16.12.2022 ✷ Dissipation

      16.12.2022 ✷ Dissipation

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      ✵ 16. Dezember ✵

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      Dissipation

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      von threestripes


      Dissipation, wörtlich „Zerstreuung“. In der Thermodynamik werden Arbeiten, die auf Grund von Reibungs-, Drosselungs- oder Stoßvorgängen in thermische Energie umgewandelt werden, als Dissipationsarbeiten bezeichnet. Es handelt sich dabei um irreversible Vorgänge, bei denen die Entropie zunimmt, anders ausgedrückt: Exergie wird in Anergie umgewandelt.


      E. F. Holtzmayer – Einführung in die Thermodynamik


      Kapitel 1

      „Was machst du denn da?“
      Es ist 01:18 Uhr, sie steht in der Türe meines Arbeitszimmers, hat sich auf leisen Sohlen angeschlichen, mit dabei ist Geena, die Kuschelgiraffe, die sie fest im Arm hält. Ich starre sie an. Nicht, weil ich etwas Verbotenes tue, bei dem ich mich ertappt fühlen könnte. Auch nicht, weil mich ihr plötzliches Erscheinen erschreckt hat, sondern weil ich tief in Gedanken versunken bin. Ein Stapel weißer, unbeschriebener DIN A4-Blätter starrt mich anklägerisch an. Sie wiederholt die Frage mit geduldigem und nachsichtigem Tonfall, ich weiß aber genau, dass eine schlüssige Antwort darauf zwingend notwendig ist, alles andere lässt sie mir nicht durchgehen.
      „Also, was machst du?“
      „Ich versuche, unsere Geschichte aufzuschreiben, aber das ist gar nicht so einfach.“
      „Ich weiß“, antwortet sie mit ernster und nunmehr ungewöhnlich erwachsener Stimme, die so gar nicht zu ihrem Erscheinungsbild passen mag. Ich schweige, nicke aber bedächtig.
      „Du hast Angst, dass man unsere Geschichte in den falschen Hals bekommt, richtig?“
      Ich nicke wieder, kaum merklich, wie gerne hätte ich mir jetzt eine Zigarette angezündet, aber wir haben uns darauf geeinigt, dass Rauchen im Haus tabu ist – sie und ich.

      Ich ertappe mich dabei, wie ich sie scanne mit meinen Blicken. Sie bemerkt es, nimmt eine leicht laszive Körperhaltung ein, ohne dass ich sagen könnte, was diese manchmal gewollte, manchmal unbewusste Laszivität genau ausmacht. Sie drückt die Stoffgiraffe an ihren Mund, ich sehe nur noch ihre Augen, die mich durchdringend anblicken.
      „Weißt du, wie soll man das denn Außenstehenden erklären, ich glaub…“
      „Es ist diese verfluchte Lolita-Scheiße, oder?“, unterbricht sie mich mit tiefer, leicht verärgerter Stimme. Ich nicke.
      „Weißt du, wir haben dieses ganze Thema bis ins letzte Detail durchgesprochen, nicht nur einmal, aber…“
      „Du musst nicht aberabern, schreib es doch einfach auf, ich weiß, es wird gut werden. Ich lass dich mal wieder allein, obwohl das Bett ohne dich total doof ist.“
      „Hast du übrigens deinen Wunschzettel geschrieben, Madame?“ Mein Satz klingt schärfer und mahnender als beabsichtigt. Sie schaut mich mit großen Augen an und schüttelt etwas betreten den Kopf. Der kleine Teufel in mir schießt gleich noch einen hinterher:
      „In acht Tagen ist schon Weihnachten, junge Frau, und wenn du nicht bald in die Pötte kommst, kann dir das Christkind leider nix unter den Weihnachtsbaum legen. Wäre jetzt nicht ganz so cool, oder?“
      Ihr Gesicht wird noch etwas länger, ihre Augen noch etwas größer, missmutig, fast schon verzweifelt, atmet sie sehr hörbar durch die Nase aus, lässt ihre Schultern hängen und wendet sich ab, um mir nicht noch länger in die Augen sehen zu müssen. Die Giraffe Geena baumelt an ihrem linken Arm herunter, sie hält sie am rechten Hinterlauf, wie ich sehe. Sie dreht mir den Rücken zu und geht – durch ihren dünnen, rosafarbenen Overall, den sie Strampler nennt, schimmert etwas unverschämt ihr String durch. Weil sie barfuß läuft, höre ich ihre tapsigen Schritte auf dem Boden. Ich habe es längst aufgegeben, sie an das Tragen von Socken oder wenigstens Hausschuhen zu erinnern, stattdessen versuche ich mich von diesem, ihrem Bild loszureißen und mich auf meine, nein, unsere Geschichte zu konzentrieren. Vergeblich.

