Junitränen

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      Junitränen

      “Du bist doch meine. Wir gehören zusammen“ hauchte er beinahe wortlos, während sie sich an seiner Hüfte zusammengerollt hatte, um dort Halt zu finden. Er strich sanft über ihren Rücken, welcher immer wieder von ihren nicht enden wollenden Tränen erbebte. Kostbare, wundervolle Zeit floss unaufhörlich dahin. Zeit, welche sie mit Lachen füllen sollten oder auch mit Peitschenhieben. Zeit, die sie sich beide nehmen wollten, um einander nah zu sein. Zeit, welche mit lustvollem Stöhnen oder stillem Genuss hätte gefüllt sein sollen.

      Beide lagen voll bekleidet auf dem Bett in ihrem Schloss aus Träumen. Seit einer Ewigkeit lagen sie so beieinander.

      Zuvor streichelte sie etwa eine halbe Stunde lang seine Stirn, bis er zur Ruhe kam. Und in diesem Moment war sie erstaunt, wie glücklich sie war, einfach nur in seiner Nähe sein zu dürfen. Sie wusste, dass sich ihre Seele längst entschieden hatte, noch ehe das Herz – oder gar der Verstand – wusste, was eigentlich geschah. Sie kannte jedes graue Haar, jede Lachfalte in seinem wundervollen, markanten Gesicht. Sie hätte darin versinken können, in ihm. In diesen tiefgründigen Augen mit dem schelmischen Funkeln.
      Sie strich immer und immer wieder in Zeitlupe von seinem Nasen- zum Haaransatz. Sie wachte über seinen leicht einsetzenden Dämmerschlaf. Passte auf ihn auf, wie sie es schon so oft erträumt hatte. Sie träumte davon, endlich die Frau zu sein, die er verdiente. Immer dann, wenn ihm das Leben keine Ruhe ließ und sein Körper die Grenzen seiner Kapazität überschritten hatte und er nicht auf diese Warnungen hörte. Sein Leben war ein permanentes Ziehen, Zetern und Zerren. Gerade in Situationen wie diesen wollte sie für ihn da sein, seine Hand halten, Tee ans Bett bringen oder sein Erbrochenes wegwischen. Er hatte verdient, dass man sich um ihn sorgte. Bei ihr musste er nicht stark sein. Er konnte ganz die sensible Seele sein, die er war. Er konnte sich anlehnen und sie war glücklich einfach da sein zu dürfen.

      Man traf sich, wie verabredet, in Roissy. Sie war aufgeregt, voller Vorfreude. Die Wohnung glänzte, roch nach Zitrone. Das Zubehör für den Tee stand bereit. Sie trug ein schwarzes, brustfreies Korsett und dazu einen hauchzarten, roten Rock, den man vorn und hinten öffnen konnte. Stahl schmückte Hand und Hals. Eines Tages, so hoffte sie, dürfe sie dieses oder ein ähnliches Outfit tragen, wann immer sie allein waren.

      Nach einem gemeinsamen Tee - für ihn Assam, für sie Beeren - dazu Macarons aus einer kleinen Confiserie vor Ort, gemahnte er allmählich zum Aufbruch. Dort, wo er sie hin entführen wollte, seien sie an Öffnungszeiten gebunden. Er half ihr bei der Auswahl der Kleidung und sie verließen die Wohnung.

      Auf dem Weg wechselten sie wie üblich zwischen den Themen. Auch unangenehmes wurde angesprochen. Nun mag es am Zufall gelegen haben oder am Thema (er versicherte letzteres), jedenfalls waren sie wenige Kilometer vor dem Ziel als er sie bat, umzukehren. Er war blass, seine Atmung und, wie sie später feststellte, sein Puls gingen zu schnell. In kürzester Zeit waren Hemd und Shirt durchgeschwitzt. Zunächst hielt sie an der Seite, er brauchte Luft. Die Umgebung war nicht optimal, sie bat ihn nach ein paar Minuten herein, um zu einem anderen Ort zu fahren. Einen Arzt verneinte er, es sei nur der Kreislauf. Was er nicht wusste, war, dass sie die Anzeichen von ihrer Mutter kannte, bei der dann zumeist Herzprobleme die Ursache waren. Auch er war vorbelastet und sie hatte schreckliche Angst um ihn.

