DIESES EINE WORT
Vor beinahe vierundzwanzig Stunden war sie bei Schneegestöber aus dem Zug ausgestiegen, zwischen die anderen Menschen in ihren Winterjacken gespült worden, unsicher über das, was da kommen mochte. Zwischen all diesen anderen Menschen hatte sie ihn entdeckt – schwarzer Mantel, schwarze Hose, dunkelgrüner Schal, die Hände in den Taschen vergraben, weil er keine Handschuhe trug bei der Kälte. Und ihr Herz hatte vor Aufregung, Angst, Unsicherheit, aber auch Vorfreude wie wild geschlagen.
Sie hatten sich begrüßt und ganz flüchtig in den Arm genommen, wie die zwei Fremden, die sie nun einmal zu dem Zeitpunkt streng genommen gewesen waren – weil sich ein Handschlag zu förmlich und keine Begrüßung als zu unhöflich angefühlt hätte. Also eine Umarmung. Ein kurzer Eindruck davon, wie er roch, ihre kalte Nase an seinem warmen Hals, dort, wo der Schal ein kleinwenig Haut preisgab. Vergessen war der Geruch des Bahnhofs, zwischen all dem Frittierten der Imbissbuden und dem Ledergeruch der Handtaschenshops und den gebrannten Mandeln der Weihnachtsstände. Gebrannte Mandeln hatte er ihr gekauft, als sie durch den Bahnhof zu seinem Auto geschlendert waren. Sie hatte ihm die kleine Geschenktüte überreicht, die sie mitgebracht hatte, sorgsam abgedeckt mit Krepppapier. Er hatte sie mit einem Lächeln entgegengenommen, ohne hineinzuschauen.
Das alles war nun beinahe vierundzwanzig Stunden her. Seitdem hatten sie sich kennen gelernt, waren durch den wirbelnden Puderzucker gelaufen, der durch das kahle Geäst der Bäume am Straßenrand geweht war, hatten dort an den Gesprächen angeknüpft, wo die Nachrichten und Telefonate geendet hatten, hatten gelacht und gemeinsam zu Abend gekocht, zwei Gläser Wein geteilt, auf dem Sofa gekuschelt, am Abend auf dem Balkon nach dem Mond gesucht und einige wilde Küsse ausgetauscht. Wie ein Teenagerpärchen, schoss es ihr in den Kopf, als sie nun vor der Balkontür auf seinem kuscheligen Teppich saß und gedankenverloren in die Dunkelheit der Nacht blickte. Denn weiter waren sie nicht gegangen. Er hatte sie sanft gebremst. Ihm war wichtig, dass sie ihm wirklich vertraute. Keine übereilten Schritte. Lieber ein wenig zu langsam als zu übereilt und hektisch. Das kannte und schätzte sie an ihm, doch es machte sie auch ein wenig unwillig. Sie wollte mehr.
Also war sie an seiner Seite eingeschlafen, mit unbändiger Vorfreude auf den nächsten Tag. Zur Sicherheit hatte sie sich zwar ein Hotel in der Nähe gebucht – nur für den Fall, dass sie doch nicht bei ihm schlafen mochte – doch sie hatte sich so wohl gefühlt, dass es gar keine Frage gewesen war, dass sie selbstverständlich bei ihm schlief.
Und den ganzen heutigen Tag hatte sie geduldig gewartet. Sehnsüchtig ihre Blicke über die ordentlich zusammengelegten Seile und die beinahe andächtig drapierten Spielzeuge wandern lassen, die sie in seinem Schlafzimmer erblickt hatte. Auf seinem Nachttisch hatte ihre Geschenktüte gestanden. Doch er hatte sie warten lassen. Sie waren gemeinsam einkaufen gegangen für das Abendessen, er hatte ihr mehr von der Stadt gezeigt, heute hatte die Wintersonne trotz ihrer spärlichen Wärme den Schnee des Vortags beinahe wieder verschwinden lassen. Bis jetzt, zum frühen Abend, hatte er sie warten lassen.
