Außer durch dieses Forum wurde ich auf das Thema aufmerksam durch "Evie Lupine: Do Submissives REALLY Have All the Power in BDSM?" (youtube). Wer mag, schaut sich das mal an.
Wer es unbedingt in einem Satz braucht (tl;dr), der muss mit folgendem nicht sehr hilfreichen Allgemeinplatz auskommen: Kommt drauf an! Der Rest muss jetzt durchhalten...
Vorüberlegungen/Begriffserläuterungen
Was kann "Macht haben" bedeuten:
- Safeword sagen bzw. anderweitiges Stopp-Zeichen geben
- eine Session/Beziehung beenden
- Bestimmen, was gemacht wird
- Bestimmen, was nicht/dass nichts gemacht wird (Danke an @Dominantseptakkord)
Wann kann Macht ausgeübt werden:
- während der "Aushandlung" einer D/S-Dynamik/eines Machtgefälles
- während/außerhalb von Sessions
- (mehr oder weniger) dauerhaft bzw. jederzeit
In welchen Bereichen kann Macht ausgeübt werden:
- im erotischen Bereich, umgangssprachlich manchmal auch "im Bett" genannt
- in alltäglichen Bereichen, umgangssprachlich auch "außerhalb des Schlafzimmers" genannt
- in bestimmten Lebensbereichen, Beispiele dafür wären Kleidung, Essen, Finanzen, Selbstbefriedigung oder allgemeiner sexuelle Selbstbestimmung
Ein Versuch, die Eingangsfrage für konkrete Beispiele aufzudröseln:
#1: Sub geht zu Profidomina. Während der Aushandlung, was gemacht werden soll, würde ich sagen hat Sub da den überwiegenden Teil der Macht, Dom nur marginal (die kann bei bestimmten Praktiken sagen "Mach ich nicht"). Oder Dom lehnt den Kunden ganz ab, dann hat Dom 100% der Macht. Während einer Session... kommt drauf an, was ausgehandelt wurde. Das kann vom kompletten Drehbuch bis ins kleinste Detail (dann im Grunde Großteil der Macht bei Sub) bis hin zu "alles außer XYZ" gehen (dann Großteil der Macht bei Dom). Schon in diesem scheinbar einfachen Fall kann man also gar nicht pauschal sagen, wer wann wieviel Macht hat.
#2: D/S-Beziehung mit Machtgefälle. Während der Aushandlung... kommt drauf an. Wenn die auf Seiten von Sub in "mach mit mir, was du willst, ich brauch kein Safeword, ich gehöre ab sofort Dir" bestünde: Dom hat (fast) die ganze Macht. Ansonsten bleibt je nach Art/Menge von Tabus/Limits, ausgeklammerten Bereichen/Zeiten etc. ein entsprechender Teil der Macht bei Sub. Hier wird sich daher fast die gesamte Bandbreite einer möglichen Machtverteilung wiederfinden, von "nur im Bett" bis zu MPE (maximum power exchange). Kommt also drauf an.
#3: Service-Top/Bottom (leider bisweilen als "topping from the bottom"/Wunschzettelsub diffamiert, denn da ist überhaupt nichts gegen einzuwenden, wenn es allen Beteiligten gefällt). Bottom gibt Top quasi konkrete Regieanweisungen ("Jetzt mach XYZ und zwar soundso"). Wenn man mal den Fall ausklammert, wo Top das von vornherein ablehnt, so zu spielen, liegt hier der Großteil der Macht bei Bottom (ich sage bewusst Top/Bottom, weil solches Spielen nicht meinem Verständnis von Dom/Sub entspricht). Hier könnte man durchaus pauschal sagen, dass Bottom die Macht hat. Allerdings dürfte diese Spielart zeitlich auf Sessions und inhaltlich auf physische Praktiken (SM) beschränkt sein, denn wie sollte man z.B. "Dirty Talk" oder D/S sinnvoll in dieser Art und Weise ausleben?