      Nach außen hin strahlte sie Ruhe aus, eine notwendige Angewohnheit aus Zeiten, in denen man beinahe monatlich einen Krankenwagen im Haus hatte. Das war keine emotionale Kälte, es war ihr „Funktionier-Modus“. Häufig fehlinterpretiert, im Grunde jedoch nur ein Schutzmechanismus. Am nächsten Parkplatz hielten sie an und half ihm aus dem Wagen. Er stützte sich, leicht zittrig, auf ihren Arm, betonend, nur Luft könne jetzt helfen. Sie gingen einen leicht abfallenden Waldweg entlang zu einem Stapel Baumstämme, auf dem sie Platz nahmen. Eine Zeit des Schweigens, durchbrochen von Fragen nach seinem Befinden. Eine Zeit der Nähe, so unwirklich es klingen mag. Denn sie suchten einander. Es gab nur eine Gelegenheit, in der sie sich weiter als ein paar Schritte von ihm entfernte. Sie suchte Waldblüten, um ihm nun auch endlich analog, die Blumen zu schenken, die er sonst nur digital von ihr bekam. Sie fand Kornblumen, denn er mochte blau und etwas gelbes Johanniskraut als Kontrast. Sie ging auf die Suche, während er sich zum ersten Mal übergab. Und trotz seines offensichtlich schlechten Zustands konnte er sich noch über die Blümchen freuen. Und das freute sie, denn innerlich hätte so gern mehr getan. Und im Chaos ihrer aufgewühlten Gedanken vernahm sie eine leise, nagende Stimme, die Vorwürfe mit sich brachte. Lag es an den Macarons? Am Tee? An den Themen oder ihrem Fahrstil? Fragen, die sie tagelang nicht in zur Ruhe kommen lassen würden.

      Wieder stützte er sich auf sie, als sie den Weg zurück zum Wagen gingen. Ihr war ein wenig kalt, sie trug nur ein kurzes grünes Kleid ohne Ärmel und es war windig. Aber das tat nichts zur Sache. Ihre Sorge galt nicht ihr, sondern ihrem Liebsten. Glücklicherweise hatte sie eine Plastiktüte im Wagen. Auf dem Heimweg wurde diese auch benutzt. Er tat ihr so leid. Er hatte in den letzten Monaten Substanz eingebüßt – irgendwo zwischen Autobahn, Job und den beiden Frauen in seinem Leben. Etwas, das sie ebenfalls beschäftigte. Denn er sollte nicht zerrissen sein und zum ersten Mal wusste sie nicht, ob es an Zeit war, ihn ziehen zu lassen.

      Doch dann war da diese absolute Sicherheit tief in ihrer Seele, dass das nicht sein dürfe. Dass am Ende nur sie beide stünden und die Astern nur für sie blühten. Und deshalb blieb sie.

      Auf der Fahrt entschuldigte er sich mehrfach dafür, ihr den Tag verdorben zu haben. Natürlich war sie enttäuscht und traurig ob der verpassten Gelegenheit eines gemeinsamen Ausflugs. In seinen Worten schwang so große Traurigkeit mit, dass ihre Enttäuschung darin verlorenging. Es zerriss ihr innerlich das Herz, ihn so leiden zu sehen. Körperlich, aber vielmehr seelisch. Sie konnte seinen Schwermut, seine Verzweiflung fühlen. Wie immer, wenn sie sich nah waren, war die Verbindung greifbar. Zwillinge in mehrfacher Hinsicht. Und sie wusste auch, dass jede Relativierung ihrer offensichtlichen Enttäuschung sinnlos sein würde. Es würde seine Selbstvorwürfe ebenso wenig mildern, wie die, die sie sich noch machen würde.

      Wieder zuhause angekommen, half sie ihm zuerst aufs Bett und dann aus den Schuhen, damit er bequemer liegen konnte. Und so entstand jenes Bild vom Beginn dieser Erzählung.

      Da sie wusste, er müsse auch irgendwann zu seinem Zuhause, zu seiner Familie, ging sie alle möglichen Optionen durch, ihn sicher und unauffällig nach Hause zu bringen. Sie schlug Idee um Idee vor, doch keine Alternative zum Selbstfahren schien passend. Und so nahte das Unvermeidliche.

