21.12.2022 ✷ Die Weihnachtskugel

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      21.12.2022 ✷ Die Weihnachtskugel

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      ✵ 21. Dezember ✵

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      Die Weihnachtskugel

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      von Promise

      21. Dezember, traditionell der Tag, an dem Linda ihren Weihnachtsbaum schmückt. Schon immer. Seit sie denken kann. Woher diese Tradition in ihrer Familie stammt, weiß sie nicht. Es ist einfach so. Und so ist es für sie auch absolut natürlich gewesen, dass Henning sich dieser Tradition anschloss. Das Schmücken des Baumes hat für Linda etwas Beruhigendes, irgendwie Meditatives. Deshalb wartet sie, bis die Kids schlafen und Ruhe im Haus eingekehrt ist. Henning hat Spätdienst. Ihr Ältester, Vincent, ist bei Freunden.

      Ruhe. Ich-Zeit. Ein Glühwein, leise Musik aus der Box. Vor ihr steht die Kiste mit der Weihnachtsdeko. Voller Vorfreude öffnet Linda den Deckel. Sie liebt die Weihnachtszeit. Das Leuchten der Kerzen, die Düfte, Kekse backen, die kleinen Geheimnisse. Niemals hat sie dieses Gefühl verloren, den Zauber der Weihnachtszeit. Linda nimmt das erste Kästchen heraus. Ferngesteuerte LED-Kerzen, welche sie gleichmäßig über den Baum verteilt. Kästchen um Kästchen öffnet Linda und bringt die verschiedenste Deko am Baum an.

      Plötzlich hält sie ein unscheinbares, graues Pappkästchen in der Hand. Sie spürt einen Stich in ihrem Brustkorb, ihr Herzschlag beschleunigt sich. Ihr Blick ruht auf dem Kästchen. Wie viele Jahre liegt es nun schon in der großen Kiste? Dreizehn Jahre müssen es sein. Dreizehn lange Jahre, in welchen sie nicht in der Lage war, wieder hineinzuschauen. Unsicher und mit zittrigen Händen öffnet sie das Kästchen. Da liegt sie: eine schwarze Weihnachtskugel mit silber-glitzernder Triskele. Nahezu sofort schießen Linda Tränen in die Augen. Ganz vorsichtig streichelt sie über den rauen Glitter, spürt den Wechsel zwischen diesem und der glatten Oberfläche der Kugel. Spürt die Welle der Erinnerung über sich hereinbrechen.

      Tom war ein guter Freund, welchen sie durch ein gemeinsames Hobby, die Musik, kennengelernt hatte. Und er war einfach da, wann immer sie ihn brauchte. Er ließ den Kontakt auch nicht einschlafen, als sie ein Kind bekam, alleinerziehend war und für die gemeinsame Musik nur noch wenig Zeit blieb. Niemals hätte sie sich vorstellen können, dass zwischen ihnen einmal mehr, als eine durch das gemeinsame Hobby entstandene Freundschaft sein könnte. Tom konnte so viele Mädels haben. Linda hatte es mehr als einmal gesehen, wie sie nach seinen Auftritten um ihn herumtänzelten und ihn in Gespräche verwickelten. Das konnte auch Tom nicht entgangen sein. Allerdings hatte sie nie erlebt, dass er auf irgendeine dieser Anmachen eingegangen ist. Ganz im Gegenteil hatte er sogar oft später, wenn sie beide alleine waren, gesagt, wie unangenehm er das findet und wie peinlich manche Mädels auf ihn wirken. Seine Zeit verbrachte er mit ihr, mit Linda und mit ihrem Sohn. Mit ihr hörte er bis in die Nacht hinein Platten und stellte neue Sets zusammen. Ihre Meinung war ihm wichtig. Und trotzdem kam dieser eine Abend vollkommen überraschend für Linda.

