21.12.2023 ✷ Etüde Nr. 2

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      21.12.2023 ✷ Etüde Nr. 2

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      ✵ 21. Dezember ✵

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      Etüde Nr. 2

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      von Promise

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      Zu dieser Geschichte gibt es einen weiteren Teil:
      Etüde Nr. 1

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      Dies ist die Fortsetzung der Adventskalender-Geschichte Etüde Nr. 1 aus dem Adventskalender 2021. Wer sie (noch einmal) lesen möchte, findet sie dort. Das ist aber nicht notwendig, um die diesjährige Geschichte zu verstehen.

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      „Eine Etüde ist in ihrem ursprünglichen Wortsinn ein Instrumentalwerk für ein Soloinstrument, das dem Musizierenden zu größeren Fertigkeiten auf seinem Instrument verhelfen soll.“ (Wikipedia)

      Ein schrilles Klingeln schießt in Alexandras Kopf und sucht sich seinen Weg wie eine Billardkugel, die scheinbar wahllos von Bande zu Bande scheppert und keinen Ausgang findet. Jeder Bandenkontakt verursacht einen unangenehm dumpfen Schmerz in ihrem Schädel und jede noch so vage Bewegung lässt eine Welle von Übelkeit ihren Körper überschwemmen. „Bloß die Augen zulassen“, ist der einzige Gedanke, den sie scheinbar noch denken kann. Alexandra patscht nach ihrem Wecker, ihre Hand stößt gegen etwas Kaltes, was taumelnd zu Boden fällt und klirrend in tausende kleine Scherben zersplittert. Das schrille Klingeln dauert unterdessen an. Ganz langsam öffnet sie die Augen, während ihre Hand versucht, dieses grelle Licht daran zu hindern, in ihren Schädel zu gelangen. Noch langsamer realisiert Alexandra, dass es nicht ihr Wecker ist, der diesen unerträglichen Lärm verursacht, sondern ihr Handy, welches auf dem Couchtisch liegt. Couchtisch?! Erste Erinnerungsfetzen tauchen aus dem Nebel in ihrem Kopf auf. Weihnachten. Sie versucht, das schrillende Handy vom Tisch zu angeln, ohne sich dabei zu sehr zu bewegen, doch in diesem Moment verstummt es. „Auch gut“, denkt sich Alexandra und sackt wieder etwas tiefer ins Sofa.

      Weihnachten. Toll. Das Fest der Liebe. Ja, und? Wo sind sie, die Lieben? Helena ist in Kiel geblieben, feiert lieber mit Freunden. Und Christoph, der Typ, der sich ihr Ehemann nennt oder zumindest irgendwann mal nannte, hatte ihr kurz per SMS mitgeteilt, dass er auch über Weihnachten im Ausland bleibt. Vermutlich hatte er Besseres zu tun. Alexandra spürt wieder dieses grausame, verbitterte Gefühl sich in ihrem Bauch ausbreiten. Mittlerweile hatten sich ihre Augen an das Tageslicht gewöhnt und ihr Blick schweift über den Couchtisch. „Ach du heilige Scheiße.“ Die leere Prosecco-Flasche und der auffällig gesunkene Füllstand des Paddy Whiskeys liefern Alexandra eine plausible Erklärung für ihren furchtbaren Zustand. Vorsichtig untersucht sie ihre Hausschuhe nach Glassplittern, bevor sie hineinschlüpft und langsam in die Küche schlurft.

      Mit einem Kaffee setzt sich Alexandra zurück auf die Couch. Ihre motorischen Fähigkeiten sind in der Zwischenzeit wieder soweit hergestellt, dass sie sich ihr Handy vom Tisch nimmt, um herauszufinden, wer angerufen hat. Hinter dem verpassten Anruf steckt Helena, die aber vorbildlich eine Nachricht auf der Mobilbox hinterließ. „Hallo Mama! Ich wünsche dir ein frohes Weihnachtsfest und hoffe, du lässt es dir so richtig gut gehen. Bis bald. Hab dich lieb!“ trällert ihr Helenas gut gelaunte und fröhlich klingende Stimme aus dem Lautsprecher entgegen. „Ich hab dich auch lieb, mein Schatz“, kommt es leise über Alexandras leicht bebenden Lippen und Tränen kullern über ihre Wangen. Traurigkeit, Wut, Verzweiflung und Einsamkeit - genau das scheinen also ihre diesjährigen Weihnachtsbegleiter zu sein. Auf dem Weg in die Küche kommt Alexandra am großen Spiegel im Flur vorbei. Ungekämmt, verheult und in Schlabberklamotten gehüllt, glotzt ihr ihr Spiegelbild entgegen. Sie bleibt stehen und streckt ihm ihre Zunge raus. „Arme, alte, verbitterte Frau“, spricht sie es an, „was hast du eigentlich erwartet? Hast du auf Dankbarkeit gehofft? Hast du auf Harmonie gehofft?“ Ihre Stimme wird immer lauter und verächtlicher. „Wie bescheuert bist du eigentlich?“ Eine Antwort erhält sie natürlich keine, weshalb sie weiter Richtung Küche schlurft.

