Form und Inhalt, Teil und Ganzes - Vorschlag eines integrativen Systems "BDSM"

      Form und Inhalt, Teil und Ganzes - Vorschlag eines integrativen Systems "BDSM"

      Eigentlich ist alles so einfach:
      Will ich BDSM in einer Farbmetapher beschreiben, so ist es bunt und die Behauptung eines Schwarz-weiß entpuppt sich nur als der Versuch eines entweder elitären oder verklärten Anachronismus. Und nein, das soll keine Provokation zu anderen Blogs/Threads werden - nur weil ich mich bisweilen mit Begrifflichkeiten darauf beziehe, was ausschließlich der Aktuallität geschuldet ist - sondern der Vorschlag einer Versöhnung, bei der jeder sich im BDSM wiederfinden und andere dort auch lassen kann.

      Form und Inhalt:
      BDSM ist eine Form zwischenmenschlicher Interaktion innerhalb eines einvernehmlich angenommenen Beziehungsgefüges und dies wiederum innerhalb des gesetzlich legitimen Rahmens. Zum objektiven Inhalt hat es Handlungen, aus den Bereichen Bondage (B), Discipline (D), Dominanz, Submission, Sadismus und Masochismus beziehen, wobei Dominanz und Submission (DS) sowie Sadismus und Masochismus (SM) stets als sich ergänzende Paarung in Erscheinung treten.
      Kein fest definierbarer Inhalt ist bereits in Folge der grundlegenden Voraussetzung der Einvernehmlichkeit, dass in der Beziehung alle Bereiche des BDSM abgedeckt werden müssen, dass sich die Beziehung zeitliche vollumfassend dem/den Bereich(en) widmet, oder dass es bestimmte, zumeist ohnehin nicht objektivierbare Erlebensdimensionen entfalten muss.

      BDSM liegt also verkürzt ausgedruckt vor, wenn einvernehmlich darunter fallende Inhalte ausgeübt werden. Nicht mehr, nicht weniger und wer es bis hier zustimmend begreift, der sollte mir dem Rest auch kein Problem mehr haben, denn so geht es auch weiter, tiefer hinein ins BDSM.


      Ganzes und Teil:
      Bevor ich darauf aber genauer darauf eingehe, benötigt es zur Vermeidung von Missverständnissen noch eine "philosophische" Grundlage: alle Dinge in dieser Welt sind Ganzes und zugleich Teil (natürlich nur innerhalb der Grenzen des Bekannten). Ein Organismus (als Teil eines Ökosystems, als Teil einer planetarischen Natur, als Teil eines Sonnensystems, als Teil einer Galaxie, als Teil eines Unversums) beinhaltet Organe, diese wiederum Zellen, diese wiederum Moleküle, diese wiederum Atome. Aber das Atom sagt nichts über das Molekül aus: zB findet sich Sauerstoff in vielen verschiedenen Molekülen (u.a. Wasser und Kohlendioxyd), welche selbst wieder sehr verschiedene Eigenschaften aufweisen, welche sich nicht auf den Sauerstoff zurückführen lassen.

      Und so ist es auch im BDSM:
      BDSM beinhaltet zB DS, dieses Erniedrigung, diese die Anrede „Du bist meine Schlampe“. Da BDSM wie oben ausgeführt auf Einvernehmlichkeit beruht und nicht alle Aspekte zwingend integriert sein müssen , ergeben sich daraus zwei Schlussfolgerungen: zum Ersten ist die Anrede „Du bist meine Schlampe“ natürlich nur ein potentieller, kein zwingender Inhalt von DS und beweist zum Zweiten für sich allein nicht schon das Vorliegen von DS (man sage diesen Satz mal einer beliebigen Frau auf der Straße).

      Im Grunde geht es also darum, herauszustellen, dass die Teile also stets „Inhalt“ der übergeordneten Form, bzw. des übergeordneten Ganzen sind. Dabei definiert der Inhalt als Teil aber nicht, ob das Ganze vorliegt. Diese Beurteilung kann stets nur vom Ganzen ausgehend erfolgen: BDSM liegt, Einvernehmlichkeit und Legalität vorausgesetzt, also vor, wenn B, D, DS oder SM ausgeübt werden, mehr Definition gibt es offiziell nicht. Nenne ich eine beliebige Frau auf der Straße „meine Schlampe“ (Ausdruck als Inhalt von Erniedrigung als Inhalt von DS) ist das kein DS sondern höchstwahrscheinlich eine Beleidigung und könnte neben einer Ohrfeige und Anzeige durch diese Dame noch zum Ende des BDSM mit meiner sub führen. Ein möglicher Inhalt einer Form definiert dennoch nicht das Vorliegen der bestimmten Form. Nur weil ich jemandem übergeordnet bin (Kerninhalt von Doms DS), liegt noch lange kein DS vor, denn es könnte sich zB um meinen Mitarbeiter oder mein Kind handeln.

