Music inspiration: Bliss – Wish You Were Here
A V A
Seit einer gefühlten Stunde stand ich im Regen. Was tat ich hier? Ich wischte mir die nassen Haare aus dem Gesicht, starrte auf das Tor, hinter dem das Ungewisse wartete. 'Komm!', rief es mir zu, 'du willst es'. Eine unstillbare Sehnsucht, seit Jahren tief in mir verborgen, bis zu jenem Augenblick, als ich ihnen begegnet war. Eine Momentaufnahme und meine geordnete Welt war aus allen Fugen geraten.
Ich rieb über meine nassen Oberarme, spürte die Kälte nicht. War tatsächlich erst eine Woche vergangen, keine Ewigkeit? Mit geschlossenen Augen hielt ich mein Gesicht in den Regen.
Es hatte geregnet, wie heute …
***
Ich rannte über die Straße, versuchte den Pfützen auszuweichen, während ich meinen Cellokasten schützend vor mich hielt. Ein sinnloses Unterfangen, denn kaum erreichte ich die andere Seite, preschte ein Lieferwagen vorbei, sodass mich ein kalter Schwall frontal traf. Erschrocken keuchte ich auf, sah auf meine weiße Bluse hinunter, die ich anlässlich meiner Abschlussprüfung am Konservatorium trug und nun auf meiner Haut klebte. Der Rock fühlte sich nass und schwer an meinen Schenkeln an.
'Mein Tag'. Es war ein Tag zum Feiern. Ich hatte mit Auszeichnung bestanden, mein langersehnter Traum war in Erfüllung gegangen. Anstelle dessen, spiegelte das trübe regnerische Wetter meine Stimmung wider. Eine tiefe Melancholie drohte mich in ihren Abgrund zu ziehen. 'Reiß dich zusammen, Ava. Mom hätte gewollt, dass du feierst.' Aber mit wem? Ich war eher der zurückhaltende Typ, beobachtete lieber. Die paar Freunde, die ich hatte, waren nicht hier.
Ich starrte auf ein französisches Bistro. Wieder einmal war ich bezaubert vom eleganten Charme. Wie oft hatte ich mir vorgestellt hineinzugehen? Eine Speisekarte mit Gerichten, die ich nicht kannte, und das Fehlen jeglicher Preise, waren genügend Gründe gewesen, es bleiben zu lassen. Hilfesuchend strich ich über den bauchigen Kasten und musste unwillkürlich lächeln. 'Mom, was hast du dir nur dabei gedacht, deiner mausgrauen Tochter einen knallroten Cellokasten zu schenken?' Der Gedanke an meine Mutter, die sich bis zum bitteren Ende ihren Mut bewahrt hatte, nahm mir die Entscheidung ab.
Entschlossen lief ich zum Bistro, wollte schon hineingehen, da sah ich mein verschwommenes Spiegelbild an der verglasten Eingangstüre. Eine nasse Ratte. Die zuvor in Form geföhnten schwarzen Haare hingen mir schnurgerade auf die Schultern hinab. Wegen meiner blassen Haut und meiner großen dunklen Augen, nannte mich meine Mutter liebevoll »Schneewittchen«. 'Oh Gott, du hast es schon wieder verdrängt. Mom ist tot!' Ich schloss die Augen, in der Hoffnung, dem beengenden Gefühl zu entgehen. Diese Angst, sie drückte mir die Luft ab. Es waren zwei Monate vergangen, ein ganzes Leben. Zeit war zähflüssig, ein dicker Brei. Mich fröstelte. Ich atmete tief durch, öffnete die Augen und erstarrte.
Im Bistro, an einem der Tische, stand ein Mann völlig bewegungslos und starrte mich an. Obwohl ich wusste, dass es nicht sein konnte, fühlte ich seine Präsenz, selbst durch die Glasscheibe hindurch. Ich berührte meinen Hals. Alles in mir schrie danach davonzulaufen, aber ich war eine Marionette. Unsichtbare Schnüre bewegten meine Hand, legten sie auf den Knauf und ich sah dabei zu, wie ich die Türe öffnete.