Selbst ist die Frau, hatte sie sich also gedacht. Vielleicht brauchte er aktive Ermunterung von ihr. Also war sie, als sie gerade die Karaffe Wasser in der Küche wieder aufgefüllt und auf dem Wohnzimmertisch abgestellt hatte, lasziv auf ihn zugekommen, hatte sich die Haarnadel aus dem Dutt gezogen und sich auf seinen Schoß geräkelt, Beine gespreizt, Rücken durchgestreckt, dass sich ihm ihre Brüste keck entgegenreckten. Hatte damit nur ein müdes Lächeln seitens des Meisters aller Selbstbeherrschung als Antwort geerntet.
„Spielst du mit mir?“, hatte sie in dem süßesten ihr möglichen Ton gesäuselt, die Haare adrett in den sorgsam tiefen Ausschnitt fallen lassend, Wimpernaufschlag und Blick von unten zu ihm hinauf. Entspannt hatte er sich zurückgelehnt.
„Gern“, war die Antwort gewesen, „Wenn du mich nochmal mit der richtigen Anrede fragst.“
Der liebliche Blick von unten war schnell einem ausgesprochen bösen Blick von unten gewichen. Sein müdes Lächeln hatte sich daraufhin in ein süffisantes verwandelt.
„Du weißt, dass ich nicht einfach so irgendjemanden so anspreche! Das ist unser erstes Treffen!“
„Und ich bin also irgendjemand für dich?“
„Du weißt, dass ich das nicht ausspreche, wenn ich es nicht fühle!“
„Damit habe ich kein Problem. Das finde ich sogar gut.“
Und mehr sagte er nicht. Sie auch nicht. Sie blickte ihn aus funkelnden Augen an und schmollte nun auf seinem Schoß, bevor sie sich irgendwann betont elegant erhob – sie wollte ihm nochmal deutlich machen, was er soeben abgewiesen hatte – und sich herrisch zurück vor das Balkonfenster gesetzt hatte, mit dem Rücken zu ihm. Neben dem Fenster war die Heizung, die ihr wohlige Wärme entgegenschickte und sie kuschelte sich in sich selbst zusammen.
Ihre Aufmüpfigkeit hatte ihn keine Spur aus der Ruhe gebracht. Stattdessen hatte er sich ernsthaft nach einigen Minuten ein Buch genommen und angefangen zu lesen. Als wäre sie gar nicht da! Sie hörte, wie er die Seiten leise umblätterte, manchmal das rechte Bein über das linke schlug und dann wieder das linke über das rechte.
In ihr unterdes wechselten sich Empörung und Sexhunger ab. Hier bei ihm zu sitzen, machte sie wahnsinnig. Sie hatten über so vieles geschrieben, gesprochen, Fantasien, Tabus, Geschichten ausgetauscht. Dass sie nach beinahe vierundzwanzig Stunden noch Klamotten am Leib hatte, grenzte fast an eine Beleidigung. Auch wenn es zugegebenermaßen nicht viele Klamotten waren – sie hatte ihre große Freude daran gefunden, sein Lieblingsnegligé einzupacken und ganz ohne seine Aufforderung anzuziehen. Das vielversprechende Glitzern in seinen Augen hatte sie in falscher Sicherheit ob des schnellen Stillens ihres Hungers gewiegt. Was erwartete er, wie lang ihr Geduldsfaden war?
Irgendwann drehte sie sich auf der Stelle zu ihm um und fragte ihn: „Willst du mich ernsthaft einfach so wieder fahren lassen morgen?“
Er blickte von seinem Buch auf.
„Willst du das denn?“
„Ich glaube, ich habe dir eben gesagt, was ich will.“
„Und ich glaube, ich habe dir eben gesagt, was ich hören will.“
Dann senkte er den Blick wieder auf die Zeilen seines Buches.
