11.12.2022 ✷ Erinnerungen im Glas

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      11.12.2022 ✷ Erinnerungen im Glas

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      ✵ 11. Dezember ✵

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      Erinnerungen im Glas

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      von GreenBlueEyes

      Es ist Nacht. Eine Winternacht. Draußen rieselt der Schnee und alles wirkt wie mit einer wohltuenden Stille umhüllt. Anja sitzt auf der Fensterbank mit einer Tasse Schwarztee mit Milch und genießt diese verzaubernde Stille. Sie ist wieder mal alleine zu Hause. Es geht ihr seit geraumer Zeit nicht wirklich gut. Ihr Herz schmerzt, mal erträglich, mal unerträglich. Für andere stets ein Lächeln im Gesicht und ein offenes Ohr, doch hinter der Fassade war so viel Herzschmerz, Zwiespalt und Kampf. Doch gerade jetzt… in diesem Moment… war alles gut.

      Mit ihren nackten Füßen unter der Kuscheldecke ertastet sie was, doch möchte sie sich ungern von der gerade so angenehmen Stimmung lösen — es scheint rund zu sein. Anja schaut wieder aus dem Fenster, sieht den tanzenden Schneeflocken zu, sie fühlt sich wohl. Noch einen Schluck vom Tee, als es sie plötzlich durchfährt, ohne Vorwarnung, Gänsehaut. Sie weiß jetzt ganz genau, was sie unter der Decke an ihren Füßen spürt.

      Langsam zieht sie die Decke von ihren Füßen und erblickt die Schneekugel. Sie erinnert sich, wie glücklich sie war, als sie diese geschenkt bekommen hat und gleichzeitig macht sich die traurige, zehrende Sehnsucht in ihr breit. Sie hebt sie sachte auf, als hätte sie Angst, dass mit dem Fallenlassen der Kugel auch ihre Erinnerungen an den Schenker kaputtgehen würden. Sie schüttelt die Schneekugel 1x und sieht dem herumwirbelnden Schnee zu. „So turbulent war auch die Beziehung, die wir führten“, entweicht es ihr, bewusst, dass sie es zu sich selber sagt.

      Als sich der Schnee auf den Boden legt, offenbart er das Herzstück der Schneekugel. Ein stehender Mann, der ein Halsband in der einen Hand hält und eine vor ihm kniende Frau. Es war alles so detailliert herausgearbeitet, ein Einzelstück, das er nur für sie gemacht hatte. Sie bemerkt, wie ihr langsam die Tränen in die Augen schießen und ihr Herz schwer wird. Diese Kugel hätte ein Anfang von was sehr Schönem werden können. Nun kann Anja sich den Erinnerungen nicht mehr verwehren und sie beginnt, darin zu schwelgen.

      Es begann alles mit einer Bewertung ihres Profilbildes auf einer Plattform. Sie bedankte sich mit einem Kommentar für die Bewertung und konnte ihre Neugier nicht unterdrücken, sein Profil zu begutachten. Das Profilbild brachte Anja zum Schmunzeln; „hat der keine Kleidung, oh der Hintern ist aber nicht schlecht, das wird mir ja einer sein“, waren in etwa so ihre Gedanken beim Anblick. Doch alles eben nur Oberflächlichkeiten. Mehr hatte sie auch auf so einer Seite nicht erwartet. Trotzdem wollte sie mehr, zumindest ein bisschen mehr, nicht alles, aber irgendwie doch annähernd alles. Was wollte sie eigentlich? Als Anjas Gedanken so kreisten, erblickte sie, dass sich eine Nachricht in ihrem Postfach befand. Sie klickte auf den Posteingang und sah das ihr bekannte Profilbild, den Knackarsch. Der Inhalt der Nachricht überraschte sie. Er erläuterte nämlich darin, dass er ihr die Bewertung für ihr cooles, kariertes Kleid gegeben hatte, ob ihr Ska was sagen würde?

