@Cosima, Du warst unbeabsichtigt Muse ...
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Hannover. Noch knappe drei Stunden … wenn alles klappt. Das weiß man ja nicht unbedingt, schließlich fahre ich mit der Deutschen Bahn. Da gehört es schon fast selbstverständlich zum Service, dass man zum Ticket noch eine zeitliche Mehrleistung gratis dazu bekommt. Ehrlich, das mit der Servicewüste in Deutschland gehört längst der Vergangenheit an.
Ich ergebe mich in mein Schicksal und blende den unbequem geparkten Koffer, der mir den Knieraum raubt, genauso aus, wie die Kinder schräg gegenüber, die sich lautstark mit ihren lärmenden “Lerncomputern” beschäftigen, die sie wohl gerade zu Weihnachten bekommen haben. Wenn man öfter fährt, lernt man das. Wir alle nerven irgendwen. Abschalten. Ausblenden. Ommmmmm.
Zumindest das W-LAN funktioniert. Dann kann ich ja gut etwas lesen. Kindle … kickt mich gerade nicht. Der Adventskalender mit den Geschichten … die hatte ich doch noch nicht alle gelesen, oder?
Ich schaue mich voll unauffällig um, bevor ich die Forenseite aufrufe, aber mein Nachbar ist ja ein unbequemer Koffer und durch die Sitzritzen wird auch niemand von hinten mitlesen. Man möchte ja niemanden vor den Kopf stoßen.
Mit dem Tablet ist es ja zum Glück nicht so auffällig. Wenn man es aufrecht hält, nicht quer, dann ist noch nicht einmal der Schriftzug “gentledom” zu lesen. Aber vermutlich interessiert das Peitschenlogo bei einem beiläufigen Blick eh niemanden. Ich ärgere mich über mich selbst ein wenig, weil die Geschichten doch FKS 16 sind und es schließlich in jedem Durchschnitts-Thriller mit mehr Gewalt, Psychospielchen, Mord und Totschlag zur Sache geht. Also warum bin ich so vorsichtig? Trotzdem, es ist mir lieber so. Muss ja nicht jeder wissen, wo und was ich lese ...
Ich ziehe die Beine auf den Sitz hoch und beginne.
Enttäuscht stelle ich fest, dass ich nur die wirklich schöne, aber leider letzte Geschichte des Kalenders noch nicht gelesen hatte. Ich lächle, weil ich @Gentledom die gar nicht zugetraut hätte. Der Cliffhanger macht aber Lust auf mehr. Also hinterlasse ich artig einen Kommentar mit Dank an den Autor und die perfekte Orga (das macht ja wirklich Arbeit und man muss verlässlich sein), verteile zusätzlich noch ein paar Likes, bevor ich in die BDSM-Bibliothek wechsle, die @nightbird so gewissenhaft pflegt.
Mein Blick bleibt hängen an einer neuen Geschichte mit dem Titel “Zug um Zug” … ob das was mit dem Spiel zu tun hat? Das, wo man Strecken durch die USA bauen muss und ich immer Duluth und Dallas verwechsle? Der Titel passt jedenfalls zu meiner Reise.
Naja, mal klicken ....
“Wie sie da sitzt ist vielleicht bequem, aber nicht anmutig.” dachte ich.
Sie hatte tolle braune Haare und ein hübsches Gesicht. Man konnte vermuten, dass sie auch sonst sehr ansehnlich war. Den Trend, in Jogginghosen zu reisen, hatte ich aber nie verstanden, gerade bei jungen Frauen nicht. Jede blickdichte Strumpfhose mit einem A-Linie-Rock wäre doch genau so bequem und sehr viel vorteilhafter. Und diese hochgezogenen Beine!
Das war der Moment, wo ich mich dann doch noch einmal irritiert umschaute, ob mich jemand streng musterte. Zwar trug ich keine Jogginghosen, aber Sweatpants … wurden die früher nicht so genannt?
Ich sah jedenfalls niemanden und kehrte beruhigt zurück zur Geschichte.
Wenigstens hatte sie den Anstand, ihre Schuhe ausgezogen zu haben.
Manchmal erlaubte ich mir die Vorstellung, so eine junge Frau zu korrigieren, ihr zu zeigen, wie sie das Beste aus sich herausholt. Ich mochte schon ein älteres Semester sein, aber als Einkaufsleiter eines größeren und erfolgreichen Modehauses in Osnabrück hätte ich jede Qualifikation dazu gehabt. Wir verkauften zu meinem Leidwesen sogar diese schauderlichen Sweatpants.
