Schuldgefühle ob der eigenen Neigung?

      Liebe Bärbel, erst einmal eine Umarmung. Das was du erlebst, kennen sicherlich viele - ich auch.

      Bärbel schrieb:



      Vielleicht ist das aber auch nur weibliche Spiessigkeit, die du mit deiner Frage gar nicht gemeint hast.


      Ich finde das weder typisch weiblich noch besonders spießig, sondern das klingt für mich nach einem ganz normalen - und auch recht gut erforschten - Phänomen, das auftritt wenn die eigenen Bedürfnisse und Wünsche mit dem Selbstbild bzw. den eigenen oder ansozialisierten Werten und Bewertungen im Widerspruch stehen. Auflösen kann man das auf verschieden Arten, aber die sind individuell sehr unterschiedlich und erfordern viel Auseinandersetzung mit der eigenen Normalitätsvorstellung vs. einer möglichen Bewertung von aussen. Ich glaube - das ist jetzt eine persönliche Hypothese die jedoch auch gerade durch Jeris Beitrag relativiert wird - dass besonders Frauen es hier schwer(er) haben, weil wir so darauf trainiert sind uns an einer Bewertung von außen zu messen, dass es schwierig ist, den Gedanken "was würde sich jetzt ein Fremder von mir denken, der mich so sieht" auszuschalten.

      Wobei, das soll jetzt keine pauschale Aussage sein. Ich finde es schwierig zu beurteilen, woher solche Gefühle kommen. Ich denke, die können sehr unterschiedliche Ursachen haben - deswegen ist eine Auseinandersetzung damit auch so wichtig. Es könnte ja immerhin auch die Empathie sein, die meldet: hier passt was nicht. Oder das Bauchgefühl das warnt. Oder, oder, oder. Das kann nur jeder selber herausfinden - manchmal auch mit Haareraufen und einem innerlichen "wtf brain". ;)
      Genau das ist es, was ich mit "Erziehung" gemeint hatte, in meinem Beitrag weiter oben.
      Männer werden dazu erzogen, Frauen nicht zu hauen. Frauen werden dazu erzogen, sich nicht hauen zu lassen. Also das ist jetzt stark vereinfacht. Aber es steckt in uns drin und das macht es gerade anfangs oft schwer, sich der neuen Leidenschaft ohne schlechtes Gewissen hinzugeben.
      Liebe Nachbarn, Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen, Familie: Ich bin entsetzt, auf was für Seiten ihr euch rumtreibt! :frech:

      Lernen durch Schmerz ist nicht angenehm, aber unglaublich effektiv... :evilfire:
      Hm... das Thema wird immer interessanter :blumen:
      Wahrscheinlich habe ich deshalb so wenig Probleme, weil ich aus der D/s-Ecke komme. Mir ist bei Euren Schilderungen, insbesondere durch den Beitrag von @Bärbel nämlich jetzt aufgefallen, dass ich etwas vergleichbares aus Vanilla-Zeiten kenne: da hatte ich zwar keine Schuldgefühle, aber zum Teil erhebliche Schamgefühle, habe mich zwischendurch z.T. verschämt gefragt "was mache ich da eigentlich?", und hinterher habe ich mich je nachdem was wir da so alles gemacht haben teilweise noch tagelang bei der Erinnerung daran erheblich geschämt. Es war als gäbe es zwei Versionen von mir: diejenige, die Spaß an Sex hatte, und diejenige die sich dafür schämte.

      Das habe ich seit ich Sub bin in keinster Weise mehr - jetzt gibt es nur noch die Sub, und das war von Anfang an wie ein Nachhausekommen, wie ein bei-mir-selbst-ankommen. Und Schamgefühle kenne ich plötzlich nicht mehr, weil ich eben zu 100% aus der D/s-Ecke komme: ich gebe die Verantwortung, und zwar eben auch die moralische Verantwortung, vollkommen an Dom ab (Voraussetzung hierfür natürlich völliges Vertrauen, das nicht von heute auf morgen kommt!). Es geschieht ausschließlich, was Dom will, er und seine Wünsche stehen im Mittelpunkt für mich, und sie zu erfüllen ist meine Erfüllung und ich liebe es - selbst bei Dingen, die ich nicht so mag, gerade das gibt dann einen ganz eigenen Kick.
      Und ein guter Dom, der seine Sub sehr gut kennt, und der somit genau weiß, was sie mag und was sie nicht mag, geht dabei aber natürlich auch immer wieder auf Bedürfnisse seiner Sub ein, erfüllt ihre Bedürfnisse dadurch durch die Hintertür mit, übernimmt für die Durchführung aber die komplette Verantwortung und entlastet seine Sub dadurch, gibt ihr quasi einen Freibrief... versteht Ihr, wie ich es meine? Das bedeutet, dass zumindest eine Sub, die sich SM aus dem D/s heraus hingibt, sich hinter den Handlungen von Dom moralisch "verstecken" kann, denn ihr Herr will das ja, und sie will ihm dienen und ihn glücklich machen und steht damit vor sich selbst moralisch einwandfrei da... darum keine Schuldgefühle und keine Schamgefühle, sondern ein ungemein befreiendes Gefühl des sich-gehen-lassen-dürfens und ja sogar -sollens. Darum auch die ungetrübten immensen Glücksgefühle, die ich als Sub so sehr genieße... und das würde auch das Gefühl der totalen Geborgenheit erklären, das wohl jede Sub kennt und das ja gerade auch bei den heftigeren Aktionen oft sogar am ausgeprägtesten ist...