      „Möchtest du auch einen Schoko-Riegel?“ Tom steht vor dem Bücherregal in Lindas Wohnzimmer und lässt seinen Blick ziellos über dessen Inhalt gleiten. Sie hält ihm die Schachtel mit den Riegeln entgegen. Beim Zugreifen stößt Tom gegen die Schachtel und ein Riegel fällt zu Boden. Schnell kniet sich Linda auf den Boden, um ihn aufzuheben. Kurz schaut sie nach oben, damit sie sich beim Aufstehen nicht den Kopf am Regal stößt. Dabei begegnet sie Toms Blick. „Bitte bleib so!“, hört sie ihn sagen, während er den Blickkontakt hält. Langsam möchte Linda sich erheben. „Ich sagte, du sollst so bleiben!“

      Mit fragendem Gesichtsausdruck hält sie seinem andauernden Blickkontakt stand. Sie möchte etwas sagen, doch als sie ihre Lippen bewegt, legt Tom ihr zärtlich, aber bestimmt zwei Finger auf den Mund. „Weißt du eigentlich, wie wunderschön du in dieser Position bist? Weißt du, wie oft ich mir eine Situation wie diese vorgestellt, erhofft habe und mich aber nie getraut habe, sie herbeizuführen?“ Linda wird es heiß. Sie spürt, wie sie rot wird und ist dankbar für die spärliche Beleuchtung in ihrem Wohnzimmer.

      „Ich möchte, dass du mir zuhörst. Ich möchte, dass du schweigst und einfach nur zuhörst. Versprichst du mir das?“ Linda nickt, ohne den Blickkontakt zu Tom zu verlieren. Seine Finger lösen sich von ihrem Mund. Langsam geht er rückwärts und setzt sich in den Sessel, der neben dem Regal steht. Tom beginnt, zu erzählen von Beziehungen, in denen ein Part sich unterwirft, von Aufgaben und Ritualen, Strafen und Schlägen. Linda hört zu, weiterhin mit kontinuierlichem Blickkontakt und in kniender Position. Immer wieder fragt Tom, ob sie versteht, was er meint, sie ihm folgen könne, was Linda ihm nickend bestätigt. Ihre Gedanken und Gefühle wirbeln durcheinander und sie glaubt, sich gerade am Anfang eines neuen Weges zu befinden, als Tom sie fragt, ob sie sich vorstellen könnte, eine solche Beziehung mit ihm einzugehen. In ihrem Kopf schreit es: „Merkst du das denn nicht? Ich habe doch schon damit begonnen.“

      Äußerlich nimmt man nur ein kaum merkbares, fast feierliches Nicken wahr. Tom erhebt sich und geht auf Linda zu, legt seine Hände auf ihren Kopf und streichelt zärtlich durch ihr weiches, rotblondes Haar. Linda fühlt sich wie ein kleines Kätzchen und würde am liebsten beginnen zu schnurren. Plötzlich spürt sie, wie sein kräftiger Griff in ihrem Nackenhaar sie sehr bestimmend nach oben zieht und sie gar nicht anders kann, als aufzustehen. Mit einem Arm um ihre Hüfte und dem anderen weiterhin in ihrem Nacken zieht er sie an sich heran und beginnt, sie sehr fordernd zu küssen.

      Ein leises Weinen aus dem Kinderzimmer beendet diesen intensiven Moment und Linda benötigt einen kurzen Augenblick, um sich zu sammeln und zu realisieren, dass ihr Sohn in seinem Bettchen aufgewacht ist und seine Mama braucht. Während Linda Vincent beruhigt, verabschiedet sich Tom mit einem kurzen Gute-Nacht-Gruß ins Kinderzimmer und der Ankündigung, dass er morgen wiederkommt. An diesem Abend benötigt Linda länger als gewöhnlich, um in einen Schlaf zu finden, welcher unruhig und durchzogen von surrealen Traumfetzen, sie am nächsten Morgen nur wenig erholt aufwachen lässt. Ein Blick auf ihr Handy zeigt ihr eine Nachricht von Tom. Er kommt gegen 8 Uhr und bringt Brötchen mit. Sie soll das schwarze Kleid mit der Blumenstickerei tragen. Linda ist verwundert, dass Tom dieses Kleid, welches sie schon lange nicht mehr anhatte, überhaupt in den Sinn kam, befolgt aber seine Bitte.