Arsch, schoss es ihr durch den Kopf, doch sie konnte sich glücklicherweise rechtzeitig auf die Zunge beißen. Sie drehte sich wieder zum Fenster um und dachte weiter nach. In ihrem Köpfchen marterten unablässig die Gedanken.
Irgendwann wandte sie sich ihm abermals zu.
„Bin ich dir wirklich so wenig wert?“
„Nein“, antwortete er, ohne aufzusehen, „Du bist mir so viel wert.“ Wechselte wieder das Bein, das rechte auf das linke. Sie beobachtete ihn dabei.
„So viel, dass du nicht einmal Sex mit mir hast?“, giftete sie.
„So viel, dass ich dich für mehr als nur eine schnelle Nummer einlade“, nun hob er doch wieder den Blick, „Du isst bei mir, du schläfst bei mir, ich habe mir die letzten vierundzwanzig Stunden nur für dich Zeit genommen. Denkst du, das würde ich für jede tun?“
Sie schwieg. Drehte sich wieder dem Fenster zu.
„Und jetzt soll ich dir das so danken, oder wie?“, hörte sie sich sagen, spürte aber bereits, dass seine Worte ihr Misstrauen wieder besänftigt hatten.
„Du sollst gar nichts. Du darfst. Es ist eine Einladung. Ich bin dir nicht böse, wenn du es nicht tust.“
Eine Einladung. Sie war seiner Einladung bis hierher gefolgt. Saß jetzt auf dem Teppich vor seinem Balkonfenster. Hatte die Zeit bis hierher so sehr genossen. Knabberte nun an ihrem Stolz, der ihr dieses eine Wort verbat. Und fand es am Ende doch unfassbar anziehend, dass dieser Mann vor ihr nicht klein beigab. Sie wollte nicht. Und sie wollte doch.
„Und du lässt mich morgen einfach wieder fahren, wen ich es nicht tue?“, hakte sie nochmal nach.„Was denkst du, was ich tun werde?“
Er würde. Das war ihr klar.
„Auch wenn ich dann nie wiederkomme?“
„Du bist ein freier Mensch.“
Ach zum Teufel – freier Mensch! Sie kam schwungvoll wieder auf die Beine, ging zu dem Geschenktütchen und griff gezielt die Klammern heraus, die darin waren. Damals hatte sie sich selbige auf seine Inspiration hin gekauft, damit herumexperimentiert und ihm davon berichtet. Mit einer dieser Klammern kehrte sie zu ihm zurück, setzte sich abermals auf seinen Schoß und damit ganz frech auch auf sein Buch und hielt ihm die Klammer vor die Nase.
„Möchtest du mich nicht für meine Frechheiten bestrafen?“
Er lächelte.
„Oh, die Versuchung ist groß!“, gestand er, „Aber bisher hast du dich noch nicht entschieden, mir zu gehören. Also werde ich die Finger von dir lassen.“
„Hab ich!“, konterte sie augenblicklich, vielleicht schneller, als ihr lieb war, als sie über diese Worte noch ein zweites Mal nachdachte. Ihm zu gehören war schon ein starker Begriff. Und genau dieses Zögern spürte er in ihr auf.
„Hast du nicht. Sonst würdest du tun, was ich sage.“
„Ich dachte, du willst keine willenlose Puppe!“
„Oh, ich habe keinerlei Zweifel daran, dass du das allerletzte Wesen auf diesem Planeten bist, das man zu einer willenlosen Puppe machen könnte“, zufrieden betrachtete er ihr bockiges Gesicht.
„Warum also soll ich das dann tun?“
„Weil ich es will?“
„Fick dich“, traute sie sich endlich ihm ins Gesicht zu fluchen und erwartete die erste Ohrfeige dafür. Oder, besser noch, dass er sie von ihrem Schoß warf und irgendeine Peitsche aus den Riegen seiner Spielzeuge nahm. Doch er legte nur die Stirn in Falten.
„Aktuell sieht es so aus, als würde es darauf hinauslaufen, allerdings.“
Sie schnaubte.
