17.12.2023 ✷ Aller guten Dinge… 362 Tage

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      17.12.2023 ✷ Aller guten Dinge… 362 Tage

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      ✵ 17. Dezember ✵

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      Aller guten Dinge…
      362 Tage

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      von Psycho_the_ROPEist

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      Zu dieser Geschichte gibt es weitere Teile:
      Teil 1: DREI (Link zur Hörversion)
      Teil 2: Hütte

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      Dies ist die Fortsetzung der Adventskalender-Geschichten DREI und Hütte aus den letzten Jahren. Wer sie (noch einmal) lesen möchte, findet sie dort. Das ist aber nicht notwendig, um die diesjährige Geschichte zu verstehen.

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      Der Tag rückte näher, den sie seit fast einem Jahr fürchtete. Früher hatte sie sich auf diesen Tag gefreut, beinahe mehr als auf jeden anderen Tag des Jahres, inklusive ihres Geburtstages. Lediglich der Geburtstag ihres Herrn mochte in der Rangfolge noch darübergestanden haben, aber sie dachte, diesen Tag könne ihr niemand nehmen. Sie freute sich jedes Jahr auf die 3 Umschläge - zumeist waren es in den letzten Jahren Umschläge - welche irgendwann im Laufe des Tages ihren Weg zu ihr gefunden hatten. So auch letztes Jahr. Und sie erinnerte sich daran, als sei es gestern gewesen, wie sie auf der Arbeit mit jeder voranschreitenden Stunde unruhiger wurde, wie sie nach Hause hetzte und die ganze Wohnung absuchte und Ausschau hielt, jedoch nichts fand. Wie sie auf ihr Handy schaute, eine Nachricht von ihrem Herrn erwartete, welche jedoch nicht kam. Wie sie versuchte, die Zeit herumzubringen, da sie wusste, wie gerne ihr Herr sie zappeln ließ. Irgendwann war es zweiundzwanzig Uhr, irgendwann dreiundzwanzig Uhr, irgendwann halb 12 und dann kurz vor Mitternacht. Mehrfach schrieb sie ihm kleine, verlockende Nachrichten - und nichts kam zurück. An jedem anderen Tag hätte sie sich Sorgen gemacht, doch an diesem Tage hätte es sie fast verwundert, wenn er auf ihre Nachrichten eingegangen wäre. Sie kannte ihren Herrn und er ihre Ungeduld. Sie kannte seine Freude, mit ihr zu spielen, und er kannte ihre Reaktionen, wenn dies geschah.

      Nein, sie machte sich keine Sorgen. Warum auch?

      Erst als der Minutenzeiger der großen Wanduhr im Wohnraum die magische Grenze überschritt und einen neuen Tag einläutete, den kleinen, kräftigeren Stundenzeiger für einen kurzen Moment nahezu verdeckte, wurde sie nervös.

      Es gab keine feste Absprache zwischen den beiden, aber diesen besonderen Tag ungeachtet verstreichen zu lassen, sich auch nicht zu melden… Wut stieg in ihr auf. Sie schaute die letzte Nachricht ihres Herrn an. Am Morgen hatte er sie geschrieben, als er auf der Arbeit angekommen und sie gerade aufgestanden war, ihm einen guten Morgen gewünscht hatte. Seitdem hatte sie nichts von ihm gehört. Sie überlegte, ihn anzurufen. Sie öffnete den eingespeicherten Kontakt und zögerte noch kurz, ehe sie ihren Finger auf den kleinen, stilisierten Hörer drücken wollte, als…

      Es klingelte.

      Ein Freudenschrei entglitt ihrer Kehle. Sie sprang auf, strich noch im Gehen ihre Kleidung glatt und hechtete – sie rannte regelrecht – zur Tür. Was ihr Herr sich wohl hatte einfallen lassen, sie im Übermaß hatte warten lassen, um… ja, um was?

      Sie riss die Tür auf, kaum dass sie sie erreicht hatte.

      Keine Minute später brach sie auf dem kalten Boden des Hausflurs zusammen.

      *****
      Nur schemenhaft erinnerte sie sich an die Sekunden nach dem Öffnen der Tür.
      2 Polizisten, ein kleinerer Mann und eine größere, kräftigere Frau. Er sprach. Sie stand nur regungslos daneben.
      Sie erinnerte sich an das Polizeiauto vor dem Grundstück, kein Blaulicht, aber das Innenlicht beleuchtete den vorderen Teil des Wagens.
      Sie erinnerte sich an die Frage des Polizisten nach ihrem Namen, ihr Nicken. Sie erinnerte sich an den mitleidigen Blick in seinem Gesicht (sie könnte schwören, dieses Gesicht auch heute noch unter tausenden erkennen zu können). Nie würde sie diesen Moment, dieses Gesicht, diese Worte vergessen.

      „Es tut uns leid. Wir haben schlechte Nachrichten für Sie.”

      Mit Sicherheit hatten ihr die Polizisten gesagt, was geschehen war, jedoch erinnerte sie sich heute nur noch an den Moment, an dem ihre Mutter ihr drei Tage später sagte: „Irgendwann musste sowas ja passieren. Dass er auch immer zu schnell fahren musste.”