      Immer wieder bekommt Linda neue Aufgaben. Immer tiefer greift Toms Gegenwart in ihr alltägliches Leben ein. Linda genießt die gemeinsame Zeit, die täglichen Treffen, Toms körperliche Präsenz, wie er sich von ihr nimmt, was er will. Und sie glaubt, etwas wie Zufriedenheit und Stolz in seinem Blick zu erkennen. Stolz darauf, dass sie, Linda, alle Aufgaben erfüllt, um ihn glücklich zu machen. Stolz darauf, dass sie auch Konsequenzen und Strafen demütig erträgt und sich noch mehr Mühe gibt, ihn zufriedenzustellen.

      So vergeht Woche um Woche. Auf einen wunderschönen Sommer folgt der Herbst und dann der Winter mit Lindas geliebter Adventszeit. Mit verbundenen Augen sitzt Linda an der Kante ihres Bettes. Tom hatte ihr direkt zur Begrüßung eine Augenbinde umgelegt, sie zu ihrem Bett geführt und gesagt, dass er eine Überraschung habe. Gespannt lauscht Linda dem Rascheln, als Tom etwas aus seiner Tasche packt. Die Augenbinde wird entfernt und Linda blickt auf das, ihre Augen blendende, Display von Toms Tablet. Eine E-Mail. Linda liest. Plötzlich versteht sie Toms Aufregung und Freude. Er hat eine Einladung zu einem Event in einem Club in Frankreich erhalten. Bereits vor etlichen Wochen war Tom nächtelang damit beschäftigt gewesen, passende Stücke für seinen Bewerbungs-Mix auszuwählen und sie immer wieder um ihre Meinung dazu zu bitten. Und nun ist dieser Traum Wirklichkeit geworden, etwas, womit sie beide nicht gerechnet haben. „Ich will dich bei diesem Auftritt dabei haben!“, Tom zieht Linda an sich heran. „Ohne dich, deine Tipps und deine Geduld hätte ich es nie so weit geschafft.“
      18. Dezember

      Nachdem sie Vincent zu seinen Großeltern gebracht haben, sitzt Linda neben Tom im Auto und fühlt sich unendlich frei. Der erste Urlaub ohne Vincent. Okay, drei Nächte ohne ihn. Dafür mit Tom. Abenteuer. Linda ist unheimlich aufgeregt und freut sich auf die gemeinsame Zeit mit dem Mann, der ihr in den letzten Monaten eine neue, dunkle und faszinierende Welt gezeigt und Wünsche in ihr geweckt hat, sie an Grenzen geführt und in die Tiefen ihrer Seele hat blicken lassen. Immer wieder neue Herausforderungen hat er gestellt und ihr dabei gleichzeitig das Gefühl von grenzenloser Sicherheit gegeben. Gedankenversunken schweift Lindas Blick über die vorüberziehende hügelige Landschaft. Grau und matschig ist der Anblick. So gar nicht winterlich oder gar vorweihnachtlich. Nur hin und wieder verirrt sich eine Schneeflocke zwischen den Regentropfen auf der Windschutzscheibe.

      Sie fahren bereits eine Weile, als Tom den Wagen auf einen kleinen, etwas abgelegenen Parkplatz lenkt. „Ich habe etwas für dich. Eigentlich dein Weihnachtsgeschenk. Aber ich glaube, es könnte in den nächsten Tagen bereits von Nutzen sein.“ Tom reicht ihr eine kleine Schachtel. „Pack aus!“, ermuntert er sie und seine Augen glänzen erwartungsvoll. In dem Päckchen findet Linda ein Lederarmband mit wunderschönen Verzierungen und einem silbernen Ring vor. Weich und geschmeidig fühlt sich das Leder an und verströmt einen sehr angenehmen, würzigen Geruch. „Das ist sehr schön. Danke!“ Linda schaut Tom fragend an. „Aber was meinst du mit von Nutzen sein?“ Tom grinst sie keck an und greift in seine Hosentasche, aus welcher er eine kurze Leine mit Lederschlaufe zieht, farblich und vom Muster her zum Armband passend und mit einem Karabiner versehen. „Eine Leine?“, fragt Linda. „Ich will doch nicht, dass du in dem großen, fremden Land verloren gehst.“ Sein Blick ruht auf ihr, sanft, fürsorglich, bestimmend. „Gib mir deine Hand!“ Er legt ihr das Armband an und küsst sie auf die Stirn. „Meins. Niemals wirst du verloren gehen.“