      Mit fünf Tellern, Messern, ein paar Brötchen, etwas Marmelade und Butter kehrt Alexandra zurück und deckt den großen Tisch im Essbereich des Wohnzimmers. Sogar eine Kerze zündet sie an. Es ist ja schließlich Weihnachten, da gehört sich das ja so. So, nun kann das Frühstück beginnen. Wenn sie schon mal da sind, ihre ungeladenen Gäste: Traurigkeit, Wut, Verzweiflung und Einsamkeit, dann sollten sie doch auch mit ihr essen und ihr Gesellschaft leisten, dann sind sie wenigstens für irgendwas nütze.

      Mürrisch beißt sie in ihr Brötchen und kaut deutlich hörbar. Ihr ist gerade alles egal. Sie ist allein, sie kann sich benehmen, wie sie will. Allmählich beruhigen sich ihre aufgewühlten Emotionen und sie stellt sich vor, irgendjemand hätte das alles in der letzten Stunde heimlich beobachtet. Alexandra beginnt schallend zu lachen. Ja. So! Genau so fühlt es sich vermutlich an, wenn man verrückt wird. Alexandra schüttelt nur noch schmunzelnd den Kopf. Den Rest des Vormittags verbringt sie damit, ihr Wohnzimmer wieder in Ordnung zu bringen und ein kleines Wellness-Programm zu zelebrieren. Erholt und wieder gesellschaftstauglich beschließt Alexandra, den frühen Nachmittag mit einem Spaziergang zu verbringen.

      Lange überlegt Herr Wagner, ob er die Weihnachtskarte einfach in den Briefkasten werfen oder besser klingeln soll. Irgendwie fällt ihm aber keine plausible Erklärung ein, die einen solchen Vorstoß in Alexandras Privatsphäre rechtfertigen könnte. Was weiß er schon über sie? Sie ist seine Schülerin. Nicht mehr und nicht weniger. Egal, was hat er schon zu verlieren? Herr Wagner drückt den Klingelknopf und wartet. Nachdem die Melodie der Klingel verklungen ist, lauscht er nach einem Geräusch, aber im Inneren des Hauses regt sich nichts. Enttäuscht und gleichzeitig erleichtert wirft er den Brief in den dafür vorgesehenen Schlitz in der Haustür und geht.
      Die Luft ist kalt und der leichte Wind beißt in Alexandras Wangen. Vereinzelte Schneeflocken tänzeln vom Himmel und landen auf ihrer Nase und in ihrem Haar. Es scheint also doch noch eine weiße Weihnacht zu geben. Der Himmel hängt voller grauer Wolken und so richtig hell ist es den ganzen Tag nicht geworden. In den meisten Häusern, an welchen Alexandra vorbeikommt, sind die Fenster dekoriert, mit Lichterketten geschmückt und im Vorbeigehen kann man Menschen an Tischen sitzend und Weihnachtsbäume in vollem Glanz sehen. So schön, so friedlich erscheint alles. So schön, dass es in Alexandras Herzen schmerzt. Mittlerweile ist aus den vereinzelten Schneeflocken ein dichterer Schneefall geworden, der Häuser, Bäume und Wege wie mit Puderzucker bestäubt erscheinen lässt.