Wenn ich nur sehen könnte, ob sie eine Konfektionsgröße 36 hat! Der unhandliche Koffer neben mir war ja nicht leer. Ich hatte eine Musterkollektion aus Berlin dabei für unsere Frühjahrsmodenschau … aber sie einfach zu fragen, das schickte sich so garnicht.
“Was für eine Verschwendung!” haderte ich mit den Konventionen. Mein Spiegelbild im Fenster des ICE brachte mich zum Lächeln. Zwar fehlte die Sonnenbrille, aber ich sah wirklich ein wenig wie Friedrich Liechtenstein aus, der coole ‘Mr. Supergeil’ aus der Werbung. Heute trug ich einen schlichten - aber feinen - schwarzen Anzug mit weißem Manschettenhemd und Einstecktuch… und den etwas affektierten Gentlemanstock, eine Marotte von mir.
“Du willst diesem jungen Ding gefallen, Du alter Sack!” entlarvte mich meine innere Stimme. So ein junges Ding würde mir schon schmeicheln - aber nein, was sollte das denn!
Aber ich könnte ja mal aufstehen und unauffällig an ihr vorbeilaufen, einen Blick riskieren? Das wäre doch total unverfänglich.
“Das wäre total dämlich, wenn du sie ansprichst oder total feige, wenn du es nicht tust.” ätzte meine dunkle Seite dagegen.
Fürs Aufstehen und an ihr vorbeigehen reichte der Mut. Ich stand also auf. Langsam näherte ich mich ihr … sie war wirklich schön!
“Und du bist alt!” … ja, das wusste ich bereits. Aber noch nicht tot!
Vorbei.
Ich war an ihr vorbeigegangen.
Und jetzt?
Ich ging weiter, drängte mich an stehenden Passagieren vorbei bis ins Bordbistro und holte mir eine überteuerte Packung Kaugummis.
“Was für ein Unfug, alter Mann!” schalt ich mich auf dem Rückweg, bereit mich zu bescheiden.
Aber ich war schon wieder voller Erwartungen. Aus dieser Richtung kommend sah ich natürlich kaum etwas von ihr, orientierte mich schon wieder an meinem Sitzplatz. Da bemerkte ich, dass ihr das Tablet zu entgleiten drohte.
“Guten Abend, die Fahrkarten, bitte! Sie sind noch zugestiegen?”
Ich schrecke aus der seltsamen Geschichte auf und schaue den Kontrolleur entsetzt an.
Nein, er sieht nicht halb so gut wie “Mr. Supergeil” aus und hat auch nicht diese Stimme.
“Und er will nur die Fahrkarten sehen!” erinnere ich mich.
“Entschuldigen Sie, wenn ich sie aus ihrem Lesestoff gerissen habe, junge Dame … “
Ich wische schnell vom Forum zur Bahn-App mit der Fahrkarte und dem QR-Code.
“... ja, danke. Gute Weiterfahrt.”
Fast bin ich ein wenig enttäuscht, dass mich nicht der resolute Mann aus der Geschichte angesprochen hat. Ich muss zugeben, dass ich den ab und an bitter bräuchte. Mir fehlt es an Stil und Disziplin. Als späte Studentin ist das noch nicht so schlimm, aber ich könnte es nicht, selbst wenn ich es wollte.
Sicherheit von Menschen mit Erfahrung und Fürsorge? Ja, davon hatte ich wohl auch zu wenig erhalten. Innere und äußere Führung. “Führsorge” sollte das besser heißen. Lustiges Wort. Ich greife zum Tablet, wechsle die App und …
“Entschuldigen Sie! Ihr Tablet fällt gleich zu Boden.”
“Oh … ja, danke!”
Unsere Augen trafen sich. Dieses Gesicht, diese Augen! Mein Blick verweilte zu lange.
“Alles in Ordnung mit Ihnen?” fragte sie etwas alarmiert und um Distanz bemüht.
“Äh, ja, verzeihen Sie!” was sollte ich jetzt nur sagen, um nicht so dämlich zu wirken?
“Darf ich Sie fragen, ob Sie vielleicht das Kaufhaus Barten kennen?”
Sie schaute verdutzt, aber nicht unfreundlich und antwortete: “Das in Osnabrück?”
“Genau das.” lächelte ich sie an. “Ich bin dort der Modechef und suche noch junge Frauen für die Vorführung der Frühjahrskollektion. Sie sehen gut aus, wenn ich mir dieses Kompliment erlauben darf.”
Sie starrte mich nur verwirrt an. Vielleicht hätte Schütteln geholfen? dachte ich boshaft.