      Mich beschleicht dasselbe Gefühl wie so oft in den letzten Jahren, seit mir diese unglaubliche Frau über den Weg gelaufen ist. Es, nein, SIE zieht mich wie ein Magnet an, ihre so schwer zu erklärende Welt ist ein unverzichtbarer Teil der meinen geworden… und doch fühle ich mich manchmal schuldig. Wahrscheinlich liegt sie jetzt im Bett, hat ihr Einhorn-Nachttischlämpchen angemacht, das abwechselnd in verschiedenen Farben leuchtet, ihre Giraffe eng umschlungen und schlummert mit einem hinter ihrem großen Schnuller für Erwachsene fast verborgenen, kindlichen Lächeln im Gesicht vor sich hin. Vor dem Bett stehend, würde ich sehen, dass sie ihre Bettdecke weggestrampelt hat. So unschuldig, so zufällig, so ungewollt, so unwiderstehlich. Gott sei dank schläft sie, merkt es dann nicht, dass ich sie anstarre. Und dann schäme ich mich dafür. Ich schäme mich dafür, dass ich sie küssen möchte, und all die anderen wunderbaren Sachen, die zwei Menschen tun, wenn sie sich lieben, aber dabei komme ich mir vor wie ein Schuft, wie ein Verräter. Wie ein „dirty old man“, der sich nur zu gerne an diesem so rührigen und manchmal so zerbrechlichen Mädchen vergreifen würde. Das Absurdeste daran: Ich bin gerade mal 38 Jahre alt, und sie ist 34.
      Kapitel 2

      Der Umgang, den wir miteinander pflegen, ist sehr vielschichtig und komplex, bisweilen fühlt es sich für mich immer noch an wie der Ritt auf einer Kanonenkugel oder das Laufen auf Glasscherben. Das, was ich mit ihr erlebe, ist für mich wie ein faszinierendes, niemals ganz zu lösendes Rätsel.
      Vergleichbar am ehesten mit den großen Fragen der Menschheit wie: Was passiert in einem schwarzen Loch? Oder: Was war vor dem Urknall? Ich habe ihr gegenüber diesen Gedanken vor geraumer Zeit in einem Gespräch eröffnet, worauf sie nur lachend den Kopf geschüttelt und mir das Etikett „Total zergeistigt“ verpasst hat. Ja, auch für sie ist es manchmal ziemlich schwer, mich zu verstehen. Ich kann das gut verstehen.

      Wir hatten keine Ahnung, was Daddy Dom oder Little ist. Mir war auch nicht klar, dass ich scheinbar eher Caregiver bin, der ihr leider viel zu viel durchgehen lässt, was manchmal sogar zu Konflikten führt, weil meine mangelnde Konsequenz ihr die gefühlte Sicherheit nimmt. Bis zum heutigen Tag legen wir auf die aus dem Amerikanischen übertragenen Etiketten dieser Spielart des Zusammenlebens keinen besonderen Wert. Aber zumindest haben diese „Labels“ dabei geholfen, uns in unseren Eigenheiten besser einzuordnen. Als wir festgestellt haben, wie wir „ticken“, haben wir – ganz unabhängig voneinander – ganz viel im Internet recherchiert. Das Befreiende an dieser Suche war zunächst die Erkenntnis, dass wir erstens nicht alleine sind und zweitens nicht zwingend eine Therapie brauchen. Drittens war es ziemlich spannend, die ungeheuer große Bandbreite dieser seltsam bunten und nicht immer ganz unschuldigen Welt des DD/LG zu erkunden. Und wie bei allen anderen Menschen ist auch unsere Beziehung in ganz gewöhnlicher „Trial and Error“-Manier gewachsen. Ein wesentlicher Teilaspekt daran, der mich bis zum heutigen Tag beschäftigt: Mit der Erkenntnis, dass meine Partnerin auch ein kleines Mädchen in sich trägt, das mich total antörnt, wuchs in mir eine schwer zu greifende Angst, nicht mehr ganz richtig zu ticken.

