Ist Vernunft die Sklavin der Leidenschaft?

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      Ist Vernunft die Sklavin der Leidenschaft?

      Gestern Abend haben wir über Hannah Arendt gesprochen. Eine Philosophin und Theologin, die einen Satz gesagt hat, der uns zum Nachdenken und diskutieren angeregt hat.
      Ist das nicht eher umgekehrt? Hemmt uns nicht oft der Verstand, etwas zu tun und umzusetzen?
      Wie seht ihr das?
      Wenn ich so die Unbeschwertheit von Kindern seh dann merk ich extrem, dass mich mein Verstand oft von etwas abhält. Dann fehlt noch ein halber Schritt etwas zu tun und dann kommt der Verstand der mich hindert, weil die Vernunft siegt :(
      Ich glaube beide Richtungen sind richtig.

      Als erwachsener vernünftiger Mensch, hält uns der Verstand (leider) oft genug davon ab irgendwelche, vielleicht auch mal verrückten, Dinge zu tun.

      Umgekehrt kann ich aber von mir ganz sicher sagen, dass meine Leidenschaft meinen Verstand ab und zu mal komplett ausschaltet... :S

      Allerdings sind das dann auch meist die schönsten Momente im Leben... :whistling:

      Von daher: Scheiß auf die Vernunft. Wenns Spaß macht und hinterher keinen Herzschmerz verursacht, dann - Go Leidenschaft! Go!!!
      Ja, der Verstand kann eine wunderbare Bremse in manchen sachen sein.

      Ich möchte nicht wissen, wie oft ich mir schon hinterher hätte in den Hintern beißen können und mir immer wieder sage "Wieso hast du das jetzt nicht gemacht?"
      Manchmal versuche ich den Verstand mit seiner Vernunft aus zu blenden, gelingt mir zum größten Teil leider bisher nicht =/
      Frei sein heißt wählen können, wessen Sklave man sein will.
      (Jeanne Moreau)
      Ein sehr schöner Titel, der zum Nachdenken anregt. Ich verfüge über soviel Verstand/Vernunft , das sich in bestimmten Situationen durch gesundem Misstrauen ausdrückt, was mich wiederum daran erinnert... Stopp, denk mal kurz nach..ist das so richtig? Es ist eine Art von Abwägen Dennoch agiere ich meistens spontan aus meinem Bauch heraus. Sicher, immer liege ich nicht richtig aber auch die Erfahrungen haben mich weiter gebracht. Ich liebe das Spontane, wenn ich ständig 100% die Vernunft bemüht hätte, dann wäre ich nicht nach Spanien getrampt und hätte einen meiner schönsten Erlebnisse verpasst, um nur eine Sache zu nennen. Nein ich bin keine Sklavin meiner Vernunft, meines Verstandes aber hin und wieder benutze ich diese Ressourcen, ich lass halt nichts verkommen. ;)). Das bringt mich aber nicht davon ab, spontan, aus dem Bauch heraus ins "kalte Wasser" zu springen, um neue Dinge zu erleben.
      ~Es ist das Unbekannte was so reizt. Reizt es immer noch, wenn es bekannt ist, dann ist es das Besondere~ Author: Unbekannt

      Innueno schrieb:

      Haha, scheiß auf den Verstand ist gut. Wenn das immer so einfach wäre. Leidenschaft die stärker ist als der Verstand, hört sich gut an. ich glaube, meine Sub kann in solchen Momenten eher alles abschalten als ich.


      Das glaube ich. Ich bin ja auch Bottom und von daher, lass ich mich einfach führen. Wozu soll ich den Verstand einschalten, wenn ich eh nichts zu sagen habe? :D

      Hach, das Leben kann so einfach sein. ;)
      Hut ab @Corina! Ich glaube früher war ich auch spontaner aber seit ich in einer Beziehung mit Kind lebe, sehe ich vielmehr die Verantwortung und hemme mich selbst.
      War mit dem Kleinen letztens Schlitten fahren und hab bewundert, wie mutig ich war während ich wollte und dauernd dran gedacht habe, was passieren kann.
      Mir geht es auch oft so, dass der Verstand mich von Dingen abhält, die meine Leidenschaft aber verlangt... Leider.... oder auch nicht leider...

      So ganz kann ich das nicht pauschal sagen... ich würde mich manchmal darüber freuen, wenn Verstand einfach mal die Klappe hält und Leidenschaft domig daher kommt und das Geschehen allein bestimmt... Dennoch bin ich auch schon oft genug froh um die Existenz meines Verstandes gewesen, da der hin und wieder vor dummen Fehlern bewahrt hat...

