08.12.2022 ✷ Die fremde Frau

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

      08.12.2022 ✷ Die fremde Frau

      Wenn euch die Geschichte gefallen hat, dann freue ich mich über eure Likes und Kommentare!

      ✵ 8. Dezember ✵

      ╔═════════ » ✵ « ═════════╗

      Die fremde Frau

      ╚═════════ » ✵ « ═════════╝

      von Teufelanna

      Es war bereits spät, als an diesem Winterabend eine Frau in der Bar ankam und doch konnte sie einen Platz direkt an der Theke ergattern. Freundlich grüßte die Barkeeperin sie, da sie mehrfach die Woche diese Bar aufsuchte, kannten sie alle inzwischen. Nie sagte sie ein Wort, aber doch fühlten sich die Menschen in ihrer Umgebung wohl und schnell leisteten ihr andere Menschen Gesellschaft. Nie merkte man ihr Unwillen an, immer hatte sie ein Lächeln für andere übrig. Jeder hinter der Bar wusste inzwischen, was sie bestellte: Zuerst einen Latte macchiato und danach eine große Apfelschorle ohne Eis.

      Die Barkeeperin überreichte ihr den Latte macchiato und kurz überlegte sie, ein Gespräch zu beginnen. Ihre Neugierde wurde immer größer, je öfter sie diese Frau in der Bar sah. Sie wollte wissen, woher diese merkwürdige Frau kam und wo sie danach hinging. Unter ihren Kollegen hinter der Bar gab es die wildesten Gerüchte über diese Frau, doch niemand wusste etwas Genaues. Sie wirkte wie ein fremdes Wesen.

      Auch an diesem Abend kam ein anderer Gast zu ihr und sprach sie an. Mit einem Lächeln wendete sie sich ihm zu. Ohne eine Antwort zu benötigen, sprach der Mann weiter. Der Barkeeperin fiel auf, dass er unglücklich wirkte. Aufgrund des Arbeitsaufkommens konnte sie die beiden nicht weiter beobachten. Auch wenn sie versuchte, immer wieder einen Blick auf die beiden zu erhaschen, gelang es ihr nicht. Teilweise hatte sie das Gefühl, die beiden wären verschwunden und nur noch das sich langsam leerende Glas des Mannes auf dem Tresen zeugte von ihrer Anwesenheit. Als wieder Ruhe einkehrte, stellte sie sich so, dass sie die beiden im Auge haben konnte. Sofort fiel ihr auf, dass der Mann nicht mehr so unglücklich wirkte. Was immer die zwei besprachen, es half ihm offensichtlich.

      Der Chef der Bar trat an die Barkeeperin heran und er erklärte ihr, dass sie Feierabend machen könnte, wenn sie es will. Er würde an der Bar übernehmen, da seine Lust auf Papierkram nun vergangen war. Dankend nahm sie an, machte sich aber selber noch einen Kaffee und setzte sich an einen freigewordenen Platz an der Bar, in der Nähe der Frau, die sie so sehr interessierte. Irgendwas zog sie unwiderstehlich an, dabei war ihre Schicht trotz des frühen Feierabends lang und anstrengend gewesen. Zu Hause würde sie aber nur ihre leere Wohnung erwarten und dieser Zustand deprimierte sie von Tag zu Tag mehr. Noch immer war sie in der Stadt nicht richtig angekommen, selbst nach 2 Jahren nicht. Die dunkle Jahreszeit verstärkte dieses Gefühl auch noch.

      In ihren Gedanken versunken bemerkte sie nicht sofort, dass sie auf einmal nicht mehr alleine war. Erst nach mehreren Minuten sah sie hoch und direkt in das Gesicht der Frau, die sie doch hatte heimlich beobachten wollen. Leise murmelte sie ein „Hallo“, doch anstelle einer Antwort bekam sie ein Lächeln geschenkt. Kurz herrschte friedliche Stille, bis ihr auffiel, dass der Lärm der Bar nachgelassen hatte und es wirklich still um sie herum war. Die Hand der Frau lag auf ihrer Schulter und ein Gefühl des Friedens durchströmte sie. Ohne dass sie es wirklich steuern konnte, fing sie an, von ihrem Unglück über die leere Wohnung und die Einsamkeit zu reden. Sie fühlte sich mit jedem Wort befreiter von einer Last, die sie so vorher nicht wahrgenommen hatte. Erst als sie aufgehört hatte zu reden und wirklich alles ausgesprochen hatte, bemerkte sie die Lautstärke der Bar wieder. Wie hatte sie die nur nicht mehr wahrnehmen können? Es hatte sich fast so angefühlt, als wären sie für ihr Gespräch in einer anderen Welt gewesen. Sie wollte sich bei der Frau bedanken, doch der Stuhl neben ihr war leer. Hatte sie sich das alles nur eingebildet?

      Als sie ihren Kaffee austrinken wollte, war dieser eiskalt, offenbar war doch Zeit vergangen. Von dem gerade Erlebten verwirrt, eilte sie nach Hause. Das erste Mal fühlte sich das Öffnen der Wohnungstür nicht negativ an. Sie trat in den Flur und ihre ursprünglich kargen, weißen Wände, waren mit einem glitzernden Blumenmuster verziert worden. Mit offenem Mund blieb sie in der Tür stehen und die Handtasche rutschte ihr ungebremst von der Schulter. Vorsichtig trat sie an die Wand und berührte eine der Blumen. Wie echte Blütenblätter fühlte sich die Wand an. Zum Vergleich legte sie die Hand auf eine Stelle an der Wand ohne Blüten und dort spürte sie nur die Raufasertapete. Immer wieder ertastete sie die Unterschiede, es wirkte, als würde sie es für sich selbst begreifen wollen. Erstaunlicherweise hatte sie keine Angst, sondern erlebte einen tiefen inneren Frieden.