      „Langsam wird es Zeit für den Heimweg“, denkt Alexandra, auch wenn sie noch nicht wirklich weiß, was sie dort soll. Das letzte Tageslicht weicht der Dämmerung und die Straßenlaternen lassen in ihrem weißen Licht den Puderzucker-Schnee wie Silberstaub glitzern. Als Alexandra den Weg vom Gartentor zu ihrer Haustür einschlägt, entdeckt sie Schuhabdrücke. Zwar sind diese schon wieder überschneit, trotzdem aber noch deutlich zu erkennen. Hat sie eine Verabredung vergessen? Dieser Gedanke schießt durch ihren Kopf und verunsichert sie zunächst. Ihr fällt allerdings niemand ein, der sie hätte besuchen wollen. Beim genaueren Hinsehen stellt sie fest, dass es große Schuhabdrücke sind, sicherlich von Herrenschuhen. „Vermutlich war es nur der Werbeblättchen-Austräger“, denkt sie sich und spürt eine leichte Enttäuschung. „Hm, wer trägt aber an Weihnachten Werbeblättchen aus? Ach, egal.“

      An der Haustüre angekommen nestelt sie mit ihren kalten, fast tauben Fingern in ihrer Jackentasche nach ihrem Haustürschlüssel und öffnet mit diesem die Tür. Statt eines Werbeblättchens findet Alexandra einen Briefumschlag im Flur auf dem Boden liegend vor. Sie hebt ihn auf und betrachtet die akkurat geschwungenen Buchstaben, welche mit Tinte geschrieben ihren Namen wiedergeben. „Hier war heute jemand, um mir einen Brief zu bringen? Die Post kann das ja nicht gewesen sein. Wer war hier? Ich kenne diese Schrift nicht“, wirbeln die Gedanken durch ihren Kopf. Sie legt das Kuvert auf die Garderobe und hängt ihre nasse Jacke auf den Kleiderbügel. Andächtig nimmt sie den Umschlag wieder in ihre Hände und betrachtet ihren Namen darauf, während sie sich ins warme Wohnzimmer begibt und auf das Sofa plumpsen lässt. Der Umschlag ist nicht verklebt, sondern nur zugesteckt. Erwartungsvoll öffnet ihn Alexandra und nimmt eine wunderschöne, nostalgische Klappkarte heraus. Einen Moment betrachtet sie das Motiv, welches an längst vergangene Weihnachten erinnert und im Schein ihrer kleinen Wohnzimmerlampe verheißungsvoll glitzert. Lächelnd klappt sie die Karte auf und liest die sauber und äußerst akkurat mit Tinte geschriebenen Worte.

      Ich wünsche dir, liebe Alexandra, ein frohes Weihnachtsfest und hoffe, du kannst die Feiertage entspannt im Kreise deiner Familie verbringen. Ich würde mich aber sehr freuen, wenn du es ermöglichen kannst, den Nachmittag des zweiten Weihnachtfeiertages mit mir zu verbringen und wir gemeinsam etwas Klavier spielen könnten. Über eine positive Antwort würde ich mich sehr freuen. Liebe Grüße Philipp



      Philipp? Wer ist Philipp? Noch einmal schaut sie auf den Umschlag. Doch, es ist ihr Name, der darauf geschrieben steht. Plötzlich wird es ihr warm und sie spürt ein undefinierbares Gefühl in ihrer Magengegend. Philipp. Philipp Wagner. Herr Wagner, ihr Klavierlehrer. Konnte das möglich sein? Noch auf die Worte starrend, stellt Alexandra fest, dass ihre Hände leicht zittern. Von der eben noch vorhandenen Kälte ist nichts mehr zu spüren, ganz im Gegenteil. Eine angenehme Wärme breitet sich über Dekolleté, Hals und Gesicht aus. Ihre Gedanken sausen durch ihren Kopf. Sie greift nach ihrem Telefon und beginnt Herr Wagners Nummer einzutippen, legt aber wieder auf, noch bevor sie damit fertig ist. Was will sie ihm sagen?

      Nach kurzer Überlegung fasst Alexandra einen Entschluss. Hat Herr Wagner während der Unterrichtsstunden nicht erwähnt, dass er Weihnachten alleine sei, keine Familie habe? Hat sie nicht viele Stunden auf dem Klavier geübt, um ihrer Familie ein besonderes Weihnachtsgeschenk zu machen? Sie möchte nicht auch noch den nächsten Abend alleine verbringen. Schnell geht sie in den Flur, schnappt sich ihren trockenen Mantel, schlüpft in die etwas eleganteren Stiefeletten und verlässt das Haus Richtung Keller und Garage. Im Vorbeigehen wählt sie noch ohne großes Zögern einen guten Rotwein aus dem Regal. Dann setzt sie sich in ihr Auto und startet in die Dunkelheit des frühen Abends, fährt durch die verschneite Landschaft des kleinen Ortes. Direkt vor dem alten Haus mit der Klinkerfassade parkt sie, bleibt aber zunächst in ihrem Wagen sitzen. Was tut sie hier? Kann sie einfach so bei ihm auftauchen, unangemeldet? Vielleicht hat er keine Zeit, vielleicht hat er ja doch Besuch? Nur weil er erwähnte, dass er keine Familie habe, heißt das ja nicht, dass er Weihnachten wirklich alleine ist. Vielleicht hat sie ja etwas falsch verstanden?