      Linda spürt eine warme Welle ihren Körper durchfluten. „Tom, ich liebe dich“, kommt kaum hörbar über ihre Lippen. Doch Tom wendet plötzlich den Blick ab und startet das Auto. „Wir haben noch eine weite Strecke vor uns.“ Linda fühlt sich irritiert und zurückgewiesen, versucht aber, diesem Gefühl keinen zu großen Raum zu geben. Sie will die Zeit mit Tom genießen und nicht dusselige Gefühlsregungen analysieren.
      Es ist bereits stockfinster, als sie in ihrem Hotel in der kleinen Stadt in der Bretagne ankommen. Auch hier ist die Stimmung wenig weihnachtlich. Ein nasskalter Wind zerzaust ihr Haar, als sie das Gepäck zum Eingang bringt. Einzig ein Weihnachtsbaum im Foyer erinnert an das bevorstehende Fest.

      Im Zimmer angekommen, nimmt Tom ein Handtuch und rubbelt Linda über das nasse Haar. Er stellt aber recht bald fest, dass das nicht ausreicht und Linda außerdem ganz kalt ist. „Geh warm duschen!“, sagt er und nimmt ihr das Lederarmband ab. „Ich lege dir in der Zeit etwas raus, was du zum Abendessen anziehen sollst.“ Linda ist aufgeregt und gespannt. Tom legt ihr Kleidung heraus? Er weiß doch gar nicht, was sie eingepackt hat. Während das warme Wasser über ihren Körper fließt, merkt Linda erst, wie durchgefroren sie ist und wie steif ihre Gelenke von der langen Autofahrt sind.

      Noch beim Abtrocknen schaut Linda ganz neugierig, was Tom an Kleidung für sie ausgesucht hat. Doch das, was da liegt, kommt Linda gänzlich unbekannt vor. Tom hat gar nichts von ihren Sachen genommen, sondern etwas Neues hingelegt. Linda faltet den Stoff auseinander. Was ist das? Das knappe Kleid ist aus durchsichtigem, schwarzem Tüll. Linda sucht etwas, was sie unter das Kleid ziehen kann, einen Slip, einen BH, ein Unterkleid, irgendwas. Oder vielleicht etwas zum Drüberziehen. Fehlanzeige. Allein dieses schwarze Nichts liegt vor ihr. Hier muss ein Irrtum vorliegen. Erwartet Tom von ihr, dass sie so gut wie nackt ins Restaurant geht?! Sie nimmt einen Bademantel vom Haken und verlässt das Badezimmer. Noch bevor sie etwas sagen kann, ergreift Tom das Wort. „Hattest du nicht die Anweisung, anzuziehen, was ich dir hinlege?“, fragt er sie in einem Tonfall, welcher keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Worte zulässt. Linda senkt ihren Blick. „Ja, die hatte ich“, antwortet sie, während sie sich umdreht und ins Badezimmer zurückkehrt.