Angenehme Wärme empfing mich. In einer gemütlichen Ecke flackerte Kaminfeuer. Ich zuckte zusammen, als die Türe hinter mir ins Schloss fiel. Ich drehte mich zum Ausgang, noch war Zeit zu gehen.
»Bonjour, Mademoiselle.«
Ich wirbelte herum. Der Mann, der mich beobachtet hatte, stand direkt vor mir. Ich musste den Kopf leicht in den Nacken legen und sog scharf die Luft ein, als mich sein intensiver Blick durchbohrte. Ich machte den Mund auf, schloss ihn wieder. Dunkel, das war es, was mir zu ihm einfiel. Nicht unbedingt das Aussehen, obwohl es seine rabenschwarzen Haare und der Bartschatten vermuten ließen, es war seine Aura.
»Haben Sie einen Tisch frei?«, fragte ich mit einer Kleinmädchenstimme, für die ich mich hasste. Das Schweigen zog sich in die Länge und ich machte unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Oui.« Seine tiefe Stimme jagte mir Schauer über den Rücken.
Da er mich nach wie vor anstarrte, lugte ich an ihm vorbei. Kein einziger Tisch war besetzt. Weshalb war mir das nicht schon früher aufgefallen? Normalerweise standen die Wartenden bis an die Türe. In letzter Zeit verlor ich mich in Gedanken, driftete ab. War anwesend und gleichzeitig auch nicht. Musste mich zwingen, morgens überhaupt aus dem Bett zu kommen, nur um mich antriebslos durch den Tag zu schleppen. 'Was machst du hier, alleine? Geh heim!'
Ich kam nicht dazu, mich zu verabschieden, denn seine warme Hand legte sich über meine, löste sanft, aber bestimmt meine verkrampften Finger, die den Cellokasten festhielten. Hypnotisiert starrte ich auf seine kräftige Hand, die alles mögliche in mir auslöste. Nichts davon, erschien angemessen zu sein.
»Sie erlauben, Mademoiselle?« 'Gott, seine Stimme rinnt runter wie Öl.'
»Nein, danke. Ich glaube, ich gehe …«
Er hörte mir gar nicht zu, ging einfach mit meinem Cellokasten zu einem Tisch, der in der Nähe des Kaminfeuers stand, lehne ihn an die Wand und rückte mir einladend einen historisch anmutenden Sessel zurecht.
Unschlüssig stand ich da. Ich schreckte hoch, als plötzlich ein zweiter Mann in den Raum preschte.
»J'ai oublié …« Er stockte mitten in seiner Bewegung, fixierte mich, sodass ich ebenfalls verharrte. Sein Blick wanderte langsam über meine Beine, weiter nach oben, zu meinem Brustkorb. Sein süffisantes Lächeln machte mich nervös. Als er bei meinen Augen angelangt war, wurden mir die Knie weich.
Dunkelblond, die Haare verwegen zerzaust. Er grinste mich offen an. Die Lachfältchen gaben einen Hinweis, das er älter war, als er aussah. Obwohl ich die Farbe seiner Augen aus dieser Entfernung nicht erkennen konnte, strahlten sie eine Wärme aus, denen ich mich nicht entziehen konnte. 'Herzensbrecher.'
»Noel, darf ich vorstellen«, der dunkelhaarige sah mich fragend an.
»Ava«, sagte ich leise, trotzdem kam es mir zu laut vor.
Er ließ den Sessel los, kam langsam auf mich zu, als würde er befürchten, dass ich die Flucht ergreifen würde – kein abwegiger Gedanke – nahm meine eiskalte Hand und führte sie zum Mund. Ich erwartete einen Kuss am Handrücken, aber er drehte sie und presste seine warmen Lippen auf mein Handgelenk, dort wo der Puls raste.
