In Memoriam - Oder wie sie mir Half, zu meiner Dominanz zu finden

      In Memoriam - Oder wie sie mir Half, zu meiner Dominanz zu finden

      Es ist Nacht, als ich diesen Text beginne. Es ist Nacht und Bilder schleichen sich in mein Bewusstsein, Erinnerungen, so klar und detailreich, beinahe wie in einem Flashback, nur dass diese Erinnerungen bedeutend schöner sind. Ich weiß selbst nicht woher dieser Drang kommt, aber ich habe dieses Bedürfnis, diese kleine Geschichte niederzuschreiben, hochzuladen und zu teilen. Weil ich den Wunsch habe, ihr ein kleines "Denkmal" zu setzen, weil ich nicht möchte, dass sie vergessen wird. Ich möchte meine Dankbarkeit ihr gegenüber zum Ausdruck bringen, obwohl es absolut wahrscheinlich ist, dass sie meine Zeilen nicht lesen wird. Und weil ich das Gefühl habe, ein Stück weit Abbitte leisten zu müssen.

      Diese kleine Geschichte handelt von einer jungen Frau, namens Katarina und wie ich durch sie lernte, zu meinen Neigungen zu stehen und sie anzunehmen.

      TEIL 1 - WIE ICH SIE KENNENLERNTE

      Nun, wo fange ich an. Am besten an dem Tag, wo ich dieses bezaubernde Geschöpf kennenlernte.
      War es Mai, Juni, im Nachhinein weiß ich es nicht mehr so genau, es liegt schon fünf Jahre zurück. Als ich sie kennenlernte, ging es in meinem Leben drunter und drüber. Ich weiß nur noch, dass es an einem warmen, Samstag war, auf dem CSD in Wetzlar.

      Mit dem Zug fuhren meine Freundin und ich völlig allein nach Wetzlar und fragten uns durch. Und irgendwann standen wir im Gewühl der Menschenmassen, die sich am Startpunkt der Veranstaltung zusammengefunden hatten. Tausende Male schoss mir durch den Kopf, dass ich am liebsten wieder gehen würde, raus aus dem Gewühl, nach Hause, in mein ruhiges und kühles Zimmer, doch meine Freundin hatte gefleht, gebettelt und am Ende sogar leichte Drohungen ausgesprochen, denn ihrer Meinung nach würde es mir mehr als nur gut tun, wenn ich etwas anderes sehe, als Schule, mein Zimmer und meinen missratenen Freund. Und wo sie recht hatte, hatte sie recht. Also biss ich die Zähne zusammen.
      Obwohl ich keine Ahnung hatte, was nun passierte und ich selbst irgendwo Angst vor dem Trubel um mich herum hatte, schnappte ich mir meine Begleiterin und geleitete sie durch den Menschenstrom. Ich tat so, als hätte ich eine Ahnung, wohin es ging, obwohl ich mich nur von der Masse mitreißen lies. Überall waren Menschen, ich hörte verschiedenste Gesprächsfetzen und bekahm allmählich Kopfschmerzen. Hätte ich nur auf mich selbst gehört, ich war für solche Veranstaltungen wirklich nicht gemacht. Durchsagen wurden gebrüllt, jemand blies eine Trillerpfeife, Musik wummerte aus tragbaren Lautsprechern.
      Irgendjemand band mir ein Armband um das Handgelenk, wo anscheinend "queer as fuck" darauf geschrieben stand. Hätte ich gesehen, währen mir sicherlich viele homosexuelle Paare aufgefallen oder Menschen, die Regenbogenfahnen in verschiedenen Größen schwenkten. Meine Begleiterin hatte ihren Spaß, sie erwiderte die durch ein Megafon skandierten Rufe, während ich bedacht war, dass sie nicht angerempelt wurde. Es war so voll und die Menschenmasse bewegte sich nur langsam voran.
      Ich weiß nicht, wie lange wir zusammen so dahin geschlendert waren, jedoch lief ich irgendwann in eine aufgespannte Stoffbahn, eine große Regenbogenfahne, die zwei junge Frauen vor uns aufgespannt hielten. Ich entschuldigte mich, während ich die Stoffbahn aufhob, und den Staub davon herunterklopfte. Zu meiner Erleichterung erklärten sich die beiden Frauen uns mitzunehmen. Die kleinere von den beiden Frauen, nahm sich meiner Freundin an, während ich mich bei der größeren und scheinbar älteren einhaken konnte.

