Was sind Protokolle?

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      Was sind Protokolle?

      Immer wieder lese ich in Euren Beiträgen von "Protokollen" - was stelle ich mir denn darunter vor?
      Sind das standardisierte Abläufe, die eingehalten werden (müssen)?
      Und was für welche?
      Irgendwie reizt mich das, ich merke wie ich, seitdem ich endlich einiges leben, lernen und umsetzen darf wovon ich bisher nur Phantasien hatte, dass mich vor allem Sicherheit und Klarheit über das, was ich "bringen", "leisten", "erfüllen" muss, besonders kickt, aber auch zu großer Intensität und Nähe führt.
      Ist das die Richtung, die damit gemeint ist?

      Gespannte Grüße!
      marinaba
      Mit deiner Annahme liegst du richtig.

      Viele "Old School" BDSM'ler haben (im Vorinternetzeitalter [Gott, das klingt wie "vor Christus"]) sehr viel auf Protokolle gehalten. Es waren mehr oder weniger standardisierte Verhaltenskodexe. Soweit ich weiß, für Subs. Konsequenterweise kann man daraus jedoch durchaus auch regeln für die Herrschaft ableiten.

      Oft unterscheidet man zwischen High Protocoll (also das Große), wenn man sich in Gesellschaft befindet, und Low Protocoll, wenn man daheim ist und BDSM gerade "eingeschaltet" ist.

      Wobei jeder Dom oder auch die Paare ihre Versionen von Protokollen haben. Allgemeingültiges gibt es hier nicht.
      Existence could not resist the temptation of creating me
      Das gibt es auch in anderen Bereichen:
      Das Protokoll bei Staatsbesuchen beschreibt minutiös, wer wann was macht (z.B. wie die Ehrengarde abzuschreiten ist oder wer wann eine Rede beim Bankett halten darf).
      Oder noch bekannter ist das diplomatische Protokoll, das z.B. besagt, dass sich der Botschafter akkreditieren muss, welche Bedeutung eine bestimmte Wortwahl hat.

      Also zusammengefasst. Das Protokoll ist eine sehr enge Vorgabe, eine Art Gesetzbuch für BDSM-Beziehungen, die weit über einen Sklavenvertrag hinausgeht. Es ist den Involvierten überlassen, ob sie eigene Protokolle verfassen möchten oder ob sie nach alten Unterlagen vorgehen wollen.

      Mein Tipp: Gerade wenn das Regelwerk sehr umfassend ist und akkurate Vorgaben macht, muss es periodisch auf seine Aktualität überprüft werden. Denn die Rahmenbedingungen werden sich immer verändern. Beispielsweise wird auch sub älter und damit vielleicht etwas weniger beweglich...

      Major schrieb:

      . Das Protokoll ist eine sehr enge Vorgabe, eine Art Gesetzbuch für BDSM-Beziehungen, die weit über einen Sklavenvertrag hinausgeht. Es ist den Involvierten überlassen, ob sie eigene Protokolle verfassen möchten oder ob sie nach alten Unterlagen vorgehen wollen.

      Könntest du das mal kurz erörtern?
      Das liest sich, als wär es üblich in jeder BDSM Beziehung einem Sklavenvertrag zu haben, in dem alles festgelegt ist.

      In meinen Bekanntenkreis ist sowas nicht üblich, da er eh keine rechtliche Grundlage hat.

      Ebenso hatte ich in meinem Beziehungen mich nie "alte Unterlagen" bzw. Protokolle, an die wir uns gehalten haben.

      Oder ist das jetzt spezifisch auf die "alt englische Erziehung" bezogen?
      Aus Wikipedia:

      Das im Jahr 1972 erschienene Buch von Larry Townsend The Leatherman's Handbook stellt die Verbindung zwischen der [US-amerkikanischen] schwulen Lederszene und dem BDSM dar und beschreibt den Verhaltenscodex der Old Guard. Diese Verhaltensregeln betonten unter anderem eine strikte Rollenfestlegung und -teilung zwischen dominantem und submissivem Partner (beispielsweise kein Switchen) und formales sowie betont männliches Verhalten untereinander. Weitere Praktiken der Old Guard betonen Werte wie Disziplin, Ehre, Brüderlichkeit und Respekt und sollen einen strikten Lebensstil und ein privilegienbasiertes Rangsystem innerhalb der Subkultur unterstützt haben. Aufgrund der staatlichen Verfolgung Homosexueller und der gesellschaftlichen Ablehnung der Subkultur schloss sich die Old-Guard-geprägte Szene nach außen hin in Form von Zirkeln ab.

      [...]

      Als Gegenbewegung zur rigiden Struktur der Old Guard entstand in den 1980ern und 1990ern die New Guard, die auch als New Leather bezeichnet wird.

      [...]

      Eine [...] sprachliche Unterscheidung zwischen der rigiden und der gemäßigten Auffassung der Rollenverteilung und der Verhaltensregeln ist der gruppenbezogene Begriff high or low protocol (engl. hohes oder niedriges Protokoll), wobei das high protocol die strikten Auffassungen der Old Guard beschreibt und low protocol eher einen gemäßigten und entspannten Umgang mit der BDSM-Thematik beschreibt.

      __________________
      So viel zu Wiki.

      Aus der US-amerkikanischen "Old Guard" der Lederszene wurde vieles in das "Old School BDSM" in Europa übertragen, insbesondere was Zirkel, Verhaltensweisen, Kodizes und auch Protokolle betrifft.