      Auf der einen Seite möchte ich sie beschützen, am besten vor der ganzen bösen Welt da draußen, sie ganz fest halten, ihren ruhigen Atem an meinem Hals spüren und mit der Wärme ihres Körpers verschmelzen. Wenn sie traurig ist, möchte ich sie trösten, was manchmal gar nicht so einfach ist, weil ich zuerst rausfinden muss, warum sie traurig ist. Nicht immer hat sie eine Antwort darauf, manchmal reicht es schon, wenn ich ihr eine Tasse heißen Tee zubereite, manchmal ist es aber auch ganz ganz schwierig, sie aus ihrem Tal der Tränen wieder herauszuholen. In so einem Fall lese ich ihr je nach Gusto Märchen, Kindergeschichten oder Romane vor. Wir ziehen uns dann, bewaffnet mit Kuscheldecke und Keksen, auf die wohnzimmerliche Couch zurück, ihr Kopf liegt dann auf meinen Oberschenkeln, ich streichel ihr den Kopf oder Rücken oder beides. Irgendwann später habe ich dann das Gefühl, sie ist eingeschlafen und lege das Buch vorsichtig weg. Dann reißt sie sofort wieder die Augen auf und fragt mich vorwurfsvoll, warum ich zu lesen aufhöre. Dann nehme ich seufzend das Buch wieder zur Hand und lese solange weiter, bis sie wirklich eingeschlafen ist… oder ich.
      Diesen „kleinen“ Teil unseres Zusammenseins in ihren unendlich vielen Facetten empfinde ich als so rührig und herzig, aber auch so fragil, dass ich manchmal einen richtigen Kloß im Hals habe. Es ist ganz schwer, dieses Gefühl zu beschreiben, aber ich denke, ihr wisst, was ich meine.

      Auf der anderen Seite kann sie ein richtiges Biest sein. Nein, ich korrigiere mich. Sie ist bisweilen die „Primaballerina meiner Nerven“. Ich gebe ein Beispiel, das für unser weiteres Zusammensein eine entscheidende Rolle gespielt hat: Meine Kleine puzzelt gerne, so sitzt sie also eines Tages vor einem 40-Teile-Puzzle für Kinder, vier Teile liegen noch uneingefügt da und sie kräht durch den Raum: „Kannst du mir mal helfen?“ So eile ich also herbei, etwas genervt von mir selber, sehe, worum es geht, füge hastig die vier Puzzleteile ein und grinse triumphierend. Was dann passiert, könnte man am besten als infernalische Explosion beschreiben. Wie ein Derwisch springt sie auf, rennt im Zimmer auf und ab und zetert. Dass es mit mir sowieso keinen Sinn habe, mit mir könne man überhaupt nicht richtig spielen, dass ich den Sinn nicht verstanden habe und dass ihr obendrein meine ständige Rechthaberei und Klugscheißerei total auf den Geist gehe. Zu allem Überfluss nimmt sie das fertige Puzzle, das in einer Art Rahmen aus Karton liegt, ihr wisst bestimmt, was ich meine, und pfeffert es gegen die Wand. Auf meinen drohenden Ratschlag, das bitte schleunigst wieder in Ordnung zu bringen, starrt sie mich nur provokant an und fragt mich, wer denn von uns beiden der Spielverderber wäre. Ihr Blick ist so zornig und unnachgiebig und frech und respektlos, dass mir augenblicklich die Sicherungen durchbrennen. Sie kann kaum reagieren, da hab ich sie schon übers Knie gelegt. Nach den ersten zehn Schlägen auf ihren Hintern schmerzt meine Hand bereits, aber es ist mir egal. Ihr schmerzverzerrtes Gesicht ist mir ebenfalls egal und auch ihr Wimmern. Sie weicht den Schlägen nicht aus, nehme ich in einer dunklen Ecke meines Hirnes wahr und es wundert mich, aber auch das ist mir egal. Die ersten Tränen fließen bei ihr bereits, aber das stachelt mich sogar noch an. Nach weiteren zehn Schlägen erschrecke ich vor mir selber und halte abrupt inne. Sie tut mir so unendlich leid, dieses kleine Häufchen Elend, schniefend, Rotz und Wasser heulend, wie konnte ich nur so die Beherrschung verlieren? Was zum Teufel ist nur in mich gefahren? Und warum um alles in der Welt macht mich das sogar noch an? Große Augen sehen mich fassungslos und entgeistert an, ihre Worte sind nurmehr ein zaghaftes Flüstern: „Warum hörst du denn jetzt auf? Mach bitte weiter…“ Ich starre sie an. Sie nochmals: „Bitte mach weiter…“, sie fleht mich direkt an. Also mache ich weiter, und ich kann es bis heute nicht wirklich fassen, was diese erste „Session“ in mir ausgelöst hat. Irgendeine seltsame Anspannung hat sich in mir gelöst, es ist nicht ironisch gemeint, wenn ich jetzt schreibe, es war wie eine Art Befreiungsschlag für mich. Und für sie auch, ihren seligen Gesichtsausdruck danach werde ich nie wieder vergessen, sie hat sogar gelacht und gemeint, dass das doch ziemlich gut gelaufen wäre. Ob es mir auch gefallen habe, fügte sie noch an. Mein dämlich grinsender, leicht belämmerter Gesichtsausdruck hat ihr als Antwort wohl gereicht. An diesem Tag sind wir das erste Mal zusammen geflogen, und viele weitere Flüge folgten. Das Schöne daran ist: Die Signale, die sie aussendet, sind mehr als eindeutig. Wenn sie unleidig wird, zu stänkern anfängt und mir ganz bewusst auf den Geist geht, ist die Diagnose klar. Und dann freue ich mich diebisch, das muss ich schon sagen. Es wäre ja nicht so, dass ich nicht garstig sein könnte, was wiederum sie freut. Schon irgendwie kongenial, oder?
      Kapitel 3