      So kamen wir nun erheblich schneller voran. Die junge Frau schritt energisch vor mir aus, an einem Arm mich, die andere hielt sie hoch erhoben, die große Regenbogenfahne haltend. Sie schien sich nicht an den Menschen zu stören und lozte mich, ihre Freundin und meine Begleiterin samt Fahne durch das Gewühl, durch den Konfettisturm, der irgendwann aufkam, durch die laute Musik, durch die Straßen von Wetzlar. Sie versuchte mit mir ins Gespräch zu kommen, jedoch war es so laut, dass man gegen den Lärm anbrüllen musste. Ich konnte ihr zumindest erklären, warum ich hier war.
      Ich hatte vor einiger Zeit feststellen müssen, dass ich pansexuell war. Meine Freundin riet mir, sich in offenen Kreisen zu bewegen, da die meisten Heteros nichts damit anfangen konnten. Und irgendwo hatte sie recht. Mein damaliger Freund und Dom konnte nichts damit anfangen. Mehr als das. Ich wollte Abstand von ihm, etwas anderes sehen und pfiff guten Gewissens auf seine schlechte Laune darüber, was er dachte, wenn er erfuhr, dass ich auf dem CSD war. Zudem wollte ich einfach meinen Horizont erweitern.
      Das mit meinem damaligen Dom erzählte ich ihr natürlich nicht.

      Als wir die Strecke abgelaufen waren, versammelte man sich auf einen großen Platz. Eine Bühne war dort aufgebaut worden, auf denen, laut meiner netten Führerin, Dragqueens ihr Können zum besten gaben. Es roch nach Essen, gebratenem Fleisch und Frittierfett. Überall standen Bänke, Tische und kleine Buden, an denen man Regenbogenfahnen und anderes Zeug kaufen konnte, was irgendwie implizierte, mit queernes in Zusammenhang gebracht werden zu können. Ich glaube mich sogar an einen kleinen, etwas abseits liegenden Stand zu erinnern, an denen Flyer verteilt wurden, die Menschen über BDSM aufklären sollten.
      Meine Führerin schnappte sich einer dieser Heftchen und blätterte kichernd darin, während sie nach einem Platz Ausschau hielt.
      Irgendwann fanden wir ein verhältnismäßig ruhiges Plätzchen auf einem Rasenstück. Meine Freundin unterhielt sich munter mit dem anderen Mädchen, während meine Führerin sich neben mir auf eine wackelige Bierbank setzte.
      "Ich heiße übrigens Katarina", sagte sie. Da wir nicht mehr gegen den Lärm anschreien mussten, fiel mir auf, wie angenehm warm und ruhig ihre Stimme klang. "Wie ein Edelstein", schoss es mir durch den Kopf. Mein synästhetisches Gehirn lies die Assoziation an einen glatten, kühlen Edelstein in meiner Hand entstehen. Einen Stein, den man langsam und bedächtig über Samt führte und ich musste unwillkürlich lächeln. "Edelstein auf Samt. Am Besten ein pflaumengroßer, türkisfarbener Edelstein auf schwarzem Samt."
      Endlich konnten wir in Ruhe reden. Ich stellte mich ihr vor und sie erzählte mir, warum sie auf dem CSD war. Sie war homosexuell und es war nicht ihre erste Veranstaltung, die sie besuchte. Ich erlebte sie als stolz und selbstbewusst, trotz dass sie mir erzählte, wie sie aufgrund ihrer offen gelebten Sexualität angefeindet wurde. Und je länger sie sprach, desto mehr merkte ich, dass sie mich faszinierte. Nicht nur ihre Stimme, auch ihre offene Art, ihre ruhige, jedoch energetische Ausstrahlung und die Art, wie sie mich mit ihrer Freude über die Veranstaltung ansteckte, oder der Tatsache, dass wir aus derselben Stadt kamen. Schon da merkte ich, dass diese junge Frau mir etwas gab, was mir zu dieser Zeit fehlte. Leichtigkeit und di pure Freude am Leben.
      Das tat mir gut, denn mit meinem Dom lief es zur Zeit sehr schlecht. Er litt unter Depressionen und abgesehen davon neigte er immer öfters ohne Verluste zu spielen und mich meiner Limits ungeachtet an meine Grenzen zu treiben. Wie oft hat dieser Wicht meine Save-words missachtet. Der einzige Grund, warum ich noch damals bei ihm blieb, war die Drohung, die über mir schwebte, er würde sich umbringen, wenn ich ihn verließ. Tja, damals war ich einfach jung und unerfahren und ließ es mit mir machen. Dom und ich stritten uns viel. Ich stellte seine Dominanz fast jeden Tag in Frage und wenn seine Verfassung es zuließ, verwies er mich an den Platz, wo er glaubte, ich gehörte dort hin. Ja, ich gebe es zu, ich war masochistisch, bin ich heute noch immer, Schmerzen erregten mich, jedoch fühlte ich mich nicht devot. Ich gab mich jedoch devot, vor allem dann, wenn die Schmerzen nicht mehr angenehm wurden und ich notgedrungen vor ihm auf die Knie gehen musste, weil der Körper sich weigerte zu stehen. Eigentlich ist das eine andere Geschichte, aber die Tatsache, dass ich eigentlich nicht devot bin, wird später wichtig.

