Hinterhältiger Gedanke

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      Hinterhältiger Gedanke

      Heimtückisch schleicht sich ein Gedanke an und nistet sich ein in meinem Gehirn. Zunächst ganz leise, weit hinten, hinter dem Grundrauschen des allgemeinen Gedankenflusses, der mich ständig begleitet. Außer vielleicht im Schlaf oder in tiefer Meditation. Natürlich auch nicht, wenn ich konzentriert und fokussiert bin, wach sozusagen. Aber nach getaner Arbeit, im Augenblick der Entspannung, verschafft er sich leise Gehör. Wobei Gehör an dieser Stelle vielleicht der falsche Ausdruck ist. Ich höre ihn ja nicht, ich bemerke ihn; als Schatten zunächst nur, als stilles Echo von irgendwas.

      Noch hat er das konjunktivistische „falls“ im Gepäck, jenseits von Möglichkeiten, als reines Gedankenexperiment. Falls, solltest du dich doch einmal dazu entschließen, also falls du dem Gedanken folgst. Aber du entschließt dich nicht. Auch nicht dagegen.

      Der Gedanke hat bereits gegriffen. Immer noch unscheinbar verkleidet ändert er heimlich das „falls“ in ein immer noch konjunktivistisches „wenn“, das bereits Möglichkeiten einschließt, näher an einer Realisierbarkeit als das „falls“, also wenn du dem Gedanken folgst. Nur noch eine Frage der Zeit. Der Gedanke hat bereits mehr Raum eingenommen, übertönt zuweilen das Grundrauschen der entspannt fließenden Überlegungen, ein wenig Geplätscher hier und da, eine Interferenz in den Wellen des Denkens.

      Ich versuche, ihn zu verdrängen, ihn zurück zu schieben an den Ort seines Ursprungs. Wenn ich nur wüsste, wo dieser Ort ist. Der Versuch allein bewirkt bereits die Verstärkung. Ich beschäftige mich mit ihm, dem Gedanken, und so verschaffe ich ihm mehr Raum. Jetzt schickt er mir Bilder, denen zu widerstehen noch schwieriger wird. Es sind Bilder von Lust und Erfüllung, von Erregung und Befriedigung. Er spricht meine Gefühle an, nicht meinen Intellekt. Mal abgesehen davon, dass mein Intellekt im Zustand der Entspannung ohnedies unaufmerksam ist. Schlimmer noch, er ist ein Verräter. „Warum denn nicht“, scheint er zu sagen, „genieß doch die Lust und die Freude und die Erregung! Was spricht denn dagegen!“

      Ich bemühe mich, einen Gedanken zu finden, der „dagegenspricht". Vergeblich. Der ursprüngliche Gedanke hat die Herrschaft über mein Denken übernommen. Noch kämpfe ich dagegen an, aber insgeheim weiß ich, dass ich verloren habe. Der Gedanke hat mir einen Vorgeschmack auf die Zunge gepflanzt. Ich spüre dem nach, spüre, wie sich der Speichel bildet, wie die Zunge zwischen die Lippen gleitet und an deren Rändern entlangstreicht. Erinnerungen an Erlebnisse flüchtigen Glücks, an Textur und Beschaffenheit von dem Mund zugeführten Kostbarkeiten, an Süße und Geruch des Einverleibten.

      Ich koste die Vorstellung aus, ich schiebe sie in meinem Mund hin und her, lutsche und sauge daran, als wäre sie wirklich und nicht bloß reine Vorstellung. Noch bin ich nicht bereit, dem Gedanken endgültig zu folgen. Noch räkele ich mich auf meiner Liegestatt und spüre der stetig steigenden Lust nach, genieße schon eine Art Vorfreude, die unweigerlich in die Realisierung führen wird. Wie lange noch, bevor ich mich erhebe und den Weg zum Schrank antrete, in dem die Erfüllung lauert? Nicht lange. Ich stehe bereits vor dem Schrank und öffne die Tür, ohne dass ich bemerkt hätte, wie ich hierhergekommen bin.

      Langsam sauge ich den Schmelz ein und lasse ihn meinen Schlund hinabgleiten. Nougatschokolade…….