen Fuß wieder los, verkneife mir einen schmerzenden Gesichtsausdruck und greife lässig nach meiner Kameratasche.
      „Du hast also hergefunden?“, trompetet sie fröhlich.
      „Ja logisch, sonst wäre ich ja jetzt nicht hier, oder?“
      Weitere garstige Kommentare verbietet mir meine gute Kinderstube, ich versuche, mich wieder ins Lot zu bringen, Saskia ist bereits losgelaufen.
      „Warte mal“, ruf ich ihr hinterher, „ich muss noch mein Auto absperren!“
      Doch sie lässt sich nicht beirren. Mit langen Schritten, soweit mein kaputter Zeh und die Schlappen das zulassen, laufe ich ihr hinterher – in der Bemühung, alles möglichst souverän aussehen zu lassen.
      Kapitel 2

      „Wo hast du denn den Schlüssel dazu her?“
      „Weißt du überhaupt, was das ist?“, repliziert sie trocken.
      „Vermutlich eine ehemalige DDR-Kaserne…“
      Sie steht an einem nun einen Spalt breit geöffneten Metalltor, ich schlüpfe durch die Lücke hindurch, sie ebenfalls. Danach sperrt sie sorgfältig wieder ab und rüttelt zur Kontrolle an der Klinke.
      „Das war eine Troposphärenfunkanlage im kalten Krieg. Die DDR hat hier Abermillionen von Ostmark versenkt. Der Bunker wurde aber nach der Wende nicht mehr genutzt, er ist bis heute noch fast im Originalzustand. Ein Freund von mir ist in einem Verein, der sich um den Erhalt hier kümmert. Wir waren schon oft hier drunten…“
      Sie grinst wieder schelmisch und ich ertappe mich dabei, leichte Anwandlungen von Eifersucht zu entwickeln. Gar nicht gut. Schlechtes Zeichen. Ich schweige.
      Intuitiv beantwortet Saskia meine Frage:
      „Wir haben hier unten mancherlei lustige Party gefeiert, das ist alles, du Kasper.“
      Ich weiß weder, warum sie das jetzt sagt, noch, ob ich ihr das glaube. Ich wechsele, schon aus Selbstschutz, das Thema.
      „Du kommst also aus dieser Ecke hier?“
      „Ursprünglich ja, aber hier isses mittlerweile sogar zum Sterben zu langweilig. Nach der Wende sind die meisten in meinem Alter abgehauen und von den Alten, die geblieben sind, kannste nich wirklich viel erwarten.“
      Ich wundere mich, wie gesprächig Saskia heute ist. Bei unserem letzten Fototermin war sie ganz anders. Ich frage mich, ob ich grade die echte vor mir habe, und wann sie anfängt, wieder Moonchild zu sein.
      Wir laufen eine breite Kasernenstraße entlang, die auf ganzer Länge von wüstem Gestrüpp, wuchernden Büschen und hohen knorrigen Bäumen gesäumt ist. Eine undurchdringliche Wand. Aber ansonsten ist das Gelände überraschend sauber. Als wenn die Zeit tatsächlich stehengeblieben wäre. Ich ertappe mich dabei, wie ich auf ihren Hintern starre.