      Zurück zu diesem faszinierenden Wesen. Sie schien mir schon nach den ersten Stunden unseres Kennenlernens so sympathisch, sodass ich mich in ihrer Gegenwart fühlte, wie eine Katze, die sich schnurrend auf eine sonnenbeschienene Fensterbank ausstreckt. Wir redeten auf der wackeligen Bierbank über Gott und die Welt. Ich schaffte es sogar die Stimmen und das Chaos um mich herum auszublenden, was mir sonst schwer fiel.
      Und als wir uns langsam auf den Rückweg machen wollten, zurück nach Hause, wehte ein lauer Windstoß ihre Haare über ihre Schultern in mein Gesicht. Sie waren lang, weich und gelockt und rochen nach einer Mischung aus Zigarettenqualm, Grillfeuer, Essen und dem KirschblütenShampoo, den ich schon einmal in einem Kosmetikladen von Bodyshop gerochen hatte. Und an diese kleine so unbedeutende Szene erinnere ich mich heute mit jeder Einzelheit. Und tatsächlich erinnere ich mich gerne an dieses Bild zurück, denn diese Szene hatte etwas geheimnisvolles, sinnliches an sich, der Geruch ihrer Haare, wie sie sich auffächerten und über meine Wangen legten und das Gefühl der Haarsträhnen, die sich auf meinen Fingerspitzen so dünn, fließend und seidig anfühlten, als ich ihre Lockenpracht vorsichtig von meiner Wange strich.

      Meine Führerin drehte den Kopf zu mir herum und ich konnte spüren, wie sie die Schultern zuckte."Ist was?", wollte sie wissen, als hätte sie überhaupt nichts davon mitbekommen. Ich verneinte nur.
      Für einen Moment schwieg sie einfach nur, was mich etwas nervös machte, denn ich fühlte mich auf eine seltsame Art und Weise von ihr ertappt, doch als sie sprach, konnte ich das Lächeln in ihrer Stimme hören.
      "Ich finde dich nett. Was hältst du davon, wenn wir zusammen zurückfahren?"
      TEIL 2 - WIE SIE ANFING, MICH AUF DEN KOPF ZU STELLEN

      Die nächsten Tage schienen so seltsam trist und grau, nachdem ich Katarina kennengelernt hatte. Wir waren zusammen nach Hause gefahren und hatten Adresse und Nummern ausgetauscht. Beziehungsweise hatte ich ihr neben meiner Handynummer die Adresse meiner Wohngruppe gegeben, ich lebte damals noch in einem Internat. Im Nachhinein wusste ich selbst nicht mehr so genau, warum ich es tat, denn einem Mann hätte ich nie so ohne weiteres meine Adresse gegeben. Vielleicht spürte ich schon damals, dass ich ihr vertrauen konnte.