»Ich bin Yves.« Seine Augen versprachen Abgründe.
Derart gefangen, bemerkte ich erst verspätet, dass sich Noel neben ihn gestellt hatte. 'Sonne, Mond.' Seine goldbraunen Augen musterten mich durchdringend, während er meine Hand übernahm und fest umschloss.
»Ava, ein schöner Name«, sagte er mit einem Akzent, der mir direkt in den Schoß fuhr. Er wechselte einen Blick mit Yves. Die Dynamik zwischen den beiden – ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie sich wortlos verständigten – war spürbar.
In meinen Überlegungen versunken, ließ ich es widerstandslos geschehen, als mich Noel zum Tisch führte und auf den zurechtgerückten Sessel niederdrückte. Was war nur los mit mir? Weshalb wehrte ich mich nicht? Im Gegenteil, ich war erleichtert, keine Entscheidungen treffen zu müssen, stand seit Wochen völlig neben mir.
Yves reichte mir eine Speisekarte, die ich ungeöffnet auf den Tisch legte. »Wollen Sie nichts essen?«
Ich sah ihn an, überlegte, wann meine letzte Mahlzeit gewesen war, aber es fiel mir nicht ein. »Ich weiß nicht. Irgendeine Kleinigkeit und ein Glas Sekt.«
»Unser Koch hat heute seinen freien Tag, aber das sollte ich hinkriegen«, meinte Noel und verschwand hinter einer Schwingtüre, die wohl zur Küche führte.
»Sie haben uns mit Ihrer Anwesenheit noch nie beehrt oder täusche ich mich?«
Der höfliche Umgangston passte zu Yves, wirkte nicht deplatziert, deshalb antwortete ich genauso formgewandt: »Nein, Sie irren sich nicht. Ich wollte feiern, da ich …« Ich atmete tief durch, sah in den leeren Raum und wusste plötzlich, weshalb keine Tische besetzt waren. »Heute ist Montag und ihr Koch hat seinen freien Tag. Sie haben geschlossen, nicht wahr?«
»Oui. Die Eingangstüre war nicht zugesperrt. Wahrscheinlich haben Sie das »Geschlossen-Schild« übersehen. Eine glückliche Fügung, ansonsten wären Sie nicht hier.«
Ich verstand das Kompliment nicht, schließlich war es ihr freier Tag. »Oh, entschuldigen Sie, dann will ich nicht länger stören.« Mein Versuch aufzustehen wurde vereitelt. Yves Hand lag schwer auf meiner Schulter.
»Wir machen für dich eine Ausnahme«, meinte Noel, der mit einem dampfenden Teller und einer Flasche zurückkam.
»Sie haben zuvor den Satz nicht beendet. Was gibt es zum Feiern?«, fragte Yves.
Ich saß mit hängenden Schultern da, war auf einmal unendlich müde, während ich der Schwingtüre zusah, bis sie zum Stillstand kam. Die Wärme des Kaminfeuers im Rücken, die meine Kleidung trocknete, tat ihr übriges. Ein Teller Suppe mit Baguette wurde vor mir abgestellt. Ich starrte in die Suppe, bis sich eine Hand unter mein Kinn schob und es anhob.
»Ava!« Sein strenger Ton stand im Widerspruch zur sanften Berührung.
Auf meinen Unterarmen stellten sich die feinen Härchen auf. Ich sehnte mich danach, vor Yves auf die Knie zu sinken, nur damit er zufrieden war. Wenn er mir dann noch über die Haare streichen würde, könnte er diese bodenlose Leere vertreiben? Ich wusste, dass ich devot war. Hatte es in meinen letzten Beziehungen, bis zu einem gewissen Grad, ausleben können. Aber es war alles nur Schauspiel gewesen, nicht echt. Die Männer hatten es nur mir zuliebe gemacht, sodass ein schaler Nachgeschmack geblieben war. An ihm war alles echt. Er war durch und durch dominant. Ich atmete schneller. Daneben Noel, der mich wissend ansah ....