      Tränen schießen Linda in die Augen, während sie sich das schwarze Nichts über ihren Körper streift. Tränen der Scham, Tränen der Verzweiflung und Tränen der Wut. Sie mag überhaupt nicht daran denken, was gleich auf sie zukommen wird. Vor dem Spiegel stehend, föhnt Linda ihre Haare, steckt sie hoch und betrachtet dabei ihren Körper in diesem schwarzen, durchsichtigen Kleidchen. Eigentlich ist der Anblick gar nicht so schlecht, denkt sie. Trotzdem möchte sie so nicht im Restaurant des Hotels sitzen und den Blicken der anderen Gäste ausgeliefert sein. Warum tut Tom ihr das an? Mit Halterlosen, High Heels und dem schwarzen Nichts bekleidet tritt Linda aus dem Bad vor Tom, welcher mit einem Glas Whiskey in der Hand in einem Sessel sitzt und sie zunächst wortlos betrachtet. Sie spürt förmlich seinen Blick über ihren Körper wandern und muss sich eingestehen, diese Situation äußerst erregend zu finden.

      Mit einer Geste deutet ihr Tom, sich vor ihn zu knien. „Ich fand deine Aktion gerade nicht sonderlich toll. Hattest du eine klare Anweisung?“ „Ja“, flüstert Linda. Mit den Worten „Ich verstehe dich nicht!“ erhebt sich Tom, greift Linda in ihre Haare, zieht auch sie wieder hoch und führt sie unsanft zum Bett. Dort lässt er Linda sich über die Bettkante legen. Linda hört, wie Tom seinen Gürtel aus den Schlaufen seiner Hose zieht. Nach wenigen, sehr kräftigen Schlägen, die keinen Raum für Zweifel an Toms Verärgerung lassen, spürt Linda die Anspannung nachlassen. Sie gibt sich den Wellen, die ihren Körper ergriffen haben, hin. Tränen fließen und sie fühlt sich befreit. Tom legt sich neben sie, küsst ihr Haar, streichelt ihren Rücken und beruhigt sie, bevor er sich von ihr nimmt, worauf er schon vom ersten Augenblick an, als er sie aus dem Bad kommen sah, Lust hatte.

      Später, als sie bereits eine Weile aneinandergeschmiegt auf dem Bett liegen, grinst Tom sie zunächst an, beginnt zu lachen und steht dann auf. Er öffnet die Tür des Kleiderschrankes, holt ein langes Kleid mit Knopfleiste, breitem Gürtel und silberner Gürtelschnalle heraus, schlicht und edel gleichzeitig. Er wedelt damit vor Linda herum. „Du kleines Dummerchen hast wirklich geglaubt, ich würde dich in dem Tüllkleidchen ins Restaurant führen? Das hättest du mir wirklich zugetraut?“ Tom lacht ungeniert und Linda spürt die Röte ins Gesicht steigen. „Interessant, was du mir zutraust. Und schade, dass du ungehorsam warst. So wird dir heute Abend nicht nur das schöne Kleid entgehen, sondern auch der Restaurantbesuch.“ Tom greift ihr Handgelenk, legt ihr das Lederarmband an und befestigt dieses mit der kurzen Leine am Fuß des Bettgestells. „Hier wartest du, bis ich wieder zurück bin. Genauso!“

      Empörung, Wut, Traurigkeit und ein seltsames Gefühl von Zufriedenheit wechseln sich in ihr ab. Und Hunger. Sie hat seit ihrer Abfahrt am frühen Morgen nichts mehr gegessen. Erst jetzt, wo sie hier alleine mit ihren Gefühlen im Hotelzimmer auf dem Bett liegt, macht sich auch der Hunger bemerkbar. Und Tom ist jetzt im Restaurant. Gerne wäre sie bei ihm. Wie kam sie eigentlich auf diesen blödsinnigen Gedanken, er könne sie halbnackt ins Restaurant schicken? Ja, sie hatte nichts anderes verdient, als jetzt hungrig hier zu liegen. Linda hört ein Geräusch, die Tür wird geöffnet und Tom tritt herein. Auf seinem Arm ein Tablett mit Speisen, zwei Tellern, Besteck, zwei Gläsern und Rotwein. Linda ist froh und erleichtert, dass er nicht alleine im Restaurant gegessen hat. Tom deckt den Tisch, führt Linda zu ihrem Stuhl und gemeinsam genießen sie das leckere Essen bei Kerzenschein. Während sie sich schweigend gegenübersitzen, schaut Linda immer wieder in Toms Gesicht, das Flackern der Kerzenflamme lässt Schatten über sein Gesicht huschen und es somit noch geheimnisvoller erscheinen.