      Dom holte mich nach der Schule ab und lud mich zum Eisessen ein. Er schien einer seiner besseren Tage zu haben. Jedoch konnte ich nicht sagen, ob dieser Tag gut für mich oder doch gut für ihn endete. Noch immer lag der Streit über die letzte Session zwischen uns, meine Wut darüber, was er sich geleistet hatte. Auch wenn es schon mehrere Wochen her war, spürte ich, wie mein Ärger und meine Wut über ihn anwuchs und wie ein kalter Klumpen aus Schlick und verheddertem Seetang in meiner Brust festsaß. Dass er anbot, mir sogar zwei Becher auszugeben, änderte nichts daran. Andererseits waren zwei Eisbecher genau das, was ich nun als Seelenfutter nach der heutigen Klausur und dem Französischtest dringend benötigte.
      An diesem Tag fielen mir in Überdeutlichkeit die Schwächen meines Doms auf. Seine schlechte Orientierung, diese schreckliche Unsicherheit vor jedem fremden Menschen, den er über den Weg lief, Probleme Entscheidungen zu treffen. Es war an mir, den schnellsten Weg zur Eisdiele zu nehmen, die Bestellung aufzugeben und als er sich mal wieder nicht entscheiden konnte und mir sein Zögern und seine Unentschlossenheit sichtlich zu lange ging, entschied ich kurzerhand für ihn und er ließ es zu. Mir war alles recht, Hauptsache ich konnte mich für ein paar Minuten entspannen und bekam mein Eis. Es war mir bewusst, dass ich damit Strafschläge riskierte, doch es war mir erneut egal. Und während ich ihm die Verantwortung abnahm und endlich das Eis vor uns stand, merkte ich schon damals, wie ich mich innerlich entspannte.
      "Bedank dich anständig", sagte er. Beinahe hätte ich. Aufgelacht. Ich wusste, dass es ungerecht ihm gegenüber war, schließlich lud er mich zum Eis ein, trotzdem. Ich sah es nicht ein, sich für eine Wiedergutmachung zu bedanken und auch noch dafür, dass ich ihn auf den schnellsten Weg hierher und ihm weitere Arbeit abgenommen hatte.
      "Ich danke dir", sagte ich beinahe emotionslos. Wie gesagt, damals dachte ich zwar an Trennung, brachte es jedoch aus vielen Gründen nicht über mich, zumal mir meine Eltern auch etwas anderes vermittelt haben. Man solle um seine Beziehung kämpfen, wenn sie wüssten.

      "Du weißt, dass ich es nicht ausstehen kann, von dir bevormundet zu werden", sagte er schließlich zwischen zwei Löffel Eis.
      "Du weißt, dass wir nicht ewig Zeit haben und ich auch noch Hausaufgaben machen muss", erwiderte ich geduldig und kassierte unter dem Tisch einen Fußtritt.
      "Fordere es nicht heraus, meine Liebe."
      Ich lehnte mich demonstrativ zurück und gähnte. Heute war einfach nicht mein Tag. "Ja, ist schon klar, du wirst mich auf meinen Platz verweisen, nichts Neues. Willst du es heute Abend machen oder bist du zu müde dafür? Oder bist du dann wieder nur halbherzig bei der Sache? Weist du was, gut für mich, dann ist es weniger eine Strafe für mich."
      Er zog scharf die Luft ein. "Sei nicht so laut, die Leute." Ich hörte in seiner Stimme, wie er um Fassung rang. Natürlich, die Leute. Ich biss mir auf die Zunge und Schluckte meine Äußerung, samt einem Löffel Eis hinunter. "Na also, geht doch", entgegnete er beinahe fröhlich und ich wusste, dass ich heute Abend für meine unbedachten Äußerungen geradestehen muss und werde.
      Auf einmal hörte ich ein Räuspern links von mir.
      "Störe ich euch vielleicht?" Es war Katarina.
      Was für eine freudige Überraschung. DreiTage lagen seit unserem Kennenlernen zurück, doch ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt, als ich sie in der Eisdiele sah, kaum weiter an sie gedacht, obwohl die Begegnung mich tief beeindruckt hatte. Umso schöner war es, sie wiederzusehen. Ihre Absätze klapperten unüberhörbar auf den Pflastersteinen, als sie näher an uns herantrat und wieder konnte ich den Duft von Kirschblüten an ihr vernehmen. Mit einer gewissen Genugtuung registrierte ich, wie sie nur ein paar knappe Begrüßungen mit meinem Dom austauschte und ihn sonst keines weiteren Blickes, noch einer Erwähnung würdigte. Sie erzählte, dass sie in der Gegend gewesen war und vorbeischauen wollte. Ich sei nicht da gewesen, aber einer meiner Mitbewohner verriet ihr, wo ich zu finden sei. Dom und die Strafe waren für einen Moment über die Freude darüber, sie wieder zu sehen, vergessen. Sie setzte sich an einen leeren Nachbartisch, der sehr nahe bei unserem stand und während sie an ihrem Eiskaffee nippte, den sie sich bestellt hatte, lud sie mich ein, nächsten Samstag mit ihr reiten zu gehen. Sie hätte eine Stute, auf dass sie aufpasste und ab und zu auf ihr ausritt, sie wollte sie mir gerne zeigen und ich stimmte zu. Auf dem Nachhauseweg konnte ich spüren, wie sehr es ihm missfiel, dass ich die Einladung angenommen hatte. Als ich ihn darauf ansprach, schwieg er nur. Und als er mich Zuhause verließ, sagte er nur zum Abschied: "Ich verschiebe die Strafe auf Samstagabend." Ich nickte. Bevor ich jedoch die Tür meiner Wohngruppe aufschließen konnte, spürte ich plötzlich seine Finger an meinem Nacken, hart und unnachgiebig.
      "Hast du das verstanden, Sklavin?" In seiner Stimme schwang überdeutlich die Drohung mit. Ich kämpfte gegen den Drang an mich zu wehren, atmete durch und schluckte ebenfalls den Drang hinunter, den Kopf zu drehen und ihm ins Gesicht zu spucken. Wie ich es hasste, Sklavin genannt zu werden, wie ich es hasste und wie ich es hasste, dass er es genau wusste.
      Tja, damals wusste ich einfach nicht besser zu handeln, als still zu halten.