Vermutlich dachte sie nur “Die blödeste Anmache ever?” Also flüchtete ich in den Angriff
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Hannover. Noch knappe drei Stunden … wenn alles klappt. Das weiß man ja nicht unbedingt, schließlich fahre ich mit der Deutschen Bahn. Da gehört es schon fast selbstverständlich zum Service, dass man zum Ticket noch eine zeitliche Mehrleistung gratis dazu bekommt. Ehrlich, das mit der Servicewüste in Deutschland gehört längst der Vergangenheit an.
Ich ergebe mich in mein Schicksal und blende den unbequem geparkten Koffer, der mir den Knieraum raubt, genauso aus, wie die Kinder schräg gegenüber, die sich lautstark mit ihren lärmenden “Lerncomputern” beschäftigen, die sie wohl gerade zu Weihnachten bekommen haben. Wenn man öfter fährt, lernt man das. Wir alle nerven irgendwen. Abschalten. Ausblenden. Ommmmmm.
Zumindest das W-LAN funktioniert. Dann kann ich ja gut etwas lesen. Kindle … kickt mich gerade nicht. Der Adventskalender mit den Geschichten … die hatte ich doch noch nicht alle gelesen, oder?
Ich schaue mich voll unauffällig um, bevor ich die Forenseite aufrufe, aber mein Nachbar ist ja ein unbequemer Koffer und durch die Sitzritzen wird auch niemand von hinten mitlesen. Man möchte ja niemanden vor den Kopf stoßen.
Mit dem Tablet ist es ja zum Glück nicht so auffällig. Wenn man es aufrecht hält, nicht quer, dann ist noch nicht einmal der Schriftzug “gentledom” zu lesen. Aber vermutlich interessiert das Peitschenlogo bei einem beiläufigen Blick eh niemanden. Ich ärgere mich über mich selbst ein wenig, weil die Geschichten doch FKS 16 sind und es schließlich in jedem Durchschnitts-Thriller mit mehr Gewalt, Psychospielchen, Mord und Totschlag zur Sache geht. Also warum bin ich so vorsichtig? Trotzdem, es ist mir lieber so. Muss ja nicht jeder wissen, wo und was ich lese ...
Ich ziehe die Beine auf den Sitz hoch und beginne.
Enttäuscht stelle ich fest, dass ich nur die wirklich schöne, aber leider letzte Geschichte des Kalenders noch nicht gelesen hatte. Ich lächle, weil ich @Gentledom die gar nicht zugetraut hätte. Der Cliffhanger macht aber Lust auf mehr. Also hinterlasse ich artig einen Kommentar mit Dank an den Autor und die perfekte Orga (das macht ja wirklich Arbeit und man muss verlässlich sein), verteile zusätzlich noch ein paar Likes, bevor ich in die BDSM-Bibliothek wechsle, die @nightbird so gewissenhaft pflegt.
Mein Blick bleibt hängen an einer neuen Geschichte mit dem Titel “Zug um Zug” … ob das was mit dem Spiel zu tun hat? Das, wo man Strecken durch die USA bauen muss und ich immer Duluth und Dallas verwechsle? Der Titel passt jedenfalls zu meiner Reise.
Naja, mal klicken ....
“Wie sie da sitzt ist vielleicht bequem, aber nicht anmutig.” dachte ich.
Sie hatte tolle braune Haare und ein hübsches Gesicht. Man konnte vermuten, dass sie auch sonst sehr ansehnlich war. Den Trend, in Jogginghosen zu reisen, hatte ich aber nie verstanden, gerade bei jungen Frauen nicht. Jede blickdichte Strumpfhose mit einem A-Linie-Rock wäre doch genau so bequem und sehr viel vorteilhafter. Und diese hochgezogenen Beine!
Das war der Moment, wo ich mich dann doch noch einmal irritiert umschaute, ob mich jemand streng musterte. Zwar trug ich keine Jogginghosen, aber Sweatpants … wurden die früher nicht so genannt?
Ich sah jedenfalls niemanden und kehrte beruhigt zurück zur Geschichte.
Wenigstens hatte sie den Anstand, ihre Schuhe ausgezogen zu haben.
Manchmal erlaubte ich mir die Vorstellung, so eine junge Frau zu korrigieren, ihr zu zeigen, wie sie das Beste aus sich herausholt. Ich mochte schon ein älteres Semester sein, aber als Einkaufsleiter eines größeren und erfolgreichen Modehauses in Osnabrück hätte ich jede Qualifikation dazu gehabt. Wir verkauften zu meinem Leidwesen sogar diese schauderlichen Sweatpants.
Wenn ich nur sehen könnte, ob sie eine Konfektionsgröße 36 hat! Der unhandliche Koffer neben mir war ja nicht leer. Ich hatte eine Musterkollektion aus Berlin dabei für unsere Frühjahrsmodenschau … aber sie einfach zu fragen, das schickte sich so garnicht.