      Am nächsten Abend ist Toms großer Auftritt im Club. Er und andere DJs legen in einem angesagten Club auf. Jeder in der Hoffnung, der Beste zu sein. Tom ist bereits den ganzen Tag angespannt und gereizt. Verständlicherweise. Er zieht sich immer wieder zurück, führt Telefonate, verschwindet kurz. Sie fragt nicht. Möchte ihm nicht zur Last fallen. Aber ihr Bauchgefühl ist merkwürdig. Sein Auftritt ist grandios. Er wirkt selbstbewusst, souverän, unnahbar. Und auf Linda auch irgendwie kalt. Die anschließende Party ist laut, bunt und mitreißend. Es ist bereits früher Morgen, als Linda endlich komplett fertig im Hotelzimmer ins Bett fällt. Tom liegt wach neben ihr und starrt an die Decke.

      Erst am späten Sonntagnachmittag sind Tom und Linda wieder fit genug, um die touristischen Attraktionen des Ortes zu erkunden. Tom führt Linda währenddessen versteckt an der kurzen Leine. Ein Band der Sicherheit, der Zuneigung und der Zugehörigkeit. Das merkwürdige Gefühl, welches Linda tags zuvor zeitweise beschlichen hatte, ist verschwunden. Tom ist bei ihr und Tom ist wie immer. Einfach Tom eben.

      Der Wind bläst auch an diesem Sonntag weiterhin in kräftigen Böen und peitscht immer wieder Regen, wie einen Vorhang aus Wasser, über die Straßen. Um nicht gänzlich zu durchnässen, flüchten die beiden in ein kleines Lädchen, welches neben Tee, Kaffee und Kleingebäck auch Souvenirs anbietet. Und da entdeckt Linda sie. Die schwarze Weihnachtskugel mit silberner Triskele, einem der bretonischen Symbole. Für sie persönlich steht die Triskele aber für etwas anderes. Tom entgeht Lindas Leuchten in den Augen natürlich nicht, weshalb er auch nicht lange überlegt und ihr die Weihnachtskugel kauft. Eine Erinnerung an eine einprägsame Reise, die so vieles verändern sollte.
      21. Dezember

      Tom und Linda schmücken gemeinsam mit Vincent den Weihnachtsbaum, welchen sie auf dem Rückweg von Lindas Eltern in einer kleinen Weihnachtsbaum-Kolonie geschlagen haben. Mittlerweile ist es auch winterlich geworden. Dicke Schneeflocken tanzen vor dem Fenster. Weihnachtslieder dudeln aus dem CD-Player und Vincent ist ganz verschmiert von einem Schoko-Nikolaus, den er gerade verspeist hat. Mit seinen zweieinhalb Jahren erlebt er Weihnachten nun zum ersten Mal so bewusst, dass er merkt, dass diese Zeit wohl etwas Besonderes sein muss. Während unten am Baum die von Vincent aufgehängten Strohsterne pendeln, prangt im oberen Drittel die schwarze Kugel. Linda lehnt sich an Tom und genießt einfach nur seine Anwesenheit, seine Wärme, seinen Duft. Vincent spielt mit ein paar übriggebliebenen Strohsternen auf dem Boden und zerkrümelt sie dabei. Linda blickt auf ihren Sohn und kuschelt sich enger an Tom.