Vor beinahe vierundzwanzig Stunden war sie bei Schneegestöber aus dem Zug ausgestiegen, zwischen die anderen Menschen in ihren Winterjacken gespült worden, unsicher über das, was da kommen mochte. Zwischen all diesen anderen Menschen hatte sie ihn entdeckt – schwarzer Mantel, schwarze Hose, dunkelgrüner Schal, die Hände in den Taschen vergraben, weil er keine Handschuhe trug bei der Kälte. Und ihr Herz hatte vor Aufregung, Angst, Unsicherheit, aber auch Vorfreude wie wild geschlagen.
Sie hatten sich begrüßt und ganz flüchtig in den Arm genommen, wie die zwei Fremden, die sie nun einmal zu dem Zeitpunkt streng genommen gewesen waren – weil sich ein Handschlag zu förmlich und keine Begrüßung als zu unhöflich angefühlt hätte. Also eine Umarmung. Ein kurzer Eindruck davon, wie er roch, ihre kalte Nase an seinem warmen Hals, dort, wo der Schal ein kleinwenig Haut preisgab. Vergessen war der Geruch des Bahnhofs, zwischen all dem Frittierten der Imbissbuden und dem Ledergeruch der Handtaschenshops und den gebrannten Mandeln der Weihnachtsstände. Gebrannte Mandeln hatte er ihr gekauft, als sie durch den Bahnhof zu seinem Auto geschlendert waren. Sie hatte ihm die kleine Geschenktüte überreicht, die sie mitgebracht hatte, sorgsam abgedeckt mit Krepppapier. Er hatte sie mit einem Lächeln entgegengenommen, ohne hineinzuschauen.
Das alles war nun beinahe vierundzwanzig Stunden her. Seitdem hatten sie sich kennen gelernt, waren durch den wirbelnden Puderzucker gelaufen, der durch das kahle Geäst der Bäume am Straßenrand geweht war, hatten dort an den Gesprächen angeknüpft, wo die Nachrichten und Telefonate geendet hatten, hatten gelacht und gemeinsam zu Abend gekocht, zwei Gläser Wein geteilt, auf dem Sofa gekuschelt, am Abend auf dem Balkon nach dem Mond gesucht und einige wilde Küsse ausgetauscht. Wie ein Teenagerpärchen, schoss es ihr in den Kopf, als sie nun vor der Balkontür auf seinem kuscheligen Teppich saß und gedankenverloren in die Dunkelheit der Nacht blickte. Denn weiter waren sie nicht gegangen. Er hatte sie sanft gebremst. Ihm war wichtig, dass sie ihm wirklich vertraute. Keine übereilten Schritte. Lieber ein wenig zu langsam als zu übereilt und hektisch. Das kannte und schätzte sie an ihm, doch es machte sie auch ein wenig unwillig. Sie wollte mehr.
Also war sie an seiner Seite eingeschlafen, mit unbändiger Vorfreude auf den nächsten Tag. Zur Sicherheit hatte sie sich zwar ein Hotel in der Nähe gebucht – nur für den Fall, dass sie doch nicht bei ihm schlafen mochte – doch sie hatte sich so wohl gefühlt, dass es gar keine Frage gewesen war, dass sie selbstverständlich bei ihm schlief.
Und den ganzen heutigen Tag hatte sie geduldig gewartet. Sehnsüchtig ihre Blicke über die ordentlich zusammengelegten Seile und die beinahe andächtig drapierten Spielzeuge wandern lassen, die sie in seinem Schlafzimmer erblickt hatte. Auf seinem Nachttisch hatte ihre Geschenktüte gestanden. Doch er hatte sie warten lassen. Sie waren gemeinsam einkaufen gegangen für das Abendessen, er hatte ihr mehr von der Stadt gezeigt, heute hatte die Wintersonne trotz ihrer spärlichen Wärme den Schnee des Vortags beinahe wieder verschwinden lassen. Bis jetzt, zum frühen Abend, hatte er sie warten lassen.