      Wie auf Kommando dreht sie sich um und grinst:
      „Lass das jetzt, mach lieber mal schneller, du wirst nachher noch genügend zu sehen bekommen.“
      Ich werde rot, schließe aber zu ihr auf. Kurze Zeit später stehen wir vor einer drei Meter hohen Betonwand, üppige Vegetation wuchert auf dem Dach des Gebäudes, vermutlich war das vom Erbauer damals schon aus Gründen der Tarnung so beabsichtigt.
      „Was hast du eigentlich vor heute? Wie soll ich dich nennen?“
      „Welche Frage hättest du gerne zuerst beantwortet?“ Sie klingt spöttisch.
      „Keine.“ Ich hole aus. „Denn erstens werde ich es ohnehin herausfinden, zweitens hättest du gerne, dass es eine Überraschung wird, sonst hättest du aus diesem Termin nicht so ein Geheimnis gemacht. Und drittens werde ich mir dann beim Shooting überlegen, welcher Name es dann sein soll.“
      „Und viertens“, fügt sie ein, „ist das für mich auch ein großes Experiment heute, ich bin ziemlich nervös und möchte dazu jetzt einfach nichts sagen. Du kannst dir aber ziemlich was drauf einbilden, dass ich DAS heute…“, sie hebt dabei verschwörerisch die Augenbraue, „…mit dir durchziehe.“
      „Dankeschön.“ Was hätte ich auch sonst darauf sagen sollen.
      Mit einem Ruck öffnet sie eine in die Wand eingelassene Stahltüre, betätigt einen Schalter im Inneren, eine unendlich lange Reihe von Neonröhren beleuchtet einen schier endlosen Betongang hinein in den Bauch des Bunkers.
      „Hier, wir nehmen die, damit geht’s schneller.“
      Saskia deutet auf eine etwa 5 Quadratmeter große Nische auf der rechten Seite, in der mehrere Fahrräder deponiert sind.
      Wortlos nimmt sie sich den ersten Drahtesel und wartet meine Reaktion ab. Umständlich hänge ich mir meine Fototasche quer über beide Schultern, dann radeln wir los. Der Weg ist abschüssig, steiler als ich dachte, Treten ist quasi überflüssig. Saskia nimmt ungefragt meinen Gedanken auf: „Das geht jetzt ungefähr einen Kilometer so, denk dran, wir müssen den Weg auch wieder zurückfahren, du wirst dabei kotzen, das verspreche ich dir.“
      Schweigend setzen wir unseren Weg fort, je tiefer wir in den Bunker eindringen, desto muffiger wird die Luft. Ein eigentümlicher Geruch aus Keller, uralten Elektrogeräten, abgestandenem Brackwasser, altem Dieselqualm und Moder macht sich breit. Ich frage mich, ob dieser Bunker eigentlich belüftet ist. Zumal ich das Gefühl habe, als würden wir uns Stück für Stück aus der Außenwelt verabschieden. Ich versuche, dieses beklemmende Gefühl aus meinen Gedanken zu vertreiben.
      Kapitel 3