      „Wie eine kleine Familie fühlt es sich an“, sagt sie und spürt, wie sich Toms Körper für einen Moment versteift. Irritiert von dieser unerwarteten Regung, fragt sie: „Was empfindest du eigentlich für mich?“ Da nicht sofort eine Antwort kommt, schaut sie Tom fragend an. Ein nervöses Zucken umspielt seine Mundwinkel.
      „Warum fragst du das?“, entgegnet er schließlich.
      „Weil ich es wissen möchte“, ist ihre Antwort.
      „Das ist doch egal.“
      „Nein, ist es nicht“, beharrt Linda.
      Tom rutscht ein Stück von ihr ab und lehnt seinen Kopf gegen die Wand hinter der Rückenlehne des Sofas. Sein Blick verliert sich irgendwo draußen in der Ferne, im Schneegestöber vor dem Fenster.

      „Ich genieße die Zeit mit dir. Sie ist wunderschön. Du gibst mir, was ich suchte und brauche“, antwortet er schließlich.
      „Ja. Und?“, fragt sie.
      „Was meinst du mit Und?“
      „Es fühlt sich doch an wie Familie.“
      „Linda, lass das bitte!“
      „Da ist doch mehr. Oder?“
      „Linda, ich möchte nicht darüber diskutieren. Ich möchte, dass alles so bleibt, wie es ist.“ Mit diesen Worten nimmt er sie in den Arm und küsst ihre Stirn.
      „Und nun schweig zu diesem Thema, sonst muss ich dir den Mund zukleben. Was soll denn Vincent denken, wenn die Mama plötzlich ein Pflaster über dem Mund hat?“ Bei dieser Vorstellung huscht ein Lächeln über ihr Gesicht, aber innerlich spürt sie wieder die nagenden Stiche der Ungewissheit.

      Das Weihnachtsfest verbringen Tom und Linda gemeinsam. Eine kleine Welt, voller Harmonie, Regeln, Wärme. Lindas Trutzburg in einer Welt, die oft oberflächlich und kalt erscheint. Nach den Weihnachtsfeiertagen bekommt Tom erste Angebote für größere Events. Er hat in Frankreich zwar keinen der großen Preise abgeräumt, aber sein Auftritt dort hat ihn immerhin bekannter gemacht. Immer öfter sind seine Wochenenden verplant. Linda kann ihn nur selten begleiten. So vergehen die ersten Wochen des neuen Jahres. Linda und Tom sehen sich selten. Bei ihren Treffen wirkt Tom oft fahrig und cholerisch, manchmal auch frustriert, teilweise euphorisch und aufgedreht. Er verändert sich, straft Linda auch schon mal für Vergehen, derer sie sich gar nicht bewusst ist. Linda hat eine Vermutung, was hinter dieser Veränderung steht. Doch darauf angesprochen, versichert ihr Tom, dass dem nicht so sei, er nur sehr eingespannt ist und alles wieder besser wird, wenn er erstmal richtig Fuß gefasst hat und in der Musikszene etabliert ist.

      Zum Sommersemester bekommt Linda einen Studienplatz etliche Kilometer entfernt, sodass ein Umzug ansteht. Vieles ist zu organisieren, Wohnung, Kita-Platz für Vincent. Tom unterstützt sie, sofern es sein Terminkalender zulässt. In ihrer neuen Wohnung besucht Tom sie nicht ein Mal. Auch fragt er sie nie nach der Adresse. Treffen finden nur noch statt, wenn Linda ihre Eltern besucht und diese Vincent übernehmen, sodass Linda ein paar Stunden frei hat. Alles fühlt sich so anders an, so fremd. Sie fühlt sich ausgenutzt und so, als würde Tom irgendeinen Frust an ihr abarbeiten. Sieht er sie überhaupt noch? Spürt er ihre Bedürfnisse noch?

      Als sie nach einem dieser Treffen wieder an ihrem neuen Zuhause angekommen ist und sich einfach nur leer und taub fühlt, weiß sie, dass sie etwas ändern muss. Sie nimmt das Lederarmband von ihrem Handgelenk und packt es in einen Umschlag. Auf eine „Danke“-Karte schreibt sie mit zittriger Hand: „Mein lieber Tom! Emotional hast du mich schon lange freigegeben. Bitte gib auch meinen Körper frei. Deine Linda“ und legt diese zum Armband in den Umschlag. Sie adressiert ihn an Tom und bringt ihn gemeinsam mit Vincent zur Post. Auf dem Rückweg geht sie spontan in einen Supermarkt und kauft eine neue Prepaid-Karte für ihr Handy und jeweils ein Eis für ihren Sohn und sich. Mit ihrem Eis in der Hand setzen sie sich auf eine Bank am Flussufer und schauen den Schiffen zu.