      Der Samstag kam und es war, wie der letzte Samstag ein warmer, sonniger Samstag. In der Luft lag der Duft von Gräsern, Blüten und von der Sonne aufgeheizten Steinen. Trotz dass dieser Tag versprach ein guter Tag zu werden, hatte ich die letzte Nacht nicht gut geschlafen. In letzter Zeit verfolgten mich die Szenen der letzten Sessions bis in meinen Schlaf und ließen mich kaum zu Ruhe kommen. Auch wenn es träume waren, blieb nach dem Aufwachen ein gewisser Nachhall, vergleichbar mit einem Echo, aus unangenehmen Empfindungen in mir hängen. Es wurde höchste Zeit rauszugehen und sich ein paar angenehme Stunden mit Katarina zu machen.

      Katarina und ich fuhren wenig später mit dem Bus in die Nähe der Pferdekoppel und der Reitställe, das letzte Stück bewältigten wir zu Fuß. Es war idyllisch ruhig, kein Straßenlärm war zu hören. Der Wind trug den Geruch von Feld und Pferde mit sich. Die Luft war erfüllt vom Zirpen der Grillen, auch war es mittlerweile heiß geworden. Doch das schien Katarina nicht zu stören, obwohl sie sich in ihre Reitmontur geworfen hatte und einen großen Rucksack auf dem Rücken trug, aus dem auch der Knauf einer Dressurgerte ragte.
      "Ich habe mir überlegt, dass ich dich auch gerne aufs Pferd lasse, aber um eine Nummer Sicher zu gehen, habe ich dir ebenfalls Reitklamotten mitgebracht. Zumindest Stiefel und Helm bekommst du von mir. Bist du schon einmal auf einem Pferd gesessen? Was hältst du von Pferden?", redete sie auf mich ein, während wir gemeinsam von der Straße abbogen und über einen Feldweg einen steileren Hang hinaufliefen.
      Geritten bin ich noch nie, ein Pferd gestreichelt und geputzt hatte ich schon mal, aber auf einem geritten? Nein, das war ich noch nicht, jedoch wusste ich theoretisch wie es ging. Irgendwo hatte ich einmal davon gelesen. Aufrechte Haltung, sich etwas gegen die Steigbügel stemmen, Fersen dabei nach unten, den Schwerpunkt nicht ganz in der Mitte des Sattels, sondern eher nach Hinten verlagern, schultern zurück, Kopf hoch. Ich war nicht so der Pferdetyp, ich mochte Katzen eher, die waren nicht so groß. Trotz meiner Bedenken und meinem Respekt, den ich vor Pferden hatte, war ich nichts desto trotz neugierig auf Katarinas Stute.
      Sie redete auf mich ein, während wir den Ställen immer näher kamen und ich ertappte mich dabei, dass ich mich nur auf ihre Stimme konzentrierte und es mir gleich war, was sie sagte. Ich genoss das Gefühl von einem Kühlen Edelstein in meiner Hand und warmen Samt unter meinen Fingerspitzen, während sie sprach. Ich fühlte mich so seltsam leicht und entspannt, während ich ihrer Stimme lauschte und die Sonne auf uns Beide hinab schien.

