I'll make you mine, you know,
I'll take you to the top
And I'll drive you crazy.
(Whigfield – Saturday Night)
An jenem Tag, als ich ihn wiedersah, war die Kongresshalle zum Bersten voll. Ich hastete von der Posterpräsentation, auf der ich mit meiner Gruppe die Zwischenergebnisse unseres Projektes vorgestellt hatte, zu dem Vortrag, den ich mir als nächstes anhören wollte. Da erkannte ich zwischen den Leuten das Winken meiner Doktormutter. Auch das noch – ich hatte doch kaum Zeit! Aber ich folgte ihrem Wink, denn – oho – ich sah einen älteren Professor neben ihr stehen, der mir sehr bekannt vorkam. Mein ausgewähltes Ziel als zukünftiger Chef, wenn ich meine Promotion zu Ende gebracht hatte! Er war eine Ikone auf seinem Fachgebiet, das zufälligerweise sehr gut zu meinem Promotionsthema passte. Meine Doktormutter hatte mir versprochen, mich ihm vorzustellen, sofern sich die Gelegenheit ergab. Offenbar war das die Gelegenheit, und die wollte ich mir selbstverständlich nicht entgehen lassen. Ich ließ von meinem Kurs ab und steuerte auf die kleine Gruppe zu.
Wahrscheinlich war ich so mit mir selbst und meinen Karriereplänen beschäftigt, dass ich ihn, der inmitten der Gruppe stand, gar nicht sah, ja, auf den ersten Blick nicht einmalwiedererkannte. Angekommen bei der kleinen Gruppe, führte mich meine Doktormutter ein und stellte mich ausführlich meinem potenziell zukünftigen Arbeitgeber vor. Und dann auch den anderen im kleinen Kreise. Da erst entdeckte ich ihn.
"Prof. Dr. Gabriel Bruin", sagte meine Doktormutter und mein Blick traf auf die Augen, die ich seit fast zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Ich erstarrte kurz zur Salzsäule. Dann zwang ich mich zu einem Lächeln und reichte ihm die Hand. Ich erinnerte mich augenblicklich an ihn, an diesen charismatischen Menschen, mit dem ich einst das Vergnügen gehabt hatte, ein kurzes, aber deutschlandweites wissenschaftliches Projekt zu bearbeiten. Ich war unwichtig gewesen, eine wissenschaftliche Hilfskraft von einer anderen Universität. Wir waren uns nur auf der Schulung begegnet, außerdem bei den monatlichen Meetings über Zoom zum Austausch über den Fortschritt des Projekts. Und einmal zu einer Besprechung des Zwischenstandes an einem verlängerten Wochenende in Göttingen. Dieses Wochenende war der einzige Moment gewesen, an dem ich je mit ihm allein gewesen war.
Wir alle, das gesamte Team, hatten bis spät in die Nacht gearbeitet, aber Gabriel Bruin und ich waren an jenem Samstagabend am längsten geblieben. In einem kleinen, nach neubezogenen Stühlen riechenden Meetingraum mit kargen, weißen Wänden hatten wir im unromantisch kalten Licht der Neonröhren zusammengehockt und über das Projekt sinniert, während draußen die Nacht heraufgezogen war. Insgeheim hatte ich seine Nähe genossen. Ich hatte den Geruch seines herben Aftershaves genossen, der dem der neubezogenen Stühle entschieden entgegengetreten war, die Denkfalten auf seiner Stirn, die in regelmäßigen Abständen abgelöst worden waren von seinem anerkennenden Lächeln, wenn ich Vorschläge machte. Ja, hatte er dann oft nachdenklich erwidert, das ist wirklich eine gute Idee, und sich dann Notizen auf seinem Mac dazu gemacht. Und ich hatte das Lächeln erwidert. Drei, vier Sekunden lange Blicke, die genau auf der Kippe zwischen freundlicher Fachlichkeit und neugierigem Interesse gestanden hatten. Noch auf der Rückfahrt hatte ich über diese Blicke nachgedacht. Doch danach hatte sich nie wieder eine reale Begegnung zwischen uns ergeben, schon gar nicht allein, und das Projekt war ein Jahr später ausgelaufen.