      „Das hier ist der sogenannte Dispatcherraum. Von hier aus wurde der Bunker gesteuert. Ich dachte, das könnte gut kommen, wenn wir Fotos machen.“ Sie lächelt, irgendwie ein bisschen verschämt oder schüchtern, und ich weiß nicht, warum.
      Wir befinden uns in einem großen Raum mit einem riesigen Schaltpult in der Mitte, an den Wänden allerlei Anzeigetafeln, erloschene Lampen und Konsolen, mit Kabeln versehen. Ich muss bei dem Anblick unwillkürlich an alte russische Atomkraftwerke denken und warte nur noch auf eine Alarmsirene, die jeden Moment losgeht. Irgendwie gruselig.
      Währenddessen steht Saskia an einem Tisch etwas abseits und beginnt, den Inhalt ihres Rucksacks auszupacken. Diskret ziehe ich mich in eine andere Ecke des Raumes zurück und präpariere meine Kameras. Ich höre nur ihr Rascheln, drehe mich aber nicht um, obwohl ich ihr nur zu gerne beim Umziehen zugesehen hätte. Echt unprofessionell, so kenne ich mich gar nicht. Saskias Gift wirkt schon wieder. Ich schelte mich in Gedanken für meine Inkonsequenz. An der Wand entdecke ich einen Schalter mit der Aufschrift „Gefechtsbeleuchtung“. Neugierig betätige ich den Schalter, mit einem lauten Knall erlischt die Neonbeleuchtung, der komplette Raum ist jetzt in düsteres Rotlicht getaucht.
      „Du blöder Idiot, hast du mich total erschreckt“, tönt es aus ihrer Ecke.
      Ich überspiele meinen eigenen Schrecken: „Das is ja Hammer, das Zeug funktioniert ja noch, die Beleuchtung so ist irre, das werden total geile Fotos, Saskia, ich muss da aber erst mal meine Kameras neu einstellen… Moment“.
      Ich mache ein paar Probefotos von der Wand, schraube an Verschlusszeit und Blenden rum, mein fotografisches Jagdfieber hat mich wieder gepackt, jetzt bin ich voll in meinem Element. Ohne meine Umwelt noch wahrzunehmen, greife ich mir einen Bürostuhl in der Mitte des Raumes, lichte ihn ab, kontrolliere das Ergebnis, gehe nochmal ins Setup, um die ISO-Werte anzupassen… Als ich das nächste Foto vom Bürostuhl machen will, ist der aber nicht mehr leer. Und kurzzeitig raubt mir das, was ich sehe, den Atem.
      Armeestiefel, schwarz, blitzblank poliert. Darüber eine schwarze Hose im Jeansschnitt aus Vinyl, wie ich sie von Raveparties aus den 90ern noch kannte. Hoch geschnitten oder High Waist, wie man heute sagt, und eng, im Schritt auch. Verflucht. Ein breiter Nietengürtel lässig über die Hüfte gelegt. Ein langärmliges enganliegendes glänzendes Spandex-Oberteil, ebenfalls schwarz. Neee, muss ein Body sein mit hohem Beinausschnitt, man kann an der Seite noch die Haut ihrer Hüfte erkennen. Sie trägt eine Gasmaske, ihr dunkles Haar hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ich höre ihre Atmung gedämpft durch die Maske, höre, wie sich die Ventile beim Atmen hörbar öffnen und schließen. Ich könnte es nicht beschwören, denn ich sehe nur ihre Augen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie breit grinst.
      „Oh Gott“, rutscht es mir heraus…
      Sie schweigt, atmet weiter ruhig und mustert mich aufmerksam mit großen Augen. Dann spreizt sie ihre Beine etwas und dreht sich auf dem Bürostuhl provokant erst etwas nach links, dann nach rechts, aber gerade nur soweit, dass sie mich immer frontal im Blick behalten kann.
      Ich gehe in die Knie und mache die ersten Probeaufnahmen. Scheiße, die Fotos sind unterirdisch. Ich werde hektisch.
      „Warte, ich hole schnell eine kleine Zusatzbeleuchtung, sonst kriege ich deine Augen nicht klar raus…“
      Meine LED-Lampe für Notfälle mit ausziehbarem kleinem Stativ stelle ich in etwa zwei Metern Entfernung neben ihr auf, so dass ihre linke Gesichts-, spricht Maskenhälfte im Halbdunkel zu leuchten beginnt, Saskia hat sich nicht bewegt. Sie trägt schwarze Lederhandschuhe, wie ich jetzt erst feststelle, ihre Hände hat sie leger auf ihren Oberschenkeln abgelegt.
      Zwei, drei weitere Probeschüsse, etwas Zurechtrücken der Lampe, nochmal ein paar Probeschüsse, dann bin ich zufrieden.
      „Okay, Moonchild, ich bin bereit, wenn du es bist…“ Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.
      Sie nickt nur.
      Ich hake nach: „Was möchtest du machen? Was hast du dir denn vorgestellt?“
      Sie scheint aufzustöhnen, der Luftstrom durch die Gasmaske ist deutlich hörbar. Sie schüttelt wieder den Kopf. Ich meine eine Art von Ahnung zu haben, worauf sie rauswill: „Nicht reden, richtig?“
      Sie nickt bedächtig, ihr Augen fixieren mich förmlich oder ist es ein flehender Blick? Ich vermag es nicht einzuschätzen. Mein Bauchgefühl sagt mir: „Fang an, halte deinen Mund und hör genau auf das, was die Atmosphäre brauchen könnte. Nimm das bereits vorher in dich auf, was als nächstes kommen müsste.“ Ich bewege mich auf ungewohntem Terrain, das weiß ich, meine Art der Kommunikation war bei Fototerminen in erster Linie verbal.
      Und ich weiß, dass sie mich herausfordern will. Mit meiner Unsicherheit spielen will. Mit anderen Worten: Sie hat mich enttarnt. Das Spiel beginnt.
      Ich, noch auf Knien, verharre so, Saskia steht ruckartig auf, geht zwei Schritte auf mich zu, also raus aus dem Licht, schlecht. Ich stelle auf Kamera-Blitz um, mache die Blende zu und hoffe, die richtigen Einstellungen erwischt zu haben. Jetzt auf dem Boden liegend erwische ich sie ein paar Mal, wie sie breitbeinig mit verschränkten Armen auf mich herabblickt. Die Bilder sind fast beängstigend, aber das Display sagt: Irre Belichtung. Ich deute ihr mit einer winkenden Bewegung meiner linken Hand an, zu mir herunterzukommen. Sie lacht, ich kann es selbst durch ihre Maske hören, dann beugt Saskia sich über mich und tut so, als würde sie mich würgen wollen, mit aufgerissenen Augen, fast psychopathisch. Ich knipse im Dauerfeuer. Außer ihren Augen ist fast alles in rötlicher Dunkelheit, die Innenmaske bedeckt zudem ihre Nase, nur ein kleiner Bruchteil ihres Gesichtes ist überhaupt erkennbar. Sanft streichelt sie meine Wange, fast fürsorglich, ihre Augen sind weich und warm. Ich knipse auf Verdacht, weiß aber, dass die meisten dieser Fotos nichts werden. Dafür trifft mich diese Berührung wie ein elektrischer Schlag. Ihr maskiertes Gesicht, direkt über mir, sie atmet tief und ruhig, erst geht ihre Hand an meine Kehle, mir stockt der Atem, dann wuschelt sie mir verspielt durch mein Haar und lacht. Und mir wird schmerzlich bewusst, dass sie mich schon jetzt hat. Was auch immer das bedeuten mag.