      Wenig später, das Pferd war gestriegelt, gesattelt und aufgezäumt. Katarina hatte es sich in einem Rondell aufwärmen lassen, indem sie es zwischen mehreren Gangarten wechseln lies oder anstatt im Kreis Schlangenlinien ritt. Ich stand am Rande der Laufbahn, wartete auf sie, lauschte den kaum hörbaren Hufschlägen auf dem sandigen Untergrund, das freudige Schnauben des Tieres und wie Katarina es von Zeit zur Zeit an mit ihrer so angenehmen Stimme lobte.
      Erst als das Pferd aufgewärmt war, unterstützte sie mich mit den Reitstiefeln und half mir in den Sattel. Ich positionierte mich so, wie ich es aus der Theorie kannte.
      "Für dass, das du noch nie auf einem Pferd gesessen bist, sitzt du ziemlich gut da. Das steht dir."
      "Ich lachte. "Ja, danke. Sitzt sich auch ganz gut hier oben. Aber führen werde ich es nicht, das könnte sonst in einer eventuellen Katastrophe ausarten."
      "Das musst du auch nicht, ich führe das Pferd, das Einzige, was du tun musst, ist dich zu entspannen und ruhig sitzen zu bleiben." Und das tat ich dann auch.
      So ritten wir durch den Wald. Wieder schritt sie leichtfüßig voraus, während sie das Pferd am Zügel führte und dieser gemächlich hinter ihr her schritt. Wir unterhielten uns weiter, größtenteils über belanglose Themen, was unsere Interessen waren beispielsweise, was wir am liebsten aßen, solche Dinge. Sie hielt nur zwei Mal an, um dem Pferd die Trense abzunehmen und es grasen und etwas trinken zu lassen. Die Zeit flog an uns vorbei und es wurde langsam Nachmittag. Obwohl ich heute nicht viel gegessen hatte, musste ich feststellen, dass mich kein Hungergefühl plagte, nicht einmal ein nennenswertes Durstgefühl, auch dann nicht, als wir uns zurück zu den Ställen machten.
      Einige Minuten liefen wir schweigend durch den Wald, mittlerweile war ich abgestiegen und ging neben ihr her.
      "Sag mal", unterbrach sie zögernd das Schweigen, "hast du schon einmal was von dem Thema BDSM gehört?" Ich erstarrte innerlich und für einen Moment tat sich ein Loch in meinem Magen auf, vergleichbar mit dem Gefühl, wenn man die letzten Treppenstufen vergaß und ins Leere tritt.
      "Im Prinzip schon, ich kenne BDSM ein bisschen, aber findest du nicht, dass so eine Frage eher unangebracht ist, zumal wir uns ja kaum kennen?" Stattdessen hörte ich mich selbst nur sagen: "Du meinst das Sadomaso-Gedöns? Hm, hab von Shades of Grey gehört, ich kenne Menschen, die das gelesen haben. Das Buch finde ich aber absolut uninteressant."
      "Du kennst es also nicht"
      "Nein", sagte ich sofort und spürte, wie mein Puls in die Höhe schnellte. Im Lügen war ich nie besonders gut gewesen. Ich fühlte mich auch wohler, offen und ehrlich mit Menschen zu sein, die mir sympathisch waren, doch bei ihr ergriff mich eine seltsame Unruhe, wenn ich es mir ausmahlte, ihr zu sagen, dass ich es kannte, vor allem auf der masochistischen Seite.
      "Nein", echote sie. "Es ist nur so, diesen Flyer vom BDSM-Stand. Ich meine, es hat mich interessiert. Auf dem CSD sah ich ein Paar, wo der Mann seine Partnerin an der Leine führt. Ist das nicht völlig absurd?"
      Ich lachte gequält. Dieses Gespräch nahm eine Richtung, die mir gar nicht behagte. Ganz und gar nicht. Ich tastete mich vorsichtig am Zügel endlang zum Pferd zurück und lief neben es her, die Hand auf seinen Wiederrist gelegt. Ich brauchte Abstand. Denn auf einmal kam mir wieder mein eigener Dom in den Sinn, die Strafe, die er über mich ausgesprochen hatte. Ich hatte dieses Thema in den letzten Stunden so gut ausblenden können. "Verdammt!" Und zum ersten Mal verspürte ich Ansätze von Panik, als ich an ihn dachte. Ich hatte Angst vor ihm. Wieder schoss mir der Gedanke durch den Kopf, einfach fortzulaufen, seine Nummer zu löschen, die Beziehung einfach zu beenden, sollte er sich meinetwegen umbringen. Doch der Gedanke daran, ich könnte einen Menschen auf dem Gewissen haben, ließen mich die Pläne einer Trennung verwerfen. "Wenn ich kneife, wenn ich heute nicht bei ihm erscheine, wird es nur noch schlimmer. Er wird mich finden und mich packen und mich so lange überreden, bis ich mich emotional wieder völlig überfordert fühle. Lieber körperlichen Schmerz, als psychischen", schoss es mir durch den Kopf, während ich versuchte bewusst langsam und ruhig zu atmen, mir meine Gefühle bloß nicht anmerken zu lassen. Nicht vor Katarina. Und offenbar gelang es mir, denn als ich das nächste Mal den Mund öffnete, klang meine Stimme in meinen Ohren wieder völlig ruhig und gefasst.
      "Naja, wer es mag, soll es tun. Das währe aber nichts für mich. Ich bin ja kein Tier, sondern ein Mensch."
      Katarina blieb stehen und drehte sich zu mir um. "Das tut mir leid, ich wollte dich nicht beleidigen mit diesem Thema...", stammelte sie und klang dabei aufrichtig betroffen. "Ich wollte es wirklich nicht." Sie trat an mich heran, ich wich ein paar Schritte zurück. Dann hörte ich, wie sie ihren Rucksack öffnete, darin herumkramte und dann schließlich das Zischen von aus Flaschen entweichender Kohlensäure. Sie drückte mir die Flasche in die Hand und ich trank daraus, weniger um meinen Durst damit zu stillen, sondern einfach nur um etwas zu tun. "Ich hab dich noch nie so streng aus der Wäsche schauen sehen", sagte sie leise und da war es wieder, dieses tröstende Gefühl von Stein und Samt unter meinen Händen.
      Unwillkürlich musste ich lächeln. "Das hat mir meine Mutter auch manchmal gesagt. Weist du welchen Spitznamen sie mir gegeben hat, weil ich meine Geschwister ohne Probleme herumkommandieren konnte und sie mir dann auch sofort gehorcht haben? Böse Stiefmutter. Natürlich hat sie es irgendwo auch liebevoll gemeint."
      Böse Stiefmutter? Dann will ich gar nicht wissen, was du mit denen gemacht hast", erwiderte sie lachend.
      "Naja, ich kann es einfach nicht ausstehen, wenn sie mit dem Essen spielen, laut schmatzen oder die Füße auf den Esstisch legen."

