Sind "wir" die toleranteren Menschen?

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      Sind "wir" die toleranteren Menschen?

      Ein Hallo in die Runde,

      ich denke derzeit sehr viel über mich, meine Neigungen und meinen gesellschaftlichen Umgang nach. Dabei ist mir etwas aufgefallen, was mich nachdenklich gemacht hat. In Gesprächen mit Menschen von denen ich weiß dass Sie BDSM (aus-)leben, aber auch hier im Forum, bemerke ich eine sehr starke Toleranz gegenüber anderen Meinungen und Neigungen, Ansichten und Einstellungen. Bei Menschen von denen ich dies nicht zweifelfrei weiß, bzw. weiß dass Sie 100% vanilla sind, nehme ich da mehr "gradlinige" Positionen wahr.
      Dabei stellt sich mir die Frage ob dies davon zeugt das BDSMler einfach die toleranteren Menschen sind, oder ob es eher daher rührt dass man selbst so akzeptiert werden will wie man ist, und daher das Konträre "einfacher" akzeptiert.

      Die Frage ist gefühlt sehr provokant, denn es ist sicherlich nicht einfach schwarz-weiß. Und schon ertappe ich mich selbst dabei möglichst tolerant allen Facetten gegenüber zu sein ?(
      Dominanz und Arroganz sind nur auf den ersten Blick artverwandt
      Ich finde nicht, dass die BDSM 'ler toleranter sind. Wenn ich hier und in anderen Foren so manche Diskussion im Hinterkopf habe, wo es Ansichten von falschem und richtigen BDSM gab oder auch Aussagen zu mir in Gesprächen mit Herren, kann ich nicht behaupten, dass eine höhere Toleranz gegeben ist.
      Die meisten allerdings urteilen nicht über die Neigung oder Fetisch der anderen. Aber die gleiche Erfahrung habe ich auch im privaten Umfeld gemacht. Keiner aus meinem Kreis, die es wissen, haben mich danach schief angesehen oder haben intolerant reagiert.
      Ich denke, es ist wie überall, es gibt tolerant ere Menschen und welche die nichts akzeptieren können,das gegen ihre Meinung ist. Da ist es egal ob Vanilla oder BDSM.
      Ich denke in Bezug auf Sexpositivity und nichtmonogamen Beziehungsmodellen sind BDSMler meistens offener als der Durchschnittsmensch.

      Wenn es aber um andere Themen geht zB Behinderung, Neurodivergenz, Rassismus, Fat Shaming etc. habe ich auch hier im Forum nicht den Eindruck, dass "wir BDSMler" besonders tolerant wären.
      Wahr sind nur die Erinnerungen, die wir mit uns tragen; die Träume, die wir spinnen, und die Sehnsüchte, die uns treiben.

      Die Feuerzangenbowle; Heinrich Spoerl
      ich kann hier nur von meinen Erfahrungen sprechen: Toleranz hat nichts mit der Neigung zu tun.

      Ich habe viele "Vanilla" Freunde die sehr tolerant und offen sind, kenne aber auch einige die es nicht sind. Besonders die neuen Generationen werden ja immer offener.
      In dieser BDSM-Community habe ich sogar eher Intoleranz kennengelernt und mich distanziert. Aber das hängt eben mut den Personen ab, mit denen man sich unterhält.

      Im BDSM wurde ich:
      - "angegriffen" weil ich jung bin
      - angegriffen weil ich BDSM so intensiv lebe obwohl ich jung bin
      - belächelt weil ich mich in manchen Themen nicht auskenne

      Was ich bei anderen mitbekommen habe:
      - sie wurden schräg angeschaut weil sie Fehler gemacht haben
      - weil sie andere, vielleicht ungewöhnliche, Vorlieben haben

      So Themen habe ich sowohl auf Stammis, als auch im Forum oder anderen Seiten mitbekommen.
      Genauso habe ich aber auch Hilfsbereitschaft mitbekommen, dass man sich unterstützt oder eine Schulter zum Reden anbietet