      Nun war ihre alte Mutter extra die gut 300 Kilometer angereist, um ihrer Tochter beizustehen, doch nach diesen Worten warf sie sie raus. Sollte sie die verdammten 300 Kilometer zurückfahren und sich nie wieder blicken lassen. Sie hatte ihre Mutter nicht um Beistand gebeten. Ihre Mutter hatte ihren Lebensstil nie gutgeheißen und jetzt, in dieser Situation, ihre Antipathie ihrem Mann gegenüber dermaßen herauszulassen, empfand sie als unpassend, als unangenehm, als beleidigend.
      „Verpiss dich!”, hatte sie geschrien und ihre Mutter aus der Tür gedrängt. Den Autoschlüssel hatte sie ihr hinterhergeworfen.
      Und ihre Mutter tat keinen Versuch, die Wogen zu glätten.
      359 Tage nicht.

      Und nun war es gleich 1 Jahr her, dass ihr Mann bei einem Verkehrsunfall starb. Kaum, dass der Tag verstrichen war, erfuhr sie es.
      1 Jahr, in dem sie vergeblich darauf hoffte, aus diesem Albtraum zu erwachen.
      1 Jahr, seitdem sie vergeblich auf die jährlichen 3 Briefe am 17. Dezember wartete; und heute brannte die 3. Kerze des Adventskranzes auch für ihn.

      Der Minutenzeiger der großen Uhr stand kurz vor der 12. Dann sprang er darauf. Und dann dauerte es nur einen kurzen Moment, ehe es exakt ein Jahr her war, dass es an der Tür geklingelt hatte.
      Doch diesen Moment sah sie nicht an der Uhr, die hinter einem Schleier aus Tränen verschwamm.
      1 Jahr

      Der Tag zog sich.
      Letztes Jahr hatte sie sich noch in jeder Sekunde darauf gefreut, die 3 Briefe zu erhalten – und dieses Jahr wusste sie, dass es sie nicht geben würde.

      Eigentlich schleppte sie sich nur durch den Tag. Sie aß nicht, sie trank zu wenig.
      Phasenweise saß sie regungslos auf dem Sofa oder lag im Bett, beinahe wie erstarrt, in anderen Momenten streifte sie unruhig durch die Räume.

      Ein paar Freunde hatten ihr geschrieben, ihr Beileid erneut bekundet und gefragt, wie es ihr ginge. Sie hatte keine der Nachrichten beantwortet. Wahrscheinlich hatte sie viele Nachrichten gar nicht erst gelesen oder erhalten, da sie seit den frühen Mittagsstunden jegliche Technik ausgeschaltet hatte. Sie wollte Ruhe. Keine Musik, keine sinnlose Berieselung durch den Fernseher.

      Sie wäre gerne spazieren gegangen, doch ihr fehlte die Kraft.
      Ihr fehlte auch die Kraft, zur Tür zu gehen, als es klingelte.
      Und es klingelte weiter und weiter.
      Nach einer halben Stunde erstarb das Klingeln und sie atmete durch. Wer immer etwas von ihr wollte, sie wollte gerade von niemandem etwas. Sie wollte ihre Ruhe.

      Und dann klingelte es wieder. Und wieder. Und schneller hintereinander. Und dann nahezu ohne Pause.
      Fast war es, als verwandelte sich das Klingeln in unsichtbare Fäden, die sie hochzogen und zur Tür brachten. Das kam nicht von ihr. Sie hatte keine Kraft.
      Doch während die unsichtbaren Fäden sie zur Tür zogen, entwuchs ihrer Stimme eine unmenschliche Kraft. Worte formten sich in ihrem Kopf und verließen ihren Mund mit dem Öffnen der Tür.
      „VERSCHWINDET!”, rief sie, wild umherblickend. Dann erstarrte sie.
      „Verpiss dich, Mutter!”, presste sie zwischen ihren Zähnen hervor. „Bevor ich mich vergesse!”

      *****

      „Lies”, hatte ihre Mutter nur gesagt und ihr einen großen, braunen Umschlag in die Hand gedrückt. Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sie war perplex.

      Wohl eher aus einem Reflex heraus hatte sie den Umschlag gegriffen; kaum vorstellbar, dass sie dies bewusst getan haben sollte.
      Was ist das?, hätte sie fragen können. Doch sie wollte nicht sprechen. Und schon gar nicht mit ihrer Mutter.

      „Den hatte er mir damals gegeben, als er um deine Hand anhalten wollte”, sagte ihre Mutter, um die aufkommende, regungslose Stille zu durchbrechen. „Als er deinen Vater und mich fragte und wir zustimmten, gab er uns diesen Umschlag und sagte, dass wenn ihm etwas passieren sollte, wir ihn dir geben sollten. Am nächsten 17. Dezember. Da hast du ihn. Hatte das blöde Ding ganz vergessen. Fiel mir gestern beim Aufräumen in die Hände…”

      „Halt die Klappe”, presste die Tochter hervor. „Du kannst wirklich alles kaputt machen mit deinem blöden Gelaber. Am Ende geht es immer um dich!”
      „Und das ist der Dank, wenn man die 300 Kilometer zu dir fährt!”
      Dann drehte sich die Mutter auf dem Absatz rum und ließ ihre Tochter, weiterhin erstarrt, mit Tränen in den Augen und dem Brief in der Hand, in der Tür stehen.


