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✵ 5. Dezember ✵
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Der Adventskalender - Teil 2
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von @Tarantin
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Zu dieser Geschichte gibt es einen weiteren Teil:
Der Adventskalender
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Der Adventskalender - Teil 2
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Martin zögerte kurz, dann öffnete er langsam und mit klopfendem Herzen die Wohnungstür und trat in den nur durch einen Lichtspalt aus einem angrenzenden Zimmer erleuchteten Flur. Leise schloss er die Tür hinter sich und blieb stehen. Er versuchte, sich im Halbdunkel zu orientieren, rechts war die Küche, dunkel, direkt vor ihm das Wohnzimmer, in das ihn Frau Wegener auch schon einige Male eingeladen hatte, ebenso dunkel. Drei weitere Türen gab es, die zu Räumen führten, die ihm unbekannt waren, aus einem dieser geheimnisvollen Räume fiel der Lichtspalt und erhellte den ansonsten dunklen Flur dürftig. Was würde jetzt passieren? Sollte er dem Licht folgen?
Martin hatte sich gerade entschieden, doch lieber im Flur zu warten, als er Frau Wegeners Stimme aus dem erleuchteten Zimmer hörte. „Du darfst hereinkommen!“ Sie klang immer noch etwas förmlich, aber nicht mehr so streng wie vorhin, als er sein Heft abgegeben hatte. Sein Herz schlug bis zum Hals, als er langsam auf die Tür zuging, was würde ihn dort erwarten? Er legte die Hand auf die Klinke und schob die Tür langsam weiter auf. Frau Wegener registrierte die Überraschung in seinem Gesicht, das hatte sie erwartet, aber welche Gefühlsregung würde folgen? Sie beobachtete ihn genau, über ihre beeindruckende Brille hinweg. Martin hingegen war voll und ganz damit beschäftigt, die Szenerie in sich aufzunehmen. Direkt vor ihm, Blickfang und Mittelpunkt, war natürlich Frau Wegener in ihrem dunkelgrauen Anzug, den schwarzen Pumps, dieser Brille, der strengen Frisur und… was hatte sie in der Hand? Einen Rohrstock!? „Nein, nein, deine Fantasie geht mit dir durch, es wird wohl ein Zeigestock sein.“ Dennoch, warum hatte sie diesen Stock in der Hand?
Aber Frau Wegeners Aufmachung, in der sie ihn ja vorhin schon empfangen hatte, überraschte ihn nicht so wie das Zimmer, in dem sie ihn empfing, oder vielmehr die Einrichtung dieses Zimmers. Es war größer als die Küche oder das Wohnzimmer und das überraschte ihn als erstes. Aber dann fiel ihm ein, dass Frau Wegeners Wohnung größer war als seine. Was ihm dann sofort ins Auge fiel, waren zwei alte Schulbänke aus Holz, und zwar richtig alte! Sie sahen aus wie die auf dem Adventskalender, leicht schräge Pulte mit integrierten Bänken, wie man sie im 18. Jahrhundert verwendet hatte, hart, eng und unbequem.
An der Wand hingen verschiedene Utensilien, deren genaue Beschaffenheit und Funktion er im Moment nicht voll erfassen konnte, aber es mochten Unterrichtsmaterialien sein …oder auch etwas anderes. In einer Ecke stand ein „Bock“, wie Martin ihn noch vom Geräteturnen aus seiner Schulzeit her kannte, unschöne Erinnerungen. Und ganz hinten in der Mitte ein großer, alter, zweiflügeliger, dunkler Holzschrank. „Hast du dich genügend umgesehen?“ Frau Wegeners Stimme riss ihn aus seiner Verblüffung, er schloss seinen Mund, den er während seiner Betrachtung unbemerkt geöffnet haben musste, und starrte sie an. „Das ist MEIN Klassenzimmer“, sagte sie ohne weitere Erklärungen. Martin wusste nicht, wie er reagieren sollte und brachte schließlich ein ziemlich hilfloses „Aha…“ hervor. Frau Wegener entließ ihn aus ihrem bannenden Blick und ein leichtes Schmunzeln umspielte ihren Mund, aber gleich darauf wurde sie wieder ernst, als sie zu einem Stehpult hinüberging, das vor den Schulbänken stand und augenscheinlich derselben Epoche entstammte. Jetzt bemerkte Martin auch noch eine große Schiefertafel an der Wand hinter dem Lehrerpult. Nun ja, kein echter Schiefer vermutlich, aber sie passte zumindest optisch in das Ambiente.
Frau Wegener legte ihren Stock andächtig oben auf das Pult und nahm stattdessen ein Heft, das dort lag, in die Hand, sein Heft, schlug es auf der ersten Seite auf und warf einen Blick hinein. Dann hob sie den Blick über den Rand ihrer Brille und fixierte ihn wieder. „Nun… ich hab deine Arbeit durchgesehen und mir einen Überblick über deinen Tagesablauf verschafft. Würdest du sagen, dass der heutige Tag repräsentativ für deinen Alltag ist?“ Martin überlegte kurz. „Ich denke schon, ja…“ Er hatte eigentlich noch schlagfertig anfügen wollen: ‚bis auf den Abend…‘, verkniff es sich dann aber doch. „Gut…“, sagte Frau Wegener und machte sich Notizen in ein anderes kleines Heft. „Dennoch möchte ich, dass du dieses Tagebuch weiterführst bis zum 24.12. Du kannst auch gerne deine Gedanken darin aufschreiben. Hast du alles verstanden?“ „Ja“, antwortete er zögerlich. „Und bist du auch damit einverstanden?“
Martin zögerte wieder, eigentlich hatte er keine Lust auf diesen Schreibkram. Aber ein Nein würde wahrscheinlich zur Folge haben, dass er seinen Kalender abgeben müsste und dafür war er viel zu neugierig, was ihn hinter den Türchen und vor allem hinter dem letzten erwartete. Diese seltsame Mischung aus kribbelnder Spannung, knisternder Erotik und erregender, unbestimmter Angst, die Frau Wegener in ihm auslöste, ließ ihn schließlich doch vorsichtig nicken. Die Lehrerin hob ihre Augenbraue auf diese unvergleichliche Weise und Martin beeilte sich, hinzuzufügen: „Ich bin einverstanden.“ „Das freut mich sehr, Martin“, sagte sie lächelnd, nun wieder so freundlich, wie er sie kannte. Sie gab ihm sein Heft zurück und Martin nahm es stumm entgegen, seine Lehrerin immer noch anstarrend. „An deinen Manieren werde ich noch feilen, mein Lieber, …du darfst jetzt nach oben gehen“, fügte sie zwinkernd hinzu. Martin blickte betreten zu Boden und drehte sich zur Tür um. Als er Frau Wegeners speziellen Klassenraum verließ, sah er sich nochmal um, erwiderte ihr Lächeln und verabschiedete sich: „Bis morgen…“