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Seit einer gefühlten Stunde stand ich im Regen. Was tat ich hier? Ich wischte mir die nassen Haare aus dem Gesicht, starrte auf das Tor, hinter dem das Ungewisse wartete. 'Komm!', rief es mir zu, 'du willst es'. Eine unstillbare Sehnsucht, seit Jahren tief in mir verborgen, bis zu jenem Augenblick, als ich ihnen begegnet war. Eine Momentaufnahme und meine geordnete Welt war aus allen Fugen geraten.
Ich rieb über meine nassen Oberarme, spürte die Kälte nicht. War tatsächlich erst eine Woche vergangen, keine Ewigkeit? Mit geschlossenen Augen hielt ich mein Gesicht in den Regen.
Es hatte geregnet, wie heute …
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Ich rannte über die Straße, versuchte den Pfützen auszuweichen, während ich meinen Cellokasten schützend vor mich hielt. Ein sinnloses Unterfangen, denn kaum erreichte ich die andere Seite, preschte ein Lieferwagen vorbei, sodass mich ein kalter Schwall frontal traf. Erschrocken keuchte ich auf, sah auf meine weiße Bluse hinunter, die ich anlässlich meiner Abschlussprüfung am Konservatorium trug und nun auf meiner Haut klebte. Der Rock fühlte sich nass und schwer an meinen Schenkeln an.
'Mein Tag'. Es war ein Tag zum Feiern. Ich hatte mit Auszeichnung bestanden, mein langersehnter Traum war in Erfüllung gegangen. Anstelle dessen, spiegelte das trübe regnerische Wetter meine Stimmung wider. Eine tiefe Melancholie drohte mich in ihren Abgrund zu ziehen. 'Reiß dich zusammen, Ava. Mom hätte gewollt, dass du feierst.' Aber mit wem? Ich war eher der zurückhaltende Typ, beobachtete lieber. Die paar Freunde, die ich hatte, waren nicht hier.
Ich starrte auf ein französisches Bistro. Wieder einmal war ich bezaubert vom eleganten Charme. Wie oft hatte ich mir vorgestellt hineinzugehen? Eine Speisekarte mit Gerichten, die ich nicht kannte, und das Fehlen jeglicher Preise, waren genügend Gründe gewesen, es bleiben zu lassen. Hilfesuchend strich ich über den bauchigen Kasten und musste unwillkürlich lächeln. 'Mom, was hast du dir nur dabei gedacht, deiner mausgrauen Tochter einen knallroten Cellokasten zu schenken?' Der Gedanke an meine Mutter, die sich bis zum bitteren Ende ihren Mut bewahrt hatte, nahm mir die Entscheidung ab.
Entschlossen lief ich zum Bistro, wollte schon hineingehen, da sah ich mein verschwommenes Spiegelbild an der verglasten Eingangstüre. Eine nasse Ratte. Die zuvor in Form geföhnten schwarzen Haare hingen mir schnurgerade auf die Schultern hinab. Wegen meiner blassen Haut und meiner großen dunklen Augen, nannte mich meine Mutter liebevoll »Schneewittchen«. 'Oh Gott, du hast es schon wieder verdrängt. Mom ist tot!' Ich schloss die Augen, in der Hoffnung, dem beengenden Gefühl zu entgehen. Diese Angst, sie drückte mir die Luft ab. Es waren zwei Monate vergangen, ein ganzes Leben. Zeit war zähflüssig, ein dicker Brei. Mich fröstelte. Ich atmete tief durch, öffnete die Augen und erstarrte.
Im Bistro, an einem der Tische, stand ein Mann völlig bewegungslos und starrte mich an. Obwohl ich wusste, dass es nicht sein konnte, fühlte ich seine Präsenz, selbst durch die Glasscheibe hindurch. Ich berührte meinen Hals. Alles in mir schrie danach davonzulaufen, aber ich war eine Marionette. Unsichtbare Schnüre bewegten meine Hand, legten sie auf den Knauf und ich sah dabei zu, wie ich die Türe öffnete.