#4: Switcher. Wenn man die Zeiträume ausklammert, wo nicht geswitcht wird, wird es hier schonmal zu einer Veränderung kommen, wer (mehr) Macht hat. Ich habe z.B. schon gehört, dass Switcher quasi "ausfechten", wer welche Rolle einnimmt. Und das ggf. mehrfach pro Session mit wechselndem Ausgang. Hier finde ich es schwierig bis sinnlos, zu sagen, wer (mehr) Macht hat. Denn in dieser Spielweise hat ja grundsätzlich die Macht, selbige zu übernehmen.
#5: Dom -> Service-Top -> Sub. Hier ist Macht über mehr als 2 Menschen und das auch noch ungleich verteilt. Dom gibt z.B. Service-Top Regieanweisungen und übt damit direkt Macht über Service-Top und indirekt Macht über Sub aus. Service-Top übt Macht über Sub aus. Wer hat hier wem gegenüber wieviel Macht? Außer dass Dom eher viel und Sub eher wenig hat, fällt mir das schwer zu sagen, wer hier wem gegenüber wieviel Macht hat. Zumal hier Aspekte wie direkte und indirekte Machtausübung hinzukommen. Kompliziert.
#6: Primal/Prey bzw. Jäger/Beute. Auch eine dynamische Machtverteilung. Solange der Jäger hier seine Beute nicht "erwischt" hat, im Grunde fast ausgewogen mit Tendenz zum Jäger. Danach je nach Stärke der Gegenwehr verteilt, der Einfachheit halber: wer die Oberhand hat, hat mehr Macht. Solange aber Gegenwehr erfolgt, gibt die Beute hier die Macht ja nie ganz ab. Danach schon. Kommt also drauf an.
#7: Brat/Dom. Angenommen, Brat schafft es, Dom zielgenau dazu zu provozieren, genau das zu machen, was Brat will... könnte man auf die Idee kommen, dass Brat die Macht hätte. Dom hat aber immer die Wahl zwischen "nicht drauf anspringen" und "etwas machen", wobei letzteres wiederum das sein kann, was Brat will, oder gerade nicht. Da Brat das aber nicht vorher wissen kann (wo meiner Ansicht nach der Reiz drin besteht), wäre es ja nur zufällig, das zu bekommen, was Brat will, und somit eben doch nie eine richtige Machtausübung.
#8: Sadist/Masochist. Da dies im Gegensatz zu allen vorherigen Beispielen auch ohne Machtgefälle auslebbar ist, kann man meiner Ansicht nach nicht sagen, wer hier die Macht hat. Ohne einen D/S-Anteil würde ich diese Konstellation daher von vornherein aus der Betrachtung ausschließen und ansonsten einem anderen Beispiel zurechnen.
Das sind jetzt nur die Beispiele, die mir eingefallen sind. Wenn man aber mal unterstellt, dass dies einigermaßen die Bandbreite von Machtdynamiken bei BDSM abbildet, dann kann man aus meiner Sicht nur zum Schluss kommen, dass pauschale Schwarz-Weiß-Aussagen wie "Eigentlich hat Sub die ganze Macht" oder "Dom hat die ganze Macht" beide falsch sind, da sie in der Regel (Ausnahmen siehe oben) nicht zutreffen. In den meisten Fällen wird es wohl auf eine anteilige Machtverteilung hinauslaufen, die natürlich auch stark asymmetrisch sein kann.
Abschließend meine Ansicht zu dem Punkt, wo die Idee "Eigentlich hat Sub die ganze Macht" vermutlich herrührt: Ja, in Dynamiken, wo es ein Safeword gibt, kann Sub dieses nutzen und somit Macht ausüben. Auch Dom kann allerdings jederzeit alles abbrechen, bis hin zum Verlassen der Beziehung. Siehe auch Ab wann ist die Nutzung des Safewords missbräuchlich?. Es hat also jeder seine eigene Art der "Notbremse", und die sehe ich als gleichwertig "machtvoll" an. Daher begründet in meinen Augen der Mechanismus "Safeword" nicht, dass "Sub die ganze Macht hat".
Danke fürs Lesen bis hierhin. Das ist meine - hoffentlich nachvollziehbare - Sicht der Dinge. Wer eine andere hat oder der Meinung ist, dass ich mich in Details oder im Ganzen hier irre, gerne posten.
In diesem Sinne... möge die Macht mit euch sein (oder eben auch nicht, wenn das gewünscht ist)!