      Ein paar Minuten liefen wir weiter, der Boden wurde bald fester und der Waldboden war einen mit Kies bestreuten Weg gewichen. Katarina erzählte mir, wie sie das Pferd trainierte, von Hand- und Zügelarbeit und anderen Dingen, die ich nur zur Hälfte verstand. Doch irgendwann ließ mich ein Satz von ihr erneut in eine Habachtstellung schnellen.
      "Weist du, im Grunde ist die Gerte nicht dafür da, um das Pferd anzutreiben, es mit Schmerzen Gefügig zu machen. Es ist eher wie ein Zeigestock zu verstehen. Du tippst beispielsweise das Pferd mit der Gerte so an, um das Gangbild zu korrigieren. Weist du, ich habe in so vielen Reitstellen Sätze gehört wie 'Treib das Vieh mal mehr mit der Gerte an', oder 'Sei mal dominanter, lass dir doch nicht so auf der Nase herumtanzen'. Aber meine Meinung nach ist dieses typische Dominanzgehabe, dieses typische dominante Auftreten beim Training völlig fehl am Platz. Und Gewalt mit der Gerte, um ein Pferd zur Gehorsamkeit zu zwingen sowieso. Gut zu führen heißt vor allem, zuzuhören, welche Signale das Pferd sendet, aufmerksam zu sein. Und naja..." Sie zögerte. "... Im Grunde gilt das auch bei Menschen. Ein guter "Leitmensch" kommt ohne jegliche Gewalt aus, meiner Meinung nach. Ich - ich meine sieh dir doch die Arbeitswelt an. Ich würde mich eher einer Chefin unterordnen, die wirklich einen Plan hat und auch mal bereit ist, ihre Untergebenen anzuhören, wenn sie konstruktive Vorschläge geben. Wirklich besser, als so ein Chef, der sich wie ein selbstgefälliger Gockel aufbläst, droht und herumschreit, wenn es nicht so klappt, wie er es haben will, oder? Gute Führung braucht keine Gewalt."
      Da magst du wohl recht haben", murmelte ich gedankenverloren.