      Ich stehe gegen 7:30 Uhr morgens in der Küche und schmiere „Pausenbrote“, zwei für sie, zwei für mich. Bei ihren Broten gebe ich mir immer ziemlich viel Mühe, streiche ihren Lieblings-Kräuterfrischkäse mit Kirschpaprikageschmack gleichmäßig dick auf der Brotscheibe glatt und lege die nächste Brotscheibe so exakt wie möglich auf die untere. Ich liebe dieses tägliche Ritual, denn erstens hilft es mir, halbwegs wach zu werden und zweitens freue ich mich, weil sie sich jeden Tag über ihre Brotzeitbox freut.

      Anfangs hat sie den Inhalt noch kontrolliert und bisweilen auch gemäkelt, wenn beispielsweise die Cocktailtomaten, die ich ihr dazulegte, nicht ganz trockengerubbelt waren, Gurkenscheiben nicht schön geschnitten waren oder etwas überhängende Butter des einen Brotes das andere Brot beschmutzt hat. Ihr leicht mahnender Gesichtsausdruck dabei hat mich natürlich gekränkt, wahrscheinlich habe ich dann mit rotem Kopf irgendetwas Mürrisches dazu gestammelt.
      „Ach, is ja nicht so schlimm, es wird schon auch so gehen“, war darauf meistens ihre Antwort. Mit einem etwas gedankenverlorenen Blick hat sie die Box wieder zugeklappt, mich geküsst und dann mit einem etwas geheimnisvollen Mona Lisa-Lächeln ein „Dankeschön“ gehaucht. Erst nach und nach habe ich verstanden, dass sie solche Dinge nie böse meint, sondern dass diese besondere Ordnung ein Teil ihrer Weltanschauung ist. Sie braucht diese Regularien, die sie übrigens auch nachdrücklich immer wieder bei mir einfordert. Wenn etwas richtig und ordentlich oder pünktlich ist, gibt ihr das die für sie nötige Sicherheit, sie mag eben keine bösen Überraschungen. Mit dieser direkten Art und ziemlich viel Geduld hat sie mich also in ihre Welt eingeführt, hineingeschubst, und wenn ich ganz ehrlich bin, gefällt mir ihre geordnete Welt als selbst ernannter Superchaot noch viel besser als erwartet.

      Das alles geht mir durch den Kopf, als mich ein schriller Schrei aus dem Esszimmer jäh in die Realität zurückholt. Vor Schreck fällt mir das Messer mitsamt Frischkäsebehälter auf den Boden, ich stürze nach nebenan und bleibe Sekundenbruchteile später wie angewurzelt stehen. Am Esstisch sitzt meine Kleine, Tränen laufen ihr über die Wange, in den Händen hält sie eine Keksschachtel, Geschenkpapier ist über den Tisch verteilt, sie schnieft und schaut mich aus verweinten Augen an.
      „Du hast echt dran gedacht, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, sagt sie mit brüchiger Stimme. Zaghaft macht sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht breit, wird breiter und immer noch breiter, sie springt auf, umarmt mich stürmisch und plärrt aus voller Kehle: „Muminskekse, yipiiieeeh!!!!“ Dann, etwas zaghaft: „Darf ich die mit in die Arbeit nehmen?“ „Ja klar,“ antworte ich, „aber nicht alle, wir packen dir ein paar davon in eine separate Box, okay?“
      Zur Erläuterung: Sie liebt die TV-Serie „Die Mumins“, und ich habe durch Zufall herausgefunden, dass es in einem Online-Shop die passenden Kekse zur Serie gibt. Eben jene Muminskekse, Geschmacksrichtung Erdbeer, mit Mumin, dem Snorkfräulein und der kleinen My auf der Packung vorne drauf haben sich also heute, am sechzehnten Dezember, im Adventskalender versteckt. Die Überraschung scheint auf jeden Fall geglückt.