      Zumindest eine sehr devote Sub kann sich dadurch also vollkommen fallen- und gehenlassen, ihr Dom dagegen kann dies nicht. Er übernimmt somit nicht nur die "moralische" Verantwortung für seine eigenen Wünsche, sondern auch für die seiner Sub. Dass das manchmal ziemlich starker Tobak sein muß und eine immense innere Stärke erfordert wird mir durch diesen Thread gerade erst so richtig bewußt, und meine Achtung gegenüber Euch Doms steigt gerade noch viel mehr...
      @Jeri - hilft Dir diese Theorie, Deine Schuldgefühle womöglich mit ganz anderen Augen zu betrachten?
      @Lernende: ich finde das immer so interessant, wie du deine Sichtweise beschreibst – und ich kann wirklich gut nachvollziehen was du meinst, besonders mit der Dynamik, dass mögliche Schamgefühle beim Genießen von SM Akten oder auch Sex allgemein durch den D/s Aspekt aufgelöst werden, weil du ja selber nicht darüber bestimmst und dir somit nichts vorwerfen musst? Wenn ich das richtig verstanden habe?

      Bei mir ist's gerade umgekehrt: der SM Aspekt war nie problematisch für mich, sondern ähnlich emotional besetzt wie zum Beispiel der der Wunsch nach einer Schultermassage oder einem anstrengenden Workout. Ein legitimes Bedürfnis und Ausdruck meiner Selbstbestimmung, etwas das sich gut anfühlt, etwas wo ich auch nicht wirklich so viel Unterschied zu einer anspruchsvolleren Sportart erkennen kann. Die devote und dominante Neigung stand und steht aber immer wieder einmal mit meinen eigenen Glaubenssätzen (dass kein Partner dem anderen übergeordnet sein darf, alle Menschen gleichgestellt sind, mir patriarchale Machtstrukturen ein Graus sind, die Überzeugung dass jemand eine andere Person niemals besser einschätzen oder kennen kann als diese sich selbst, etc...) im Widerspruch. Wobei meine Lösung dann meistens so aussieht, dass ich mir überlege wo genau ich denn gerade mit diesen Glaubenssätzen in Konflikt kommen und das abstelle bzw. mir überlege wie "mein" D/s möglich ist, ohne dass diese Überzeugungen berührt werden. Aber es stimmt auch, dass ich sicher keine extreme Neigungsausprägung in irgend eine Richtung habe. Also alles was ich schreibe, sollte vor diesem Kontext gelesen werden.

      Ich hoffe es stört dich nicht, @Jeri, dass wir ein bisschen von der Ausgangsfrage abgekommen sind. Es ist einfach sehr spannend, die unterschiedlichen Sichtweisen zu vergleichen.
      @Elsa - nach Deinem absolut wunderbaren und tiefgehenden Beitrag neulich über BDSM aus Switcher-Sicht überrascht mich ein wenig, dass Du mit D/s etwas Schwierigkeiten hast? Du hattest so unglaublich treffend beschrieben, wie man als Sub empfindet - und gleichzeitig so bewegend geschildert, wie sich die Übernahme von Verantwortung aus Dom-Sicht anfühlt.

      Vielleicht eine weitere Gedankenanregung, die Deinen Konflikt womöglich etwas abmildern könnte: Für mich ist D/s reine Meditation (ich praktiziere seit 25 Jahren Zen-Meditation, weiß also wovon ich rede). Ich gebe als Sub mein Ego vollkommen ab, es löst sich durch meine Demut und meine Hingabe und die D/s-lastigen Handlungen in einer Session immer mehr in Nichts auf. Je größer der Akt der Unterwerfung, desto schneller zerplatzt mein Ego schließlich. Was folgt ist Satori, ein unbeschreibliches Gefühl der Zeit- und Gedankenfreiheit, der Ichlosigkeit und des unendlichen Glücks. Wie eine Art Dauerorgasmus ausschließlich im Kopf. Das ist quasi das D/s-Äquivalent zum "Fliegen" beim SM. Und für mich das intensivste, stärkste und schönste Gefühl das ich kenne.
      Anschließend fließe ich dann über vor Liebe und Dankbarkeit demjenigen gegenüber, der dies durch seine unbedingte Vertrauenswürdigkeit und seine Bereitschaft und Fähigkeit, die Verantwortung für zwei Menschen zu schultern, erst ermöglicht hat. Darum komme ich beim D/s auch überhaupt nicht in Konflikt mit meinen Glaubenssätzen. Und Dom sollte es auch nicht - schließlich hat er mich ja in diesen wunderbaren Zustand geführt.
      @Lernende: jetzt musste ich lächeln, denn wir scheinen wirklich von einem sehr ähnlichen Gefühl zu sprechen. Und was ich so spannend finde, ist, dass die Wege dorthin anscheinend so unterschiedlich und vielfältig sein können. Denn ich glaube, in der Praxis haben wir einen sehr unterschiedlich Zugang - und trotzdem kommen wir anscheinend beide an. Ich glaube, "die" Sub und "das" BDSM oder überhaupt irgendwelche allgemein gültigen Aussagen gibt es gar nicht. Also - nicht, dass diese Erkenntnis jetzt für viele hier so besonders neu sein dürfte aber ich freue mich gerade trotzdem darüber. ;)

      Und: ich finde diesen Konflikt, den mir mein Kopf da hin und wieder beschert, nicht schlimm – ich betrachte das mehr wie einen regelmäßiger Check des eigenen moralischen Kompass, ob eh noch alles Kurs ist. Ich würde das nicht anders haben wollen.