      LG Moon
      @Innueno Dein Verhalten ist aber auch verständlich, denn du hast Verantwortung für dein Kind. Wenn ich mit meinem kleinen Neffen und Nichten unterwegs war, dann hat auch ständig im Hinterkopf die Vernunft angeklopft. Kinder sind unbeschwert, weil sie halt, jedenfalls sollte es so sein, nur Kind sein müssen . Wenn ich Kinder hätte, dann würde ich mich auch wie du verhalten, naja fast, ich hab halt, zum Glück der Kinder noch einen großen Teil vom Kind sein behalten Diese Vernunft ist aber in diesem Sinne eher ein Schutz zum Wohle des Kindes.
      ~Es ist das Unbekannte was so reizt. Reizt es immer noch, wenn es bekannt ist, dann ist es das Besondere~ Author: Unbekannt
      Jetzt muss ich aber mal eine Lanze für den Verstand brechen! Wären wir denn alle lieber pur triebgesteuert? Blind? Verantwortungslos? Immer nur haben wollen, erleben wollen....ohne zu VERSTEHEN, was da Schönes mit uns geschieht? Nein, oder?
      Versuchen wir doch lieber so "verständig" zu sein, dass wir die Momente erkennen, in denen wir dem da Oben einfach mal Pause verordnen. :)
      Die Leidenschaft ist die Sklavin der Vernunft!.................meine Meinung!

      Ich differenziere auch Vernunft und Verstand.
      Der Verstand verbietet mir so manche Handlung, auf die ich meist auch höre. :lesen:
      Die Vernunft verbietet mir ja eigentlich fast Alles was mir Spaß macht ;)
      Der trete ich gerne mal in den Arsch, denn ich bereue lieber etwas Getanes als etwas Verpasstes. 8)
      @Innueno danke für dies anregende Fragestellung. Ich finde das Thema sehr spannend.

      Nach Kant ist die Vernunft das oberste Erkenntnisvermögen, das den Verstand, mit dem die Wahrnehmung strukturiert wird, kontrolliert und diesem Grenzen setzt bzw. dessen Beschränkungen erkennt. Sie ist damit für Kant das wichtigste Mittel der geistigen Reflexion und das wichtigste Werkzeug der Philosophie.
      Die Vernunft ist laut Wiki: Der Begriff Vernunft bezeichnet in seiner modernen Verwendung die Fähigkeit des menschlichen Denkens, aus den im Verstand durch Beobachtung und Erfahrung erfassten Sachverhaltenuniverselle Zusammenhänge in der Welt durch Schlussfolgerung herzustellen, deren Bedeutung zu erkennen, Regeln und Prinzipien aufzustellen und danach zu handeln.

      Dabei sind diese Regeln und Prinzipien, so wie ich das verstehe häufig eine Mischung aus dem Wertesystem der Gesellschaft in der wir leben und unseren eigenen. Da kann es dann durchaus vernünftig sein, die Werte der Gesellschaft in Frage zu stellen und nach den eigenen zu handeln. Im Sinn der Gesellschaft möglicherweise unvernünftig im eigenen denken durchaus vernünftig, weil Bewusst entscheiden.

      Ich habe für mich selbst entschieden etwas öfter unvernünftig zu sein und die mir selbst auferlegten Regeln und Grenzen immer mal wieder zu erweitern und meiner Lust, meinem Gefühl Raum zu geben. Das Leidenschaft auch leiden schaffen kann und ich manchmal dafür den Preis zu zahlen habe das, mein Gefühl über meine Vernunft gesiegt hat nehme ich gerne in Kauf. Der Preis das meine Grenzen mit den Jahren immer enger werden und ich das Feuer in mir nicht lebe ist nicht minder hoch.

      Ich glaube man kann auch mit dem Herzen versehen was geschieht, das ist eine andere Ebene , vielleicht fehlen dafür auch ab und zu die passenden Worte es ist nicht minder schön.
      Phantasie ist wichtiger als Wissen denn Wissen ist begrenzt. Phantasie aber umfasst die ganze Welt.
      Albert Einstein
      Das Thema ist interessant, aber der Ausgangspunkt ist falsch.
      Und Hannah Arendt war keine Theologin. Wie kommst du dazu?

      Dann: Der Satz stammt von Hume. Arendt hat evtl mal darüber geschrieben.

      Was wichtig zum Verständnis ist: Das Original lautet: Reason is and ought only to be the slave of the passions.