      Da es auch um Toleranz allgemein geht, noch eine kleine Ergänzung:
      Ich habe auch oft mitbekommen oder zumindest das Gefühl gehabt, dass man als Teil dieser Szene besonders kommunikativ sein muss oder man diese Einstellung haben muss "egal was andere über einen denken". Wie oft habe ich, besonders auf Stammis, giftige Kommentare aufgrund meiner ruhigen Art bekommen? Weil man lieber zuhört statt selber zu reden. Bei Freunden oder Bekannten von mir habe ich eher das Gefühl dass sich eben nicht alles um das Therma "Offenheit und der Welt zeigen das BDSMler nicht blöd sind" gedreht hat. In meinem "vanilla" Kreis haben wir, meinem Gefühl nach, viel mehr ein Auge dafür, dass eben die Menschen ganz unterschiedlich sind und man sie einfach annimmt wie sie sind. Und beim BDSM habe ich eher das Gefühl "je lauter/verrückter, desto besser". Natürlich aber auch hier wieder: manche achten darauf, manche nicht.
      Ich finde es falsch Persönlichkeiten und Charaktere nur aufgrund einer Neigung zu beurteilen. Wir sind Menschen, keine Kategorie. Man kann nicht sagen "Bdsmler sind so" oder "Vanillas sind so", auch wenn man vielleicht, wie ich jetzt hier aufgezählt habe, mit dem einem mehr schlechte Erfahrung gemacht hat als mit dem andern.
      Wenn ich an einem Tisch mit 10 Idioten sitze, sind das Idioten. Das sind keine Vanillas oder BDSMler sondern einfach doofe Menschen. Wenn ich wiederum an einem Tisch mit 10 super Menschen sitze, sind sie auch genau das. Keine Vanillas und auch keine BDSMler. Einfach Menschen und ihre Denkweisen

      Ich muss ja schließlich etwas nicht probiert haben um dem gegenüber tolerant zu sein
      Lass die Leute reden, denn wie das immer ist
      Solang die Leute reden, machen sie nichts Schlimmeres.

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von dieKleine () aus folgendem Grund: Ergänzung

      Ich denke auch, dass wir nicht mehr oder weniger tolerant sind, als wir es ohne BDSM-Neigung ohnehin wären. Ich halte mich schon immer in gewissen Dingen für sehr tolerant und in anderen für null tolerant.
      Ich glaube, daher tatsächlich, dass sich einfach die Themen unterscheiden à la „was du selbst nicht willst, füge auch keinem anderen zu“ im entferntesten Sinn.
      Von mir ein klares Nein dazu. Es wird so oft gesagt, 'wir BDSMler' seien ja so tolerant, aber in meiner Wahrnehmung ist das überhaupt nicht so. Über mich selbst würde ich auch nicht sagen, dass ich toleranter bin als andere. In manchen Bereichen bin ich es vielleicht, in anderen dafür umso weniger.

      So sehr ich das Forum, viele seiner Mitglieder und den Austausch mit ihnen auch mag und gerne mitverfolge, muss ich dennoch sagen: Ich habe es bisher in keinem anderen Forum erlebt, dass jedes Wort so sehr auf die Goldwaage gelegt wird, dass Beiträge bis ins kleinste Detail auseinandergenommen und 'zerfetzt' werden, dass man so sehr auf seine Wortwahl achten muss, weil sich sonst eventuell jemand angegriffen fühlt etc. Ich war schon in vielen Foren (zu anderen Themen) aktiv und da ging es deutlich lockerer zu - und dadurch war die Kommunikation nicht schlechter und der Austausch nicht weniger gehaltvoll als hier. ^^ Ich würde sogar sagen: Da war es teilweise unbeschwerter und man konnte trotzdem einfach man selbst sein, ohne jemandem auf die Füße zu treten.

