Hanako schrieb:
Klar gibt es die Möglichkeit, Störfaktoren so gut wie möglich zu minimieren, aber da kann ich mich auch nicht wirklich fallen lassen. Irgendwo mache ich mir doch immer Gedanken, dass plötzlich ein Notfall auftreten könnte und ich in genau diesem Moment nicht erreichbar bin.
Dieser Thread ist jetzt kein reiner BDSM-Thread, im Großen und Ganzen geht es aber doch auch zu großen Teilen thematisch darum.
An sich ist die Frage der beinahe durchgängigen Erreichbarkeit noch gar nicht so alt. Sie hielt Einzug mit der Erfindung und der Allverfügbarkeit von Handys und noch mehr von Smartphones.
Vorher, zu Zeiten von Festnetztelefon, war man üblicherweise nur zu Hause, (wenn gewusst wo) bei Freunden und ggf. bei der Arbeit erreichbar. War man unterwegs oder gar im Ausland, rief man vielleicht regelmäßig kurz zu Hause an.
Geschah in der Zeit der Abwesenheit eine Tragödie o.ä., dauerte es eine Weile, bis man erreicht/ über das Radio gefunden werden konnte. Wir hatten das in der Familie mal, dass nahe Verwandte in Urlaub in (ich glaube) Griechenland waren, als die Großmutter relativ überraschend verstarb. Die Familie wurde über das Radio gesucht, was sogar klappte und rief dann kurze Zeit später zu Hause an.
Ich bin jetzt niemand, der Neuerungen verteufelt. Ich stelle mir aber schon die Frage (wie im anderen Thread bereits erwähnt): welche Fälle kann es geben, in denen ich zwingend sofort erreichbar sein muss? In einem Fall wie oben geht es nicht mehr um Minuten oder Stunden, es wäre aber gut, wenn ich innert weniger Tage Bescheid wüsste, um die Heimreise anzutreten.
Im Falle eines Sturzes meiner Mutter könnte ich gar nicht schnell genug bei ihr sein, um substantiell etwas tun zu können, da uns knapp 400 km trennen. Es würde also nichts nützen, sofort loszufahren, um etwas zu unternehmen. Für solche Fälle ist der Notrufknopf angeschafft. Klar möchte ich in einem solchen Fall innert kurzer Zeit bei ihr sein, aber wenn ich das konsequent zu Ende denke, dürfte ich nicht mal in den Urlaub fahren oder in die USA fliegen, da ja jederzeit etwas sein könnte.
Ich glaube, eigentlich müsste die Überschrift heißen: Selfcare vs. lückenlose Erreichbarkeit, denn nicht einmal lückenlose Erreichbarkeit bedeutet, jederzeit rechtzeitig an Ort und Stelle zu sein. Deshalb gilt für mich im Sinne der Selfcare: wenn mein Gatte und ich schöne Stunden miteinander verbringen, dann sind das "unsere" Stunden und es gibt keinen Fall, der mir in den Sinn kommt, der dem entgehen stehen könnte. Sollte sich nebenan ein Notfall ergeben, der sofortiges Eingreifen unsererseits erfordert, ja, das ist dann sicherlich innert Minuten möglich, bedingt aber nicht, dass Handy und Klingel an sind.
Tatsächlich rechne ich aber nicht wirklich damit, dass in den wenigen Stunden, in welchen wir uns ausführlich umeinander kümmern, gerade eine Katastrophe eintritt. Und wenn doch, sind vielleicht unsere anderen Nachbarn auch da oder wir müssen uns halt erst anziehen und kurz im "Hier und Jetzt" wieder ankommen. Wenn so ein Fall eintritt, tritt denke ich aber eh alles andere in den Hintergrund ich "funktioniere" und "agiere" nur wie nötig und möglich.
Und wenn der Gasmann klingelt, weil er statt wie angekündigt montags erst am Donnerstag erscheint ... dann tut es mir leid, aber dann hätte er den Donnerstag ankündigen sollen.
Wenn in der Nachbarschaft etwas passiert, ist es klar toll, wenn einer von uns da ist, um zu unterstützen. Sind wir nicht da, muss es aber anders gehen. Und da wird es jetzt eben heikel, wenn es um die Frage geht: was ist, wenn wir gerade BDSM betreiben und es passiert nebenan etwas? Wenn ich nebenan etwas plumpsen höre und gefesselt auf dem Bett liege, käme der Gatte wohl von selbst auf Idee, nachzusehen bzw. nachzufragen, ob etwas passiert ist. So wie wir spielen, wären wir wohl beide innerhalb kürzester Zeit handlungsfähig. Hätte ich es jetzt @Shayleigh Nadeln im Körper o.ä., tja, dann könnte ich in dem Moment nicht unterstützen, was auch immer da komme. Aber auch hier: konsequent zu Ende gedacht, dürfte ich dann solche Spiele gar nicht spielen, weil es kann immer irgendwas sein.
Im Grunde ist dieser Thread eigentlich die Fortführung meiner Frage: "Was kann passieren, was meine sofortige Anwesenheit erfordert?" Und da fällt mir auch nach längerem Nachdenken nichts ein. Es ging früher ohne Handy, und auch, wenn das Handy vieles vereinfacht und schneller macht, heißt das nicht, dass ich 24/7 erreichbar sein muss. Es ging früher auch ohne und in den seltensten Fällen (zumindest kenne ich keine) war jemand zu spät. Ganz im Gegenteil: trotz Handy und sofortigem Losfahren kam ich bei meinem Betreuten zu spät, als ich angerufen wurde, er liege im Sterben.
Um abschließend noch einmal auf das obenstehende Zitat zurück zu kommen: ich bin sehr dankbar, dass ich mittlerweile nicht mehr glaube, jederzeit erreichbar sein zu müssen und jederzeit mit einer Katastrophe rechnen zu müssen. Denn, meiner Erfahrung nach kommt die Katastrophe eh unangekündigt und in einer Form, mit der ich nicht gerechnet habe. Von daher versuche ich, mein Leben zu leben, im Hier und Jetzt zu sein, das Jetzt zu genießen. Und wenn dann was kommt, bestmöglich darauf zu reagieren, aber nicht schon vorher dauernd vor Sorge ausharrend zu warten, welche Katstrophe sich möglicherweise anbahnen könnte.
Ich bin bei dir; du seist auch noch so ferne, Du bist mir nah! Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne. O, wärst du da!
Und Trost ist nicht, da du mein Trost gewesen; Und Rat ist nicht, da du mein Rat gewesen; Und Schutz ist nicht, da du mein Schutz gewesen; Und Liebe nicht, da ich um deinetwillen; Die Welt geliebt.
Aber in meinem Herzen ist eine Stelle - Da blüht nichts mehr.
[J. W. v. Goethe, M. L. Kaschnitz u. R. Huch]
Und Trost ist nicht, da du mein Trost gewesen; Und Rat ist nicht, da du mein Rat gewesen; Und Schutz ist nicht, da du mein Schutz gewesen; Und Liebe nicht, da ich um deinetwillen; Die Welt geliebt.
Aber in meinem Herzen ist eine Stelle - Da blüht nichts mehr.
[J. W. v. Goethe, M. L. Kaschnitz u. R. Huch]