      Die/deine Übersetzung darf angezweifelt werden, und zwar aus folgenden Gründen:

      a) Reason = Vernunft ist problematisch. Der Vernunftbegriff ist stark von Kant geprägt und mag zum Glauben
      verleiten, die "reine" Vernunft könne Werte erkennen. Hume ist gegenteiliger Ansicht, daher wäre der Begriff "Verstand" sinnvoller.

      b) slave = Sklave. Mag wörtlich stimmen, allerdings erfuhr der Begriff eine Bedeutungsverschlechterung. Diener scheint angemenssener zu sein. Grundsätzlich geht es aber um kein Herrschaftsverhältnis im Sinne von "Befehl -Folge", sondern eher um ein Abhängigkeitsverhältnis. Abhängig deshalb, weil der Verstand nicht handlungsmotivierend sein kann. Es reiche nach Hume nicht aus, jemanden mit Verstandesargumenten zu bombardieren, um ihn zu einem (moralischen) Handeln zu bewegen.(siehe Werbung, Wahlen, etc)

      c) passions = Leidenschaft. Richtiger übersetzt mit Gefühlen. Abzuleiten aus dem Titel: Treatise of Human Nature - Of the passions (Book II). Darin geht es ua um Stolz, aber auch um Bescheidenheit (Humility). Bescheidenheit eine Leidenschaft? Sinniger also die Übersetzung mit "Gefühlen".

      Und um den Satz verstehen zu können, der jetzt etwa so lautet " Der Verstand hängt von den Gefühlen ab, da er alleine nicht handlungsmotivierend ist", muss man etwas an Hintergrund kennen.

      Hume begründet den Satz laut Wikipedia damit, dass Dinge, die dem Verstand zur Überprüfung vorliegen, wahr oder falsch sein können/müssen.

      Gefühle allerdings können nicht wahr oder falsch sein, daher hat der Verstand darauf keinen Einfluss.

      Warum können Gefühle nicht war oder falsch sein? Hume schreibt dazu, dass wenn man hungrig sein würde, es eben so sei, dass man Hunger habe. Es gäbe keine Möglichkeit dieses Gefühl mit einer "Wahrheit" zu vergleichen, oder es zu widerlegen. Hungrig ist hungrig. Ärger ist Ärger. Ein Widerspruch könne nur da festgestellt werden, wenn ein Gegenstand (Zustand, etc) von der Idee, die ihn repräsentiert, abweicht. Allerdings werde der eigene Hunger oder die eigene Verärgerung durch nichts (keine Idee) repräsentiert.

      Über Gefühle könne vom Verstand nur geurteilt werden, wenn sie von eigenen Urteilen oder Meinungen begleitet sind.
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      Sind Gefühle also auf etwas gerichtet (also begleitet), kann der Verstand Wege finden, diese abzuschwächen oder zu vergrößern. Aber auch hier kann nicht das Gefühl als richtig oder falsch bezeichnet werden, sondern nur das Ergebnis der Beurteilung.
      Beispiel: Angst vor X.
      Aber ohne das Gefühl wird der Verstand nicht tätig, so Hume, er sei alleine nicht handlungsmotivierend.

      Ob uns also der Verstand hemmt, etwas zu tun oder umzusetzen?

      Aber natürlich kann er das! Weder Hume noch Arendt, die vielleicht einmal darauf Bezug genommen hat, verneinen dies! Es ist also eine Scheindiskussion, aber immerhin eine interessante!

      Ausführlicher erklärend: members.aon.at/gstremin/Streminger_Hume-Leidenschaft.pdf
      @belloHorizonte sorry da bist du etwas falsch informiert bezüglich Hannah Arendt sie studiert Philosophie, protestantische Theologie und klassische Philologie, bei Martin Heidegger in Marburg, Edmund Husserl in Freiburg im Breisgau und Karl Jaspers in Heidelberg (1924 bis 1928)

      Ich denke das @Innueno ihre eigene Satz zusammenstellung verwenden wollte, mehr nicht.

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Jassy ()

      Es lohnt sich doch immer, genauer hinzusehen auf die Zusammenhänge und Begriffe. Vernunft und Verstand sehen wir glücklicherweise noch als verschieden an. Auch David Hume kennt Vernunft, die aber beschränkt sich meines Wissens nach auf das Herstellen logisch-mathematischer Zusammenhänge zwischen Begriffen, die durch den Verstand gebildet sind. Diesem wiederum widmet er die größte Aufmerksamkeit in seiner "Untersuchung über den menschlichen Verstand". Ob Hannah Arendt den Satz nun von David Hume übernommen oder ihn selbst gedacht in neuem Zusammenhang, mit neuer Bedeutung verwendet hat, würde der größere Zusammenhang der Textstelle offenbaren. Jedenfalls kann ich nur davor warnen, anzunehmen, dass Wort gleich Begriff wäre. Gerade in der Philosophie führt das mit Gewissheit zum Missverständnis.

      Leider habe ich noch keinen einzigen Text von Hannah Arendt gelesen und kann daher zur eigentlichen Frage überhaupt nichts beitragen, außer ebenfalls grobe Vermutungen anzustellen, ob Vernunft von ihr nun unabhängig von Leidenschaften gedacht ist, ob sie diese Leidenschaften vor dem Hintergrund eines aristotelischen oder eines psychoanalytischen Charakterbegriffs sieht, ob sie Leidenschaften als Urteile sieht... Vielleicht kann @Innueno den Zusammenhang ja noch etwas erläutern.