      Ich glaube, man ist vor allem in den Bereichen und Themengebieten, die einen interessieren, tolerant. Man hat sich ausgiebig damit auseinandergesetzt, beschäftigt sich gern damit, fühlt sich darin 'zu Hause' und möchte akzeptiert werden. Man ist insgesamt offener für alles, was damit zu tun hat. Ob das nun BDSM oder ein völlig anderes Thema betrifft, spielt kaum eine Rolle. Oh, und dann gibt es ja auch noch die vielen, vielen 'Untergruppen' - und da geht es untereinander auch nicht unbedingt so furchtbar tolerant zu... Als simples Beispiel: Wie manch einer, der DS 24/7 auslebt, über einen Rollenspieler spricht, ist nicht unbedingt nett. Genauso ist es nicht nett, wie manch ein Klassik- oder Jazzmusiker über die Pop-Sternchen, die man jeden Tag im Radio hört, denkt.

      Also nein, ich glaube nicht, dass BDSMler insgesamt tolerantere Menschen sind. Vielleicht in ihrem Bereich, auf ihre Interessen bezogen. Aber auch nicht jeder. So allgemein lässt sich das wirklich nicht sagen. Manche sind es vielleicht, aber mit ihrer Neigung hat das vermutlich nichts zu tun. Vielmehr liegt es im Wesen jedes Einzelnen.
      Liebe ist nicht alles, aber ohne Liebe ist alles nichts.

      domsnroses schrieb:

      Sind "wir" die toleranteren Menschen?
      Ich schon

      Aber ernsthaft, ich glaube, dass ist der Punkt:

      Katara schrieb:

      in Bezug auf Sexpositivity und nichtmonogamen Beziehungsmodellen sind BDSMler meistens offener als der Durchschnittsmensch.
      Wer gern mal auf wildere Partys geht, ein paar sexy Outfits im Schrank hat, auch mal bei Dingen zuschaut oder mitmacht, bei denen die eigene Omi einen Herzinfarkt bekommen würde, gerät schnell in die Versuchung, zu glauben, viel offener und toleranter zu sein als "die da draussen".

      Grade weil wir ja dann doch noch im großen und ganzen eine eher verklemmte Gesellschaft sind, fördert das bei manchen Leuten die Selbstwahrnehmung, ja viel toleranter zu sein, weils da ne Menge Leuts halt nix mit BDSM zu tun haben oder haben wollen, während ma ja selbst soooo offen ist.

      Darüber nachzudenken, dass sich das mit Themen, mit denen man gerade garnicht in Berührung kommt, ganz anders verhalten kann, fordert aktives Nachdenken und Relexionsfähigkeit. Und es gibt eben auch unter BDSMlern Leute, denen ersteres zu lästig und das zweite nicht gegeben ist :pardon:
      Ich so: "Warum nehmt Ihr mich nie ernst?!!" ;( Forum so: "Hihi. Der war gut!" :rofl:
      Einen herzlichen Dank für diese umfangreichen Eindrücke!
      Vielleicht liegt es ja auch ein wenig an mir, wenn ich der Auffassung bin dass in meinen genannten Kreisen Toleranz und Intoleranz mehr oder weniger eindeutig zu erkennen ist. Ich denke mit den Eindrücken die ich hier habe sammeln dürfen, werde ich mal meine Wahrnehmung anfixen :D
      Und ich denke dass ich in einem der kommenden Treffen mit den bekannten BDSMlern die Themen verstärkt auf Politik, Klimawandel und Flüchtlingsthematik lenken werde. Möglich dass ich eine Überraschung erlebe....
      Dominanz und Arroganz sind nur auf den ersten Blick artverwandt

      KrisDom schrieb:

      [...] In Gesprächen mit Menschen von denen ich weiß dass Sie BDSM (aus-)leben, aber auch hier im Forum, bemerke ich eine sehr starke Toleranz gegenüber anderen Meinungen und Neigungen, Ansichten und Einstellungen. Bei Menschen von denen ich dies nicht zweifelfrei weiß, bzw. weiß dass Sie 100% vanilla sind, nehme ich da mehr "gradlinige" Positionen wahr.