Wer es unbedingt in einem Satz braucht (tl;dr), der muss mit folgendem nicht sehr hilfreichen Allgemeinplatz auskommen: Kommt drauf an! Der Rest muss jetzt durchhalten...
Vorüberlegungen/Begriffserläuterungen
Was kann "Macht haben" bedeuten:
- Safeword sagen bzw. anderweitiges Stopp-Zeichen geben
- eine Session/Beziehung beenden
- Bestimmen, was gemacht wird
- Bestimmen, was nicht/dass nichts gemacht wird (Danke an @Dominantseptakkord)
Wann kann Macht ausgeübt werden:
- während der "Aushandlung" einer D/S-Dynamik/eines Machtgefälles
- während/außerhalb von Sessions
- (mehr oder weniger) dauerhaft bzw. jederzeit
In welchen Bereichen kann Macht ausgeübt werden:
- im erotischen Bereich, umgangssprachlich manchmal auch "im Bett" genannt
- in alltäglichen Bereichen, umgangssprachlich auch "außerhalb des Schlafzimmers" genannt
- in bestimmten Lebensbereichen, Beispiele dafür wären Kleidung, Essen, Finanzen, Selbstbefriedigung oder allgemeiner sexuelle Selbstbestimmung
Ein Versuch, die Eingangsfrage für konkrete Beispiele aufzudröseln:
#1: Sub geht zu Profidomina. Während der Aushandlung, was gemacht werden soll, würde ich sagen hat Sub da den überwiegenden Teil der Macht, Dom nur marginal (die kann bei bestimmten Praktiken sagen "Mach ich nicht"). Oder Dom lehnt den Kunden ganz ab, dann hat Dom 100% der Macht. Während einer Session... kommt drauf an, was ausgehandelt wurde. Das kann vom kompletten Drehbuch bis ins kleinste Detail (dann im Grunde Großteil der Macht bei Sub) bis hin zu "alles außer XYZ" gehen (dann Großteil der Macht bei Dom). Schon in diesem scheinbar einfachen Fall kann man also gar nicht pauschal sagen, wer wann wieviel Macht hat.
#2: D/S-Beziehung mit Machtgefälle. Während der Aushandlung... kommt drauf an. Wenn die auf Seiten von Sub in "mach mit mir, was du willst, ich brauch kein Safeword, ich gehöre ab sofort Dir" bestünde: Dom hat (fast) die ganze Macht. Ansonsten bleibt je nach Art/Menge von Tabus/Limits, ausgeklammerten Bereichen/Zeiten etc. ein entsprechender Teil der Macht bei Sub. Hier wird sich daher fast die gesamte Bandbreite einer möglichen Machtverteilung wiederfinden, von "nur im Bett" bis zu MPE (maximum power exchange). Kommt also drauf an.
#3: Service-Top/Bottom (leider bisweilen als "topping from the bottom"/Wunschzettelsub diffamiert, denn da ist überhaupt nichts gegen einzuwenden, wenn es allen Beteiligten gefällt). Bottom gibt Top quasi konkrete Regieanweisungen ("Jetzt mach XYZ und zwar soundso"). Wenn man mal den Fall ausklammert, wo Top das von vornherein ablehnt, so zu spielen, liegt hier der Großteil der Macht bei Bottom (ich sage bewusst Top/Bottom, weil solches Spielen nicht meinem Verständnis von Dom/Sub entspricht). Hier könnte man durchaus pauschal sagen, dass Bottom die Macht hat. Allerdings dürfte diese Spielart zeitlich auf Sessions und inhaltlich auf physische Praktiken (SM) beschränkt sein, denn wie sollte man z.B. "Dirty Talk" oder D/S sinnvoll in dieser Art und Weise ausleben?
#4: Switcher. Wenn man die Zeiträume ausklammert, wo nicht geswitcht wird, wird es hier schonmal zu einer Veränderung kommen, wer (mehr) Macht hat. Ich habe z.B. schon gehört, dass Switcher quasi "ausfechten", wer welche Rolle einnimmt. Und das ggf. mehrfach pro Session mit wechselndem Ausgang. Hier finde ich es schwierig bis sinnlos, zu sagen, wer (mehr) Macht hat. Denn in dieser Spielweise hat ja grundsätzlich die Macht, selbige zu übernehmen.