      „Die Kontrolle zurückzugewinnen, das ist jetzt wichtig, ich darf mir das Ruder nicht aus der Hand nehmen lassen“, ermahne ich mich fast beschwörend. So rappel ich mich denn schnell auf, wir stehen uns kurzzeitig gegenüber wie zwei Cowboys am High Noon, ich mit gezückter Waffe, meiner einzigen Sicherheit: Meiner Kamera. Ich weiß, dass ich mich oft hinter diesem Apparat versteckt habe, aber niemals war ich dankbarer, sie jetzt in den Händen zu halten, mir damit meine Aufgabe wieder bewusst zu machen. Mit sanfter Gewalt schiebe ich Saskia – meine Hände an ihren Schultern - zum Bürostuhl zurück, keine Gegenwehr von ihrer Seite, sie atmet etwas schwerer, fällt mir auf. Aber ihre Augen sind wach, aufmerksam, erwartungsvoll, als sie sich in den Bürostuhl fallen lässt. Mit verschränkten Armen sitzt sie da, die Beine übereinandergeschlagen. Ich hebe einen Zeigefinger, um ihr zu zeigen, dass ich jetzt das Bild einrichten werde. Zunächst justiere ich sorgfältig den Scheinwerfer neu, ändere dabei den Winkel etwas, damit man erstens mehr von Saskia erkennen kann, zweitens die Scheibe der Gasmaske im Licht nicht spiegelt. Also schiebe ich sie mitsamt dem Bürostuhl nur um wenige Zentimeter zurück, betrachte sie mir mit aller noch übrig gebliebenen Professionalität und nicke ihr zu.
      Dann scheint auf einmal Zeit und Raum stehenzubleiben.