      [...]
      Wie so oft erachte ich es als wichtig, zunächst zu eruieren, was genau Du unter Toleranz verstehst.

      Für mich hat Toleranz nichts mit fehlender "Gradlinigkeit" zu tun, sondern gerade damit, dass jemand sich zwar gradlinig positioniert, dennoch aber auch andere Positionen anerkennt, stehen lassen kann, sich mit ihnen auseinandersetzt und sie als anerkennenswert akzeptiert, auch wenn es nicht die seinen sind. Toleranz drückt sich für mich in folgendem Zitat von E. B. Hall äußerst treffend aus: "I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it.", zu Deutsch etwa: "Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst."

      Unter dieser Prämisse sehen ich keinen Unterschied zwischen "Vanilla" und "BDSM".

      Lat. "Tolerare" heißt tragen, oder auch ertragen, aushalten, erdulden. Für mich trifft es erdulden am besten. Ich mag etwas nicht gutheißen, nicht unterstützen, aber ich erdulde es, halte es aus. Und da habe ich eigentlich oft den Eindruck, dass wirkliches "Erdulden" an allen Ecken und Enden immer mehr zur Seltenheit wird.
      Ich bin bei dir; du seist auch noch so ferne, Du bist mir nah! Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne. O, wärst du da! <3
      Johann Wolfgang von Goethe

      Und Trost ist nicht, da du mein Trost gewesen; Und Rat ist nicht, da du mein Rat gewesen; Und Schutz ist nicht, da du mein Schutz gewesen; Und Liebe nicht, da ich um deinetwillen; Die Welt geliebt. <3
      Marie Luise Kaschnitz

      Majasdom schrieb:

      Wir BDSMler sind vielleicht toleranter in unserem Bereich
      Zum Glück meist schon, allerdings kenne ich auch einige Gegenbeispiele: die einem ab und an begegnenden Anhänger einer in meinen Augen sehr intoleranten "Old School BDSM/früher was alles besser/"das was ihr da macht, ist doch kein richtiges BDSM""-Haltung.
      Power is nothing without control.

      Trust me, I know what I'm doing!

      Bedenke den Spaß...
      Seltsam, ich erlebe es genau andersrum, wenn man BDSM nicht als Spiel betreibt und nicht als rein sexuellen Kink, wenn man BDSM in seinen Alltag mitnimmt und es nicht nur aus Spaß sondern auch mal aus Verzicht besteht, dann bekommt man (hier) sehr oft zu hören, dass das ja gar nicht lebbar ist, dass der Dom kein Dom, sondern ein Dummdom ist.

      Selbst im Veri-Bereich liest man mehr erhobenen Zeigefinger, als Toleranz.

      Es ist schon seltsam, man sollte dem "neuen" BDSM gegenüber tolerant sein, aber wo ist denn die Toleranz der BDSM-Funishment-Fraktion für anderes BDSM?

      Sind BDSMer also toleranter?
      Nein, außer diese Toleranz bezieht sich auf die eigene Spielwiese und -weise und befindet sich innerhalb des eigenen Tellerrandes. Darüberhinaus wird die Toleranz dann schon sehr dünn. :pardon:
      Ich glaube nicht, dass es im BDSM mehr Toleranz als in anderen Bereichen gibt. Vielleicht ist man manchen sexuellen Themen gegenüber aufgeschlossener.
      Vielmehr denke ich, dass Toleranz etwas damit zu tun hat, inwieweit ich bereit bin oder die Fähigkeit besitze, mich auf mein Gegenüber und dessen Denk- oder Lebensweise einzulassen, zu verstehen versuche. Und ich glaube, dass niemand frei von Vorurteilen ist. Bevor ich ein "Urteil" fälle, versuche ich, mich zu informieren und bilde mir so meine Meinung. Die aber nicht unabrückbar ist. Eine Meinung zu revidieren, hat für mich auch etwas mit Toleranz zu tun.