      Sie nimmt all ihren Mut zusammen, steigt aus dem Auto aus, geht zu der alten schweren Haustür und klingelt. Warten. Sekunden, die sich wie Minuten anfühlen, Zeit verwandelt sich in eine zähe Masse, die alles zu umschließen scheint. Das leise Summen des Türöffners befreit Alexandra aus dieser Anspannung. Die knarzenden Dielen des Treppenhauses, die wenigen Stufen, die zum Hochparterre hinaufführen, der Geruch von Bohnerwachs – alles erscheint ihr mittlerweile so vertraut. Ebenso die Silhouette des Mannes, der im Türrahmen steht. „Alexandra?!“ Ein Wort, ihr Name, seine Stimme, vom Klang her so undeutbar. Herr Wagner schaltet das Licht im Treppenhaus ein. Davon geblendet, verlässt sie all ihr Mut und sie antwortet leise: „Ja, ich bins.“ „Was tust du hier?“ „Ich wollte Ihnen nur auf Ihre Karte antworten. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich morgen Nachmittag zum Klavierspielen komme“, bringt sie leise hervor. Herr Wagner schaut sie an, direkt in ihre Augen, fest und unlesbar, dann beginnt er zu lachen. Ein freundliches und warmes Lachen, welches sich dennoch nicht gut anfühlt. Alexandra beißt sich auf ihre Lippen, um sich nicht vollkommen in dieser Situation zu verlieren, und spürt, wie ihr Tränen in die Augen schießen. Sie fühlt sich wie ein Vollidiot, während Herr Wagner in der Tür steht und sie auslacht.

      „Du stehst hier mit einer Flasche Wein in der Hand, um mir zu sagen, dass du morgen zu mir kommst? Habe ich das jetzt richtig verstanden? Erwartest du jetzt wirklich, dass ich das glaube?“ Sanft lächelnd schaut er sie an. „Komm doch bitte rein!“ Obwohl sich alles in ihr dagegen sträubt, gehorcht sie seinen Worten und betritt die, ihr bereits vertraute, Wohnung mit dem altbackenen, aber gemütlichen Charme von Samtsofa und Quastenvorhängen. Sie fühlt sich ertappt, durchschaut, bescheuert. Herr Wagner nimmt ihr zuerst die Weinflasche und dann den Mantel ab. Sie folgt ihm wortlos ins Wohnzimmer und nimmt auf dem Sofa Platz. Er stellt zwei Weingläser auf den Tisch, befüllt diese und lächelt sie an. „Ich nehme mal an, dass ich die Situation richtig erfasst habe und du mit mir einen Wein trinken möchtest?“ Alexandra nickt, greift das ihr dargebotene Glas und nimmt einen Schluck. Allmählich findet sie wieder zu sich selbst zurück und erzählt ihm von ihrem verkorksten Weihnachten, welches sie bisher alleine verbracht hat. Noch nie zuvor war sie Weihnachten alleine gewesen. Sie kann diese Einsamkeit nicht aushalten und seine Karte und die Einladung brachten sie dann auf diese bescheuerte Idee.
      Herr Wagner schaut sie irritiert an. „Warum meinst du, die Idee sei bescheuert gewesen? Ich habe mich sehr gefreut, dich heute Abend so spontan hier zu sehen. Allerdings war der Anblick, wie du im dunklen Treppenhaus standst, zunächst nur angeschienen von der Lampe aus meinem Korridor, zu herrlich. Es tut mir leid, wenn mein Lachen dich verunsichert hat.“ Alexandra muss nun auch schmunzeln. Ja, vermutlich hat er Recht, ihr Anblick, in Kombination mit ihren Worten, war sicherlich sehr amüsant gewesen.

