Körperstrafe als Alternative vorstellbar?

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      Hui, was für ein spannendes Thema. Und ich bin schwer beeindruckt, wie differenziert und grundsätzlich respektvoll hier diskutiert wurde. Hammer! :thumbsup:

      Mir kam direkt der Gedanke, dass mich die Vorstellung, bei allen Rachegelüsten die man haben kann (und die auch ich kenne), total erschreckt, dass eine Instanz (der Staat, das Justizsystem, Eltern) die Macht über eine Person hat diese mit körperlicher Gewalt ausübt.
      Aus der Psychologie und der Erziehungswissenschaft habe ich gelernt, dass jede Machtausübung die die körperlich Integrität des Individuums verletzt letztlich a) beim Opfer dieser Gewalt (und evtl. bei Beobachtern) die Bereitschaft erhöht, eigene Macht ebenfalls gewaltsam auszuüben. Und b) dies normalerweise ein Zeichen von Hilflosigkeit, Überforderung und/oder mangelndem Mitgefühl ist.
      Und letzteres finde ich für eine gelingende Gemeinschaft um Längen notwendiger, als konsequente und harte Bestrafung von Fehlverhalten.

      Für mich ist die Schule ein gutes Beispiel: Institutionen, in denen die Mächtigen (lehrer_innen, Schulleitungen, Erwachsene allgemein) respektvoll und wertschätzend, empathisch und kommunikativ mit den weniger Mächtigen und Machtlosen umgehen, haben um Längen weniger Probleme mit Respektlosigkeit, Missachtung, Ignoranz und unsozialem Verhalten bei dieser Gruppe. Bei Bedarf kann ich dazu Quellen heraussuchen (Stichworte wären Schulkultur, demokratische Schule, Prävention von Mobbing und Gewalt...).

      Hinzu kommt, dass auch schlimme Gewalttaten in den meisten Fällen keine bewusste Entscheidung für dieses Verhalten und damit eine bewusste Auseinandersetzung mit den möglich Konsequenzen für das Opfer und einen selbst sind. Sondern zumeist Ausdruck einer über Jahre erlernten Grundhaltung zu Menschen, besonders schwächeren als man selbst. Oftmals sind gerade schlimme Taten sogar ein sehr schlimmer Versuch, eigene Machtlosigkeit zu kompensieren. Wie diese Leute aus einer körperlichen Strafe lernen sollen, dass ihre Tat falsch war ist meiner Meinung nach mit keiner psychologischen Theorie zu erklären.

      Der befreiende Aspekt, den eine Strafe haben kann ist dagegen ein Argument, dass in meinen Augen vor allem aus Tätersicht gedacht ist, aber auch die Gesellschaft entlastet; wenn ein_e Vergewaltiger_in hart bestraft wird, kann ich mich als unbeteiligter Zuschauer zurücklehnen und finden, dass jemand seine gerechte Strafe erhalten hat. Ich muss weder darüber nachdenken, woher die Tat kam, welche Strukturen dazu beigetragen haben, an denen ich vielleicht selbst beteiligt bin (Sexismus z.B.) und ich brauche auch nicht mehr über das Opfer nachzudenken, denn der Täter oder die Täterin wurde ja hart bestraft.

      Das alles passt für mich nicht zu einer Gesellschaft, die sich weiterentwickeln will und die ihre eigenen Strukturen reflektiert.

      Gewalt als Strafe für Vergehen die ihrerseits nichts mit Gewalt gegen Personen zu tun haben kann ich mir nichtmal theoretisch vorstellen. Und das Argument der Unmittelbarkeit, im Gegensatz zu Haft oder ähnlichem stimmt rein zeitlich. Dennoch hat ein Vater der seiner Tochter eine runterhaut, weil sie unachtsam die Keksdose runter geworfen hat zwar unmittelbar reagiert, das was sie lernt ist aber nur, dass sie Angst vor ihm haben muss, nicht das es gut ist, auf die Dinge der anderen zu achten. Das lernt sie an anderer stelle, nämlich durch Erklärungen, positive Rückmeldung wenn es ihr gelingt und Vorfällen an guten Vorbildern. Und ein Vater, Justizsystem oder Staat, der geplant oder im Affekt körperliche Rache übt, ist sicherlich kein gutes Vorbild.

      Der teilweise anklingende Vergleich mit BDSM-Praktiken und auch die (hoffentlich ironisch gemeinten) Anspielungen, dass Masochist_innen das ja dann absichtlich herbei führen würden 8| Finde ich etwas erschreckend. Das klingt für mich ein bisschen nach der stereotypen Vorstellung, dass eine Person, die eine BDSM-Session mit Fesselung und kinky-sex genießen kann auch eine Entführung und anschließenden Missbrauch mögen würde. Und das ist wirklich heftig und ich hoffe, ich habe das falsch verstanden.

      Viele Grüße, Lissibu

      Edit: inhaltsverfälschender Wortersetzung verbessert
      „Die Grenze ist überschritten. Der Spiegel ist zerbrochen. Aber es reflektieren die Scherben.“
      Edgar Allan Poe