      Neunzehn Uhr und ich saß auf den Stufen vor der Wohnung meines Doms. Viel zu früh. Er erwartete mich erst um Zwanzig Uhr. Ich war gleich nach dem Treffen mit Katarina zu ihm gefahren und nun saß ich da, in der Stille des muffigen Treppenhauses, das nach übervollen Mülltonnen roch. Katarinas Worte gingen mir nur schwerlich aus dem Kopf. "Führung braucht keine Gewalt", "zuhören", "Aufmerksam sein", "Dominanzgehabe". Immer wieder hallten sie in meinen Gedanken nach, wie Regentropfen in einem tiefen Kanalschacht.
      Auf eine seltsame Art und Weise fühlte ich mich ohnmächtig, beinahe wie damals, als mir mein Politiklehrer mit Vierzehn erklären wollte, das das Schlagen von Kindern verboten und absolut strafbar war. Ich hatte es damals nicht glauben können, da mein Vater uns auch ab und zu schlug. Auch wenn meine Mutter uns nie geschlagen hatte und uns manchmal sogar versuchte zu verteidigen, war sie doch der Meinung, dass Schläge einem Kind nicht schaden würden. Ihr hätte es auch nicht geschadet. Verflucht, das war mir zu viel, ich wollte nicht mehr.
      Ich dachte an früher, dass Dom und ich als ganz normales Paar angefangen hatten, an früher, als er aufmerksam und zärtlich zu mir gewesen war. Hätte ich ihm doch nur nicht gestanden, dass mich Schmerzen in einem gewissen Grad erregten. Früher war alles einfacher. Ich vergrub das Gesicht in den Händen und weinte ein bisschen still vor mich hin. Ich kaute meine Lippe blutig. Lieber jetzt weinen als in seiner Anwesenheit. Meine Tränen gönnte ich ihm nicht, ebenso wie mein Betteln auf Straferlass. Das würde ihn nur noch mehr bestätigen. Ich schmeckte Galle im Mund und hätte am liebsten ausgespuckt, am Besten ihm im hohen Bogen vor die Füße. Die Trauer wich einer gewissen Wut, die die Angst und Trauer beiseite drängte. Bald würde es so weit sein.
      Mein Handy vibrierte in meiner Jackentasche. Ich zog es hervor. Es war eine Sprachnachricht von Katarina.
      "Hi. Ich habe den Tag sehr mit dir genossen. Wirklich, es hat mir sehr gefallen und ich hoffe, es hat dir auch gefallen. Ich würde es gerne wiederholen. Aber nicht mit Pferd. Vielleicht mit Essen gehen oder Kino? Du hast mir ja gesagt, dass du auch ab und zu gerne Filme siehst. Ja... Also... Ich hoffe, dass du gut Zuhause angekommen bist. Ich wünsche dir einen wundervollen Abend und eine gute Nacht. Hoffentlich bis bald."
      Ihre Stimme, ihre so wundervolle, weiche Stimme, wie schüchtern sie in dieser Nachricht klang.
      "Ja, ich würde dich gerne noch einmal sehen", flüsterte ich in die Stille des Treppenhauses. Es war bald Acht. Ich nahm eine Stufe. "Dominanzgehabe", schallte es in meinen Gedanken. Nächste Stufe: "Aufmerksam sein". Nächste Stufe... "Gute Führung braucht keine Gewalt." Ich zögerte, denn ich war an seiner Tür angelangt. Verflucht. Katarina musste einfach Recht haben. Sie musste. Der Politiklehrer hatte ja auch Recht behalten. Warum dann auch nicht sie? Sie hatte sicherlich Recht. Sie musste Recht haben. Und mit diesen Gedanken klopfte ich vier Mal an seine Tür.