      Am nächsten Morgen wachte sie erholt auf, der innere Frieden hielt noch immer an. Etwas verwundert sah sie sich um, sie suchte den Grund für ihre Zufriedenheit, doch sie konnte keinen Grund finden. Auch als sie in ihren Erinnerungen kramte, fand sie nichts. Sie war doch gestern nur direkt von der Arbeit nach Hause gegangen? Auf der Arbeit war auch nichts Spannendes passiert. Selbst die fremde Frau war in ihrer Erinnerung nicht aufgetaucht. Beschwingt stand sie auf und machte sich an ihren Haushalt und nahm sich dann ein Buch, das schon lange in ihrem Bücherregal stand. Sie hatte an dem Tag frei und beschloss kurzfristig, abends auszugehen. Über den Tag dachte sie nicht weiter darüber nach und erst am Abend, als sie dabei war, sich zu schminken, schoss es ihr nochmal kurz durch den Kopf, doch sie beachtete es nicht weiter.

      Den Club, in den sie wollte, hatte sie kurz nach ihrem Umzug zufällig gefunden und wollte die ganze Zeit schon mal reingehen. Gegen 23 Uhr machte sie sich auf den Weg. Im Club angekommen, brauchte sie einen kurzen Moment, um sich zu orientieren. Bunte Lichter flackerten über die Tanzfläche und die Musik dröhnte in ihren Ohren. Sie kämpfte sich durch bis zur Bar und versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen. Lange schaffte sie es nicht, am Rand zu stehen, sondern das Bedürfnis zu tanzen wurde immer größer, schließlich gab sie dem nach und ging auf die Tanzfläche. Schnell vergaß sie alles um sich herum und ließ sich einfach von der Musik leiten. Als sie eine kurze Pause brauchte und sich etwas zu trinken holen wollte, sah sie auf einmal etwas, das ihre Aufmerksamkeit auf sich zog: Ein Mann mit einer leuchtenden Blüte auf der Rückseite seines Shirts. Wie magisch angezogen, wechselte sie die Richtung und näherte sich lan
      Der Mann war ganz ins Tanzen vertieft und bemerkte sie nicht. Als sie nur noch ein paar Meter entfernt war, blieb sie erstaunt stehen. Zu dem Mann gesellte sich die fremde Frau, die schon so oft auf ihrer Arbeit aufgetaucht war. Ihre Haut war mit buntem Glitzer bestäubt, so dass sie überall schimmerte, wenn der Lichtkegel der Scheinwerfer auf sie fiel. Kurz trafen sich ihre Blicke und der Moment dehnte sich in die Unendlichkeit aus. Ganz tief in ihrer Erinnerung erkannte sie, dass sie dieses Blumenmuster schon mal gesehen hatte, aber ihr wollte nicht einfallen, wo das war. Auch fühlte sie wieder, wie der innere Frieden sie ausfüllte. Kurz zweifelte sie daran, sich weiter zu nähern, doch der Blick der fremden Frau lud sie förmlich ein. Sie überwand sich und trat näher. Ihre Stimme war nur ein Flüstern, als sie ein „Hallo“ murmelte

      Doch trotz der Lautstärke der Musik schienen beide sie gehört zu haben, denn der Mann drehte sich zu ihr um und lächelte sie freundlich an. „Erkennst du mich?“, fragte die fremde Frau sie. „Du bist häufig in der Bar, in der ich arbeite“, antwortete sie. Erst dann fiel ihr auf, dass es das erste Mal war, dass sie die Stimme der Frau hörte. Auch sie hatte nicht laut gesprochen und doch konnte sie sie klar und deutlich hören. Ihre Stimme hatte einen sanften und melodischen Klang. „Das war ich. Ich verspreche dir, du wirst nie wieder einsam sein. Kommst du mit uns nach Hause?“, bei diesen Worten hielt die fremde Frau ihr die Hand hin. Es war einer dieser bedeutenden Momente, in denen man wusste, dass etwas Wichtiges geschah, auch wenn man es noch nicht greifen konnte. Kurz sah sie sich nochmal im Club um, nahm die tanzenden Menschen, die laute Musik, die flackernden Lichter und diese losgelöste Stimmung in sich auf, dann trat sie noch einen Schritt vor und ergriff die Hand der fremden Frau.

      Wochen später betrat sie ein Café, bestellte einen Kaffee, indem sie auf die Getränkekarte zeigte, schenkte der Frau neben sich ein Lächeln und legte ihr die Hand auf den Arm. Während sie zuhörte, fiel ihr Blick auf die Zeitung, die aufgeschlagen auf der Theke lag. Etwas fiel ihr besonders ins Auge:


      Am 08.12.2022 ist überraschend und unerwartet
      unsere geliebte Tochter, Schwester und Freundin
      von uns gegangen.
      Möge ihr Licht weiter erstrahlen und sie die Menschen
      weiterhin mit ihrem Lächeln umarmen.


      ══════════ » ✵ « ══════════


      Wenn euch die Geschichte gefallen hat, dann freue ich mich über eure Likes und Kommentare!
      Liebe @Teufelanna
      Deine Geschichte ist ausgesprochen schön formuliert. Sie hat einen leichten Wehklang, aber auch ganz viel Zuversicht. Danke.

      Für mich ist da noch eine Botschaft enthalten: sollten wir nicht gerade die Menschen wertschätzen, die leise sind? Die allein durch ihre Präsenz wertvoll sind und einen Raum erhellen? Menschen, die immer ein offenes Ohr haben und hilfsbereit sind? Zu selten nehmen wir diese Menschen wahr, zu laut ist unsere Gesellschaft.
      Wer den Drachen weckt, darf das Feuer nicht fürchten.