Eine aus aktueller Schreibwut und Prokrastination entstandene Geschichte. Ich weiß noch nicht was für Ausmaße sie annehmen wird, aber eines ist sicher, es wird die längste, die bisher aus meiner Feder entstanden ist. Mag sein, dass es sich mit der Zeit in Richtung FSK18 entwickeln wird, falls ja, freue ich mich, wenn sie jemand umtopft. Sie läuft langsam an und ich hoffe, sie findet Anklang
Elinor:
Es ist schon 21:30. Nach einem hektischen Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass heute weder genügend Zeit, noch der richtige Tag ist, um das Experiment „Eyeliner“ anzugehen. Ich habe mich mit meinem heutigen Outfit ohnehin schon genügend verkleidet. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel und schnell Jacke und Schal übergestreift, machen sich meine Füße auf den Weg. Ich gehe selten abends aus, meine Erfahrung zeigte bislang, dassSpaß und die damit einhergehenden Kosten in absolut miserablem Verhältnis zueinander stehen. Und heute gehe ich dennoch fort, mal wieder. Ich verstehe nach wie vor nicht, weshalb Nadja es schafft mich immer wieder zu überreden, „feiern“ zu gehen. Klar hat sie recht, ich verbringe meine Wochenenden gern zuhause, am besten in meiner Lieblingshose auf der Couch.
Ich ziehe fröstelnd den Mantel enger und während meine Füße, wie von selbst den Weg zum Bahnhof laufen, schweifen meine Gedanken ab: Wie oft beuge ich mich dem Willen anderer? Wann tue ich wirklich einmal etwas nur für mich? Ich hasse Bahn fahren. Ich hasse Warten. Und am meisten hasse ich mich für mein Kopfkino. Die Bahn kommt beinahe gleichzeitig mit mir am Bahnhof an und Ich setze mich in das letzte freie Abteil und beobachte die Menschen um mich herum. Ganz vorne (zum Glück) einige junge Erwachsene in meinem Alter, fünf Stück, um genau zu sein. Mit im Gepäck: eine Flasche Absolut Vodka, etwas das aussieht wie ein Energydrink zum Mischen und jede Menge Einwegplastikbecher. Da freut sich die Umwelt. Ohne es zu wollen wandert meine linke Braue beinahe bis zum Haaransatz, ein Pokerface konnte ich leider noch nie zu meinen Stärken zählen. Und diese Augenbrauen führen schon ein Eigenleben, seit ich im Alter von vier Jahren, mein Brot nicht aufessen wollte.
Es steigen zwei Mädchen zu, so knapp bekleidet, dass sie regelrecht um eine Blasenentzündung zu betteln scheinen. Was man jetzt beobachten kann, meine lieben Mitmenschen, ist der Grund, weshalb die meisten jungen Menschen „feiern“ gehen. Die Herren, um sabbernd und sternhagelvoll, Mädchen mit baldiger Blasenentzündung hinterher zu glotzen. Tja und die Damen der Schöpfung? Bestätigung und Drinks für umme, schätze ich. Wenn solches Verhalten mit Mitte Zwanzig normal ist, was bin dann ich?
Mir entschlüpft ein Seufzen; alles Gründe, weshalb ich absolut ungern ausgehe. Was ich brauche, kann mir keiner dieser Menschen geben. Nicht einer dieser Kids wäre mir und meinen Sehnsüchten gewachsen. Das mag jetzt zynisch und vollkommen oberflächlich klingen, aber das ist meine Wahrheit. Wenn ich an manchen Tagen eine Männerhand sehe, die sich am Haltegriff in der Bahn festhält, dann stelle ich mir vor, wie sie langsam über meinen Körper wandert, frage mich, wie sie sich als Geballte Faust in mir anfühlen würde.Wie lange es wohl dauern mag, bis sie es tatsächlich schafft, komplett in mich einzudringen? Ich nage an meiner Unterlippe und suche nach geeigneten Händen, aber alles was ich sehe ist entweder zu schmal, zu lang, zu ungepflegt oder definitiv und absolut zu jung. Zu jung, wie die Jungs in meinem Alter, die nun endlich den Zug verlassen. Schöne Männerhände sind wirklich eine Rarität.