Angenehme Wärme empfing mich. In einer gemütlichen Ecke flackerte Kaminfeuer. Ich zuckte zusammen, als die Türe hinter mir ins Schloss fiel. Ich drehte mich zum Ausgang, noch war Zeit zu gehen.
»Bonjour, Mademoiselle.«
Ich wirbelte herum. Der Mann, der mich beobachtet hatte, stand direkt vor mir. Ich musste den Kopf leicht in den Nacken legen und sog scharf die Luft ein, als mich sein intensiver Blick durchbohrte. Ich machte den Mund auf, schloss ihn wieder. Dunkel, das war es, was mir zu ihm einfiel. Nicht unbedingt das Aussehen, obwohl es seine rabenschwarzen Haare und der Bartschatten vermuten ließen, es war seine Aura.
»Haben Sie einen Tisch frei?«, fragte ich mit einer Kleinmädchenstimme, für die ich mich hasste. Das Schweigen zog sich in die Länge und ich machte unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Oui.« Seine tiefe Stimme jagte mir Schauer über den Rücken.
Da er mich nach wie vor anstarrte, lugte ich an ihm vorbei. Kein einziger Tisch war besetzt. Weshalb war mir das nicht schon früher aufgefallen? Normalerweise standen die Wartenden bis an die Türe. In letzter Zeit verlor ich mich in Gedanken, driftete ab. War anwesend und gleichzeitig auch nicht. Musste mich zwingen, morgens überhaupt aus dem Bett zu kommen, nur um mich antriebslos durch den Tag zu schleppen. 'Was machst du hier, alleine? Geh heim!'
Ich kam nicht dazu, mich zu verabschieden, denn seine warme Hand legte sich über meine, löste sanft, aber bestimmt meine verkrampften Finger, die den Cellokasten festhielten. Hypnotisiert starrte ich auf seine kräftige Hand, die alles mögliche in mir auslöste. Nichts davon, erschien angemessen zu sein.
»Sie erlauben, Mademoiselle?« 'Gott, seine Stimme rinnt runter wie Öl.'
»Nein, danke. Ich glaube, ich gehe …«
Er hörte mir gar nicht zu, ging einfach mit meinem Cellokasten zu einem Tisch, der in der Nähe des Kaminfeuers stand, lehne ihn an die Wand und rückte mir einladend einen historisch anmutenden Sessel zurecht.
Unschlüssig stand ich da. Ich schreckte hoch, als plötzlich ein zweiter Mann in den Raum preschte.
»J'ai oublié …« Er stockte mitten in seiner Bewegung, fixierte mich, sodass ich ebenfalls verharrte. Sein Blick wanderte langsam über meine Beine, weiter nach oben, zu meinem Brustkorb. Sein süffisantes Lächeln machte mich nervös. Als er bei meinen Augen angelangt war, wurden mir die Knie weich.
Dunkelblond, die Haare verwegen zerzaust. Er grinste mich offen an. Die Lachfältchen gaben einen Hinweis, das er älter war, als er aussah. Obwohl ich die Farbe seiner Augen aus dieser Entfernung nicht erkennen konnte, strahlten sie eine Wärme aus, denen ich mich nicht entziehen konnte. 'Herzensbrecher.'
»Noel, darf ich vorstellen«, der dunkelhaarige sah mich fragend an.
»Ava«, sagte ich leise, trotzdem kam es mir zu laut vor.
Er ließ den Sessel los, kam langsam auf mich zu, als würde er befürchten, dass ich die Flucht ergreifen würde – kein abwegiger Gedanke – nahm meine eiskalte Hand und führte sie zum Mund. Ich erwartete einen Kuss am Handrücken, aber er drehte sie und presste seine warmen Lippen auf mein Handgelenk, dort wo der Puls raste.
»Ich bin Yves.« Seine Augen versprachen Abgründe.