      So gibt es auch heute noch BDSM-Zirkel, die ihre eigenen festgeschriebenen Regeln und Protokolle haben.

      Aber nicht nur in BDSM-Zirkeln oder in der Lederszene gibt es Protokolle, ich denke gerade an die Aufnahmezeremonien in Studentenverbindungen, an die Rituale und Protokolle der Freimaurer-Logen, etc.
      It´s the blackness of the night
      teaches us how to see the light

      marinaba schrieb:

      Immer wieder lese ich in Euren Beiträgen von "Protokollen" - was stelle ich mir denn darunter vor?
      Protokolle sind die erlassenen Verfahren oder Verhaltensweisen, die verschiedene Aspekte der Machtdynamik regeln.


      marinaba schrieb:

      Sind das standardisierte Abläufe, die eingehalten werden (müssen)?
      Aus Abläufen,Ritualen und Regeln bestehen Protokolle. Müssen, muss man gar nichts. Diese werden normalerweise zwischen dem Dominanten und Submissiven Part ausgehandelt und gestaltet.


      marinaba schrieb:

      Irgendwie reizt mich das, ich merke wie ich, seitdem ich endlich einiges leben, lernen und umsetzen darf wovon ich bisher nur Phantasien hatte, dass mich vor allem Sicherheit und Klarheit über das, was ich "bringen", "leisten", "erfüllen" muss, besonders kickt, aber auch zu großer Intensität und Nähe führt.
      Ist das die Richtung, die damit gemeint ist?
      Ist abhängig von der Gestaltung des Protokolls. Kann mitunter aber sich in solche Richtungen bewegen. Wenn Du dich intensiver damit auseinander setzen möchtest empfehle ich dir auch mal bei der amerikanischen und englischen BDSM Szene mit dem Protokoll zu beschäftigen. Je nach Land und Erfahrung wird damit auch gänzlich anders umgegangen.

      marinaba schrieb:

      was stelle ich mir denn darunter vor?
      Da dies so vielfältig wie die BDSM Partnerschaften ausfallen kann ist diese Frage maximal nur mit Beispielen aus der eigenen Praxis zu beantworten.
      Major hat dir da ja schon einige Beispiele genannt mit Staatsbesuchen, Verhaltensweise und Abläufe bei der englischen Krone etc.
      Auch können einem hierbei naturlich Verhaltensbräuche aus vergangenen Epochen begegnen wie Siegelringkuss zur Ehrerbietung, Hofknicks etc.

      Beispiel 1: Ich hatte auch schon die Ehre mit einer Sub, der es sehr schwer viel ohne weiteres in den Submodus zu kommen. Jedoch haben Ihr bestimmte Positionen und Abläufe dabei geholfen
      in den Submodus zu rutschen. Somit wurde aus den Abläufen und Positionen ein Protokoll entwickelt gemeinsam.

      Beispiel 2: Eine durchaus sehr devote Sub hatte die Problematik der Wunsch und Bittenäußerung Verbal ohne das dabei das Ihr stark empfundene Machtgefälle gestört wird.
      Auch hier wurde durch Positionen und Präsentation verschiedenster Gegenstände Abhilfe geschaffen. Bei diesem Element hat sich auch aus der Erfahrung vieler Jahre gezeigt für mich das dies
      durchaus auch eine tolle Sache ist auf diese Weise, wenn Sub verschiedenste Eigenschaften in sich vereinigt. Z.B. Sub,Littel tendenzen und Pet.

      Das sind aber nur Beispiele wie man sowas lösen kann mittels diesem Element. Ich persönlich bin da auch eher der Fan von der englischen und amerikanischen Sichtweise Protokolle und Rituale komplett losgelöst vom Regelwerk zu handhaben. Zum einen weil (sorry fällt gerade kein besseres Wort dafür ein) G'schmeidiger ist und weniger die Gefahr in sich trägt mit dem Regelwerk zu kollidieren oder den anderen Teilbereichen des submissiven Parts die im Detail gerne Kollisionen in sich bergen.

      Letztlich ist das aber Geschmackssache ob man dies so für sich lösen möchte. Und ein MUSS besteht dazu überhaupt nicht.
      Ich hörte Sie sagen, die Macht ist mit dir !
      @Matrea:
      Nein, Sklavenverträge sind viel seltener als man gemeinhin annimmt. Sie sind m.M. eine weitere Facette in einer BDSM-Beziehung.

      Der Sklavenvertrag legt die groben Meilensteine fest. Wir kennen viele solche Beispiele und selbstverständlich haben sie überhaupt keine rechtlich Bedeutung.
      Das Protokoll hingegen kann (!) Details für bestimmte Situationen festlegen. Etwa so: Wie hat sub seine Wortwahl bei Antworten oder Bitten zu gestalten. Wie reicht sub einen Gegenstand an Top.

      Auf den Staat bezogen bildet der Sklavenvertrag die Verfassungsebene, die Protokolle die Gesetzesebene.

      Ob man sich das zulegen und ausleben möchte, müssen die Partner selber entscheiden. Gründe dafür können sein: Sicherheit für Beide, weil sie wissen, was wie und wann passieren muss und das Einhalten des Protokolls ist relativ einfach zu kontrollieren, etc. Dagegen spricht sicher das recht enge Korsett, das weniger Raum für Neues oder Fantasien freilässt.