      (Fortsetzung folgt in wenigen Minuten)
      Weitere Beispiele:
      TPE ist ein (potentieller) Inhalt von DS, DS setzt aber kein TPE voraus. TPE muss aber inhaltlich alle Lebensbereiche umfassen, da der Begriff („Total“) als Form auf eine Überordnung des Dom in allen Lebensbereiche (Inhalte) abzielt.
      Ein bewusstes und einvernehmliches Über-/Unterordnungsverhältnis zum Zwecke sexuellen Vergnügens ist DS, gleich ob es einem gemeinsam entworfenen Drehbuch folgt (Rollenspiel) oder ob es einseitig von EPE-Dom so gehandhabt wird (einseitig bestimmt). Beides ist einvernehmlich und legales DS, mehr braucht es nicht.
      Genauso ist es TPE, wenn sub sich aus innerer Überzeugung und tief empfundenem Bedürfnis freiwillig und ohne zu murren einvernehmlich Doms Wünschen und Befehlen in allen Lebensbereichen unterordnet, ihn bittet, dazu ausgebildet zu werden und er es annimmt, oder wenn brat regelmäßig eine aktive Unterwerfung benötigt, selbst wenn es im Extrem von außen nach bloßem „in-die-Spur-Prügeln“ aussieht, soweit dies alles einvernehmlich in allen Lebensbereichen gelebt wird. Die Form TPE kann unterschiedliche Inhalte haben, aber allen ist gemein, dass Dom einvernehmlich in allen Lebensbereichen bestimmen darf, denn er muss es nicht zwingend, weil er natürlich auch das Recht auf die Nicht-Entscheidung bzw. ein Delegationsrecht hat, dass er mit oder ohne Bedingungen wahrnehmen kann.

      Und nichts anderes ist es beim SM, hier gleich im Mix mit DS: die Hingabe einer sub (DS), blutige Verletzungen beim Spanking (SM) in Kauf zu nehmen um Sado-Dom (SM) damit zu befriedigen ist BDSM und darf Gewalt (DS) genannt werden. Es ist einvernehmlich und legales (D)SM, mehr braucht es auch hier nicht.
      Alles was dann noch übrig bleibt, sind lediglich individuelle Präferenzen (Inhalte) ...

      • Freiwilliger und vorauseilender Gehorsam wie Züchtigungen zur Erziehung
      • Rollenspieler und Schlafzimmer-DS wie 24/7 oder TPE
      • Funishment wie Punishment
      • Rapegames wie „Ich fick Dich jetzt schnell durch!“ (ohne Orgasmusoption von sub)
      • u.v.a.m.

      Begreift man BDSM also auf diese Weise, und mir fällt kein Grund außer Dogmatismus, Fundamentalismus oder andere destruktive Ismen ein, dann ist BDSM so bunt und lebendig, dass viele darin ihren Platz finden können, keiner dem anderen ohne Not sein BDSM in Abrede stellen muss, Schwarz-weiß doch auch nur ein integrierbarer Ausdruck für eine Farbe statt ein gegenübergestelltes Unbunt ist und selbst extreme Spielarten nicht als „krankhaft“ oder „unmöglich“ ausgegrenzt werden. Dann können wir uns hier wieder mehr über die mannigfaltigen Inhalte unterhalten ohne dabei Spaltungstendenzen beschwören zu müssen, (Vor-)Urteile zu unterstellen, mit wettbewerblichen (zB besser, tiefer, echter) oder abwertenden (zB krank, unmöglich) Begriffen auszugrenzen. Wettbewerbliche Begriffe grenzen durch Elitarismus aus und abwertende Begriffe führen zur Ablehnung. Fühle ich mein BDSM für mich als intensiver, dann erfreue ich mich über mein Glück, muss dem anderen aber nicht erklären, dass er solches nicht verstehen kann (zumal ich dafür keinen Beweis erbringen kann, Empfinden ist ohne hinreichende EEG-Untersuchungen subjektiv). Lehne ich aber für mich einen Inhalt (!) von BDSM ab, dann kann es immer noch objektiver Inhalt von BDSM sein und damit auch hier seine gleichwertige Berechtigung haben.

      Auf diese Weise wird BDSM zu einem großen Begriffsmenü (Form), an dessen Tisch „alte Hasen“ aber auch Homie-BDSMler und Newbies gleichberechtigt Platz finden und sich über ihre Inhalte austauschen können. Und in diesem Sinne habe ich dieses Forum stets begriffen: kein „Spezialforum für Oldschool-DS“, in dem Newbies den „alten Hasen“ a priori Respekt zollen müssen,, um mitreden und fragen zu dürfen sondern ein allgemeines Forum, im dem man sich respektvoll über alle Inhalte von BDSM unterhalten kann ohne dabei ausgegrenzt zu werden.

      Und ich möchte hier im Weiteren nicht über „Aber Du/der/die anderen …“ diskutiert wissen. Fragen, Anregungen wie auch konstruktive Kritik an dem von mir dargestellten „System BDSM“ sind herzlich willkommen, destruktives Genörgel wird individuell behandelt. Dieser Blog steht allen zur Diskussion offen und schließt keine Gruppe/Gruppierung/Farbe/Nichtfarbe/Neigung aus, nicht die Bunten, nicht die Schwarz-weißen, nicht die Seilliebhaber, nicht die SMler, nicht die DSler, nicht die Temporären, nicht die Dauerhaften und eben so wenig alle denkbaren Mischformen.

      Danke fürs Lesen und viel Spaß beim Nachdenen und Diskutieren

      HvR