      Er ging ins Bad, um sich frisch zu machen. Immer noch wackelig auf den Beinen kam er nach kurzer Zeit aus dem Bad zurück. Er sah sie auf der Bettkante sitzen. Still, tränennass den Blick zu Boden gesenkt. Sich nichts mehr wünschend, als gehalten zu werden und die Zeit anzuhalten. Kein großes Kino, kein Kuss im Regen oder Tanzen im Sonnenuntergang, nur festgehalten werden. Aber sie war wie erstarrt, nicht fähig dieses Bedürfnis zu verbalisieren oder anderweitig auszudrücken. Sie saß einfach da in all ihrer Angst um ihn und dem aufkommenden Trennungsschmerz.
      Was er wohl gedacht hatte, als er sie so sah? Er nahm noch einmal neben ihr Platz und lehnte sich an. Seinen Kopf seitlich an ihren gelehnt streichelte er die zuvor eroberte Hand. Eine halbe Minute, vielleicht länger, saßen sie sich einvernehmlich schweigend da.

      Sein Griff wurde fester als er ihr sagte, dass er sie liebe und dies niemals leichtfertig sagen würde. Etwas glitzerte in seinen Augenwinkeln und seine Stimme brach. Es beschämte sie, diese wundervollen Worte nicht erwidern zu können, doch sie hatte keine Stimme in diesem Moment. Sie genoss das warme Gefühl, das seine Worte in ihr auslösten und sie wusste, dass sie in diesem so unverhofften Moment glücklich war und für die Dauer dieses Augenblickes alle Sorgen vergessen konnte.

      Sein nachfolgender Satz gab ihr Rätsel auf und es dauerte nicht lange, ehe er nachsetzte, ihr die Aussage zu erklären, sobald er gesund war. Er wusste, dass ihr offene Themen zu schaffen machten. Sie würde warten, doch an seine Worte würde sie sich erinnern. „Wir stehen noch ganz am Anfang.“

      Sie begleitete ihn Hand in Hand zu seinem Wagen. Wo nötig stützte sie ihn leicht. Er lud seine Tasche ein und kam zu ihr herüber. Die Arme um ihre Körpermitte gelegt küsste er sie. Sie spürte, er wollte nicht gehen. Spürte, dass er lieber auf dem Bett geblieben wäre, statt zu fahren. Die Zeit mit ihr war so kostbar, so selten und weiß Gott, sie hatten es verdient. Er war ihrer, wie sie die seine, seit sie sich zum ersten Mal sahen.
      Der Moment war so bittersüß. Wie jeder Abschied. Wie jedes Mal, wenn sie ihn gehen lassen musste. Aber sie spürte, dass die Zeit gekommen war und so löste sie sich aus seinen Armen. Ein letztes Mal strich sie seinen Unterarm entlang und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen. Erst an der Kreuzung blieb sie stehen und schaute ihm nach. Er hauchte ihr, filmreif, zwei Küsse zu und fuhr. Und sie spürte, dass er einen Teil ihrer Seele mitnahm.
      Wer den Drachen weckt, darf das Feuer nicht fürchten.
      Ich habe oft keine Worte, zu beschreiben, welche Magie zwischen meinem Liebsten und mir stattfinden kann, wie sich meine Hingabe äußert oder wie unfassbar es ist, seine Twinflame gefunden zu haben. Aber ich weiß was ich fühle, lerne unsere Herausforderungen zu nehmen wie sie kommen und anzunehmen, dass ich Glück verdient habe. Lieben Dank fürs Lesen.
      Wer den Drachen weckt, darf das Feuer nicht fürchten.
      Dankeschön. Ich glaube tatsächlich, dass die Beziehung besonders ist. Gerade weil sie so oft bittersüß ist. Irgendwo zwischen Hoffnung und verzagen, Glaube und Verzweiflung. Und eines Tages wird auch der Roman und werden die Illustrationen zur Geschichte, unserer Geschichte fertig sein.

      Wie hat ein weißer Mensch gesagt: "Und winkt dir die Liebe so folge ihr." Er ist mein bislang größtes Abenteuer und das größte Risiko, das ich im Leben einging, aber ich war mir nie sicherer, dass es richtig so ist.
      Wer den Drachen weckt, darf das Feuer nicht fürchten.