Derart gefangen, bemerkte ich erst verspätet, dass sich Noel neben ihn gestellt hatte. 'Sonne, Mond.' Seine goldbraunen Augen musterten mich durchdringend, während er meine Hand übernahm und fest umschloss.
»Ava, ein schöner Name«, sagte er mit einem Akzent, der mir direkt in den Schoß fuhr. Er wechselte einen Blick mit Yves. Die Dynamik zwischen den beiden – ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie sich wortlos verständigten – war spürbar.
In meinen Überlegungen versunken, ließ ich es widerstandslos geschehen, als mich Noel zum Tisch führte und auf den zurechtgerückten Sessel niederdrückte. Was war nur los mit mir? Weshalb wehrte ich mich nicht? Im Gegenteil, ich war erleichtert, keine Entscheidungen treffen zu müssen, stand seit Wochen völlig neben mir.
Yves reichte mir eine Speisekarte, die ich ungeöffnet auf den Tisch legte. »Wollen Sie nichts essen?«
Ich sah ihn an, überlegte, wann meine letzte Mahlzeit gewesen war, aber es fiel mir nicht ein. »Ich weiß nicht. Irgendeine Kleinigkeit und ein Glas Sekt.«
»Unser Koch hat heute seinen freien Tag, aber das sollte ich hinkriegen«, meinte Noel und verschwand hinter einer Schwingtüre, die wohl zur Küche führte.
»Sie haben uns mit Ihrer Anwesenheit noch nie beehrt oder täusche ich mich?«
Der höfliche Umgangston passte zu Yves, wirkte nicht deplatziert, deshalb antwortete ich genauso formgewandt: »Nein, Sie irren sich nicht. Ich wollte feiern, da ich …« Ich atmete tief durch, sah in den leeren Raum und wusste plötzlich, weshalb keine Tische besetzt waren. »Heute ist Montag und ihr Koch hat seinen freien Tag. Sie haben geschlossen, nicht wahr?«
»Oui. Die Eingangstüre war nicht zugesperrt. Wahrscheinlich haben Sie das »Geschlossen-Schild« übersehen. Eine glückliche Fügung, ansonsten wären Sie nicht hier.«
Ich verstand das Kompliment nicht, schließlich war es ihr freier Tag. »Oh, entschuldigen Sie, dann will ich nicht länger stören.« Mein Versuch aufzustehen wurde vereitelt. Yves Hand lag schwer auf meiner Schulter.
»Wir machen für dich eine Ausnahme«, meinte Noel, der mit einem dampfenden Teller und einer Flasche zurückkam.
»Sie haben zuvor den Satz nicht beendet. Was gibt es zum Feiern?«, fragte Yves.
Ich saß mit hängenden Schultern da, war auf einmal unendlich müde, während ich der Schwingtüre zusah, bis sie zum Stillstand kam. Die Wärme des Kaminfeuers im Rücken, die meine Kleidung trocknete, tat ihr übriges. Ein Teller Suppe mit Baguette wurde vor mir abgestellt. Ich starrte in die Suppe, bis sich eine Hand unter mein Kinn schob und es anhob.
»Ava!« Sein strenger Ton stand im Widerspruch zur sanften Berührung.
Auf meinen Unterarmen stellten sich die feinen Härchen auf. Ich sehnte mich danach, vor Yves auf die Knie zu sinken, nur damit er zufrieden war. Wenn er mir dann noch über die Haare streichen würde, könnte er diese bodenlose Leere vertreiben? Ich wusste, dass ich devot war. Hatte es in meinen letzten Beziehungen, bis zu einem gewissen Grad, ausleben können. Aber es war alles nur Schauspiel gewesen, nicht echt. Die Männer hatten es nur mir zuliebe gemacht, sodass ein schaler Nachgeschmack geblieben war. An ihm war alles echt. Er war durch und durch dominant. Ich atmete schneller. Daneben Noel, der mich wissend ansah ....
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