      Ja, natürlich sagte ihr Ska was, einer ihrer Lieblings-Musikstile und deshalb auch ihr Spleen mit den schwarz-weiß karierten Klamotten. TwoTone halt. Und so ergaben sich nächtelange Diskussionen, in der die Oberflächlichkeiten immer mehr in den Hintergrund gerieten und sie sich sachte annäherten. Geheimnisse wurden gelüftet, ohne zu wissen, ob es für den anderen irgendwann eventuell zu viel „des Guten“ war. Doch beide sind geblieben. Wollten es locker angehen. Eine Spielbeziehung im Wissen, dass beide ihre Partner zu Hause hatten und ihre Verantwortung gegenüber diesen zu tragen hatten. Trotzdem ihre Neigung, die entweder nie erloschen war oder neu entdeckt wurde, die sie nicht mehr unterdrücken wollten.

      Er, der Erfahrene und sie, der Neuling. Es war alles so spannend. Er war so anders. Kein Protz, kein Super-Dom. Einfach nur ein Mensch mit einer Neigung, der genau wusste, wie er mal war und nicht mehr sein wollte. Nie vergleichend, sondern nur auf Anja fokussiert. Er hatte sie in seinen Bann gezogen. Sie, die vermeintlich Unnahbare. Er hatte sie durchschaut und trotzdem nie gedrängt. Auch wenn er wahrscheinlich oft kurz davor war, an die Decke zu gehen, wenn Anja wieder mit einem flotten Spruch oder einem Witz von sich ablenken wollte. Ja, so war sie, alles über andere wissen wollen, aber sich selber gerne bedeckt halten.

      Die Tage vergingen. Vom Postfach wurde auf einen Messenger gewechselt, die ersten Sprachnachrichten folgten. Anja mochte keine Sprachnachrichten von sich, aber für ihn machte sie welche, weil sie seine so gern hörte. Danach folgten Telefonate und dann wurde es Zeit für ein Treffen. Anja hatte einen Riesenbammel davor, ihn zu enttäuschen. Ja, ihm nicht zu gefallen. Was ihr bei anderen egal war. Warum bei ihm nicht? Obwohl sie ihn doch gar nicht kannte? War da doch bereits mehr? Nein, das konnte nicht sein. Eine lockere Sache. Wie besprochen.

      Das Datum stand nun fest. Anjas Nervosität stieg ins Unermessliche. Wie wird er auf sie reagieren? Wie reagiert sie auf ihn? Wird es bei einem Gespräch bleiben? Würde sie sich auf ein zaghaftes Spiel einlassen? Würde er sowas überhaupt beim ersten Treffen verlangen? Nein, das würde er mit ziemlicher Sicherheit nicht, so wie Anja ihn kennengelernt hatte. Wiederum kann man, hinter einem Bildschirm versteckt, viel erzählen. Obwohl ihr Bauchgefühl – und das war bei ihm ziemlich gut – sie noch nie betrogen hatte, führten all diese Fragen und Gedanken bei Anja dazu, die zwei Wochen bis zum Treffen auf heißen Kohlen zu sitzen.
      Nun war Tag X gekommen. Zum Glück musste Anja noch arbeiten, dies lenkte sie ab von ihrer jetzt noch ausgeprägteren Hibbeligkeit. Der Arbeitstag verlief eigentlich wie immer, außer dass ihr Mr. X sie mit dem Stundencountdown piesackte. Das hatte sie wohl verdient, so oft wie sie an seinen Nerven kratzte, weil sie auf eine ernste Frage um den heißen Brei herum redete. Der Feierabend nahte mit großen Schritten. Dann 16.00 Uhr. Anja setzte sich ins Auto, holte nochmals tief Luft und fuhr los zum vereinbarten Treffpunkt. An einer roten Ampel sah sie aufs Handy. Eine Push-Benachrichtigung. Er sei schon da und würde auf sie warten.