#5: Dom -> Service-Top -> Sub. Hier ist Macht über mehr als 2 Menschen und das auch noch ungleich verteilt. Dom gibt z.B. Service-Top Regieanweisungen und übt damit direkt Macht über Service-Top und indirekt Macht über Sub aus. Service-Top übt Macht über Sub aus. Wer hat hier wem gegenüber wieviel Macht? Außer dass Dom eher viel und Sub eher wenig hat, fällt mir das schwer zu sagen, wer hier wem gegenüber wieviel Macht hat. Zumal hier Aspekte wie direkte und indirekte Machtausübung hinzukommen. Kompliziert.
#6: Primal/Prey bzw. Jäger/Beute. Auch eine dynamische Machtverteilung. Solange der Jäger hier seine Beute nicht "erwischt" hat, im Grunde fast ausgewogen mit Tendenz zum Jäger. Danach je nach Stärke der Gegenwehr verteilt, der Einfachheit halber: wer die Oberhand hat, hat mehr Macht. Solange aber Gegenwehr erfolgt, gibt die Beute hier die Macht ja nie ganz ab. Danach schon. Kommt also drauf an.
#7: Brat/Dom. Angenommen, Brat schafft es, Dom zielgenau dazu zu provozieren, genau das zu machen, was Brat will... könnte man auf die Idee kommen, dass Brat die Macht hätte. Dom hat aber immer die Wahl zwischen "nicht drauf anspringen" und "etwas machen", wobei letzteres wiederum das sein kann, was Brat will, oder gerade nicht. Da Brat das aber nicht vorher wissen kann (wo meiner Ansicht nach der Reiz drin besteht), wäre es ja nur zufällig, das zu bekommen, was Brat will, und somit eben doch nie eine richtige Machtausübung.
#8: Sadist/Masochist. Da dies im Gegensatz zu allen vorherigen Beispielen auch ohne Machtgefälle auslebbar ist, kann man meiner Ansicht nach nicht sagen, wer hier die Macht hat. Ohne einen D/S-Anteil würde ich diese Konstellation daher von vornherein aus der Betrachtung ausschließen und ansonsten einem anderen Beispiel zurechnen.
Das sind jetzt nur die Beispiele, die mir eingefallen sind. Wenn man aber mal unterstellt, dass dies einigermaßen die Bandbreite von Machtdynamiken bei BDSM abbildet, dann kann man aus meiner Sicht nur zum Schluss kommen, dass pauschale Schwarz-Weiß-Aussagen wie "Eigentlich hat Sub die ganze Macht" oder "Dom hat die ganze Macht" beide falsch sind, da sie in der Regel (Ausnahmen siehe oben) nicht zutreffen. In den meisten Fällen wird es wohl auf eine anteilige Machtverteilung hinauslaufen, die natürlich auch stark asymmetrisch sein kann.
Abschließend meine Ansicht zu dem Punkt, wo die Idee "Eigentlich hat Sub die ganze Macht" vermutlich herrührt: Ja, in Dynamiken, wo es ein Safeword gibt, kann Sub dieses nutzen und somit Macht ausüben. Auch Dom kann allerdings jederzeit alles abbrechen, bis hin zum Verlassen der Beziehung. Siehe auch Ab wann ist die Nutzung des Safewords missbräuchlich?. Es hat also jeder seine eigene Art der "Notbremse", und die sehe ich als gleichwertig "machtvoll" an. Daher begründet in meinen Augen der Mechanismus "Safeword" nicht, dass "Sub die ganze Macht hat".
Danke fürs Lesen bis hierhin. Das ist meine - hoffentlich nachvollziehbare - Sicht der Dinge. Wer eine andere hat oder der Meinung ist, dass ich mich in Details oder im Ganzen hier irre, gerne posten.
In diesem Sinne... möge die Macht mit euch sein (oder eben auch nicht, wenn das gewünscht ist)!
I'm just too old to grow up now.
Trust me, I know what I'm doing!
Power is nothing without control.
Bedenke den Spaß...
Trust me, I know what I'm doing!
Power is nothing without control.
Bedenke den Spaß...