      „Bist du eigentlich nur zum Weintrinken hergekommen oder möchtest du mir auch auf dem Klavier vorspielen?“, spricht er sie auffordernd an und deutet auf das Klavier an der gegenüberliegenden Wand. Alexandra nimmt dort Platz und beginnt mit ihrem Spiel. Herr Wagner sieht ihr vom Sofa aus zu. Nach einer Weile erhebt er sich und stellt sich hinter sie. Ihr ist, als könne sie seinen Blick auf ihrem Körper, vor allem auf ihren Händen, spüren. Dennoch gelingt es ihr, das Stück fehlerfrei zu spielen. „Es macht mich stolz, die Früchte meiner Arbeit genießen zu dürfen“, sagt Herr Wagner und legt seine Hände auf ihren Schultern ab. „Die Früchte Ihrer Arbeit? Ich habe doch geübt und geübt“, denkt sich Alexandra, aber sie behält diesen Gedanken für sich. Nach seinen Worten: „Spiel bitte nochmal!“, beginnt sie das Stück erneut.

      Seine Hände liegen weiterhin auf ihren Schultern, beginnen diese zunächst sanft, aber zunehmend kräftiger zu streicheln. Langsam, wie von einem unsichtbaren Magneten angezogen, bewegen sich seine Hände immer weiter nach oben, streicheln und massieren ihren Nacken, ihren Hals. Alexandras Spiel verliert an seinem Fluss, wird abgehackt und stockend. Ihre Konzentration schwindet immer weiter, je kräftiger seine Berührungen an ihrem Hals und Nacken werden. Ihre Unsicherheit und Ablenkbarkeit ist sein Treibstoff, gibt ihm den Anreiz fortzufahren, sich dieser magischen Anziehungskraft und Faszination, die von ihrem Hals ausgeht, hinzugeben. Er kann ihre Nervosität ertasten. Dieses verräterische Puckern ihrer Halsschlagader unter seinen Fingerspitzen macht es ihm schwer, nicht die Beherrschung zu verlieren. Alexandra ist nicht mehr in der Lage, die Tasten in der richtigen Reihenfolge zu treffen, zu sehr wird sie von Wogen unbekannter Gefühle ergriffen und immer wieder in eine andere Welt mitgerissen. Töne und Berührungen vermischen sich und bringen einen Strudel hervor – und mittendrin sie – Alexandra.

      Wie aus weiter Ferne vernimmt sie eine Stimme „Solltest du nicht weiterspielen?“. Ein fester Griff an ihrem Arm deutet ihr aufzustehen, zu folgen. Plötzlich ein Aufprall. Sie spürt eine Wand in ihrem Rücken, seinen Körper auf ihrem, seine Lippen auf ihren, seine Zunge, die Einlass fordernd sich zwischen ihre Lippen schiebt. Sie spürt sich nachgebend, sein Fordern genießend. Seine Hände greifen in ihr Haar, ziehen ihren Kopf nach hinten. Ein Gefühl von Wehrlosigkeit überkommt Alexandra, als sie so dasteht, an die Wand gedrückt, sein Griff ganz fest in ihrem Haar, den Kopf nach hinten überstreckt, ihre Kehle ihm präsentierend, wie einem Raubtier zum finalen Biss. Ihre Blicke treffen sich, ruhen einen Moment aufeinander. Er lässt sie los, dreht sich um und setzt sich in seinen Sessel. Seinen Blick gen Decke gerichtet, vernimmt sie ein: „Es tut mir leid.“ Danach Schweigen. Ihre Knie, weich wie Pudding, geben langsam nach und sie gleitet sanft an der Wand herunter. „Wenn du möchtest, rufe ich dir ein Taxi. Fahren solltest du jetzt nicht.“ Alexandra ist nicht in der Lage zu antworten, aber sie weiß, dass sie nicht gehen möchte. Das ist das einzige Gefühl, dessen sie sich jetzt ganz sicher ist.