Eine Briese gepaart mit kalter Nachtluft, sorgt für ein Prickeln in meinem Nacken. Ich sehe auf und bemerke, wie ein grauer Mantel an vorübergeht und sich zwei Plätze weiter, mir gegenüber niederlässt. Der erste Eindruck wirkt gepflegt, ich schätze ihn auf Anfang Vierzig und studiere ihn von Kopf bis -na ja,soweit, bis die Sitze mir die Sicht versperren. Er trägt schwarze Handschuhe, vermutlich Leder, einen dunklen Rollkragenpullover und vertieft sich in ein kleines, gelbes Buch. Ich kneife die Augen zusammen und versuche den Titel zu entziffern, als sein Blick sich hebt und meinen einfängt. Er erwidert mein Lächeln nicht, verzieht keine Miene, sondern schaut mich nur an mit seinen dunklen Augen. Ich fühle mich ertappt und senke den Blick, ziehe mein Smartphone hervor und scrolle durch belangloses. Ich blicke ab und zu geradeaus, nur um festzustellen, dass Mr. Rollkragen wieder in sein Buch vertieft ist. Was er wohl beruflich macht. Und weshalb fährt so jemand Bahn? Er sieht nicht direkt aus, als müsse er sich dieses Freitagabendtheater antun.
An der Nächsten Haltestelle muss ich aussteigen, ich stehe auf und laufe zur Tür, als mein Handy vibriert. Eine Nachricht von Nadja; irgendeine Person hat auf ihr Kleid gekotzt, deshalb sei der Abend gelaufen. Wenn ich etwas noch mehr hasse als warten, abends auszugehen und Bahn fahren zusammen, dann sind das spontan geplatzte Verabredungen. Ich wage also einen letzten Blick über die Schulter, um den dunklen Augen nochmals zu begegnen und stelle fest, dass der Platz leer ist. Wann war er ausgestiegen? Bei genauerem Hinsehen bemerke ich, dass er sein Buch vergessen haben muss. Ich greife zu: Aha, Dantes „Göttliche Komödie“ als Reclam Ausgabe. Das Buch unter den Arm geklemmt steige ich aus und wechsele das Gleis, die Anzeigetafel zeigt mir an, dass mein Zug nach Hause in vierzig Minuten eintrifft. Ich setze mich und beginne zu lesen.
Der Text ist schwere Kost und mal abgesehen davon, dass ich nicht gläubig bin und mir der Begriff „Sünde“ extrem auf die Nerven geht, bin ich in erster Linie enttäuscht. Ich hatte mehr erwartet von der bedeutendsten Dichtung der Italienischen Literatur, aber vielleicht ist es im Moment auch nur ein furchtbar schlechter Zeitpunkt, um sich mit Weltliteratur zu beschäftigen. Während die Buchstaben vor meinen Augen zu tanzen beginnen, schleichen sich ein paar schicke Männerschuhe in mein Blickfeld. Mr. Rollkragen steht vor mir, er hält ausreichend Abstand, ist aber dennoch nahe genug, um Unbehagen in mir auszulösen. Meine Kehle fühlt sich an wie ausgetrocknet und sein Duft strömt mir in die Nase. Sandelholz. Würzig, maskulin, angenehm. Er streckt seine Hand aus, fordert sein Buch zurück, wortlos. Ich schlucke und lege es in diese großen, behandschuhten Hände. Ob sie so gepflegt sind, wie der Rest von ihm? „Danke fürs mitnehmen.“ Er spricht ruhig und klar. Mein Kopf nickt automatisch. „Sind Sie nur wegen des Buches zurückgefahren?“, Mein Mund scheint meinem Kopf zu folgen und einen eigenen Automatismus entwickelt zu haben, aber es stört mich nicht. Ich hätte eine weitaus doofere Frage stellen können, damit ich seine Schuhe noch ein Weilchen länger betrachten kann. Schuhe, die sich wirklich gut in der Nähe meines Gesichts machen würden.
Er schmunzelt und scheint zu überlegen. „Ich wüsste ja, wo man um diese Uhrzeit tatsächlich noch eine Tasse Tee bekommt. Interessiert an der Geschichte zum Buch?“. Nein, eigentlich wirklich nicht. Aber mal abgesehen davon, dass es prinzipiell eine schlechte Idee ist, mit fremden, großen Männern nachts irgendwo hin zu gehen, will jede Faser meines Körpers genau das tun. Mein Schicksal provozieren, Tee trinken um anschließend als Flussleiche zu enden.
Bevor mein Hirn weitere Szenarien produzieren kann, dreht sich Mr. Rollkragen auf dem Absatz um und läuft mit zügigen Schritten davon. Ich bin fassungslos, er hat noch nicht einmal meine Antwort abgewartet und zu allem Überfluss hebt er im Gehen den Zeigefinger und bedeutet mir, ihm zu folgen.
Ich stehe noch immer verdattert und absolut überfordert am Gleis. Mein Blick schwankt zwischen der Anzeigetafel (noch über eine halbe Stunde) zu Mr. Rollkragen, zu meinen Füßen. Mist. Eine Tasse Tee klingt wirklich unfassbar gut, das finden meine kalten Zehen ebenfalls und mein Magen meldet sich auch langsam zu Wort. Warum eigentlich nicht? Also eile ich, dem immer kleiner werdenden, grauem Mantel nach und bin schließlich aus der Puste, als ich ihn erreiche.