      Kurze Zeit später sitzen wir beim Frühstück, der Frischkäse am Boden ist inzwischen aufgeputzt, das Geschenkpapier aufgeräumt. Ein Außenstehender würde uns jetzt für ein ganz normales Pärchen halten und das sind wir auch. Wir haben zwar keine Kinder, dafür zwei Katzen namens Katzl und Miezl, sowie halbwegs normale Berufe, ein Auto, das wir uns teilen und Neurosen wie jeder andere Mensch auch. Halb noch an ihrem Nutellabrötchen kauend, schiebt sie mir einen Umschlag zu und murmelt sowas wie: „Bevor ich´s wieder vergesse.“
      Ich öffne den Umschlag und hole das zusammengefaltete Blatt Papier heraus. Es scheint ihr Wunschzettel zu sein. Bevor ich weiter drüber nachdenke, entweicht mir der Killersatz: „Der is ja nicht mal geschrieben. Du hast ja nur Bildchen aufgeklebt.“ Und sofort sehe ich das Resultat meines bescheuerten Mundwerkes in ihrem Gesicht. Enttäuschung, Zorn, Wut und Traurigkeit. Tonlos kommt ihr über die Lippen: „Du bist so ein Depp…“ Dann steht sie auf und verlässt den Raum ohne einen weiteren Kommentar. Ich schaue mir betreten und mit hochrotem Kopf ihren Wunschzettel noch einmal genauer an. Sie hat Bilder ihrer Wünsche aus dem Internet ausgedruckt, penibel mit einer Schere ausgeschnitten und aufgeklebt. Ein neuer Badeanzug ist dabei, weil ihr alter schon ziemlich ausgeleiert ist. Nicht nur einmal hat sie mich während der letzten Freibadsaison darauf hingewiesen, ich muss unwillkürlich grinsen. Als Hintergrund für den Badeanzug hat sie ein Foto von unserem Badezimmer ausgewählt, irgendwie lustig. Einen Kinobesuch hat sie sich auch gewünscht, sie hat unser Kino ausgeschnitten und mehrere winzig kleine Kinokarten, die sie separat wie einen Fächer über das Gebäude geklebt hat. Und so geht es weiter, jeder Wunsch ist eine Art Collage, fast ein Kunstwerk. Gottogott, wieviel Arbeit sie sich da bloß gemacht hat. Das muss ja alles gestern Nacht noch passiert sein, während ich an unserer doofen Geschichte rumgedoktort habe. Während ich mich noch für meine erste Reaktion selbst hasse, hat sie schon wieder den Raum betreten und baut sich mit verschränkten Armen erwartungsvoll vor mir auf.
      „Du, Kleines, das war so nicht gemeint, ich wollte damit nur sagen, dass…“
      „Spar dir deine dämlichen Erklärungen, wir müssen jetzt langsam mal in die Arbeit.“
      Ich will noch etwas entgegnen, aber sie legt mir ihren Zeigefinger auf die Lippen.
      „Ich werde mich heute Abend über dich aufregen und bestimmt ziemlich rumstänkern. Hältst du das so lange aus?“ Sie grinst dabei diabolisch und ich habe verstanden. Aber sie legt gleich noch einen drauf: „Wolltest du gestern nicht eine Geschichte schreiben? Also unsere? Bist du da noch irgendwie weitergekommen?“
      „Naja, zumindest eine kleine Episode hab ich zusammengekriegt, aber ob die gut ist, kann ich dir beim besten Willen nicht sagen.“
      „Sowas sagen Schreiberlinge immer, wenn ihnen kein gutes Ende einfällt.“
      Da hat sie recht. Aber das gute Ende muss ja ohnehin bis heute Abend warten…

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      Sehr, serh tolle Geschichte @threestripes... hat echt Spaß gemacht, sie zu lesen. Ein toller Einblick in diese Welt, diese Facette einer tollen Welt, die ganz individuell ausgelebt, einfach nur schön ist! DANKE für diesen Einblick/ diese Geschichte! :blumen:
      "Nichts Böses; hast Du die Schwelle überschritten, ist alles gut.

      Eine andere Welt, und Du mußt nicht reden." (Franz Kafka)