Selbst ist die Frau, hatte sie sich also gedacht. Vielleicht brauchte er aktive Ermunterung von ihr. Also war sie, als sie gerade die Karaffe Wasser in der Küche wieder aufgefüllt und auf dem Wohnzimmertisch abgestellt hatte, lasziv auf ihn zugekommen, hatte sich die Haarnadel aus dem Dutt gezogen und sich auf seinen Schoß geräkelt, Beine gespreizt, Rücken durchgestreckt, dass sich ihm ihre Brüste keck entgegenreckten. Hatte damit nur ein müdes Lächeln seitens des Meisters aller Selbstbeherrschung als Antwort geerntet.
„Spielst du mit mir?“, hatte sie in dem süßesten ihr möglichen Ton gesäuselt, die Haare adrett in den sorgsam tiefen Ausschnitt fallen lassend, Wimpernaufschlag und Blick von unten zu ihm hinauf. Entspannt hatte er sich zurückgelehnt.
„Gern“, war die Antwort gewesen, „Wenn du mich nochmal mit der richtigen Anrede fragst.“
Der liebliche Blick von unten war schnell einem ausgesprochen bösen Blick von unten gewichen. Sein müdes Lächeln hatte sich daraufhin in ein süffisantes verwandelt.
„Du weißt, dass ich nicht einfach so irgendjemanden so anspreche! Das ist unser erstes Treffen!“
„Und ich bin also irgendjemand für dich?“
„Du weißt, dass ich das nicht ausspreche, wenn ich es nicht fühle!“
„Damit habe ich kein Problem. Das finde ich sogar gut.“
Und mehr sagte er nicht. Sie auch nicht. Sie blickte ihn aus funkelnden Augen an und schmollte nun auf seinem Schoß, bevor sie sich irgendwann betont elegant erhob – sie wollte ihm nochmal deutlich machen, was er soeben abgewiesen hatte – und sich herrisch zurück vor das Balkonfenster gesetzt hatte, mit dem Rücken zu ihm. Neben dem Fenster war die Heizung, die ihr wohlige Wärme entgegenschickte und sie kuschelte sich in sich selbst zusammen.
Ihre Aufmüpfigkeit hatte ihn keine Spur aus der Ruhe gebracht. Stattdessen hatte er sich ernsthaft nach einigen Minuten ein Buch genommen und angefangen zu lesen. Als wäre sie gar nicht da! Sie hörte, wie er die Seiten leise umblätterte, manchmal das rechte Bein über das linke schlug und dann wieder das linke über das rechte.
In ihr unterdes wechselten sich Empörung und Sexhunger ab. Hier bei ihm zu sitzen, machte sie wahnsinnig. Sie hatten über so vieles geschrieben, gesprochen, Fantasien, Tabus, Geschichten ausgetauscht. Dass sie nach beinahe vierundzwanzig Stunden noch Klamotten am Leib hatte, grenzte fast an eine Beleidigung. Auch wenn es zugegebenermaßen nicht viele Klamotten waren – sie hatte ihre große Freude daran gefunden, sein Lieblingsnegligé einzupacken und ganz ohne seine Aufforderung anzuziehen. Das vielversprechende Glitzern in seinen Augen hatte sie in falscher Sicherheit ob des schnellen Stillens ihres Hungers gewiegt. Was erwartete er, wie lang ihr Geduldsfaden war?
Irgendwann drehte sie sich auf der Stelle zu ihm um und fragte ihn: „Willst du mich ernsthaft einfach so wieder fahren lassen morgen?“
Er blickte von seinem Buch auf.
„Willst du das denn?“
„Ich glaube, ich habe dir eben gesagt, was ich will.“
„Und ich glaube, ich habe dir eben gesagt, was ich hören will.“
Dann senkte er den Blick wieder auf die Zeilen seines Buches.