      Einem starken inneren Impuls folgend, bewegt sich Alexandra langsam auf allen Vieren zu seinem Sessel, um dort zu verharren und ihren Kopf auf seinem Schoß abzulegen. Eine ganze Weile bleibt sie in dieser Position, bis er irgendwann seine Hand auf ihren Kopf legt und sie sanft zu streicheln beginnt. „Es tut mir leid. Es tut mir so sehr leid. Ich wollte dir keine Angst machen“, sagt er ihr. „Sie haben mir keine Angst gemacht.“ Herr Wagner hält in seinem Streicheln inne und betrachtet Alexandra irritiert, sagt aber nichts. Diesen Blick bemerkend, fügt sie hinzu: „Es war verwirrend, neu, mitreißend, verunsichernd, aber ich hatte keine Angst. Irgendwie war es aufregend, sogar schön.“ „Du möchtest wirklich nicht gehen? Bist du dir sicher?“ „Ich bin mir ganz sicher, dass ich bleiben möchte, wenn ich darf.“ Herr Wagner beugt sich zu ihr herunter und küsst ihre Stirn „Du darfst.“

      *****

      Am nächsten Morgen wacht Alexandra neben Herrn Wagner auf, betrachtet eine Weile seine im Schlaf entspannten Gesichtszüge, lauscht seinem ruhigen und gleichmäßigen Atem. Dann schleicht sie sich leise ins Bad, um sich etwas frisch zu machen. Vor dem großen Spiegel im Badezimmer betrachtet sie ihren Körper und findet ein paar dezent violett schimmernde Erinnerungen an die Geschehnisse der letzten Nacht. Warme Wellen des Glücks durchfluten ihren Körper bei diesem Anblick und den damit verbundenen Gefühlen. Nachdem sie mit seinem Duschgel geduscht hat, nimmt sie seinen Bademantel vom Haken und zieht ihn an. In der Küche bereitet sie ein kleines Frühstück aus Weihnachtskeksen, die sie in einer Dose findet, und Tee zu. Herr Wagner war offensichtlich nicht auf Besuch an Weihnachten vorbereitet und hat, abgesehen von den Keksen, die vermutlich für den Nachmittag eingeplant waren, nicht viel Essbares im Haus. Alexandra gibt Tee, Tassen und Kekse auf ein Tablett und stellt dieses auf dem kleinen Tischchen neben Herrn Wagners Bett ab.

      Nach dem gemeinsamen Frühstück schlägt Herr Wagner vor, dass man etwas Klavier üben sollte. Ein neues Stück wäre sicherlich sehr reizvoll. Er spielt es ihr zunächst vor, lässt sie erste Takte nachspielen, markiert schwierige Stellen, lässt sie erneut spielen. Alles so, wie auch die vorherigen Stücke eingeübt wurden. Doch plötzlich öffnet er den Gürtel des Bademantels, den Alexandra trägt, und entblößt ihren Oberkörper. „Ich kenne eine Art, die das Üben eindrücklicher gestaltet.“ Ein sehr dünner und biegsamer Stock zeichnet die Konturen ihrer Schultern und Brüste nach, verweilt einen Moment auf ihren Brustwarzen, um dann zwischen ihren Brüsten und dann dem Hals entlang nach oben zum Kinn zu gleiten. Er schaut sie an, küsst sie und fordert sie auf, mit ihren Übungen zu beginnen.

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      Auch wenn ich momentan aus familiären Gründen wenig Zeit im Forum verbringe, möchte ich euch kurz ein paar Zeilen hier lassen.
      Zunächst gilt mein Dank dem Team des "Adventskalenders" für ihre Zeit, Geduld und Arbeit. Auch den anderen Autor*innen danke ich, denn ohne euch wäre kein Adventskalender möglich. An dieser Stelle ein besonderer Dank an alle, die kurzfristig eingesprungen sind oder eine zweite Geschichte veröffentlicht haben.
      Ich hoffe, auch meine Geschichte gefällt und trägt dazu bei, dem Einen oder Anderen die Weihnachtszeit zu versüßen.
      Jetzt bleibt mir nur noch, euch allen eine schöne restliche Adventszeit und ein frohes Weihnachtsfest zu wünschen.
      Ich habe mir früher ein wenig Taschengeld als Klavierlehrer verdient. Bei meinen Schülerinnen hätte es allerdings großen Ärger mit den Eltern gegeben. :icon_lol:

      Weihnachten, das emotionale und familiäre Brennglas, der unfaire "Erfolgsmesser" ... und das Happy End auf das wir alle hoffen, das hast Du alles sehr eindringlich beschrieben. Vielen Dank dafür und für Deine guten Wünsche.

      Dir und allen, die hoffentlich mit Dir feiern, wünsche ich auch schöne Feiertage.
      Mit einer verliebten Frau kann man alles tun, was sie will.
      (Gustav Klimt)