      Linda hat eine Idee. Sie nimmt ihr Handy aus der Tasche, ruft Toms Kontakt auf, wählt die Option „Kontakt bearbeiten“ und das Symbol „Mülleimer“. Vincent beobachtet derweil weiter die großen und kleinen Schiffe auf dem Fluss. „Mama, ich will auch Schiff haben“, bettelt der Kleine. Linda lächelt und streicht ihr Eispapier glatt. „Warte, schau mal, was Mama hier macht!“ und sie faltet aus dem Eispapier ein kleines Bötchen. Sie nimmt Vincent bei der Hand. „Wollen wir es schwimmen lassen?“, fragt sie ihren Sohn, welcher begeistert nickt. „Das braucht aber auch einen Kapitän. Oder?“ Wieder nickt Vincent begeistert: „Ja, Kapitän!“
      Linda öffnet die Abdeckung ihres Handys, entfernt die alte Sim-Karte und legt sie in den Miniaturschiffsrumpf. Gemeinsam gehen sie zum Ufer und lassen das kleine Kunstwerk aus Papier zu Wasser. „Ahoi“, ruft Vincent und „Tschüss Schiff.“ Linda kann nichts mehr sagen, Tränen fließen über ihre Wangen. Vincent steht am Ufer und winkt dem Papierbötchen nach, welches zunächst langsam von der Strömung mitgenommen wird und dann immer lustiger und wilder auf den Wellen tanzt und sich dreht.

      Von Tom hat Linda nie wieder etwas gehört. Eine Weile las sie seinen DJ-Namen noch auf Flyern oder Plakaten von teilweise richtig großen Veranstaltungen. Aber dann irgendwann nicht mehr. Was aus ihm wurde, weiß sie nicht. Was er aus ihr gemacht hatte, ahnte sie hingegen schon. Allerdings hatte sie Angst, sich dies einzugestehen und schob das, was sie in ihrem Leben vermisste, immer wieder weit weg. Sie war doch glücklich, hatte inzwischen einen liebevollen und erfolgreichen Mann, tolle Kinder, einen sicheren Job. Es ging ihr wirklich gut. Warum also irgendwas riskieren?

      „Schatz, ist alles okay?“ Linda zuckt zusammen, sie hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass Henning nach Hause gekommen war. „Ähm, ja. Alles bestens. Ich bin nur etwas müde.“ Henning schaut auf die schwarze Weihnachtskugel in Lindas Händen. „Die ist aber sehr schön. Da ist ja eine Triskele drauf.“ Henning lächelt undefinierbar, nimmt ihr die Kugel vorsichtig aus den Händen und hängt sie an den Baum. „So, nun habe ich auch noch beim Schmücken geholfen.“ Liebevoll küsst er Linda auf die Stirn. „Woher hast du die Kugel denn? Ich habe sie hier noch nie gesehen und ich glaube, dieses besondere Exemplar wäre mir aufgefallen“, wieder meint Linda, ein undefinierbares Lächeln zu erkennen. „Oh, das ist eine lange Geschichte“, sagt Linda. „Die Nacht ist noch lang und ich habe Zeit. Ich nehme übrigens auch einen Glühwein“, entgegnet Henning.


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      Vielen Dank für euer liebes Feedback @newbarbie, @Primrose und @underyourskin :blumen:

      Es freut mich, wenn meine Geschichte gefällt.


      Ein ganz besonderer Dank geht auch von mir an @Teufelanna, @AleaH und @Isegrim_w_devot für eure Mühe, auch dieses Jahr wieder unseren Adventskalender zu erstellen. :blumen: :blumen: :blumen:

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