Damals war er noch Post Doc gewesen, kein Professor. Offenbar war er den Klauen des Wissenschaftszeitgesetzes entkommen, das jeden gnadenlos aussortierte, der nicht innerhalb von zwölf Jahren mit Beginn der Promotion eine Professur ergatterte. Ich war mir unsicher, ob er sich an mich erinnerte. Nicht im hintersten Eckchen meiner Hirnwindungen hatte ich daran gedacht, dass ich ihn irgendwann wiedersehen könnte. Die Blicke waren ebenso bei mir in Vergessenheit geraten wie er selbst. Bis zu diesem Augenblick.
"Freut mich", erwiderte ich mit einem höflichen Lächeln und er legte den Kopf freundlich schief. Die Zeit hatte einige silbrige Strähnen in sein sonst dunkelbraunes, volles Haar gewebt und die Lachfalten um seine Augen mit liebevoller Sorgfalt vertieft, was ihn noch attraktiver aussehen ließ in meinen Augen.
Ich zwang mich, mich meinem eigentlichen Objekt der Begierde zuzuwenden – dem älteren Professor, den ich mir als zukünftigen Chefauserkoren hatte, der bisher aber noch nichts von seinem Glück wusste.
"Interessante Forschung, die Sie an Ihrem Lehrstuhl betreiben", eröffnete ich den Smalltalk und rezitierte brav lobend seine letzten Paper, die rund um jenes Projekt veröffentlicht worden waren, das mich so interessierte. Doch ich war durchaus abgelenkt von dem Blick des jungen Professors an meiner Seite, der mich neugierig fixierte. Er beobachtete unsere Konversation und schien zu ahnen, worauf sie meinerseits abzielte.
"Es freut mich, zu sehen, wie Sie sich beruflich entwickelt haben", streute er zwischendrin ein und ich hielt inne und starrte ihn an.
"Wie ich mich... entwickelt habe?", wiederholte ich perplex.
"Ja. Ich hatte damals schon den Eindruck, dass Sie das Zeug zu einer guten Wissenschaftlerin haben. Mir hat Ihr Engagement gefallen und die Art, wie Sie Fragen gestellt haben."
"Sie kennen sich?", fragte mein vielleicht inzwischen etwas ahnender Chef in spe.
"Ähm... flüchtig", gab ich zu, mit einem aufkeimenden Gefühl freudiger Überraschung in mir, das langsam die Begriffsstutzigkeit vertrieb.
"Flüchtig?", wiederholte Gabriel Bruin mit gehobenen Augenbrauen.
"Doch, doch, ich erinnere mich an Sie", sagte ich schnell, um mich aus dem Fettnäpfchen zu retten. Seine Kontakte nicht zu kennen machte keinen guten Eindruck in einer Welt, in der es viel um Vitamin B ging.
"Wer auch immer das Glück haben wird, zukünftig mit Ihnen zu arbeiten, hat mit Ihnen eine gute Partie gemacht", fuhr er fort, "Schade, dass unsere Forschungsgebiete nicht überein passen, ich hätte eine Stelle für Sie irgendwoher gezaubert."
Ich spürte, wie ich einige Zentimeter wuchs und mein Chef in spe aufmerksam dem Wortwechsel folgte.
"Vielen Dank", erwiderte ich, mit einem überraschten Lächeln auf den Lippen.
"Nur die Wahrheit, mehr nicht", gönnte er mir weiteres Lob, und ich meinte, das verschmitzte Zucken seiner Mundwinkel zu verstehen, "Aber die Damen und Herrenmögen mich nun entschuldigen – das Mittagessen ruft."
Er schickte ein Nicken in die Runde und ließ uns stehen. Ich starrte ihm eine Weile verblüfft hinterher, doch ich konnte meine Freude darum, dass er mich erkannt hatte, nicht verhehlen – und darum, dass er nonchalant meiner zukünftigen Karriere einen großzügigen Stupser gegeben hatte. Als ich mich dem älteren Professor wieder zuwandte, war sein Blick neugierig auf mich gerichtet.
"Mit der Promotion bald fertig, sagten Sie?", setzte er an und lud mich zum Mittagessen ein, nur zu zweit.
(Hinweis: Es handelt sich hierbei um eine mehrteilige Geschichte, die auf eine Session hinausläuft, die vermutlich in den FSK18-Bereich gehört ^^)
I'll take you to the top
And I'll drive you crazy.