      *****
      Sie könnte nicht sagen, wie lange sie noch dastand.
      Irgendwann musste sie wohl wieder reingegangen sein.
      Und da saß sie nun, den ungeöffneten Brief vor sich auf dem Tisch liegend, in der Küche.
      Tausende Gedanken flogen durch ihren Kopf, jedoch greifbar erschien ihr keiner davon.

      Ab und an verschwand der Umschlag hinter einem Vorhang aus Tränen, die ein oder andere fand ihren Weg auf das braune Papier.
      Irgendwann griff sie nach dem Umschlag, drehte diesen in ihren Händen hin und her.
      Schwer war er, so für einen Briefumschlag; und prall gefüllt war er.
      „Was hast du da getan?”, fragte sie leise.

      Sie dachte an die Worte ihrer Mutter. Ihr Herr hatte ihre Eltern damals tatsächlich gefragt, ob sie mit einer Heirat einverstanden seien. Und das, wo diese nie einen Hehl aus einer Ablehnung ihm gegenüber gemacht hatten. Weder vor ihr noch vor ihm. Es musste ein furchtbares Treffen gewesen sein für ihren Herrn.

      Und nun saß sie hier und hielt den Umschlag in der Hand, den ihr Herr damals ihren Eltern gegeben hatte. Für den Fall, der nie hätte eintreten sollen.
      Und nun saß sie hier und zögerte, ihn zu öffnen.
      Und nun saß sie hier, und saß, und saß.

      Und dann erinnerte sie sich an einen Satz von ihrem Herrn, der ihr einst sagte: „Es ändert sich nichts, wenn du nichts änderst.”

      Und so fasste sie sich ein Herz, nahm all ihren Mut zusammen und ihre Kraft und öffnete den Umschlag. Erst ganz vorsichtig und ein kleines Stück, dann riss sie den oberen Rand einfach ab.
      Sie drehte den offenen Umschlag mit spitzen Fingern um und schüttelte ihn kurz, bis sich der Inhalt auf dem Tisch ergoss.
      Drei kleinere Briefumschläge lagen da, mit einem Gummiband zusammengehalten.

      Obenauf klebte ein kleiner, gelber Post-It-Zettel: „Die letzten drei” stand darauf. „Für immer”.

      Darunter hatte ihr Herr ein krakeliges Infinity-Symbol gezeichnet, hatte die beiden Schlaufen mit kleinen Triskelen gefüllt. Sie wusste, dass er solche Symbole gehasst hat. Und er wusste, dass sie solche Symbole liebte. Damals schon, als er diesen Briefumschlag gepackt haben musste.

      Und sie begann zu verstehen, was er noch am Altar zu ihr sagte: „…und über den Tod hinaus”. Damals fand sie es kitschig romantisch, so, wie sie es mochte. Und nun begriff sie, dass ihr Herr dies nicht nur ihr zuliebe gesagt haben musste, sondern genau so gemeint zu haben schien.
      Ein tröstlicher Gedanke in dieser untröstlichen Zeit, stellte sie fest.
      Dann öffnete sie vorsichtig, und mit zitternden Fingern, den ersten der drei Umschläge.

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      Hallo an alle Leserinnen und Leser dieser Geschichte :)

      Vielen Dank, dass ihr diese - und vielleicht ja auch die weiteren Teile - dieser Geschichte gelesen habt :)
      Ich wünsche allen ein frohes Weihnachtsfest und danke euch für's Mitfiebern, Mitfühlen und vielleicht ja auch Mitleiden bei dieser Geschichte.
      Ich möchte mich auf's Herzlichste für die Organisation dieses Adventskalenders bedanken und freue mich, Teil dieses Projektes gewesen zu sein.

      Frohe Weihnachten und allen einen guten Rutsch ins neue Jahr.

      Liebe Grüße
      @Psycho_the_ROPEist
      Quod erat demonstrandum - Andernfalls möge der geneigte Leser den Nachweis selbst erbringen.
      Meine Gefühle haben vom beim Lesen jedes Mal gewechselt von Entsetzen über Trauer und auch Wut zu Rührung.
      Es wurde nicht besser, je öfter ich das gelesen habe
      Und diese blöde Mutter könnte ich
      Ich hätte nur gern noch den Inhalt der Briefe erfahren

      Ein Meisterstück! Nicht nur inhaltlich, sondern auch von der Art und Weise, wie du an das Geschehen heranführst.
      Auch wenn es widersprüchlich klingt:
      Ihr Ego muss stark genug sein, um seine begrenzte, defensive Haltung und Kontrolle aufgeben zu können.
      Sie brauchen ein starkes Ego, um das Ego transzendieren zu können.

      - John Bradshaw, Das Kind in uns -

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