Fortsetzung folgt...
Elinor:
Es ist schon 21:30. Nach einem hektischen Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass heute weder genügend Zeit, noch der richtige Tag ist, um das Experiment „Eyeliner“ anzugehen. Ich habe mich mit meinem heutigen Outfit ohnehin schon genügend verkleidet. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel und schnell Jacke und Schal übergestreift, machen sich meine Füße auf den Weg. Ich gehe selten abends aus, meine Erfahrung zeigte bislang, dassSpaß und die damit einhergehenden Kosten in absolut miserablem Verhältnis zueinander stehen. Und heute gehe ich dennoch fort, mal wieder. Ich verstehe nach wie vor nicht, weshalb Nadja es schafft mich immer wieder zu überreden, „feiern“ zu gehen. Klar hat sie recht, ich verbringe meine Wochenenden gern zuhause, am besten in meiner Lieblingshose auf der Couch.
Ich ziehe fröstelnd den Mantel enger und während meine Füße, wie von selbst den Weg zum Bahnhof laufen, schweifen meine Gedanken ab: Wie oft beuge ich mich dem Willen anderer? Wann tue ich wirklich einmal etwas nur für mich? Ich hasse Bahn fahren. Ich hasse Warten. Und am meisten hasse ich mich für mein Kopfkino. Die Bahn kommt beinahe gleichzeitig mit mir am Bahnhof an und Ich setze mich in das letzte freie Abteil und beobachte die Menschen um mich herum. Ganz vorne (zum Glück) einige junge Erwachsene in meinem Alter, fünf Stück, um genau zu sein. Mit im Gepäck: eine Flasche Absolut Vodka, etwas das aussieht wie ein Energydrink zum Mischen und jede Menge Einwegplastikbecher. Da freut sich die Umwelt. Ohne es zu wollen wandert meine linke Braue beinahe bis zum Haaransatz, ein Pokerface konnte ich leider noch nie zu meinen Stärken zählen. Und diese Augenbrauen führen schon ein Eigenleben, seit ich im Alter von vier Jahren, mein Brot nicht aufessen wollte.
Es steigen zwei Mädchen zu, so knapp bekleidet, dass sie regelrecht um eine Blasenentzündung zu betteln scheinen. Was man jetzt beobachten kann, meine lieben Mitmenschen, ist der Grund, weshalb die meisten jungen Menschen „feiern“ gehen. Die Herren, um sabbernd und sternhagelvoll, Mädchen mit baldiger Blasenentzündung hinterher zu glotzen. Tja und die Damen der Schöpfung? Bestätigung und Drinks für umme, schätze ich. Wenn solches Verhalten mit Mitte Zwanzig normal ist, was bin dann ich?
Mir entschlüpft ein Seufzen; alles Gründe, weshalb ich absolut ungern ausgehe. Was ich brauche, kann mir keiner dieser Menschen geben. Nicht einer dieser Kids wäre mir und meinen Sehnsüchten gewachsen. Das mag jetzt zynisch und vollkommen oberflächlich klingen, aber das ist meine Wahrheit. Wenn ich an manchen Tagen eine Männerhand sehe, die sich am Haltegriff in der Bahn festhält, dann stelle ich mir vor, wie sie langsam über meinen Körper wandert, frage mich, wie sie sich als Geballte Faust in mir anfühlen würde.Wie lange es wohl dauern mag, bis sie es tatsächlich schafft, komplett in mich einzudringen? Ich nage an meiner Unterlippe und suche nach geeigneten Händen, aber alles was ich sehe ist entweder zu schmal, zu lang, zu ungepflegt oder definitiv und absolut zu jung. Zu jung, wie die Jungs in meinem Alter, die nun endlich den Zug verlassen. Schöne Männerhände sind wirklich eine Rarität.
Eine Briese gepaart mit kalter Nachtluft, sorgt für ein Prickeln in meinem Nacken. Ich sehe auf und bemerke, wie ein grauer Mantel an vorübergeht und sich zwei Plätze weiter, mir gegenüber niederlässt. Der erste Eindruck wirkt gepflegt, ich schätze ihn auf Anfang Vierzig und studiere ihn von Kopf bis -na ja,soweit, bis die Sitze mir die Sicht versperren. Er trägt schwarze Handschuhe, vermutlich Leder, einen dunklen Rollkragenpullover und vertieft sich in ein kleines, gelbes Buch. Ich kneife die Augen zusammen und versuche den Titel zu entziffern, als sein Blick sich hebt und meinen einfängt. Er erwidert mein Lächeln nicht, verzieht keine Miene, sondern schaut mich nur an mit seinen dunklen Augen. Ich fühle mich ertappt und senke den Blick, ziehe mein Smartphone hervor und scrolle durch belangloses. Ich blicke ab und zu geradeaus, nur um festzustellen, dass Mr. Rollkragen wieder in sein Buch vertieft ist. Was er wohl beruflich macht. Und weshalb fährt so jemand Bahn? Er sieht nicht direkt aus, als müsse er sich dieses Freitagabendtheater antun.