(Whigfield – Saturday Night)
An jenem Tag, als ich ihn wiedersah, war die Kongresshalle zum Bersten voll. Ich hastete von der Posterpräsentation, auf der ich mit meiner Gruppe die Zwischenergebnisse unseres Projektes vorgestellt hatte, zu dem Vortrag, den ich mir als nächstes anhören wollte. Da erkannte ich zwischen den Leuten das Winken meiner Doktormutter. Auch das noch – ich hatte doch kaum Zeit! Aber ich folgte ihrem Wink, denn – oho – ich sah einen älteren Professor neben ihr stehen, der mir sehr bekannt vorkam. Mein ausgewähltes Ziel als zukünftiger Chef, wenn ich meine Promotion zu Ende gebracht hatte! Er war eine Ikone auf seinem Fachgebiet, das zufälligerweise sehr gut zu meinem Promotionsthema passte. Meine Doktormutter hatte mir versprochen, mich ihm vorzustellen, sofern sich die Gelegenheit ergab. Offenbar war das die Gelegenheit, und die wollte ich mir selbstverständlich nicht entgehen lassen. Ich ließ von meinem Kurs ab und steuerte auf die kleine Gruppe zu.
Wahrscheinlich war ich so mit mir selbst und meinen Karriereplänen beschäftigt, dass ich ihn, der inmitten der Gruppe stand, gar nicht sah, ja, auf den ersten Blick nicht einmalwiedererkannte. Angekommen bei der kleinen Gruppe, führte mich meine Doktormutter ein und stellte mich ausführlich meinem potenziell zukünftigen Arbeitgeber vor. Und dann auch den anderen im kleinen Kreise. Da erst entdeckte ich ihn.
"Prof. Dr. Gabriel Bruin", sagte meine Doktormutter und mein Blick traf auf die Augen, die ich seit fast zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Ich erstarrte kurz zur Salzsäule. Dann zwang ich mich zu einem Lächeln und reichte ihm die Hand. Ich erinnerte mich augenblicklich an ihn, an diesen charismatischen Menschen, mit dem ich einst das Vergnügen gehabt hatte, ein kurzes, aber deutschlandweites wissenschaftliches Projekt zu bearbeiten. Ich war unwichtig gewesen, eine wissenschaftliche Hilfskraft von einer anderen Universität. Wir waren uns nur auf der Schulung begegnet, außerdem bei den monatlichen Meetings über Zoom zum Austausch über den Fortschritt des Projekts. Und einmal zu einer Besprechung des Zwischenstandes an einem verlängerten Wochenende in Göttingen. Dieses Wochenende war der einzige Moment gewesen, an dem ich je mit ihm allein gewesen war.
Wir alle, das gesamte Team, hatten bis spät in die Nacht gearbeitet, aber Gabriel Bruin und ich waren an jenem Samstagabend am längsten geblieben. In einem kleinen, nach neubezogenen Stühlen riechenden Meetingraum mit kargen, weißen Wänden hatten wir im unromantisch kalten Licht der Neonröhren zusammengehockt und über das Projekt sinniert, während draußen die Nacht heraufgezogen war. Insgeheim hatte ich seine Nähe genossen. Ich hatte den Geruch seines herben Aftershaves genossen, der dem der neubezogenen Stühle entschieden entgegengetreten war, die Denkfalten auf seiner Stirn, die in regelmäßigen Abständen abgelöst worden waren von seinem anerkennenden Lächeln, wenn ich Vorschläge machte. Ja, hatte er dann oft nachdenklich erwidert, das ist wirklich eine gute Idee, und sich dann Notizen auf seinem Mac dazu gemacht. Und ich hatte das Lächeln erwidert. Drei, vier Sekunden lange Blicke, die genau auf der Kippe zwischen freundlicher Fachlichkeit und neugierigem Interesse gestanden hatten. Noch auf der Rückfahrt hatte ich über diese Blicke nachgedacht. Doch danach hatte sich nie wieder eine reale Begegnung zwischen uns ergeben, schon gar nicht allein, und das Projekt war ein Jahr später ausgelaufen.