      Saskia macht zunächst gar nichts, sitzt lediglich da und durchbohrt mich mit ihren Blicken, schließt dann langsam die Augen, atmet langsam und tief ein und aus. Wahrscheinlich habe ich jetzt schon dreißig Fotos davon geschossen. Alles Nahaufnahmen ihres Gesichtes oder zumindest das, was davon noch zu sehen ist. Ihre Augen ziehen mich an wie ein Sog. Ohne zu wissen warum, schießt mir durch den Kopf: „Sie ist mein Verderben…“
      Saskias Hände liegen mittlerweile auf ihren Brüsten, sie spreizt die Beine und bewegt ihr Becken, als würde sie masturbieren. Die Lackhose knarzt und knistert. Ich knipse. Was soll ich auch sonst tun?
      Sie starrt mich provokant an, mit wachen, großen Augen, ihr Atem geht schneller. Liebkosend legt sie die Hände an ihre Gasmaske, streichelt sie irgendwie kokett, schließt genüsslich dabei die Augen, starrt dann in eine nur ihr bekannte Leere. Langsam beginne ich, die Idee dahinter zu verstehen… Es scheint die durch die Maske bedingte, etwas eingeschränkte Luftzufuhr zu sein, die sie reizt. Ich verstehe auch, dass sie das nicht zum ersten Mal macht, ihr Körper reagiert sofort darauf, als sie scharf die Luft einzieht: Saskia windet sich auf ihrem Stuhl, die Beine weit gespreizt, sie drückt ihr Becken durch, stöhnt und blickt mich erwartungsvoll an. Was wahrscheinlich auch damit zusammenhängt, dass ich vergessen habe, Fotos zu machen. Ich schüttel nur leicht den Kopf, sie lacht gedämpft auf. Dann schiebt sie langsam ihre linke Hand in die Hose. Wie in Trance drücke ich auf den Auslöser, knipse nur noch instinktiv und muss mir eingestehen, dass ich mich förmlich in diesem Anblick suhle. Ja, sie macht mich heiß, unangenehm drückt mein Geschlecht gegen meine Jeans. Gott sei Dank ist es dunkel genug.
      Saskia streichelt sich fast unmerklich, dann reißt sie mit einem kleinen Ruck die Hand aus der Hose, das Vorderteil ihres Bodys hängt jetzt aus der Hose heraus.
      Frau Maske steht auf, kommt auf mich zu, ihre linke behandschuhte Hand gleitet an meiner Nase entlang, sie blickt mir tief in die Augen, verschwindet dann aus meinem Blickfeld, offenbar kramt sie in ihrem Rucksack. Was mir momentan herzlich egal ist.
      Ich kann sie riechen. Verdammt. Ich fühle ihre Feuchtigkeit an meiner Nase. Oh Gott, sie duftet so herrlich. Ich hasse es.
      Ich muss meinen Tunnel einfach enger machen, mein Sucher wird zu meinem Fenster zur Außenwelt, anders habe ich keine Chance, da unbeschadet durchzukommen. Ich lasse mich treiben, suche instinktiv die Geilheit dieses Szenarios und bilde sie ab. Ich will, dass man sie auf den Fotos schmecken kann. Dieses eigentümliche Atmen durch die Maske hört, das Stöhnen riecht…

      Nun sitzt sie wieder auf ihrem Stuhl, in ihrer Hand eine graue Filterkartusche, wie sie Lackierer normalerweise benutzen. Kokett, lasziv, fast schon provokant schraubt sie den Filter in das dazu passende Gewinde der Maske, beobachtet mich dabei, scheint auf eine Reaktion zu warten. Ich gebe ihr keine Angriffsfläche, nicke nur. Saskia schließt die Augen, atmet tief ein, als würde sie den ersten Atemzug austesten. Auch sie nickt, wohl aber eher zu sich selbst.

      Dann scheinen bei ihr die Dämme zu brechen. Eine Hand in der mittlerweile geöffneten Hose, die andere an ihrer Maske. Sie besorgt es sich deftig, anders kann ich es nicht ausdrücken. Sie reitet ihre Hand, das Leder der Handschuhe scheint sie zusätzlich anzutörnen. Zischend entweicht die Luft beim Atmen, sie stöhnt, lustgeweitete Augen starren mich an, ich habe aber nicht das Gefühl, als würde sie noch irgendetwas wahrnehmen. Sie schreit kurz, atmet schnell und heftig, die Finger in ihrer Hose vollführen einen grandiosen Tanz. Dieser Rhythmus wird mit der Zeit immer heftiger, mit der anderen Hand knetet sie ihre Brüste. Mit jedem Atemzug wird sie animalischer, schreit, grunzt, stöhnt, jault und mit einem Mal springt sie auf, drückt die Hand fast verzweifelt in ihren Schritt, kommt fast lautlos, lässt sich fallen, liegt jetzt auf dem Rücken und reißt sich die Maske vom Gesicht. Sie atmet schwer. Rote Abdrücke haben ihr Gesicht dort verfärbt, wo die Maske auflag. Sie ist schweißnass. „Heilige Scheiße“, entfährt es ihr. Ihr Grinsen ist entwaffnend. Und dann sagt sie etwas, das ich von ihr so nicht erwartet hätte: „Danke, dass du gekommen bist, ich wollte dich so sooo sooooo gerne dabeihaben.“