“Was für eine Verschwendung!” haderte ich mit den Konventionen. Mein Spiegelbild im Fenster des ICE brachte mich zum Lächeln. Zwar fehlte die Sonnenbrille, aber ich sah wirklich ein wenig wie Friedrich Liechtenstein aus, der coole ‘Mr. Supergeil’ aus der Werbung. Heute trug ich einen schlichten - aber feinen - schwarzen Anzug mit weißem Manschettenhemd und Einstecktuch… und den etwas affektierten Gentlemanstock, eine Marotte von mir.
“Du willst diesem jungen Ding gefallen, Du alter Sack!” entlarvte mich meine innere Stimme. So ein junges Ding würde mir schon schmeicheln - aber nein, was sollte das denn!
Aber ich könnte ja mal aufstehen und unauffällig an ihr vorbeilaufen, einen Blick riskieren? Das wäre doch total unverfänglich.
“Das wäre total dämlich, wenn du sie ansprichst oder total feige, wenn du es nicht tust.” ätzte meine dunkle Seite dagegen.
Fürs Aufstehen und an ihr vorbeigehen reichte der Mut. Ich stand also auf. Langsam näherte ich mich ihr … sie war wirklich schön!
“Und du bist alt!” … ja, das wusste ich bereits. Aber noch nicht tot!
Vorbei.
Ich war an ihr vorbeigegangen.
Und jetzt?
Ich ging weiter, drängte mich an stehenden Passagieren vorbei bis ins Bordbistro und holte mir eine überteuerte Packung Kaugummis.
“Was für ein Unfug, alter Mann!” schalt ich mich auf dem Rückweg, bereit mich zu bescheiden.
Aber ich war schon wieder voller Erwartungen. Aus dieser Richtung kommend sah ich natürlich kaum etwas von ihr, orientierte mich schon wieder an meinem Sitzplatz. Da bemerkte ich, dass ihr das Tablet zu entgleiten drohte.
“Guten Abend, die Fahrkarten, bitte! Sie sind noch zugestiegen?”
Ich schrecke aus der seltsamen Geschichte auf und schaue den Kontrolleur entsetzt an.
Nein, er sieht nicht halb so gut wie “Mr. Supergeil” aus und hat auch nicht diese Stimme.
“Und er will nur die Fahrkarten sehen!” erinnere ich mich.
“Entschuldigen Sie, wenn ich sie aus ihrem Lesestoff gerissen habe, junge Dame … “
Ich wische schnell vom Forum zur Bahn-App mit der Fahrkarte und dem QR-Code.
“... ja, danke. Gute Weiterfahrt.”
Fast bin ich ein wenig enttäuscht, dass mich nicht der resolute Mann aus der Geschichte angesprochen hat. Ich muss zugeben, dass ich den ab und an bitter bräuchte. Mir fehlt es an Stil und Disziplin. Als späte Studentin ist das noch nicht so schlimm, aber ich könnte es nicht, selbst wenn ich es wollte.
Sicherheit von Menschen mit Erfahrung und Fürsorge? Ja, davon hatte ich wohl auch zu wenig erhalten. Innere und äußere Führung. “Führsorge” sollte das besser heißen. Lustiges Wort. Ich greife zum Tablet, wechsle die App und …
“Entschuldigen Sie! Ihr Tablet fällt gleich zu Boden.”
“Oh … ja, danke!”
Unsere Augen trafen sich. Dieses Gesicht, diese Augen! Mein Blick verweilte zu lange.
“Alles in Ordnung mit Ihnen?” fragte sie etwas alarmiert und um Distanz bemüht.
“Äh, ja, verzeihen Sie!” was sollte ich jetzt nur sagen, um nicht so dämlich zu wirken?
“Darf ich Sie fragen, ob Sie vielleicht das Kaufhaus Barten kennen?”
Sie schaute verdutzt, aber nicht unfreundlich und antwortete: “Das in Osnabrück?”
“Genau das.” lächelte ich sie an. “Ich bin dort der Modechef und suche noch junge Frauen für die Vorführung der Frühjahrskollektion. Sie sehen gut aus, wenn ich mir dieses Kompliment erlauben darf.”
Sie starrte mich nur verwirrt an. Vielleicht hätte Schütteln geholfen? dachte ich boshaft.
Vermutlich dachte sie nur “Die blödeste Anmache ever?” Also flüchtete ich in den Angriff
Mit einer verliebten Frau kann man alles tun, was sie will.
(Gustav Klimt)
(Gustav Klimt)