Damals war er noch Post Doc gewesen, kein Professor. Offenbar war er den Klauen des Wissenschaftszeitgesetzes entkommen, das jeden gnadenlos aussortierte, der nicht innerhalb von zwölf Jahren mit Beginn der Promotion eine Professur ergatterte. Ich war mir unsicher, ob er sich an mich erinnerte. Nicht im hintersten Eckchen meiner Hirnwindungen hatte ich daran gedacht, dass ich ihn irgendwann wiedersehen könnte. Die Blicke waren ebenso bei mir in Vergessenheit geraten wie er selbst. Bis zu diesem Augenblick.
"Freut mich", erwiderte ich mit einem höflichen Lächeln und er legte den Kopf freundlich schief. Die Zeit hatte einige silbrige Strähnen in sein sonst dunkelbraunes, volles Haar gewebt und die Lachfalten um seine Augen mit liebevoller Sorgfalt vertieft, was ihn noch attraktiver aussehen ließ in meinen Augen.
Ich zwang mich, mich meinem eigentlichen Objekt der Begierde zuzuwenden – dem älteren Professor, den ich mir als zukünftigen Chefauserkoren hatte, der bisher aber noch nichts von seinem Glück wusste.
"Interessante Forschung, die Sie an Ihrem Lehrstuhl betreiben", eröffnete ich den Smalltalk und rezitierte brav lobend seine letzten Paper, die rund um jenes Projekt veröffentlicht worden waren, das mich so interessierte. Doch ich war durchaus abgelenkt von dem Blick des jungen Professors an meiner Seite, der mich neugierig fixierte. Er beobachtete unsere Konversation und schien zu ahnen, worauf sie meinerseits abzielte.
"Es freut mich, zu sehen, wie Sie sich beruflich entwickelt haben", streute er zwischendrin ein und ich hielt inne und starrte ihn an.
"Wie ich mich... entwickelt habe?", wiederholte ich perplex.
"Ja. Ich hatte damals schon den Eindruck, dass Sie das Zeug zu einer guten Wissenschaftlerin haben. Mir hat Ihr Engagement gefallen und die Art, wie Sie Fragen gestellt haben."
"Sie kennen sich?", fragte mein vielleicht inzwischen etwas ahnender Chef in spe.
"Ähm... flüchtig", gab ich zu, mit einem aufkeimenden Gefühl freudiger Überraschung in mir, das langsam die Begriffsstutzigkeit vertrieb.
"Flüchtig?", wiederholte Gabriel Bruin mit gehobenen Augenbrauen.
"Doch, doch, ich erinnere mich an Sie", sagte ich schnell, um mich aus dem Fettnäpfchen zu retten. Seine Kontakte nicht zu kennen machte keinen guten Eindruck in einer Welt, in der es viel um Vitamin B ging.
"Wer auch immer das Glück haben wird, zukünftig mit Ihnen zu arbeiten, hat mit Ihnen eine gute Partie gemacht", fuhr er fort, "Schade, dass unsere Forschungsgebiete nicht überein passen, ich hätte eine Stelle für Sie irgendwoher gezaubert."
Ich spürte, wie ich einige Zentimeter wuchs und mein Chef in spe aufmerksam dem Wortwechsel folgte.
"Vielen Dank", erwiderte ich, mit einem überraschten Lächeln auf den Lippen.
"Nur die Wahrheit, mehr nicht", gönnte er mir weiteres Lob, und ich meinte, das verschmitzte Zucken seiner Mundwinkel zu verstehen, "Aber die Damen und Herrenmögen mich nun entschuldigen – das Mittagessen ruft."
Er schickte ein Nicken in die Runde und ließ uns stehen. Ich starrte ihm eine Weile verblüfft hinterher, doch ich konnte meine Freude darum, dass er mich erkannt hatte, nicht verhehlen – und darum, dass er nonchalant meiner zukünftigen Karriere einen großzügigen Stupser gegeben hatte. Als ich mich dem älteren Professor wieder zuwandte, war sein Blick neugierig auf mich gerichtet.
"Mit der Promotion bald fertig, sagten Sie?", setzte er an und lud mich zum Mittagessen ein, nur zu zweit.
(Hinweis: Es handelt sich hierbei um eine mehrteilige Geschichte, die auf eine Session hinausläuft, die vermutlich in den FSK18-Bereich gehört ^^)