      Kapitel 4

      „Du hast dir mit den Bildern aber mächtig Zeit gelassen, und was soll das mit der persönlichen Übergabe?“
      Ich bin mir sicher, dass sie grinst, aber das kann ich leider nicht sehen. Wir schlendern über den Leipziger Weihnachtsmarkt, der trotz COVID19 gottlob nicht abgesagt wurde. Es ist dunkel, überall hell erleuchtet Lampions, Lichterketten, Sterne. Wir tragen natürlich beide Masken, so dass ich mal wieder nur Saskias Augen sehen kann. Es könnte sein, dass es mich heiß macht, sie wieder maskiert zu sehen, aber wen interessiert schon die Wahrheit?
      Dieses Mal hab übrigens ICH um das Treffen gebeten, nicht SIE, weiß der Teufel, was mich da wieder geritten hat. Ich drücke ihr wortlos den USB-Stick in die Hand. Wieder durchbohrt sie mich mit ihren Blicken.
      „Wie sind die Fotos geworden?“
      „Och, ganz nett…“
      Was hätte ich auch sonst sagen sollen?
      Wir haben seinerzeit an diesem Sommertag noch gut zwei Stunden im Bunker verbracht, jede Menge Fotos geschossen, die Kulisse war einfach ideal, um noch weiter herumzuspinnen. Sie mit Telefon am Ohr, hektisch gestikulierend, Motiv „Atomkrieg“. Großartige Fotos einer ganz schrägen Endzeitstimmung.
      Ein „Tschüss“ am Parkplatz. Ende der Session. Funkstille. Bis ich ihr dann die E-Mail mit dem Termin geschickt habe.
      Im Hintergrund läuft „Morgen Kinder wird’s was geben“ aus Lautsprechern, sie legt ihre Hand in meine, als ob es das Natürlichste der Welt wäre. So spazieren wir wortlos durch die Gassen des Weihnachtsmarktes und ich fühle mich ungewöhnlich glücklich.
      „Könntest du dir vorstellen, dich als Weihnachtsmann zu verkleiden und ich mache dann Fotos von dir?! Das wäre bestimmt irre sexy…“
      Als Antwort boxt sie mich in die Seite und lacht. Dann, mit ernster leiser Stimme fügt sie an:
      „Ich könnte mir noch ganz anderes vorstellen…“


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      Wenn euch die Geschichte gefallen hat, dann freut sich der Autor über eure Likes und Kommentare!
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      Der Autor wird, sofern er es möchte, zeitnah hier eine Antwort posten. Diese dann bitte liken, so dass eure Likes auch bei ihm ankommen.
      Vielen Dank an @AleaH, die um so frühe Uhrzeiten schon Geschichten hochlädt, ich würde um 6 noch nicht mal meinen Namen ausprechen können. :D

      Danke an die Organisation, die Korrektoren, alle Mitstreiter und vor allem an euch, die unsere Geschichten auch lesen.

      Ich freue mich sehr, bei so etwas einzigartigen dabeisein zu dürfen.

      Ich wünsche euch ganz vielVergnügen mit unseren Geschichten.

      So, und jetzt :coffee:
      Wer schon mal eine Kamera in der Hand hatte und sich an einer Fotosession versucht hat, findet sich an allen Ecken und Enden in dieser Geschichte wieder. Die ganzen persönlichen und technischen Fallstricke und die persönliche unsicherheit dabei ... :thumbsup:
      Das hast Du super umgesetzt, @threestripes - vielen Dank für die knisternde Geschichte.
      Mit einer verliebten Frau kann man alles tun, was sie will.
      (Gustav Klimt)
      Und das wichtigste hab ich noch vergessen.

      Für das Thema kann ich gar nix, da ist @Gordon schuld :D

      Ich habe seinen Beitrag „Latex, Gummi, Masken...“ oder: wie alles anfing gelesen, und dann war die geschichte eigentlich schon da, die mich aber dann lange gequält hat, bis sie auf dem Papier war.

      Also wenn ich schon danke sage, dann auch an @Gordon, er hat das Thema vorgegeben, ohne es zu wissen :)