      Es begann ganz schön zu flattern in Anjas Bauch. Sie wollte doch zuerst da sein und auf ihn warten, um nicht schon beim Vorfahren das Gefühl zu haben, inspiziert zu werden. Anja war nämlich trotz ihrer manchmal vorlauten Klappe schüchtern. Es musste mit einem Menschen erst matchen, bevor sie sich locker machen konnte. Sie bog zum Parkplatz ein und da stand er vor seinem Auto. Sie parkte neben seinem Auto und ihr Herz pochte. Anja stieg aus dem Auto und nach einem liebevollen Tritt – der wahrscheinlich für alle ihre vorangegangenen Frechheiten war – zog er sie in seine Arme. Anja genoss diese Umarmung und trotzdem kam sie sich steif wie ein Brett vor, weil sie nicht wusste, was mit ihr geschieht. Sie spazierten den See entlang und fanden ein einsames Plätzchen. Redeten über Gott und die Welt. Es war, als würden sie sich schon ewig kennen. Seelenvogel und Seelennase, wie sie sich später nennen würden oder Bonnie und Clyde, wegen der Textpassage der Toten Hosen:

      „Wir sind uns vorher nie begegnet
      Doch ich hab dich schon lang vermisst
      Auch wenn ich dich zum ersten Mal hier treff'
      Ich wusste immer, wie du aussiehst“

      Die Zeit rannte viel zu schnell davon und es wurde Zeit, sich zu verabschieden. Es folgte ein Kuss, einer, der es in sich hatte. So geküsst wurde Anja schon lange nicht mehr. Und mit diesem Kuss trennten sich ihre Wege und jeder fuhr nach Hause.

      Es folgten weitere Treffen, die Zeit dazwischen voller Sehnsucht. Mit dieser Sehnsucht gingen beide anders um. Anja eher still. Ihr Seelenvogel mit Schwankungen seiner Laune. Es war für beide nicht einfach, die Launen des anderen manchmal zu verstehen bzw. über sich ergehen zu lassen. Bei jedem Treffen jedoch war alles gut, wenn sie die Nähe des anderen spürten. Er drängte sie zu nichts, alles Schritt für Schritt. BDSM in Slowmotion, was aber genau Anjas Ding war, sich immer und immer mehr fallenlassen zu können. Bei einem Treffen verweigerte er sich ihr, obwohl sie alles ausspielte, was sie ausspielen konnte. Nichts. Bei einem anderen Treffen bearbeitete er ihre Brüste. Dann mal Hintern versohlen für Frechheiten. Step by Step.

      Beide wussten, dass es bereits mehr war als eine lockere Sache. Er sprach es aus. Anja schwieg. Sie schwieg, weil sie nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte, nicht, weil sie nicht dasselbe fühlte. Sie machte gute Miene und schwieg sich weiterhin über ihre Gefühle aus. Bis der Tag kam, als er es beendete, durch seine Stille.

      Langsam kommt Anja aus ihren Erinnerungen zurück, eine Träne sucht sich den Weg über ihr Gesicht. Sie hält immer noch die Schneekugel in der Hand. Diese Schneekugel vereint alles, was sie in diesen Jahren mit und ohne ihn gefühlt hat. Wärme, Sturm, Höhenflüge, Innigkeit, Traurigkeit und Liebe. Hoffnung?

      Anja macht sich auf den Weg ins Schlafzimmer, die Schneekugel nimmt sie mit. Bevor sie sich ins Bett legt, schüttelt sie die Kugel nochmal und stellt sie auf ihren Nachttisch. Obwohl er es so abrupt beendet hatte, weiß Anja, dass es ihre Schuld war. Sie hätte nur ein Mal ihren Mund aufmachen sollen, ein Mal über ihren Schatten springen müssen und über ihre Gefühle reden. Denn er war mehr als nur ein Dom, Geliebter. Er ist ihr Seelenvogel.

      Und so schläft sie trotzdem mit einem Lächeln ein, denn sie hofft…

      „Nur durch die Hoffnung bleibt alles bereit, immer wieder neu zu beginnen“
      Charles Péguy

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      Mein erster Gedanke war, das ist die Geschichte meiner Partnerin und mir. Aber wir haben es geschafft, uns ein Happyend zu bescheren und sind jetzt seit sechs Monaten zusammen.
      Vielen Dank für die Worte, die etliche Erinnerungen in mir wachgerufen haben.
      Manchmal ist der Sinn des Lebens eine dunkle Gasse und manchmal auch der strahlende Frühlingstag.