An der Nächsten Haltestelle muss ich aussteigen, ich stehe auf und laufe zur Tür, als mein Handy vibriert. Eine Nachricht von Nadja; irgendeine Person hat auf ihr Kleid gekotzt, deshalb sei der Abend gelaufen. Wenn ich etwas noch mehr hasse als warten, abends auszugehen und Bahn fahren zusammen, dann sind das spontan geplatzte Verabredungen. Ich wage also einen letzten Blick über die Schulter, um den dunklen Augen nochmals zu begegnen und stelle fest, dass der Platz leer ist. Wann war er ausgestiegen? Bei genauerem Hinsehen bemerke ich, dass er sein Buch vergessen haben muss. Ich greife zu: Aha, Dantes „Göttliche Komödie“ als Reclam Ausgabe. Das Buch unter den Arm geklemmt steige ich aus und wechsele das Gleis, die Anzeigetafel zeigt mir an, dass mein Zug nach Hause in vierzig Minuten eintrifft. Ich setze mich und beginne zu lesen.
Der Text ist schwere Kost und mal abgesehen davon, dass ich nicht gläubig bin und mir der Begriff „Sünde“ extrem auf die Nerven geht, bin ich in erster Linie enttäuscht. Ich hatte mehr erwartet von der bedeutendsten Dichtung der Italienischen Literatur, aber vielleicht ist es im Moment auch nur ein furchtbar schlechter Zeitpunkt, um sich mit Weltliteratur zu beschäftigen. Während die Buchstaben vor meinen Augen zu tanzen beginnen, schleichen sich ein paar schicke Männerschuhe in mein Blickfeld. Mr. Rollkragen steht vor mir, er hält ausreichend Abstand, ist aber dennoch nahe genug, um Unbehagen in mir auszulösen. Meine Kehle fühlt sich an wie ausgetrocknet und sein Duft strömt mir in die Nase. Sandelholz. Würzig, maskulin, angenehm. Er streckt seine Hand aus, fordert sein Buch zurück, wortlos. Ich schlucke und lege es in diese großen, behandschuhten Hände. Ob sie so gepflegt sind, wie der Rest von ihm? „Danke fürs mitnehmen.“ Er spricht ruhig und klar. Mein Kopf nickt automatisch. „Sind Sie nur wegen des Buches zurückgefahren?“, Mein Mund scheint meinem Kopf zu folgen und einen eigenen Automatismus entwickelt zu haben, aber es stört mich nicht. Ich hätte eine weitaus doofere Frage stellen können, damit ich seine Schuhe noch ein Weilchen länger betrachten kann. Schuhe, die sich wirklich gut in der Nähe meines Gesichts machen würden.
Er schmunzelt und scheint zu überlegen. „Ich wüsste ja, wo man um diese Uhrzeit tatsächlich noch eine Tasse Tee bekommt. Interessiert an der Geschichte zum Buch?“. Nein, eigentlich wirklich nicht. Aber mal abgesehen davon, dass es prinzipiell eine schlechte Idee ist, mit fremden, großen Männern nachts irgendwo hin zu gehen, will jede Faser meines Körpers genau das tun. Mein Schicksal provozieren, Tee trinken um anschließend als Flussleiche zu enden.
Bevor mein Hirn weitere Szenarien produzieren kann, dreht sich Mr. Rollkragen auf dem Absatz um und läuft mit zügigen Schritten davon. Ich bin fassungslos, er hat noch nicht einmal meine Antwort abgewartet und zu allem Überfluss hebt er im Gehen den Zeigefinger und bedeutet mir, ihm zu folgen.
Ich stehe noch immer verdattert und absolut überfordert am Gleis. Mein Blick schwankt zwischen der Anzeigetafel (noch über eine halbe Stunde) zu Mr. Rollkragen, zu meinen Füßen. Mist. Eine Tasse Tee klingt wirklich unfassbar gut, das finden meine kalten Zehen ebenfalls und mein Magen meldet sich auch langsam zu Wort. Warum eigentlich nicht? Also eile ich, dem immer kleiner werdenden, grauem Mantel nach und bin schließlich aus der Puste, als ich ihn erreiche.
Fortsetzung folgt...