Arsch, schoss es ihr durch den Kopf, doch sie konnte sich glücklicherweise rechtzeitig auf die Zunge beißen. Sie drehte sich wieder zum Fenster um und dachte weiter nach. In ihrem Köpfchen marterten unablässig die Gedanken.
Irgendwann wandte sie sich ihm abermals zu.
„Bin ich dir wirklich so wenig wert?“
„Nein“, antwortete er, ohne aufzusehen, „Du bist mir so viel wert.“ Wechselte wieder das Bein, das rechte auf das linke. Sie beobachtete ihn dabei.
„So viel, dass du nicht einmal Sex mit mir hast?“, giftete sie.
„So viel, dass ich dich für mehr als nur eine schnelle Nummer einlade“, nun hob er doch wieder den Blick, „Du isst bei mir, du schläfst bei mir, ich habe mir die letzten vierundzwanzig Stunden nur für dich Zeit genommen. Denkst du, das würde ich für jede tun?“
Sie schwieg. Drehte sich wieder dem Fenster zu.
„Und jetzt soll ich dir das so danken, oder wie?“, hörte sie sich sagen, spürte aber bereits, dass seine Worte ihr Misstrauen wieder besänftigt hatten.
„Du sollst gar nichts. Du darfst. Es ist eine Einladung. Ich bin dir nicht böse, wenn du es nicht tust.“
Eine Einladung. Sie war seiner Einladung bis hierher gefolgt. Saß jetzt auf dem Teppich vor seinem Balkonfenster. Hatte die Zeit bis hierher so sehr genossen. Knabberte nun an ihrem Stolz, der ihr dieses eine Wort verbat. Und fand es am Ende doch unfassbar anziehend, dass dieser Mann vor ihr nicht klein beigab. Sie wollte nicht. Und sie wollte doch.
„Und du lässt mich morgen einfach wieder fahren, wen ich es nicht tue?“, hakte sie nochmal nach.„Was denkst du, was ich tun werde?“
Er würde. Das war ihr klar.
„Auch wenn ich dann nie wiederkomme?“
„Du bist ein freier Mensch.“
Ach zum Teufel – freier Mensch! Sie kam schwungvoll wieder auf die Beine, ging zu dem Geschenktütchen und griff gezielt die Klammern heraus, die darin waren. Damals hatte sie sich selbige auf seine Inspiration hin gekauft, damit herumexperimentiert und ihm davon berichtet. Mit einer dieser Klammern kehrte sie zu ihm zurück, setzte sich abermals auf seinen Schoß und damit ganz frech auch auf sein Buch und hielt ihm die Klammer vor die Nase.
„Möchtest du mich nicht für meine Frechheiten bestrafen?“
Er lächelte.
„Oh, die Versuchung ist groß!“, gestand er, „Aber bisher hast du dich noch nicht entschieden, mir zu gehören. Also werde ich die Finger von dir lassen.“
„Hab ich!“, konterte sie augenblicklich, vielleicht schneller, als ihr lieb war, als sie über diese Worte noch ein zweites Mal nachdachte. Ihm zu gehören war schon ein starker Begriff. Und genau dieses Zögern spürte er in ihr auf.
„Hast du nicht. Sonst würdest du tun, was ich sage.“
„Ich dachte, du willst keine willenlose Puppe!“
„Oh, ich habe keinerlei Zweifel daran, dass du das allerletzte Wesen auf diesem Planeten bist, das man zu einer willenlosen Puppe machen könnte“, zufrieden betrachtete er ihr bockiges Gesicht.
„Warum also soll ich das dann tun?“
„Weil ich es will?“
„Fick dich“, traute sie sich endlich ihm ins Gesicht zu fluchen und erwartete die erste Ohrfeige dafür. Oder, besser noch, dass er sie von ihrem Schoß warf und irgendeine Peitsche aus den Riegen seiner Spielzeuge nahm. Doch er legte nur die Stirn in Falten.
„Aktuell sieht es so aus, als würde es darauf hinauslaufen, allerdings.“
Sie schnaubte.